Schwierigkeit: aber desto schweerer ist es den Ausdruk zu Beschreibung der ästhetischen Beschaffenheit der Stimme zu finden. Wir wollen die Benennungen die- ses fürtreflichen Lehrers der Kunst in seiner Sprache hersezen. Est (vox) et candida, et fusca, et plena, et exilis, et lenis, et aspera, et contracta, et susa, et dura, et flexilis, et clara, et obtusa. Und Cicero spricht hievon in folgenden Ausdrüken: Vocis ge- nera permulta, canorum, fuscum; leve, asperum; grave, acutum; flexibile, durum.(*) Außer die- sen Benennungen findet man noch eine Menge an- drer, deren sich beyde Lehrer der Redner bedienen, um die mancherley guten und schlechten Eigenschaf- ten des Tones der Stimmen anzuzeigen. Weil aber in unsrer Sprache wenig über diese Materie ge- dacht und geschrieben worden, so fehlen uns die Wörter die nöthig wären, um das, was die Römer hierüber bemerkt haben, in unsrer Sprach auszu- drüken.
Denen, die öffentlich zu reden haben, empfehlen wir ein fleißiges Studium dieses höchstwichtigen Punk- tes. Eine genaue Beobachtung wird sie überzeu- gen, daß in dem bloßen Ton der Stimme sehr große Kraft liege, durch die ofte mehr ausgerichtet wird, als durch das, was man sagt. Es ist nicht schweer zu entdeken, daß diese, manchem so unbedeutend scheinende Sache tiefen Eindruk auf die Gemüther mache. Der Ton der Stimme ist allein schon ver- mögend jede Leidenschaft in uns rege zu machen. Ein einziges Wort, das fast gar keine Bedeutung hat, als die, die es durch den Ton bekommt, kann Schreken, Furcht, Mitleiden, Zärtlichkeit und an- dre Leidenschaften sehr schnell rege machen. Redner und Schauspiehler können nicht sorgfältig genug seyn, dergleichen Würkungen zu beobachten, um hernach durch fleißiges Ueben diese vielfältige Kraft in ihre Gewalt zu bekommen. Jch getraue mir zu behaupten, daß ein mittelmäßiger Redner, der seiner Stimme jeden Ton geben kann, allemal mehr ausrichten wird, als der Beste, dessen Stimme troken und zum leidenschaftlichen Ton unlenkbar ist.
Nächst der Stimme an sich, ist ihr Gebrauch zu betrachten. Das Stärkere, oder Schwächere, Schnellere und Langsamere, und dergleichen. Durch diese blos mechanisch scheinenden Eigenschaften der Rede kann die Kraft des Jnhalts zernichtet, oder aufs Höchste gebracht werden. Man stelle sich bey der berühmten Antwort der Medca in dem Trauer- [Spaltenumbruch]
Ton
spiehl des Corneille vor, daß Medea das Moi! mit einer halb erloschenen weinerlichen Stimme sage; so wird man begreifen, daß alle Kraft derselben weg- falle, oder daß der alte Horaz die bekannte Antwort: qu'il mouraut, mit einer stotternden, oder weich- lichen Stimme vorbringe, so wird das Erhabene selbst lächerlich. Es ist bekannt, daß die ernsthaf- testen Reden durch eine comische Stimme lächerlich, und Tröstenden durch den spottenden Ton zu Vor- würfen werden können.
Jn einem langsamen Affekt, wie die Traurigkeit, die Zärtlichkeit, die Furcht ist, geschwinde sprechen, oder in einem schnellen Affekt, wie der Zorn ist, lang- sam, würde der Rede alle Kraft benehmen. Hier- aus folget nun auch, daß Redner und Dichter die Wörter, Redensarten und Wortfügungen in Absicht auf den Ton so wählen müssen, daß sie natürlicher Weise geschwind, oder langsam fließen, so wie der Ton es erfodert, und hieher gehört auch alles, was an einem andern Orte von dem lebendigen Aus- druk erinnert worden. Jn diesem Stük müssen Redner und Dichter den Tonsezer und den Sänger zu ihrem Lehrer annehmen.
Auch in Rüksicht auf die Bedeutung, auf die Wortfügung und die Wahl des Ausdruks, schreibet man der Rede einen Ton zu: und dieses ist der dritte Hauptpunkt, den wir hier zu betrachten ha- ben. Wer von geringen Sachen spricht, der ver- fehlt den Ton, wenn er vornehme, hohe Worte, feine Bilder, lebhafte Figuren, dazu braucht. Ge- meine Sachen in einen hohen Ton vorbringen, ist, wie der Cyniker Diogenes sehr wizig bemerkt, ein bleyernes Schwerdt aus einer elfenbeinernen Schei- de ziehen, und Horaz nennt dieses ex fulgure dare fumum.
