Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Schr bedarf keiner Ausführung. 2. Uebereinstimmungdes Charakters mit dem Jnhalt. Wenn dieser ernsthaft, fröhlich, rührend, traurig, von hoher Würde, oder von geringerm Rang ist u. s. w.; so muß der ganze Charakter der Schreibart, in Gedan- ken und Ausdruk, eben so seyn. Ernsthafte Sa- chen, mit scherzhaften Nebenbegriffen und einem leichtsinnigen Ausdruk vorgetragen, machen einen wiedrigen Gegensaz aus. 3. Aesthetische Kraft, von welcher Art sie sey; (*) weil ohne sie die Schreib- art troken, matt und völlig leblos wird. Wo nicht aus der Schreibart entweder vorzügliche Verstandes- kräfte, oder eine schöne und lebhafte Phantasie, oder ein empfindsames Herz, oder gute Gesinnungen, hervorleuchten, da fehlet es ihr an Kraft, und sie erwekt gar bald Ueberdruß. Solche Werke gleichen den Gesichtern ohne Physionomie: wie wolgebil- det sie auch sonst seyn mögen; so haben sie doch keine Kraft zu gefallen, weil es ihnen an der Seele fehlet. Es ist demnach eine Hauptmaxime zu Erreichung einer guten Schreibart, daß durch sie der Verstand oder die Phantasie, oder das Herz in beständiger Beschäfftigung unterhalten werde. Die Art dieser Unterhaltung aber muß durch den Jnhalt bestimmt werden. Spricht man von Empfindung, so muß auch die Schreibart herzlich, und weder wizig, noch tiefsinnig seyn. Jst die Erleuchtung des Verstandes die Hauptabsicht, so muß die Schreibart weder wi- zig noch empfindsam seyn. Einen gleichgültigen Jnhalt mag man mit wizigen Einfällen beleben. 4. Auch ein gewisser Grad der Klarheit, Leichtig- keit, Bestimmtheit und Nettigkeit, muß bey jeder guten Schreibart seyn. Die Rede gleichet einem Jnstrument, das zu einem genau bestimmten Ge- brauch dienet: je genauer jeder kleineste Theil dessel- ben sich zu dem Gebrauch schiket; je leichter man aus der Form seine Tüchtigkeit erkennet, je mehr gefällt es. Entdeket man aber irgend etwas, das seinen Gebrauch unbequäm macht; ist es da, wo es schnelden soll, nicht vollkommen scharf; da wo man es anfassen soll, nicht vollkommen zur Hand; sind überflüßige Theile daran, deren Absicht man nicht erkennt; oder ist etwas, das feste seyn soll, wan- kend; passen die Theile, die an einander schließen sollen, nicht fest auf einander u. s. f. so kann nur ein Pfuscher sich damit begnügen. So vollkommen, so reinlich, so richtig (*) jedes Werk der mechani- schen Kunst seyn muß, so bestimmt, nett und klar, [Spaltenumbruch] Schr muß auch jeder Gedanken und jeder Ausdruk, inder Rede seyn. Die vierte Foderung betrifft so wol das Ganze 5. Auch die Einförmigkeit ist eine Eigenschaft 6. Endlich können wir auch den Wolklang und Was nun diesen verschiedenen Foderungen entge- haupt. (*) S. Kraft. (*) S.
