Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch]
Kün Man brauchte sie jede Feyerlichkeit, jede öffent- Eben so aufmerksam waren auch die Hetrusker, So war es mit den schönen Künsten in den gol- Kün erstaunliche Mißbrauch, den die ausgearteten Grie-chen von den schönen Künsten gemacht haben, vor Augen gelegt werde. Da ich die Versuchung fühle darüber weitläuftiger zu seyn, als es sich hier schiken würde, will ich mich begnügen, nur eine allgemeine Abschilderung davon, die ein verständiger Engländer verfertiget hat, zu geben. (*) "Da die Athenien- ser, sagt er, sich von dem Feinde, der sie so sehr in Athem gehalten hatte, (**) befreyt sahen, über- ließen sie sich dem Genusse der Ergötzlichkeiten, und dachten an nichts, als an Spiel und Feste. Dieses trieben sie bis zur größten Ausschweifung, und für die Schaubühne hatten sie eine Leidenschaft, die alle Staatsgeschäfte hemmte, und alle Empfindung des Ruhms erstikte. Dichter und Schauspieler genos- sen allein die Gunst des Volks, und ihnen gab man den frohlokenden Beyfall und die Hochachtung, die denen gebührte, die ihr Leben zur Vertheidigung der Freyheit gewagt hatten. Die Schätze, die zum Unterhalt der Flotte und der Heere bestimmt gewe- sen, wurden auf Schauspiele verwandt. Tänzer und Sängerinnen führten das wollüstigste Leben, da die Heerführer darbten, und auf ihren Schiffen kaum Brod, Käse und Zwiebeln hatten. Der Auf- wand auf die Schaubühne war so groß, daß nach dem Berichte des Plutarchus die Vorstellung eines Trauerspiels vom Sophokles, oder Euripides, dem Staate mehr gekostet hat, als der Krieg gegen die Perser. Dazu nahm man den Schatz, der einige Zeit zuvor als ein Heiligthum für die äußerste Noth- durft des Staates, mit dem Gesetze der Todesstrafe für den, der sich unterstehen würde, eine Veräuße- rung desselben anzutragen, zurücke gelegt worden." Was also in seinem Ursprunge bestimmt war, ter (*) S. Baukunst 1 Th. S. 129. auch Musik. (*) S. Temple Stanyan's Gesch. von Griechenl. III. Buch 3 Cap. (**) Von
dem Epa- minondas [Spaltenumbruch]
Kuͤn Man brauchte ſie jede Feyerlichkeit, jede oͤffent- Eben ſo aufmerkſam waren auch die Hetrusker, So war es mit den ſchoͤnen Kuͤnſten in den gol- Kuͤn erſtaunliche Mißbrauch, den die ausgearteten Grie-chen von den ſchoͤnen Kuͤnſten gemacht haben, vor Augen gelegt werde. Da ich die Verſuchung fuͤhle daruͤber weitlaͤuftiger zu ſeyn, als es ſich hier ſchiken wuͤrde, will ich mich begnuͤgen, nur eine allgemeine Abſchilderung davon, die ein verſtaͤndiger Englaͤnder verfertiget hat, zu geben. (*) „Da die Athenien- ſer, ſagt er, ſich von dem Feinde, der ſie ſo ſehr in Athem gehalten hatte, (**) befreyt ſahen, uͤber- ließen ſie ſich dem Genuſſe der Ergoͤtzlichkeiten, und dachten an nichts, als an Spiel und Feſte. Dieſes trieben ſie bis zur groͤßten Ausſchweifung, und fuͤr die Schaubuͤhne hatten ſie eine Leidenſchaft, die alle Staatsgeſchaͤfte hemmte, und alle Empfindung des Ruhms erſtikte. Dichter und Schauſpieler genoſ- ſen allein die Gunſt des Volks, und ihnen gab man den frohlokenden Beyfall und die Hochachtung, die denen gebuͤhrte, die ihr Leben zur Vertheidigung der Freyheit gewagt hatten. Die Schaͤtze, die zum Unterhalt der Flotte und der Heere beſtimmt gewe- ſen, wurden auf Schauſpiele verwandt. Taͤnzer und Saͤngerinnen fuͤhrten das wolluͤſtigſte Leben, da die Heerfuͤhrer darbten, und auf ihren Schiffen kaum Brod, Kaͤſe und Zwiebeln hatten. Der Auf- wand auf die Schaubuͤhne war ſo groß, daß nach dem Berichte des Plutarchus die Vorſtellung eines Trauerſpiels vom Sophokles, oder Euripides, dem Staate mehr gekoſtet hat, als der Krieg gegen die Perſer. Dazu nahm man den Schatz, der einige Zeit zuvor als ein Heiligthum fuͤr die aͤußerſte Noth- durft des Staates, mit dem Geſetze der Todesſtrafe fuͤr den, der ſich unterſtehen wuͤrde, eine Veraͤuße- rung deſſelben anzutragen, zuruͤcke gelegt worden.