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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sat
er weiß es gerade in das Licht zu sezen, in welchem
es den größten Abscheu, oder den stärksten Unwillen,
oder die gewisseste Verachtung, oder Spott und
Gelächter erwekt.

Die Wärme des Herzens ist seine Muse, die ihn
zu dem nüzlichen Kampf ermuntert, und ihn in die
Laune sezet, die dem Thoren so schweer wird. Da
er Wahrheit, Geschmak und gute Sitten über alles
liebet, so wird ihm auch keine Mühe zu schweer,
ihre Rechte gegen jeden Angriff zu vertheidigen.

Diese Eigenschaften aber hat er auch mit andern
großen Künstlern und Lehrern der Menschen gemein.
Jhm besonders eigen aber ist die Gabe der satiri-
schen Laune. Wenn er wie Heraklitus, über die
Thorheiten und Verblendung des Menschen zu wei-
nen, oder auch wie Demokritus nur für sich darü-
ber zu lachen geneigt wäre, so würde er nicht als
ein Zuchtmeister öffentlich auftreten. Dazu wird
nothwendig eine etwas scharfe Galle, oder die Lust
laut aufzulachen, erfodert. Der Satiriker muß et-
was hizigen Temperaments seyn, daß er sich von
der verdrießlichen oder lächerigen Laune übernehmen,
oder dahinreissen läßt; er muß nicht traurig, son-
dern bös werden, wo er schweere Vergehungen sieht;
er muß von dem Narren nicht zu einer trokenen Ver-
achtung, sondern zum Spott gereizt werden; und
das Lächerliche muß nicht blos seinem Verstand un-
gereimt vorkommen, sondern sich seiner Einbildungs-
kraft in einer wahrhaftig comischen Gestalt darstellen,
darüber er sich nicht still ergözt, sondern laut lu-
stig macht.

Jst er von solcher Gemüthsart, so wird es ihm
zur Lust an der Satire gewiß nicht fehlen, und denn
wird ihm auch, wenn er sonst die dem Dichter über-
haupt nöthigen Gaben, einer lebhaften Schilderung
sichtbarer und unsichtbarer Dinge hat, die glükliche
Ausführung nicht mislingen. Nur ist ihm vorzüg-
lich der feine Wiz nöthig, geistreiche Aehnlichkeiten
zu finden, und das was die Thorheit, dadurch, daß
sie gewöhnlich ist, von ihrem Lächerlichen verliehret,
recht auffallend zu machen, indem es durch völlig
ähnliche, aber sehr lächerliche Gegenstände heraus-
gebracht wird.

Bedenket man, daß der wahre Zwek der Satire
bey dem Dichter ein warmes Jnteresse für Wahrheit,
Geschmak und Tugend voraussezet, und auf der an-
dern Seite, daß Lust zum Spott etwas von Verach-
tung der Menschen und lachende Laune gemeiniglich
[Spaltenumbruch]

Sat
mit etwas Leichtsinn verbunden sind; so wird man
leicht begreifen, daß ein wahrer Satirendichter etwas
seltenes seyn müsse. Einige gerathen in würkliche
Boßheit, wie Aristophanes und Swifft, andere ge-
rathen in Possen, wie Scarron, und suchen blos
uns lustig zu machen. Man wird sich deswegen
nicht verwundern, daß unter der Menge guter Dich-
ter nur wenige zur Satire aufgelegt sind.

