feiners Gefühl bestimmt, wie der Werth des Guten, und ein Theil aus Erkenntnis, die aber beym Schö- nen nicht bis auf die Deutlichkeit steiget. Darum wär es ein vergebliches Unternehmen, die völlige Entwiklung seiner Beschaffenheit zu suchen.
Doch ist es nicht so, wie das Gute, daß man außer dem unmittelbaren Gefühl seiner Würkung gar nichts daran erkennte; nur muß man nicht eine völlig deutliche Entwiklung seiner Beschaffenheit ver- langen, wie man sie von dem Vollkommenen geben kann. Wenn wir bey blos klaren Begriffen stehen bleiben, so läßt sich allerdings von der Form, daran die Phantasie Gefallen findet, verschiedenes angeben.
So viel ich davon habe bemerken können, lassen sich die Eigenschaften des Schönen auf drey Haupt- punkte bringen. 1. Die Form im Ganzen betrach- tet, muß bestimmt, und ohne mühesame Anstren- gung gefaßt werden. 2. Sie muß Mannigfaltig- keit fühlen lassen, aber in der Mannigfaltigkeit Ord- nung. 3. Das Mannigfaltige muß so in Eines zu- sammenfließen, daß nichts Einzeles hesonders rühret. Wir wollen so gut wir können, diese drey Haupt- punkte etwas näher entwikeln.
1. Daß ein Gegenstand, der uns durch sein äus- serliches Ansehen gefallen soll, ein Ganzes, und nicht ein Bruchstük von einem Ganzen seyn müsse, ist anderswo hinlänglich gezeiget worden (*), daß er wol begränzt und bestimmt in die Sinnen, oder in die Phantasie fallen müsse, ist daher leicht abzu- nehmen, daß das Ungewisse in seiner Begränzung uns zweifelhaft macht, ob es ganz sey, und daß es der Klarheit der Vorstellung schadet. Die Ungewiß- heit, ob man eine Sache recht sehe, oder nicht, hat nothwendig etwas Beunruhigendes, folglich Unan- genehmes an sich. Daß der Gegenstand ohne mühe- same Anstrengung müsse gefaßt werden, ist nicht weniger klar; weil jede Bestrebung, so lange man ungewiß ist, ob sie das Ziehl erreichen werde, etwas unangenehmes hat.
Dieses lezte ist aber nicht so zu verstehen, daß das Schöne nothwendig auf den ersten Blik, ohne Anstrengung von Seite des Beobachters in die Au- gen fallen müsse. Vielmehr geschieht es gar ofte, daß durch vorhergegangene Bemühung die Sache richtig zu fassen, das Vergnügen des Anschauens desto lebhafter wird. Der Sinn jenes Ausspruchs ist dieser, daß die Gestalt der Sache, wenn es gleich Mühe gekostet hat, sie zu fassen, nun, da sie ein- [Spaltenumbruch]
Schö
mal gefaßt worden, ohne anhaltendes Bestreben ge- faßt werde. Man sieht hieraus zugleich, warum nicht jedes Schöne jedem Menschen gefällt. Ein kurzsichtiger, der ein großes Gebände nicht auf ein- mal übersehen kann, wird es nicht schön finden. Je ausgedehnter die Kraft ist, etwas bestimmt zu fassen, je fähiger ist man auch Schönheit zu em- pfinden, die geringeren Kräften nicht fühlbar sind.