Man bemerke hier vor allen Dingen, daß bald jede Gemüthslage ihren eigenen Ausdruk hat. Da man in verschiedener Faßung auch verschieden denkt, indem dem Fröhlichen alles lacht, und dem Trau- rigen alles finster vorkommt; so darf man es sich gar nicht befremden lassen, daß auch der Ausdruk in Bedeutung der Wörter, in Figuren, Tropen und Bildern, sich nach dem innern Gefühl des Redenden richte. Es gehört unter die Geheimnisse der mensch- lichen Natur, daß einerley Sache gar sehr verschie- den auf uns würket, je nachdem wir uns in einer Lage befinden. Diese Lage, die man auch die Stim- mung des Gemüthes nennen könnte, bringt also
den
(*)Cic. de Nat. Deor. L. II.
E e e e e e e 3
[Spaltenumbruch]
Ton
Schwierigkeit: aber deſto ſchweerer iſt es den Ausdruk zu Beſchreibung der aͤſthetiſchen Beſchaffenheit der Stimme zu finden. Wir wollen die Benennungen die- ſes fuͤrtreflichen Lehrers der Kunſt in ſeiner Sprache herſezen. Eſt (vox) et candida, et fuſca, et plena, et exilis, et lenis, et aſpera, et contracta, et ſuſa, et dura, et flexilis, et clara, et obtuſa. Und Cicero ſpricht hievon in folgenden Ausdruͤken: Vocis ge- nera permulta, canorum, fuſcum; leve, aſperum; grave, acutum; flexibile, durum.(*) Außer die- ſen Benennungen findet man noch eine Menge an- drer, deren ſich beyde Lehrer der Redner bedienen, um die mancherley guten und ſchlechten Eigenſchaf- ten des Tones der Stimmen anzuzeigen. Weil aber in unſrer Sprache wenig uͤber dieſe Materie ge- dacht und geſchrieben worden, ſo fehlen uns die Woͤrter die noͤthig waͤren, um das, was die Roͤmer hieruͤber bemerkt haben, in unſrer Sprach auszu- druͤken.
Denen, die oͤffentlich zu reden haben, empfehlen wir ein fleißiges Studium dieſes hoͤchſtwichtigen Punk- tes. Eine genaue Beobachtung wird ſie uͤberzeu- gen, daß in dem bloßen Ton der Stimme ſehr große Kraft liege, durch die ofte mehr ausgerichtet wird, als durch das, was man ſagt. Es iſt nicht ſchweer zu entdeken, daß dieſe, manchem ſo unbedeutend ſcheinende Sache tiefen Eindruk auf die Gemuͤther mache. Der Ton der Stimme iſt allein ſchon ver- moͤgend jede Leidenſchaft in uns rege zu machen. Ein einziges Wort, das faſt gar keine Bedeutung hat, als die, die es durch den Ton bekommt, kann Schreken, Furcht, Mitleiden, Zaͤrtlichkeit und an- dre Leidenſchaften ſehr ſchnell rege machen. Redner und Schauſpiehler koͤnnen nicht ſorgfaͤltig genug ſeyn, dergleichen Wuͤrkungen zu beobachten, um hernach durch fleißiges Ueben dieſe vielfaͤltige Kraft in ihre Gewalt zu bekommen. Jch getraue mir zu behaupten, daß ein mittelmaͤßiger Redner, der ſeiner Stimme jeden Ton geben kann, allemal mehr ausrichten wird, als der Beſte, deſſen Stimme troken und zum leidenſchaftlichen Ton unlenkbar iſt.
Naͤchſt der Stimme an ſich, iſt ihr Gebrauch zu betrachten. Das Staͤrkere, oder Schwaͤchere, Schnellere und Langſamere, und dergleichen. Durch dieſe blos mechaniſch ſcheinenden Eigenſchaften der Rede kann die Kraft des Jnhalts zernichtet, oder aufs Hoͤchſte gebracht werden. Man ſtelle ſich bey der beruͤhmten Antwort der Medca in dem Trauer- [Spaltenumbruch]
Ton
ſpiehl des Corneille vor, daß Medea das Moi! mit einer halb erloſchenen weinerlichen Stimme ſage; ſo wird man begreifen, daß alle Kraft derſelben weg- falle, oder daß der alte Horaz die bekannte Antwort: qu’il mourût, mit einer ſtotternden, oder weich- lichen Stimme vorbringe, ſo wird das Erhabene ſelbſt laͤcherlich. Es iſt bekannt, daß die ernſthaf- teſten Reden durch eine comiſche Stimme laͤcherlich, und Troͤſtenden durch den ſpottenden Ton zu Vor- wuͤrfen werden koͤnnen.