Reinlich- keit; Rich- ligkeit. [Spaltenumbruch] Schr bedarf keiner Ausfuͤhrung. 2. Uebereinſtimmungdes Charakters mit dem Jnhalt. Wenn dieſer ernſthaft, froͤhlich, ruͤhrend, traurig, von hoher Wuͤrde, oder von geringerm Rang iſt u. ſ. w.; ſo muß der ganze Charakter der Schreibart, in Gedan- ken und Ausdruk, eben ſo ſeyn. Ernſthafte Sa- chen, mit ſcherzhaften Nebenbegriffen und einem leichtſinnigen Ausdruk vorgetragen, machen einen wiedrigen Gegenſaz aus. 3. Aeſthetiſche Kraft, von welcher Art ſie ſey; (*) weil ohne ſie die Schreib- art troken, matt und voͤllig leblos wird. Wo nicht aus der Schreibart entweder vorzuͤgliche Verſtandes- kraͤfte, oder eine ſchoͤne und lebhafte Phantaſie, oder ein empfindſames Herz, oder gute Geſinnungen, hervorleuchten, da fehlet es ihr an Kraft, und ſie erwekt gar bald Ueberdruß. Solche Werke gleichen den Geſichtern ohne Phyſionomie: wie wolgebil- det ſie auch ſonſt ſeyn moͤgen; ſo haben ſie doch keine Kraft zu gefallen, weil es ihnen an der Seele fehlet. Es iſt demnach eine Hauptmaxime zu Erreichung einer guten Schreibart, daß durch ſie der Verſtand oder die Phantaſie, oder das Herz in beſtaͤndiger Beſchaͤfftigung unterhalten werde. Die Art dieſer Unterhaltung aber muß durch den Jnhalt beſtimmt werden. Spricht man von Empfindung, ſo muß auch die Schreibart herzlich, und weder wizig, noch tiefſinnig ſeyn. Jſt die Erleuchtung des Verſtandes die Hauptabſicht, ſo muß die Schreibart weder wi- zig noch empfindſam ſeyn. Einen gleichguͤltigen Jnhalt mag man mit wizigen Einfaͤllen beleben. 4. Auch ein gewiſſer Grad der Klarheit, Leichtig- keit, Beſtimmtheit und Nettigkeit, muß bey jeder guten Schreibart ſeyn. Die Rede gleichet einem Jnſtrument, das zu einem genau beſtimmten Ge- brauch dienet: je genauer jeder kleineſte Theil deſſel- ben ſich zu dem Gebrauch ſchiket; je leichter man aus der Form ſeine Tuͤchtigkeit erkennet, je mehr gefaͤllt es. Entdeket man aber irgend etwas, das ſeinen Gebrauch unbequaͤm macht; iſt es da, wo es ſchnelden ſoll, nicht vollkommen ſcharf; da wo man es anfaſſen ſoll, nicht vollkommen zur Hand; ſind uͤberfluͤßige Theile daran, deren Abſicht man nicht erkennt; oder iſt etwas, das feſte ſeyn ſoll, wan- kend; paſſen die Theile, die an einander ſchließen ſollen, nicht feſt auf einander u. ſ. f. ſo kann nur ein Pfuſcher ſich damit begnuͤgen. So vollkommen, ſo reinlich, ſo richtig (*) jedes Werk der mechani- ſchen Kunſt ſeyn muß, ſo beſtimmt, nett und klar, [Spaltenumbruch] Schr muß auch jeder Gedanken und jeder Ausdruk, inder Rede ſeyn. Die vierte Foderung betrifft ſo wol das Ganze 5. Auch die Einfoͤrmigkeit iſt eine Eigenſchaft 6. Endlich koͤnnen wir auch den Wolklang und Was nun dieſen verſchiedenen Foderungen entge- haupt. (*) S. Kraft. (*) S.
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Schr
Schr
bedarf keiner Ausfuͤhrung. 2. Uebereinſtimmung
des Charakters mit dem Jnhalt. Wenn dieſer
ernſthaft, froͤhlich, ruͤhrend, traurig, von hoher
Wuͤrde, oder von geringerm Rang iſt u. ſ. w.; ſo
muß der ganze Charakter der Schreibart, in Gedan-
ken und Ausdruk, eben ſo ſeyn. Ernſthafte Sa-
chen, mit ſcherzhaften Nebenbegriffen und einem
leichtſinnigen Ausdruk vorgetragen, machen einen
wiedrigen Gegenſaz aus. 3. Aeſthetiſche Kraft,
von welcher Art ſie ſey; (*) weil ohne ſie die Schreib-
art troken, matt und voͤllig leblos wird. Wo nicht
aus der Schreibart entweder vorzuͤgliche Verſtandes-
kraͤfte, oder eine ſchoͤne und lebhafte Phantaſie, oder
ein empfindſames Herz, oder gute Geſinnungen,
hervorleuchten, da fehlet es ihr an Kraft, und ſie
erwekt gar bald Ueberdruß. Solche Werke gleichen
den Geſichtern ohne Phyſionomie: wie wolgebil-
det ſie auch ſonſt ſeyn moͤgen; ſo haben ſie doch keine
Kraft zu gefallen, weil es ihnen an der Seele fehlet.
Es iſt demnach eine Hauptmaxime zu Erreichung
einer guten Schreibart, daß durch ſie der Verſtand
oder die Phantaſie, oder das Herz in beſtaͤndiger
Beſchaͤfftigung unterhalten werde. Die Art dieſer
Unterhaltung aber muß durch den Jnhalt beſtimmt
werden. Spricht man von Empfindung, ſo muß
auch die Schreibart herzlich, und weder wizig, noch
tiefſinnig ſeyn. Jſt die Erleuchtung des Verſtandes
die Hauptabſicht, ſo muß die Schreibart weder wi-
zig noch empfindſam ſeyn. Einen gleichguͤltigen
Jnhalt mag man mit wizigen Einfaͤllen beleben.
