Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Sol keinen Begriff von der Leichtigkeit, mit der ein Deut-scher das g oder h aussprechen und darauf einen vollen Ton angeben kann, noch das Vermögen es ihm nachzumachen: und was die Unordnung anbe- trifft, die mit dieser Methode verknüpft seyn soll, so trifft dieser Vorwurf nur einige wenige eigensin- nigen Sangmeister, die die fast durchgängig in Deutschland festgesezte Benennung der Töne nicht annehmen, sondern zween verschiedenen Tönen oft dieselbe Benennung geben, z. B. dis für dis und es, fis für fis und ges etc. wodurch der Schüler freylich verwirrt gemacht werden muß. Bey Vernünfti- gern hat nach der einfachen Regel: bey allen durch x erhöhten Tönen den Namen c, d, e u. s. f. die Endigung is, und bey allen durch b erniedrigten Tönen, außer bey dem h, welches b genennet wird, den Selbstlautern ein s und den Mitlautern ein es zuzusezen, jeder Ton seine ihm eigne Benennung, und kann daher weder mit andern verwechselt werden, noch im Solfeggiren die geringste Unordnung verur- sachen. Es ist wahr, daß einige von diesen Be- nennungen, als fürnehmlich eis und ais zum Sin- gen ganz und gar unbequem sind; aber ist es denn ein Gesez, daß der Sänger in allen Tonarten sol- feggiren muß? und wenn er in F und B dur sol- feggiren und die Noten treffen kann, wird er nicht, wenn man ihm einen Begriff von der Transposition der Tonarten gemacht hat, jedes Singstük aus dem Fis oder H dur, wo diese Benennungen am häufig- sten vorkommen, eben so leicht treffen? Da der Sänger mit keiner Applicatur zu thun, sondern blos Jntervalle zu treffen hat, die in allen Tonarten die- selben sind, so lehre man ihn solches in den, in An- sehung der Benennung der Töne, leichtesten Tonar- ten, und um ihn mit den schweereren Tonarten be- kannt zu machen, lasse man ihn über verschiedent- lich ausgesuchte leicht und schweer auszusprechende Worte singen, und gebe darauf Acht, daß er sie deutlich und verständlich ausspreche. Dieses ist von größerer Wichtigkeit, als die Subtilitäten über die Benennung der Töne, ob es für den Sänger be- quemer sey, ut oder do oder c zu singen. Dieje- nigen, die so sehr für leicht auszusprechende Sylben und wolklingende Vocalen sind, bedenken nicht, daß der daran gewöhnte Sänger dadurch oft untüchtig gemacht wird, in der Folge über ein etwas har- tes Wort einen reinen Ton anzugeben. Noch schlimmere Folgen hat die Methode, dem Sänger, [Spaltenumbruch] Sol wenn er die Noten und Jntervalle schon begriffenhat, ganze Stüke über einen einzigen Vocal, wie z. E. über a singen zu lassen; dadurch wird seine Kehle zu einer Pfeife, die nur tönt; er gewöhnt sich zu einer lahmen Aussprache im Singen, und alle Worte, die er ausspricht, verwandeln sich end- lich in Sylben, die alle nur das a zum Selbstlan- ter haben. Statt leben, singt er: laban; statt frölich: fralach etc. Ja bey einigen Sängern, die sich täglich in dieser Art zu solfeggiren, oder viel- mehr in Passagen üben, bemerkt man diesen Fehler der Aussprache schon in der gemeinen Rede. Sel- ten ist die deutsche Singpocsie von einigen harten oder wenigstens im Singen schweer auszusprechen- den Worten frey; darum muß der angehende Sän- ger neben dem Solfeggiren zugleich in der deutlichen Aussprache leichter und schweerer Worte und aller Vocalen am sorgfältigsten geübt werden, damit er verständlich singen lerne: werden die Worte des Sängers nicht verstanden, so ist er für weiter nichts, als eine lebendige Pfeife zu halten. Jn einigen Provinzen von Deutschland wird noch faßlich Zweyter Theil. U u u u u u
