Die Bauart, welche in den alten Zeiten, bey den Hetruskern im Gebrauch gewesen ist. Man hat kein altes Gebäude, an welchem sie vollkommen beobachtet worden. Die Säule des Kaysers Tra- jans, welche ohne Gebälke acht Säulendike hoch ist, und einen corinthischen Säulenstuhl hat, kann für kein Muster der toscanischen Säule gehalten werden. Die Amphitheater zu Verona, Pola und zu Nimes sind zu bäurisch, um zu Mustern zu dienen. Da nun auch Vitruvius sie nicht deutlich genug beschrei- bet, so ist das, was die Neuern für die toscanische Bauart ausgeben, eine von ihnen erdachte Sache. [Spaltenumbruch]
Tra
Von den Neuern haben sie in Frankreich la Brosse und Le Mercier, der erstere am Pallast Luxemburg, der andere im Palais royal angebracht; Mansard an der Grotte zu Versailles.
Darin kommen alle Baumeister überein, daß sie von allen Arten die einfacheste sey, und die wenig- sten und einfachesten Glieder habe. Goldmann macht die toscanische Säule 16 Model hoch, dem Fuß giebt er eine runde Plinthe und einen Pfühl jedes von 1/2 Model hoch. Dem Knauff giebt er aus- ser dem Hals 3 Riemlein, einen Wulst und die Platte, und an dem Fries macht er hervorstehende Balken- köpfe, doch ohne Dreyschlize. (*)
Was sonst noch über die toscanische Ordnung zu erinnern wäre, ist bereits anderswo angezeiget wor- den. (*)
Tragisch. (Schauspiehl.)
Das Wort bedeutet etwas, daß der Tragödie ei- gen ist, oder sich für dieselbe gut schiket. Jn die- sem Sinne sagt man, eine Handlung, eine Begeben- heit, eine Leidenschaft sey tragisch. Jn etwas ein- geschränkterm Sinne werden Zufälle, Begebenheiten oder Handlungen, wodurch beträchtliche Unglüks- fälle veranlasset, oder hervorgebracht werden, tra- gisch genennt; weil man gewohnt ist, dergleichen in dem Trauerspiehl zu sehen. Wir nehmen hier das Wort in dem erstern, allgemeinen Sinne, von dem was sich zur Tragödie schiket, oder ihr eigen ist.
Der Hauptcharakter des Tragischen besteht in der innern Größe, oder Wichtigkeit der vorgestellten Gegenstände. Die Personen müssen entweder durch ihren innern Charakter, oder durch ihren Rang, ihre Würde und ihren Einflus auf die Gesellschaft darin sie leben, wichtig seyn: die Handlung muß nicht auf ein geringes, oder vorübergehendes Jn- teresse gegründet seyn, sondern die Wolfarth, oder den gänzlichen Untergang großer Personen, oder gar ganzer Familien, oder Gesellschaften, entschei- den. Die Alten haben, wie bekannt ist, die Haupt- personen niemals aus dem Privatstand genommen; und noch gegenwärtig kommt man durchgehends darin überein, daß die tragische Bühne Personen von hohem, öffentlichem Charakter erfodere. Man hat deswegen dem pathetischen Drama, dessen Haupt- personen aus dem Privatstand genommen sind, den besondern Namen des bürgerlichen Trauerspiehls
gege-
(*) S. Abschnit. S. 7.
(*) S. Ordnung S. 858.
F f f f f f f 3
[Spaltenumbruch]
Toſ
[Tabelle]
Toſcaniſch. (Baukunſt.)
Die Bauart, welche in den alten Zeiten, bey den Hetruskern im Gebrauch geweſen iſt. Man hat kein altes Gebaͤude, an welchem ſie vollkommen beobachtet worden. Die Saͤule des Kayſers Tra- jans, welche ohne Gebaͤlke acht Saͤulendike hoch iſt, und einen corinthiſchen Saͤulenſtuhl hat, kann fuͤr kein Muſter der toſcaniſchen Saͤule gehalten werden. Die Amphitheater zu Verona, Pola und zu Nimes ſind zu baͤuriſch, um zu Muſtern zu dienen. Da nun auch Vitruvius ſie nicht deutlich genug beſchrei- bet, ſo iſt das, was die Neuern fuͤr die toſcaniſche Bauart ausgeben, eine von ihnen erdachte Sache. [Spaltenumbruch]
Tra
Von den Neuern haben ſie in Frankreich la Broſſe und Le Mercier, der erſtere am Pallaſt Luxemburg, der andere im Palais royal angebracht; Manſard an der Grotte zu Verſailles.
Darin kommen alle Baumeiſter uͤberein, daß ſie von allen Arten die einfacheſte ſey, und die wenig- ſten und einfacheſten Glieder habe. Goldmann macht die toſcaniſche Saͤule 16 Model hoch, dem Fuß giebt er eine runde Plinthe und einen Pfuͤhl jedes von ½ Model hoch. Dem Knauff giebt er auſ- ſer dem Hals 3 Riemlein, einen Wulſt und die Platte, und an dem Fries macht er hervorſtehende Balken- koͤpfe, doch ohne Dreyſchlize. (*)
Was ſonſt noch uͤber die toſcaniſche Ordnung zu erinnern waͤre, iſt bereits anderswo angezeiget wor- den. (*)
Tragiſch. (Schauſpiehl.)