Aber es ist nun Zeit, daß wir den Nuzen dieser
Art näher erwägen. Jch getraue mir nicht zu be-
haupten, daß Bösewichte, Narren und Thoren von
allerley Art, gegen die die Satire eigentlich gerich-
tet ist, sich dadurch bessern lassen, wiewol auch
nicht zu läugnen ist, daß mancher von ihnen wenig-
stens schüchtern gemacht, und in einigen Schranken
gehalten werden könne. Die Hauptsache kommt
auf die Würkung an, welche man auf den gesunden
Theil der Leser machen kann. Jch habe bereits an
einem andern Orte, wo ich nicht irre, hinlänglich
gezeiget, was für gute Würkung die lachende und
spottende Satire haben. (*) Von der ernsthaftern züch-
tigenden Satire, kann man mit Grunde dieselbe Wür-
kung erwarten. Selbst der Böswicht kann nicht
leiden, daß er vor den Augen der Welt gepeitscht
werde, und mich dünkt, daß nichts schreklicheres
seyn könne, als öffentliche Schande: sie muß, so-
wol für den, der sie leidet, als für den, den sie war-
net, wenn er nicht völlig aller Empfindung der Ehre
beraubet ist, von sehr starker Würkung seyn. Würde
man also zu viel sagen, wenn man den wahren Sa-
tiriker, der dem Endzwek der Satire Genüge leistet,
für ein Geschenk des Himmels ausgäbe, womit einer
ganzen Nation höchstwichtige Dienste geleistet wer-
den? Jch sehe sie als Wächter an, die ihre Mitbür-
ger für jeder sittlichen Gefahr auf das Nachdrüklichste
warnen, und als öffentliche Streiter die sich jedem
eingerissenen Uebel auf die würksameste Weise wie-
dersezen. Sie vermögen mehr, als äußerliche Ge-
walt, die nur den Ausbruch des Uebels auf eine Zeit-
lang hemmet, aber die Wurzel desselben nicht abschnei-
det. Es wäre wol möglich Erfahrungen darüber an-
zuführen; aber dieses ist für uns zu weitläuftig.

Jch getraue mir deswegen zu behaupten, daß
die Satire wol eine besondere Aufmerksamkeit von
Seite der gesezgebenden Macht, in jedem Staat
verdiente. So wie die Selbstrache, in Fällen, wo
die Geseze Genugthuung derschaffen, und das Pas-
quill, das in Privatfeindschaft gegründet ist, noth-

wen-
(*) S.
Lächerlich
S. 647. f.f.
H h h h h h 3

[Spaltenumbruch]

Sat
er weiß es gerade in das Licht zu ſezen, in welchem
es den groͤßten Abſcheu, oder den ſtaͤrkſten Unwillen,
oder die gewiſſeſte Verachtung, oder Spott und
Gelaͤchter erwekt.

Die Waͤrme des Herzens iſt ſeine Muſe, die ihn
zu dem nuͤzlichen Kampf ermuntert, und ihn in die
Laune ſezet, die dem Thoren ſo ſchweer wird. Da
er Wahrheit, Geſchmak und gute Sitten uͤber alles
liebet, ſo wird ihm auch keine Muͤhe zu ſchweer,
ihre Rechte gegen jeden Angriff zu vertheidigen.

Dieſe Eigenſchaften aber hat er auch mit andern
großen Kuͤnſtlern und Lehrern der Menſchen gemein.
Jhm beſonders eigen aber iſt die Gabe der ſatiri-
ſchen Laune. Wenn er wie Heraklitus, uͤber die
Thorheiten und Verblendung des Menſchen zu wei-
nen, oder auch wie Demokritus nur fuͤr ſich daruͤ-
ber zu lachen geneigt waͤre, ſo wuͤrde er nicht als
ein Zuchtmeiſter oͤffentlich auftreten. Dazu wird
nothwendig eine etwas ſcharfe Galle, oder die Luſt
laut aufzulachen, erfodert. Der Satiriker muß et-
was hizigen Temperaments ſeyn, daß er ſich von
der verdrießlichen oder laͤcherigen Laune uͤbernehmen,
oder dahinreiſſen laͤßt; er muß nicht traurig, ſon-
dern boͤs werden, wo er ſchweere Vergehungen ſieht;
er muß von dem Narren nicht zu einer trokenen Ver-
achtung, ſondern zum Spott gereizt werden; und
das Laͤcherliche muß nicht blos ſeinem Verſtand un-
gereimt vorkommen, ſondern ſich ſeiner Einbildungs-
kraft in einer wahrhaftig comiſchen Geſtalt darſtellen,
daruͤber er ſich nicht ſtill ergoͤzt, ſondern laut lu-
ſtig macht.