[Spaltenumbruch] Sol keinen Begriff von der Leichtigkeit, mit der ein Deut-ſcher das g oder h ausſprechen und darauf einen vollen Ton angeben kann, noch das Vermoͤgen es ihm nachzumachen: und was die Unordnung anbe- trifft, die mit dieſer Methode verknuͤpft ſeyn ſoll, ſo trifft dieſer Vorwurf nur einige wenige eigenſin- nigen Sangmeiſter, die die faſt durchgaͤngig in Deutſchland feſtgeſezte Benennung der Toͤne nicht annehmen, ſondern zween verſchiedenen Toͤnen oft dieſelbe Benennung geben, z. B. dis fuͤr dis und es, fis fuͤr fis und ges ꝛc. wodurch der Schuͤler freylich verwirrt gemacht werden muß. Bey Vernuͤnfti- gern hat nach der einfachen Regel: bey allen durch x erhoͤhten Toͤnen den Namen c, d, e u. ſ. f. die Endigung is, und bey allen durch b erniedrigten Toͤnen, außer bey dem h, welches b genennet wird, den Selbſtlautern ein s und den Mitlautern ein es zuzuſezen, jeder Ton ſeine ihm eigne Benennung, und kann daher weder mit andern verwechſelt werden, noch im Solfeggiren die geringſte Unordnung verur- ſachen. Es iſt wahr, daß einige von dieſen Be- nennungen, als fuͤrnehmlich eis und ais zum Sin- gen ganz und gar unbequem ſind; aber iſt es denn ein Geſez, daß der Saͤnger in allen Tonarten ſol- feggiren muß? und wenn er in F und B dur ſol- feggiren und die Noten treffen kann, wird er nicht, wenn man ihm einen Begriff von der Transpoſition der Tonarten gemacht hat, jedes Singſtuͤk aus dem Fis oder H dur, wo dieſe Benennungen am haͤufig- ſten vorkommen, eben ſo leicht treffen? Da der Saͤnger mit keiner Applicatur zu thun, ſondern blos Jntervalle zu treffen hat, die in allen Tonarten die- ſelben ſind, ſo lehre man ihn ſolches in den, in An- ſehung der Benennung der Toͤne, leichteſten Tonar- ten, und um ihn mit den ſchweereren Tonarten be- kannt zu machen, laſſe man ihn uͤber verſchiedent- lich ausgeſuchte leicht und ſchweer auszuſprechende Worte ſingen, und gebe darauf Acht, daß er ſie deutlich und verſtaͤndlich ausſpreche. Dieſes iſt von groͤßerer Wichtigkeit, als die Subtilitaͤten uͤber die Benennung der Toͤne, ob es fuͤr den Saͤnger be- quemer ſey, ut oder do oder c zu ſingen. Dieje- nigen, die ſo ſehr fuͤr leicht auszuſprechende Sylben und wolklingende Vocalen ſind, bedenken nicht, daß der daran gewoͤhnte Saͤnger dadurch oft untuͤchtig gemacht wird, in der Folge uͤber ein etwas har- tes Wort einen reinen Ton anzugeben. Noch ſchlimmere Folgen hat die Methode, dem Saͤnger, [Spaltenumbruch] Sol wenn er die Noten und Jntervalle ſchon begriffenhat, ganze Stuͤke uͤber einen einzigen Vocal, wie z. E. uͤber a ſingen zu laſſen; dadurch wird ſeine Kehle zu einer Pfeife, die nur toͤnt; er gewoͤhnt ſich zu einer lahmen Ausſprache im Singen, und alle Worte, die er