„ Was alſo in ſeinem Urſprunge beſtimmt war, ter (*) S. Baukunſt 1 Th. S. 129. auch Muſik. (*) S. Temple Stanyan’s Geſch. von Griechenl. III. Buch 3 Cap. (**) Von
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Die oͤffentlichen Berath-<lb/> ſchlagungen, die durch Geſetze verordneten feyerli-<lb/> chen Lobreden auf Helden und auf Buͤrger, die ihr<lb/> Leben im Dienſte des Staats verlohren hatten, die<lb/> oͤffentlichen Denkmaͤler, womit große Thaten be-<lb/> lohnet wurden, die große Menge religioͤſer Feſte,<lb/> die mit ſo viel Ceremonien begleitet waren, und die<lb/> Schauſpiele, die zu einigen dieſer Feſte gehoͤrten,<lb/> und auf die von Seiten der Regierung ſo viel Sorgfalt<lb/> gewandt und ſo großer Aufwand gemacht worden;<lb/> alles dieſes verſchaffte den Kuͤnſtlern Gelegenheit, ihr<lb/> Genie und die Kraft der ſchoͤnen Kuͤnſte auf die Ge-<lb/> muͤther der Menſchen in voller Wuͤrkung zu zeigen.<lb/> Es wurden Geſetze gemacht, um den guten Ge-<lb/> ſchmak zu befoͤrdern, das Einreiſſen des ſchlechten<lb/> Geſchmaks, und die noch ſchaͤdlichere Uebertreibung<lb/> des Feinen zu hemmen. <note place="foot" n="(*)">S.<lb/> Baukunſt<lb/> 1 Th. 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Kuͤn
Kuͤn
Man brauchte ſie jede Feyerlichkeit, jede oͤffent-
liche Veranſtaltung, jedes wichtige oͤffentliche Ge-
ſchaͤft zu unterſtuͤtzen. Die oͤffentlichen Berath-
ſchlagungen, die durch Geſetze verordneten feyerli-
chen Lobreden auf Helden und auf Buͤrger, die ihr
Leben im Dienſte des Staats verlohren hatten, die
oͤffentlichen Denkmaͤler, womit große Thaten be-
lohnet wurden, die große Menge religioͤſer Feſte,
die mit ſo viel Ceremonien begleitet waren, und die
Schauſpiele, die zu einigen dieſer Feſte gehoͤrten,
und auf die von Seiten der Regierung ſo viel Sorgfalt
gewandt und ſo großer Aufwand gemacht worden;
alles dieſes verſchaffte den Kuͤnſtlern Gelegenheit, ihr
Genie und die Kraft der ſchoͤnen Kuͤnſte auf die Ge-
muͤther der Menſchen in voller Wuͤrkung zu zeigen.
Es wurden Geſetze gemacht, um den guten Ge-
ſchmak zu befoͤrdern, das Einreiſſen des ſchlechten
Geſchmaks, und die noch ſchaͤdlichere Uebertreibung
des Feinen zu hemmen. (*)
Eben ſo aufmerkſam waren auch die Hetrusker,
den Einfluß der Kuͤnſte auf die Sitten zu befoͤrdern.
Wir wiſſen zwar wenig von den politiſchen Verfaſ-
ſungen dieſes durch die Roͤmer zernichteten Volks.
Aber die mannichfaltigen Ueberbleibſel der hetrus-
kiſchen Kuͤnſte, beweiſen hinlaͤnglich, wie unmittel-
bar ſie in alle Verrichtungen des gemeinen Lebens
verwebt geweſen ſeyn. Man geraͤth dabey auf die
Vermuthung, daß auch der gemeine Mann in ſei-
nem Hauſe kaum etwas vor ſich geſehen, oder in
die Hand genommen habe, das nicht durch den Ein-
fluß der zeichnenden Kuͤnſte ihn auf eine nuͤtzliche
Weiſe an ſeine Goͤtter und an ſeine Helden erin-
nert, und das nicht ſeiner Religion, und ſeinen pa-
triotiſchen und Privatgeſinnungen einen vortheilhaf-
ten Stoß gegeben haͤtte.