Daß die Größe der Schönheit von jedem nach dem Maaße seiner Fähigkeit mehr oder weniger auf einmal zu fassen, geschäzt werde, und daß das, was für ungeübte, sowol innere als äußere Sinnen, die höchste Schönheit ist, dem, dessen Geschmak eine weitere Sphäre umfaßt, nur mittelmäßig schön seyn könne, ist eine wichtige Bemerkung. Wenn wir dieses aus der Acht lassen, so stoßen wir bey der Untersuchung über die Schönheit auf Wiedersprüche, die nothwendig verwirren. Denn daß ein Mensch Schönheit findet, wo ein andrer sie zu vermissen glaubt, kommt gar nicht, wie man sich ofte fälschlich einbildet, daher, daß unsre Begriffe über das Schöne wankend wären, oder daß die Schönheit an sich nichts bestimmtes sey. Die Schönheit hat dieses mit der Größe gemein; einer findet klein, was einem andern groß scheinet, und ein im Ueberfluß erzoge- ner Mensch nennt Armuth, was manchem andern Reichthum wäre. Darum fällt es keinem Men- schen von Verstand ein, zu behaupten, ein geringer Grad der Größe, sey keine Größe, und ein gerin- ges Vermögen, sey kein Vermögen. Warum sollte man denn sagen, ein geringer Grad der Schönheit sey keine Schönheit?
Was Aristoteles vom Schönen sagt, daß es we- der sehr groß noch sehr klein seyn müsse, hat hierin seinen Grund. Was für uns zu groß oder zu klein ist, kann im Ganzen nicht ohne beständig anhalten- des Bestreben gefaßt werden.
2. Daß das Schöne Mannigfaltigkeit müsse füh- len lassen, ist auch leicht zu begreifen. Was ein- fach oder ohne Theil ist, kann wol auf die Empfin- dung aber nicht auf die Vorstellungskraft würken. Was aber blos Menge der Theile hat, ohne Ver- schiedenheit, kann kein Nachdenken, kein Verwei- len der Vorstellungskraft bey dieser Menge veran- lassen, weil die Theile nichts verschiedenes haben; die bloße Anzahl derselben hat keinen Reiz für die Phantasie, die sie nicht beschäftigen kann. Denn so bald sie einen gefaßt hat, hat sie zugleich alle ge-
faßt.
(*) S. Ganz.
N n n n n n 3
[Spaltenumbruch]
Schoͤ
feiners Gefuͤhl beſtimmt, wie der Werth des Guten, und ein Theil aus Erkenntnis, die aber beym Schoͤ- nen nicht bis auf die Deutlichkeit ſteiget. Darum waͤr es ein vergebliches Unternehmen, die voͤllige Entwiklung ſeiner Beſchaffenheit zu ſuchen.
Doch iſt es nicht ſo, wie das Gute, daß man außer dem unmittelbaren Gefuͤhl ſeiner Wuͤrkung gar nichts daran erkennte; nur muß man nicht eine voͤllig deutliche Entwiklung ſeiner Beſchaffenheit ver- langen, wie man ſie von dem Vollkommenen geben kann. Wenn wir bey blos klaren Begriffen ſtehen bleiben, ſo laͤßt ſich allerdings von der Form, daran die Phantaſie Gefallen findet, verſchiedenes angeben.
So viel ich davon habe bemerken koͤnnen, laſſen ſich die Eigenſchaften des Schoͤnen auf drey Haupt- punkte bringen. 1. Die Form im Ganzen betrach- tet, muß beſtimmt, und ohne muͤheſame Anſtren- gung gefaßt werden. 2. Sie muß Mannigfaltig- keit fuͤhlen laſſen, aber in der Mannigfaltigkeit Ord- nung. 3. Das Mannigfaltige muß ſo in Eines zu- ſammenfließen, daß nichts Einzeles heſonders ruͤhret. Wir wollen ſo gut wir koͤnnen, dieſe drey Haupt- punkte etwas naͤher entwikeln.