ausſpricht, verwandeln ſich end- lich in Sylben, die alle nur das a zum Selbſtlan- ter haben. Statt leben, ſingt er: laban; ſtatt froͤlich: fralach ꝛc. Ja bey einigen Saͤngern, die ſich taͤglich in dieſer Art zu ſolfeggiren, oder viel- mehr in Paſſagen uͤben, bemerkt man dieſen Fehler der Ausſprache ſchon in der gemeinen Rede. Sel- ten iſt die deutſche Singpocſie von einigen harten oder wenigſtens im Singen ſchweer auszuſprechen- den Worten frey; darum muß der angehende Saͤn- ger neben dem Solfeggiren zugleich in der deutlichen Ausſprache leichter und ſchweerer Worte und aller Vocalen am ſorgfaͤltigſten geuͤbt werden, damit er verſtaͤndlich ſingen lerne: werden die Worte des Saͤngers nicht verſtanden, ſo iſt er fuͤr weiter nichts, als eine lebendige Pfeife zu halten. Jn einigen Provinzen von Deutſchland wird noch faßlich Zweyter Theil. U u u u u u
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Will man<lb/> ſich aber doch wolklingender Sylben zum Solfeggi-<lb/> ren bedienen, ſo waͤhle man ſolche, wo die Benen-<lb/> nung der natuͤrlichen und der durch <hi rendition="#aq">x</hi> oder <hi rendition="#aq">b</hi> erhoͤh-<lb/> ten und erniedrigten Toͤne unterſchieden und leicht<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> U u u u u u</fw><fw place="bottom" type="catch">faßlich</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1091[1073]/0520]
Sol
Sol
keinen Begriff von der Leichtigkeit, mit der ein Deut-
ſcher das g oder h ausſprechen und darauf einen
vollen Ton angeben kann, noch das Vermoͤgen es
ihm nachzumachen: und was die Unordnung anbe-
trifft, die mit dieſer Methode verknuͤpft ſeyn ſoll, ſo
trifft dieſer Vorwurf nur einige wenige eigenſin-
nigen Sangmeiſter, die die faſt durchgaͤngig in
Deutſchland feſtgeſezte Benennung der Toͤne nicht
annehmen, ſondern zween verſchiedenen Toͤnen oft
dieſelbe Benennung geben, z. B. dis fuͤr dis und es,
fis fuͤr fis und ges ꝛc. wodurch der Schuͤler freylich
verwirrt gemacht werden muß. Bey Vernuͤnfti-
gern hat nach der einfachen Regel: bey allen durch
x erhoͤhten Toͤnen den Namen c, d, e u. ſ. f. die
Endigung is, und bey allen durch b erniedrigten
Toͤnen, außer bey dem h, welches b genennet wird,
den Selbſtlautern ein s und den Mitlautern ein es
zuzuſezen, jeder Ton ſeine ihm eigne Benennung,
und kann daher weder mit andern verwechſelt werden,
noch im Solfeggiren die geringſte Unordnung verur-
ſachen. Es iſt wahr, daß einige von dieſen Be-
nennungen, als fuͤrnehmlich eis und ais zum Sin-
gen ganz und gar unbequem ſind; aber iſt es denn
ein Geſez, daß der Saͤnger in allen Tonarten ſol-
feggiren muß? und wenn er in F und B dur ſol-
feggiren und die Noten treffen kann, wird er nicht,
wenn man ihm einen Begriff von der Transpoſition
der Tonarten gemacht hat, jedes Singſtuͤk aus dem
Fis oder H dur, wo dieſe Benennungen am haͤufig-
ſten vorkommen, eben ſo leicht treffen? Da der
Saͤnger mit keiner Applicatur zu thun, ſondern blos
Jntervalle zu treffen hat, die in allen Tonarten die-
ſelben ſind, ſo lehre man ihn ſolches in den, in An-
ſehung der Benennung der Toͤne, leichteſten Tonar-
ten, und um ihn mit den ſchweereren Tonarten be-