Jn einem langſamen Affekt, wie die Traurigkeit, die Zaͤrtlichkeit, die Furcht iſt, geſchwinde ſprechen, oder in einem ſchnellen Affekt, wie der Zorn iſt, lang- ſam, wuͤrde der Rede alle Kraft benehmen. Hier- aus folget nun auch, daß Redner und Dichter die Woͤrter, Redensarten und Wortfuͤgungen in Abſicht auf den Ton ſo waͤhlen muͤſſen, daß ſie natuͤrlicher Weiſe geſchwind, oder langſam fließen, ſo wie der Ton es erfodert, und hieher gehoͤrt auch alles, was an einem andern Orte von dem lebendigen Aus- druk erinnert worden. Jn dieſem Stuͤk muͤſſen Redner und Dichter den Tonſezer und den Saͤnger zu ihrem Lehrer annehmen.
Auch in Ruͤkſicht auf die Bedeutung, auf die Wortfuͤgung und die Wahl des Ausdruks, ſchreibet man der Rede einen Ton zu: und dieſes iſt der dritte Hauptpunkt, den wir hier zu betrachten ha- ben. Wer von geringen Sachen ſpricht, der ver- fehlt den Ton, wenn er vornehme, hohe Worte, feine Bilder, lebhafte Figuren, dazu braucht. Ge- meine Sachen in einen hohen Ton vorbringen, iſt, wie der Cyniker Diogenes ſehr wizig bemerkt, ein bleyernes Schwerdt aus einer elfenbeinernen Schei- de ziehen, und Horaz nennt dieſes ex fulgure dare fumum.
Man bemerke hier vor allen Dingen, daß bald jede Gemuͤthslage ihren eigenen Ausdruk hat. Da man in verſchiedener Faßung auch verſchieden denkt, indem dem Froͤhlichen alles lacht, und dem Trau- rigen alles finſter vorkommt; ſo darf man es ſich gar nicht befremden laſſen, daß auch der Ausdruk in Bedeutung der Woͤrter, in Figuren, Tropen und Bildern, ſich nach dem innern Gefuͤhl des Redenden richte. Es gehoͤrt unter die Geheimniſſe der menſch- lichen Natur, daß einerley Sache gar ſehr verſchie- den auf uns wuͤrket, je nachdem wir uns in einer Lage befinden. Dieſe Lage, die man auch die Stim- mung des Gemuͤthes nennen koͤnnte, bringt alſo
den
(*)Cic. de Nat. Deor. L. II.
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[1159[1141]/0588]
Ton
Ton
Schwierigkeit: aber deſto ſchweerer iſt es den Ausdruk
zu Beſchreibung der aͤſthetiſchen Beſchaffenheit der
Stimme zu finden. Wir wollen die Benennungen die-
ſes fuͤrtreflichen Lehrers der Kunſt in ſeiner Sprache
herſezen. Eſt (vox) et candida, et fuſca, et plena, et
exilis, et lenis, et aſpera, et contracta, et ſuſa, et
dura, et flexilis, et clara, et obtuſa. Und Cicero
ſpricht hievon in folgenden Ausdruͤken: Vocis ge-
nera permulta, canorum, fuſcum; leve, aſperum;
grave, acutum; flexibile, durum. (*) Außer die-
ſen Benennungen findet man noch eine Menge an-
drer, deren ſich beyde Lehrer der Redner bedienen,
um die mancherley guten und ſchlechten Eigenſchaf-
ten des Tones der Stimmen anzuzeigen. Weil
aber in unſrer Sprache wenig uͤber dieſe Materie ge-
dacht und geſchrieben worden, ſo fehlen uns die
Woͤrter die noͤthig waͤren, um das, was die Roͤmer
hieruͤber bemerkt haben, in unſrer Sprach auszu-
druͤken.
Denen, die oͤffentlich zu reden haben, empfehlen
wir ein fleißiges Studium dieſes hoͤchſtwichtigen Punk-
tes. Eine genaue Beobachtung wird ſie uͤberzeu-
gen, daß in dem bloßen Ton der Stimme ſehr große
Kraft liege, durch die ofte mehr ausgerichtet wird,
als durch das, was man ſagt. Es iſt nicht ſchweer
zu entdeken, daß dieſe, manchem ſo unbedeutend
ſcheinende Sache tiefen Eindruk auf die Gemuͤther
mache. Der Ton der Stimme iſt allein ſchon ver-
moͤgend jede Leidenſchaft in uns rege zu machen.