1. Daß ein Gegenſtand, der uns durch ſein aͤuſ- ſerliches Anſehen gefallen ſoll, ein Ganzes, und nicht ein Bruchſtuͤk von einem Ganzen ſeyn muͤſſe, iſt anderswo hinlaͤnglich gezeiget worden (*), daß er wol begraͤnzt und beſtimmt in die Sinnen, oder in die Phantaſie fallen muͤſſe, iſt daher leicht abzu- nehmen, daß das Ungewiſſe in ſeiner Begraͤnzung uns zweifelhaft macht, ob es ganz ſey, und daß es der Klarheit der Vorſtellung ſchadet. Die Ungewiß- heit, ob man eine Sache recht ſehe, oder nicht, hat nothwendig etwas Beunruhigendes, folglich Unan- genehmes an ſich. Daß der Gegenſtand ohne muͤhe- ſame Anſtrengung muͤſſe gefaßt werden, iſt nicht weniger klar; weil jede Beſtrebung, ſo lange man ungewiß iſt, ob ſie das Ziehl erreichen werde, etwas unangenehmes hat.
Dieſes lezte iſt aber nicht ſo zu verſtehen, daß das Schoͤne nothwendig auf den erſten Blik, ohne Anſtrengung von Seite des Beobachters in die Au- gen fallen muͤſſe. Vielmehr geſchieht es gar ofte, daß durch vorhergegangene Bemuͤhung die Sache richtig zu faſſen, das Vergnuͤgen des Anſchauens deſto lebhafter wird. Der Sinn jenes Ausſpruchs iſt dieſer, daß die Geſtalt der Sache, wenn es gleich Muͤhe gekoſtet hat, ſie zu faſſen, nun, da ſie ein- [Spaltenumbruch]
Schoͤ
mal gefaßt worden, ohne anhaltendes Beſtreben ge- faßt werde. Man ſieht hieraus zugleich, warum nicht jedes Schoͤne jedem Menſchen gefaͤllt. Ein kurzſichtiger, der ein großes Gebaͤnde nicht auf ein- mal uͤberſehen kann, wird es nicht ſchoͤn finden. Je ausgedehnter die Kraft iſt, etwas beſtimmt zu faſſen, je faͤhiger iſt man auch Schoͤnheit zu em- pfinden, die geringeren Kraͤften nicht fuͤhlbar ſind.
Daß die Groͤße der Schoͤnheit von jedem nach dem Maaße ſeiner Faͤhigkeit mehr oder weniger auf einmal zu faſſen, geſchaͤzt werde, und daß das, was fuͤr ungeuͤbte, ſowol innere als aͤußere Sinnen, die hoͤchſte Schoͤnheit iſt, dem, deſſen Geſchmak eine weitere Sphaͤre umfaßt, nur mittelmaͤßig ſchoͤn ſeyn koͤnne, iſt eine wichtige Bemerkung. Wenn wir dieſes aus der Acht laſſen, ſo ſtoßen wir bey der Unterſuchung uͤber die Schoͤnheit auf Wiederſpruͤche, die nothwendig verwirren. Denn daß ein Menſch Schoͤnheit findet, wo ein andrer ſie zu vermiſſen glaubt, kommt gar nicht, wie man ſich ofte faͤlſchlich einbildet, daher, daß unſre Begriffe uͤber das Schoͤne wankend waͤren, oder daß die Schoͤnheit an ſich nichts beſtimmtes ſey. Die Schoͤnheit hat dieſes mit der Groͤße gemein; einer findet klein, was einem andern groß ſcheinet, und ein im Ueberfluß erzoge- ner Menſch nennt Armuth, was manchem andern Reichthum waͤre. Darum faͤllt es keinem Men- ſchen von Verſtand ein, zu behaupten, ein geringer Grad der Groͤße, ſey keine Groͤße, und ein gerin- ges Vermoͤgen, ſey kein Vermoͤgen. Warum ſollte man denn ſagen, ein geringer Grad der Schoͤnheit ſey keine Schoͤnheit?
Was Ariſtoteles vom Schoͤnen ſagt, daß es we- der ſehr groß noch ſehr klein ſeyn muͤſſe, hat hierin ſeinen Grund. Was fuͤr uns zu groß oder zu klein iſt, kann im Ganzen nicht ohne beſtaͤndig anhalten- des Beſtreben gefaßt werden.