kannt zu machen, laſſe man ihn uͤber verſchiedent-
lich ausgeſuchte leicht und ſchweer auszuſprechende
Worte ſingen, und gebe darauf Acht, daß er ſie
deutlich und verſtaͤndlich ausſpreche. Dieſes iſt von
groͤßerer Wichtigkeit, als die Subtilitaͤten uͤber die
Benennung der Toͤne, ob es fuͤr den Saͤnger be-
quemer ſey, ut oder do oder c zu ſingen. Dieje-
nigen, die ſo ſehr fuͤr leicht auszuſprechende Sylben
und wolklingende Vocalen ſind, bedenken nicht, daß
der daran gewoͤhnte Saͤnger dadurch oft untuͤchtig
gemacht wird, in der Folge uͤber ein etwas har-
tes Wort einen reinen Ton anzugeben. Noch
ſchlimmere Folgen hat die Methode, dem Saͤnger,
wenn er die Noten und Jntervalle ſchon begriffen
hat, ganze Stuͤke uͤber einen einzigen Vocal, wie
z. E. uͤber a ſingen zu laſſen; dadurch wird ſeine
Kehle zu einer Pfeife, die nur toͤnt; er gewoͤhnt
ſich zu einer lahmen Ausſprache im Singen, und
alle Worte, die er ausſpricht, verwandeln ſich end-
lich in Sylben, die alle nur das a zum Selbſtlan-
ter haben. Statt leben, ſingt er: laban; ſtatt
froͤlich: fralach ꝛc. Ja bey einigen Saͤngern, die
ſich taͤglich in dieſer Art zu ſolfeggiren, oder viel-
mehr in Paſſagen uͤben, bemerkt man dieſen Fehler
der Ausſprache ſchon in der gemeinen Rede. Sel-
ten iſt die deutſche Singpocſie von einigen harten
oder wenigſtens im Singen ſchweer auszuſprechen-
den Worten frey; darum muß der angehende Saͤn-
ger neben dem Solfeggiren zugleich in der deutlichen
Ausſprache leichter und ſchweerer Worte und aller
Vocalen am ſorgfaͤltigſten geuͤbt werden, damit er
verſtaͤndlich ſingen lerne: werden die Worte des
Saͤngers nicht verſtanden, ſo iſt er fuͤr weiter nichts,
als eine lebendige Pfeife zu halten.
Jn einigen Provinzen von Deutſchland wird noch
nach den ſechs aretiniſchen Sylben ut re mi fa ſol la
ſolfeggiret; daß dieſe Methode nur bey den alten
Tonarten mit Nuzen zu gebrauchen, hingegen in den
neuern wegen der unnuͤzen Schwierigkeiten, die ſie
verurſachen, mit Recht verwerflich ſey, wird in
dem folgenden Artikel gezeiget werden. Die Fran-
zoſen, die dieſen ſechs Sylben, um die Octave aus-
zufuͤllen, die ſiebente naͤmlich ſi zugeſezt haben, thun
ſich nicht wenig auf dieſe ſieben Sylben zu gut, und
preiſen ſie als die leichteſten zum Solfeggiren an.
Wir finden dieſe Methode aber aus der Urſache, daß
c, ces, cis, ut, d, des, dis, re, heißen, folg-
lich drey Toͤne in unſerm Notenſyſtem immer nur
einerley Benennung haben, ſo unvollkommen, und
fuͤr den Schuͤler, zumal wenn er, wie Roußeau
will, die Benennung der Toͤne der Tonart C in alle
uͤbrigen Tonarten transponiren ſoll, ſo daß ut die
Tonica, mi die Mediante, ſol die Dominante jeder
Tonart ſey, ohngeachtet des Nuzens, den man ſich
von dieſer Transpoſition verſprechen koͤnnte, ſo
ſchweer, daß wir ſie den deutſchen Sangmeiſtern mit
gutem Gewiſſen nicht anrathen koͤnnen. Will man
ſich aber doch wolklingender Sylben zum Solfeggi-
ren bedienen, ſo waͤhle man ſolche, wo die Benen-
nung der natuͤrlichen und der durch x oder b erhoͤh-
ten und erniedrigten Toͤne unterſchieden und leicht
faßlich
Zweyter Theil. U u u u u u
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