Ein einziges Wort, das faſt gar keine Bedeutung
hat, als die, die es durch den Ton bekommt, kann
Schreken, Furcht, Mitleiden, Zaͤrtlichkeit und an-
dre Leidenſchaften ſehr ſchnell rege machen. Redner
und Schauſpiehler koͤnnen nicht ſorgfaͤltig genug
ſeyn, dergleichen Wuͤrkungen zu beobachten, um
hernach durch fleißiges Ueben dieſe vielfaͤltige Kraft
in ihre Gewalt zu bekommen. Jch getraue mir
zu behaupten, daß ein mittelmaͤßiger Redner, der
ſeiner Stimme jeden Ton geben kann, allemal mehr
ausrichten wird, als der Beſte, deſſen Stimme
troken und zum leidenſchaftlichen Ton unlenkbar iſt.
Naͤchſt der Stimme an ſich, iſt ihr Gebrauch zu
betrachten. Das Staͤrkere, oder Schwaͤchere,
Schnellere und Langſamere, und dergleichen. Durch
dieſe blos mechaniſch ſcheinenden Eigenſchaften der
Rede kann die Kraft des Jnhalts zernichtet, oder
aufs Hoͤchſte gebracht werden. Man ſtelle ſich bey
der beruͤhmten Antwort der Medca in dem Trauer-
ſpiehl des Corneille vor, daß Medea das Moi! mit
einer halb erloſchenen weinerlichen Stimme ſage; ſo
wird man begreifen, daß alle Kraft derſelben weg-
falle, oder daß der alte Horaz die bekannte Antwort:
qu’il mourût, mit einer ſtotternden, oder weich-
lichen Stimme vorbringe, ſo wird das Erhabene
ſelbſt laͤcherlich. Es iſt bekannt, daß die ernſthaf-
teſten Reden durch eine comiſche Stimme laͤcherlich,
und Troͤſtenden durch den ſpottenden Ton zu Vor-
wuͤrfen werden koͤnnen.
Jn einem langſamen Affekt, wie die Traurigkeit,
die Zaͤrtlichkeit, die Furcht iſt, geſchwinde ſprechen,
oder in einem ſchnellen Affekt, wie der Zorn iſt, lang-
ſam, wuͤrde der Rede alle Kraft benehmen. Hier-
aus folget nun auch, daß Redner und Dichter die
Woͤrter, Redensarten und Wortfuͤgungen in Abſicht
auf den Ton ſo waͤhlen muͤſſen, daß ſie natuͤrlicher
Weiſe geſchwind, oder langſam fließen, ſo wie der
Ton es erfodert, und hieher gehoͤrt auch alles, was
an einem andern Orte von dem lebendigen Aus-
druk erinnert worden. Jn dieſem Stuͤk muͤſſen
Redner und Dichter den Tonſezer und den Saͤnger
zu ihrem Lehrer annehmen.
Auch in Ruͤkſicht auf die Bedeutung, auf die
Wortfuͤgung und die Wahl des Ausdruks, ſchreibet
man der Rede einen Ton zu: und dieſes iſt der
dritte Hauptpunkt, den wir hier zu betrachten ha-
ben. Wer von geringen Sachen ſpricht, der ver-
fehlt den Ton, wenn er vornehme, hohe Worte,
feine Bilder, lebhafte Figuren, dazu braucht. Ge-
meine Sachen in einen hohen Ton vorbringen, iſt,
wie der Cyniker Diogenes ſehr wizig bemerkt, ein
bleyernes Schwerdt aus einer elfenbeinernen Schei-
de ziehen, und Horaz nennt dieſes ex fulgure dare
fumum.
Man bemerke hier vor allen Dingen, daß bald
jede Gemuͤthslage ihren eigenen Ausdruk hat. Da
man in verſchiedener Faßung auch verſchieden denkt,
indem dem Froͤhlichen alles lacht, und dem Trau-
rigen alles finſter vorkommt; ſo darf man es ſich
gar nicht befremden laſſen, daß auch der Ausdruk
in Bedeutung der Woͤrter, in Figuren, Tropen und
Bildern, ſich nach dem innern Gefuͤhl des Redenden
richte. Es gehoͤrt unter die Geheimniſſe der menſch-
lichen Natur, daß einerley Sache gar ſehr verſchie-
den auf uns wuͤrket, je nachdem wir uns in einer
Lage befinden. Dieſe Lage, die man auch die Stim-
mung des Gemuͤthes nennen koͤnnte, bringt alſo
den
(*) Cic. de
Nat. Deor.
L. II.
E e e e e e e 3
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1159[1141]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/588>, abgerufen am 24.11.2024.
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