2. Daß das Schoͤne Mannigfaltigkeit muͤſſe fuͤh- len laſſen, iſt auch leicht zu begreifen. Was ein- fach oder ohne Theil iſt, kann wol auf die Empfin- dung aber nicht auf die Vorſtellungskraft wuͤrken. Was aber blos Menge der Theile hat, ohne Ver- ſchiedenheit, kann kein Nachdenken, kein Verwei- len der Vorſtellungskraft bey dieſer Menge veran- laſſen, weil die Theile nichts verſchiedenes haben; die bloße Anzahl derſelben hat keinen Reiz fuͤr die Phantaſie, die ſie nicht beſchaͤftigen kann. Denn ſo bald ſie einen gefaßt hat, hat ſie zugleich alle ge-
faßt.
(*) S. Ganz.
N n n n n n 3
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[1039[1021]/0468]
Schoͤ
Schoͤ
feiners Gefuͤhl beſtimmt, wie der Werth des Guten,
und ein Theil aus Erkenntnis, die aber beym Schoͤ-
nen nicht bis auf die Deutlichkeit ſteiget. Darum
waͤr es ein vergebliches Unternehmen, die voͤllige
Entwiklung ſeiner Beſchaffenheit zu ſuchen.
Doch iſt es nicht ſo, wie das Gute, daß man
außer dem unmittelbaren Gefuͤhl ſeiner Wuͤrkung
gar nichts daran erkennte; nur muß man nicht eine
voͤllig deutliche Entwiklung ſeiner Beſchaffenheit ver-
langen, wie man ſie von dem Vollkommenen geben
kann. Wenn wir bey blos klaren Begriffen ſtehen
bleiben, ſo laͤßt ſich allerdings von der Form, daran
die Phantaſie Gefallen findet, verſchiedenes angeben.
So viel ich davon habe bemerken koͤnnen, laſſen
ſich die Eigenſchaften des Schoͤnen auf drey Haupt-
punkte bringen. 1. Die Form im Ganzen betrach-
tet, muß beſtimmt, und ohne muͤheſame Anſtren-
gung gefaßt werden. 2. Sie muß Mannigfaltig-
keit fuͤhlen laſſen, aber in der Mannigfaltigkeit Ord-
nung. 3. Das Mannigfaltige muß ſo in Eines zu-
ſammenfließen, daß nichts Einzeles heſonders ruͤhret.
Wir wollen ſo gut wir koͤnnen, dieſe drey Haupt-
punkte etwas naͤher entwikeln.
1. Daß ein Gegenſtand, der uns durch ſein aͤuſ-
ſerliches Anſehen gefallen ſoll, ein Ganzes, und
nicht ein Bruchſtuͤk von einem Ganzen ſeyn muͤſſe,
iſt anderswo hinlaͤnglich gezeiget worden (*), daß
er wol begraͤnzt und beſtimmt in die Sinnen, oder
in die Phantaſie fallen muͤſſe, iſt daher leicht abzu-
nehmen, daß das Ungewiſſe in ſeiner Begraͤnzung
uns zweifelhaft macht, ob es ganz ſey, und daß es
der Klarheit der Vorſtellung ſchadet. Die Ungewiß-
heit, ob man eine Sache recht ſehe, oder nicht, hat
nothwendig etwas Beunruhigendes, folglich Unan-
genehmes an ſich. Daß der Gegenſtand ohne muͤhe-
ſame Anſtrengung muͤſſe gefaßt werden, iſt nicht
weniger klar; weil jede Beſtrebung, ſo lange man
ungewiß iſt, ob ſie das Ziehl erreichen werde, etwas
unangenehmes hat.