Das Wort bedeutet etwas, daß der Tragoͤdie ei- gen iſt, oder ſich fuͤr dieſelbe gut ſchiket. Jn die- ſem Sinne ſagt man, eine Handlung, eine Begeben- heit, eine Leidenſchaft ſey tragiſch. Jn etwas ein- geſchraͤnkterm Sinne werden Zufaͤlle, Begebenheiten oder Handlungen, wodurch betraͤchtliche Ungluͤks- faͤlle veranlaſſet, oder hervorgebracht werden, tra- giſch genennt; weil man gewohnt iſt, dergleichen in dem Trauerſpiehl zu ſehen. Wir nehmen hier das Wort in dem erſtern, allgemeinen Sinne, von dem was ſich zur Tragoͤdie ſchiket, oder ihr eigen iſt.
Der Hauptcharakter des Tragiſchen beſteht in der innern Groͤße, oder Wichtigkeit der vorgeſtellten Gegenſtaͤnde. Die Perſonen muͤſſen entweder durch ihren innern Charakter, oder durch ihren Rang, ihre Wuͤrde und ihren Einflus auf die Geſellſchaft darin ſie leben, wichtig ſeyn: die Handlung muß nicht auf ein geringes, oder voruͤbergehendes Jn- tereſſe gegruͤndet ſeyn, ſondern die Wolfarth, oder den gaͤnzlichen Untergang großer Perſonen, oder gar ganzer Familien, oder Geſellſchaften, entſchei- den. Die Alten haben, wie bekannt iſt, die Haupt- perſonen niemals aus dem Privatſtand genommen; und noch gegenwaͤrtig kommt man durchgehends darin uͤberein, daß die tragiſche Buͤhne Perſonen von hohem, oͤffentlichem Charakter erfodere. Man hat deswegen dem pathetiſchen Drama, deſſen Haupt- perſonen aus dem Privatſtand genommen ſind, den beſondern Namen des buͤrgerlichen Trauerſpiehls
gege-
(*) S. Abſchnit. S. 7.
(*) S. Ordnung S. 858.
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(Baukunſt.)
Die Bauart, welche in den alten Zeiten, bey den
Hetruskern im Gebrauch geweſen iſt. Man hat
kein altes Gebaͤude, an welchem ſie vollkommen
beobachtet worden. Die Saͤule des Kayſers Tra-
jans, welche ohne Gebaͤlke acht Saͤulendike hoch iſt,
und einen corinthiſchen Saͤulenſtuhl hat, kann fuͤr
kein Muſter der toſcaniſchen Saͤule gehalten werden.
Die Amphitheater zu Verona, Pola und zu Nimes
ſind zu baͤuriſch, um zu Muſtern zu dienen. Da
nun auch Vitruvius ſie nicht deutlich genug beſchrei-
bet, ſo iſt das, was die Neuern fuͤr die toſcaniſche
Bauart ausgeben, eine von ihnen erdachte Sache.
Von den Neuern haben ſie in Frankreich la Broſſe
und Le Mercier, der erſtere am Pallaſt Luxemburg,
der andere im Palais royal angebracht; Manſard
an der Grotte zu Verſailles.
Darin kommen alle Baumeiſter uͤberein, daß ſie
von allen Arten die einfacheſte ſey, und die wenig-
ſten und einfacheſten Glieder habe. Goldmann
macht die toſcaniſche Saͤule 16 Model hoch, dem
Fuß giebt er eine runde Plinthe und einen Pfuͤhl
jedes von ½ Model hoch. Dem Knauff giebt er auſ-
ſer dem Hals 3 Riemlein, einen Wulſt und die Platte,
und an dem Fries macht er hervorſtehende Balken-
koͤpfe, doch ohne Dreyſchlize. (*)
Was ſonſt noch uͤber die toſcaniſche Ordnung zu
erinnern waͤre, iſt bereits anderswo angezeiget wor-
den. (*)
Tragiſch.
(Schauſpiehl.)
Das Wort bedeutet etwas, daß der Tragoͤdie ei-
gen iſt, oder ſich fuͤr dieſelbe gut ſchiket. Jn die-
ſem Sinne ſagt man, eine Handlung, eine Begeben-
heit, eine Leidenſchaft ſey tragiſch. Jn etwas ein-
geſchraͤnkterm Sinne werden Zufaͤlle, Begebenheiten
oder Handlungen, wodurch betraͤchtliche Ungluͤks-
faͤlle veranlaſſet, oder hervorgebracht werden, tra-
giſch genennt; weil man gewohnt iſt, dergleichen
in dem Trauerſpiehl zu ſehen. Wir nehmen hier
das Wort in dem erſtern, allgemeinen Sinne, von
dem was ſich zur Tragoͤdie ſchiket, oder ihr eigen iſt.
Der Hauptcharakter des Tragiſchen beſteht in der
innern Groͤße, oder Wichtigkeit der vorgeſtellten
Gegenſtaͤnde. Die Perſonen muͤſſen entweder durch
ihren innern Charakter, oder durch ihren Rang,
ihre Wuͤrde und ihren Einflus auf die Geſellſchaft
darin ſie leben, wichtig ſeyn: die Handlung muß
nicht auf ein geringes, oder voruͤbergehendes Jn-
tereſſe gegruͤndet ſeyn, ſondern die Wolfarth, oder
den gaͤnzlichen Untergang großer Perſonen, oder
gar ganzer Familien, oder Geſellſchaften, entſchei-
den. Die Alten haben, wie bekannt iſt, die Haupt-
perſonen niemals aus dem Privatſtand genommen;
und noch gegenwaͤrtig kommt man durchgehends
darin uͤberein, daß die tragiſche Buͤhne Perſonen von
hohem, oͤffentlichem Charakter erfodere. Man hat
deswegen dem pathetiſchen Drama, deſſen Haupt-
perſonen aus dem Privatſtand genommen ſind, den
beſondern Namen des buͤrgerlichen Trauerſpiehls
gege-
(*) S.
Abſchnit.
S. 7.
(*) S.
Ordnung
S. 858.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1167[1149]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/596>, abgerufen am 24.11.2024.
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