So war es mit den ſchoͤnen Kuͤnſten in den gol-
denen Zeiten der griechiſchen und hetruskiſchen Frey-
heit beſchaffen. Aber, ſo wie ſich allmaͤhlig die edeln
Empfindungen fuͤr den allgemeinen Wohlſtand ver-
lohren, wie die Regenten und Vornehmen ihr Pri-
vatintereſſe von den Angelegenheiten des Staats ab-
ſonderten, als Liebe zum Reichthum, und Geſchmak
an einer uͤppigen Lebensart die Gemuͤther geſchwaͤcht
hatten; wurden die ſchoͤnen Kuͤnſte von dem oͤffent-
lichen Dienſte des Staats abgerufen, blos als Kuͤnſte
der Ueppigkeit getrieben, und allmaͤhlig verlohr man
ihre Wuͤrde aus dem Geſichte. Es iſt fuͤr das
Beyſpiel unſerer Zeiten wichtig, daß dem Leſer der
erſtaunliche Mißbrauch, den die ausgearteten Grie-
chen von den ſchoͤnen Kuͤnſten gemacht haben, vor
Augen gelegt werde. Da ich die Verſuchung fuͤhle
daruͤber weitlaͤuftiger zu ſeyn, als es ſich hier ſchiken
wuͤrde, will ich mich begnuͤgen, nur eine allgemeine
Abſchilderung davon, die ein verſtaͤndiger Englaͤnder
verfertiget hat, zu geben. (*) „Da die Athenien-
ſer, ſagt er, ſich von dem Feinde, der ſie ſo ſehr
in Athem gehalten hatte, (**) befreyt ſahen, uͤber-
ließen ſie ſich dem Genuſſe der Ergoͤtzlichkeiten, und
dachten an nichts, als an Spiel und Feſte. Dieſes
trieben ſie bis zur groͤßten Ausſchweifung, und fuͤr
die Schaubuͤhne hatten ſie eine Leidenſchaft, die alle
Staatsgeſchaͤfte hemmte, und alle Empfindung des
Ruhms erſtikte. Dichter und Schauſpieler genoſ-
ſen allein die Gunſt des Volks, und ihnen gab man
den frohlokenden Beyfall und die Hochachtung, die
denen gebuͤhrte, die ihr Leben zur Vertheidigung
der Freyheit gewagt hatten. Die Schaͤtze, die zum
Unterhalt der Flotte und der Heere beſtimmt gewe-
ſen, wurden auf Schauſpiele verwandt. Taͤnzer
und Saͤngerinnen fuͤhrten das wolluͤſtigſte Leben, da
die Heerfuͤhrer darbten, und auf ihren Schiffen
kaum Brod, Kaͤſe und Zwiebeln hatten. Der Auf-
wand auf die Schaubuͤhne war ſo groß, daß nach
dem Berichte des Plutarchus die Vorſtellung eines
Trauerſpiels vom Sophokles, oder Euripides, dem
Staate mehr gekoſtet hat, als der Krieg gegen die
Perſer. Dazu nahm man den Schatz, der einige
Zeit zuvor als ein Heiligthum fuͤr die aͤußerſte Noth-
durft des Staates, mit dem Geſetze der Todesſtrafe
fuͤr den, der ſich unterſtehen wuͤrde, eine Veraͤuße-
rung deſſelben anzutragen, zuruͤcke gelegt worden.„
Was alſo in ſeinem Urſprunge beſtimmt war,
die Gemuͤther der Menſchen mit patriotiſcher Kraft
zu erfuͤllen, dienete jetzt den Muͤßigang zu befoͤrdern,
und jeden auf das allgemeine Beſte gerichteten Ge-
danken zu unterdruͤken. Bald hernach hatten die
Großen Kuͤnſtler um ſich, wie ſie Koͤche um ſich hat-
ten; die Kuͤnſte, die vorher ſtaͤrkende und heilende
Arzeneyen fuͤr die Gemuͤther zubereitet hatten, muß-
ten nun Schminke und wohlriechende Salben berei-
ten. Und in dieſem Zuſtande trafen die Roͤmer
die ſchoͤnen Kuͤnſte in Griechenland und in Aegypten
an, als ſie dieſe Laͤnder eroberten; darum behielten
ſie dieſen Geiſt auch hernach in Rom. Jn den gol-
denen Zeiten der Kunſt, gab der edle Gebrauch der-
ſelben dem Kuͤnſtler Wuͤrde; Sophokles, ein Dich-
ter
(*) S.
Baukunſt
1 Th. S.
129. auch
Muſik.
(*) S.
Temple
Stanyan’s
Geſch. von
Griechenl.
III. Buch
3 Cap.
(**) Von
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