Dieſes lezte iſt aber nicht ſo zu verſtehen, daß
das Schoͤne nothwendig auf den erſten Blik, ohne
Anſtrengung von Seite des Beobachters in die Au-
gen fallen muͤſſe. Vielmehr geſchieht es gar ofte,
daß durch vorhergegangene Bemuͤhung die Sache
richtig zu faſſen, das Vergnuͤgen des Anſchauens
deſto lebhafter wird. Der Sinn jenes Ausſpruchs
iſt dieſer, daß die Geſtalt der Sache, wenn es gleich
Muͤhe gekoſtet hat, ſie zu faſſen, nun, da ſie ein-
mal gefaßt worden, ohne anhaltendes Beſtreben ge-
faßt werde. Man ſieht hieraus zugleich, warum
nicht jedes Schoͤne jedem Menſchen gefaͤllt. Ein
kurzſichtiger, der ein großes Gebaͤnde nicht auf ein-
mal uͤberſehen kann, wird es nicht ſchoͤn finden.
Je ausgedehnter die Kraft iſt, etwas beſtimmt zu
faſſen, je faͤhiger iſt man auch Schoͤnheit zu em-
pfinden, die geringeren Kraͤften nicht fuͤhlbar ſind.
Daß die Groͤße der Schoͤnheit von jedem nach
dem Maaße ſeiner Faͤhigkeit mehr oder weniger auf
einmal zu faſſen, geſchaͤzt werde, und daß das, was
fuͤr ungeuͤbte, ſowol innere als aͤußere Sinnen, die
hoͤchſte Schoͤnheit iſt, dem, deſſen Geſchmak eine
weitere Sphaͤre umfaßt, nur mittelmaͤßig ſchoͤn ſeyn
koͤnne, iſt eine wichtige Bemerkung. Wenn wir
dieſes aus der Acht laſſen, ſo ſtoßen wir bey der
Unterſuchung uͤber die Schoͤnheit auf Wiederſpruͤche,
die nothwendig verwirren. Denn daß ein Menſch
Schoͤnheit findet, wo ein andrer ſie zu vermiſſen
glaubt, kommt gar nicht, wie man ſich ofte faͤlſchlich
einbildet, daher, daß unſre Begriffe uͤber das Schoͤne
wankend waͤren, oder daß die Schoͤnheit an ſich
nichts beſtimmtes ſey. Die Schoͤnheit hat dieſes
mit der Groͤße gemein; einer findet klein, was einem
andern groß ſcheinet, und ein im Ueberfluß erzoge-
ner Menſch nennt Armuth, was manchem andern
Reichthum waͤre. Darum faͤllt es keinem Men-
ſchen von Verſtand ein, zu behaupten, ein geringer
Grad der Groͤße, ſey keine Groͤße, und ein gerin-
ges Vermoͤgen, ſey kein Vermoͤgen. Warum ſollte
man denn ſagen, ein geringer Grad der Schoͤnheit
ſey keine Schoͤnheit?
Was Ariſtoteles vom Schoͤnen ſagt, daß es we-
der ſehr groß noch ſehr klein ſeyn muͤſſe, hat hierin
ſeinen Grund. Was fuͤr uns zu groß oder zu klein
iſt, kann im Ganzen nicht ohne beſtaͤndig anhalten-
des Beſtreben gefaßt werden.
2. Daß das Schoͤne Mannigfaltigkeit muͤſſe fuͤh-
len laſſen, iſt auch leicht zu begreifen. Was ein-
fach oder ohne Theil iſt, kann wol auf die Empfin-
dung aber nicht auf die Vorſtellungskraft wuͤrken.
Was aber blos Menge der Theile hat, ohne Ver-
ſchiedenheit, kann kein Nachdenken, kein Verwei-
len der Vorſtellungskraft bey dieſer Menge veran-
laſſen, weil die Theile nichts verſchiedenes haben;
die bloße Anzahl derſelben hat keinen Reiz fuͤr die
Phantaſie, die ſie nicht beſchaͤftigen kann. Denn
ſo bald ſie einen gefaßt hat, hat ſie zugleich alle ge-
faßt.
(*) S.
Ganz.
N n n n n n 3
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1039[1021]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/468>, abgerufen am 24.11.2024.
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