4. Auch ein gewiſſer Grad der Klarheit, Leichtig-
keit, Beſtimmtheit und Nettigkeit, muß bey jeder
guten Schreibart ſeyn. Die Rede gleichet einem
Jnſtrument, das zu einem genau beſtimmten Ge-
brauch dienet: je genauer jeder kleineſte Theil deſſel-
ben ſich zu dem Gebrauch ſchiket; je leichter man
aus der Form ſeine Tuͤchtigkeit erkennet, je mehr
gefaͤllt es. Entdeket man aber irgend etwas, das
ſeinen Gebrauch unbequaͤm macht; iſt es da, wo es
ſchnelden ſoll, nicht vollkommen ſcharf; da wo man
es anfaſſen ſoll, nicht vollkommen zur Hand; ſind
uͤberfluͤßige Theile daran, deren Abſicht man nicht
erkennt; oder iſt etwas, das feſte ſeyn ſoll, wan-
kend; paſſen die Theile, die an einander ſchließen
ſollen, nicht feſt auf einander u. ſ. f. ſo kann nur
ein Pfuſcher ſich damit begnuͤgen. So vollkommen,
ſo reinlich, ſo richtig (*) jedes Werk der mechani-
ſchen Kunſt ſeyn muß, ſo beſtimmt, nett und klar,
muß auch jeder Gedanken und jeder Ausdruk, in
der Rede ſeyn.
Die vierte Foderung betrifft ſo wol das Ganze
eines Werks, als jeden einzelen, groͤßern, oder
kleinern Theil. Denn jeder einzele Saz kann Klar-
heit und Nettigkeit haben, und doch kann dem Gan-
zen beydes fehlen. Was wir alſo anderswo von
der Anordnung des Ganzen, und von der Gruppi-
rung der Theile geſagt haben, gehoͤret nothwendig
hieher. Dieſes iſt in der Schreibart vielleicht der
ſchweereſte Punkt; weil er ohne langes Nachdenken,
ohne viel Verſtand, ſchnelle und richtige Beurthei-
lung und ein uͤberaus ſcharfes Aug, nicht kann erreicht
werden. Wie bald entſchluͤpft uns in einzelen Saͤ-
zen ein etwas unbeſtimmtes, oder muͤßiges, oder in
ſeiner Bedeutung etwas dunkeles Wort? Und was
gehoͤrt nicht dazu, das Weſentliche eines ganzen
Werks ſich auf einmal ſo vorzuſtellen, daß man die
natuͤrlichſte Ordnung in der Materie entdeken koͤnne?
5. Auch die Einfoͤrmigkeit iſt eine Eigenſchaft
jeder guten Schreibart. Jn einer Rede muß man
nicht von einem Charakter auf den andern ſpringen,
izt geſezt und kalt; dann lebhaft und feurig; an
einem Orte ſcherzend; denn wieder ernſthaft, oder
gar ſtrenge ſeyn. Jede Rede hat nur einen Jnhalt,
und dieſer muß einen beſtimmten Charakter haben,
auf den auch die Schreibart paſſen muß. Darum
ſoll ſie nicht abwechſelnd, bald dieſe bald eine an-
dere Art annehmen.
6. Endlich koͤnnen wir auch den Wolklang und
die Reinigkeit des Ausdruks unter die nothwendigen
Eigenſchaften der Schreibart rechnen. Jeder Feh-
ler gegen die Grammatik, und jeder Uebelklang iſt
anſtoͤßig. Dieſes braucht nicht weiter ausgefuͤhrt
zu werden, da es fuͤhlbar genug iſt.
Was nun dieſen verſchiedenen Foderungen entge-
gen iſt, muß nothwendig die Schreibart ſchlecht
machen. Naͤmlich 1. das unſittliche, oder ſchlechte
und geſchmakloſe in dem Charakter derſelben uͤber-
haupt. Es iſt aus dem vorhergehenden gar leicht
zu beſtimmen, wie der Charakter der Schreibart ſo-
wol in Gedanken, als Ausdruk niedrig, grob, ſchwuͤl-
ſtig, ausſchweiffend, uͤbertrieben, geziehrt, muth-
willig u. ſ. f. werden koͤnne. 2. Das Wieder-
ſprechende zwiſchen dem Jnhalt und der Schreib-
art. Wie wenn jener ernſthaft, dieſe leichtſin-
nig; jener leicht und gering, dieſe pathetiſch
und vornehm iſt u. d. gl. 3. Das Kraftloſe uͤber-
haupt.
(*) S.
Kraft.
(*) S.
Reinlich-
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ligkeit.
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