Jſt er von ſolcher Gemuͤthsart, ſo wird es ihm
zur Luſt an der Satire gewiß nicht fehlen, und denn
wird ihm auch, wenn er ſonſt die dem Dichter uͤber-
haupt noͤthigen Gaben, einer lebhaften Schilderung
ſichtbarer und unſichtbarer Dinge hat, die gluͤkliche
Ausfuͤhrung nicht mislingen. Nur iſt ihm vorzuͤg-
lich der feine Wiz noͤthig, geiſtreiche Aehnlichkeiten
zu finden, und das was die Thorheit, dadurch, daß
ſie gewoͤhnlich iſt, von ihrem Laͤcherlichen verliehret,
recht auffallend zu machen, indem es durch voͤllig
aͤhnliche, aber ſehr laͤcherliche Gegenſtaͤnde heraus-
gebracht wird.

Bedenket man, daß der wahre Zwek der Satire
bey dem Dichter ein warmes Jntereſſe fuͤr Wahrheit,
Geſchmak und Tugend vorausſezet, und auf der an-
dern Seite, daß Luſt zum Spott etwas von Verach-
tung der Menſchen und lachende Laune gemeiniglich
[Spaltenumbruch]

Sat
mit etwas Leichtſinn verbunden ſind; ſo wird man
leicht begreifen, daß ein wahrer Satirendichter etwas
ſeltenes ſeyn muͤſſe. Einige gerathen in wuͤrkliche
Boßheit, wie Ariſtophanes und Swifft, andere ge-
rathen in Poſſen, wie Scarron, und ſuchen blos
uns luſtig zu machen. Man wird ſich deswegen
nicht verwundern, daß unter der Menge guter Dich-
ter nur wenige zur Satire aufgelegt ſind.

Aber es iſt nun Zeit, daß wir den Nuzen dieſer
Art naͤher erwaͤgen. Jch getraue mir nicht zu be-
haupten, daß Boͤſewichte, Narren und Thoren von
allerley Art, gegen die die Satire eigentlich gerich-
tet iſt, ſich dadurch beſſern laſſen, wiewol auch
nicht zu laͤugnen iſt, daß mancher von ihnen wenig-
ſtens ſchuͤchtern gemacht, und in einigen Schranken
gehalten werden koͤnne. Die Hauptſache kommt
auf die Wuͤrkung an, welche man auf den geſunden
Theil der Leſer machen kann. Jch habe bereits an
einem andern Orte, wo ich nicht irre, hinlaͤnglich
gezeiget, was fuͤr gute Wuͤrkung die lachende und
ſpottende Satire haben. (*) Von der ernſthaftern zuͤch-
tigenden Satire, kann man mit Grunde dieſelbe Wuͤr-
kung erwarten. Selbſt der Boͤswicht kann nicht
leiden, daß er vor den Augen der Welt gepeitſcht
werde, und mich duͤnkt, daß nichts ſchreklicheres
ſeyn koͤnne, als oͤffentliche Schande: ſie muß, ſo-
wol fuͤr den, der ſie leidet, als fuͤr den, den ſie war-
net, wenn er nicht voͤllig aller Empfindung der Ehre
beraubet iſt, von ſehr ſtarker Wuͤrkung ſeyn. Wuͤrde
man alſo zu viel ſagen, wenn man den wahren Sa-
tiriker, der dem Endzwek der Satire Genuͤge leiſtet,
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ganzen Nation hoͤchſtwichtige Dienſte geleiſtet wer-
den? Jch ſehe ſie als Waͤchter an, die ihre Mitbuͤr-
ger fuͤr jeder ſittlichen Gefahr auf das Nachdruͤklichſte
warnen, und als oͤffentliche Streiter die ſich jedem
eingeriſſenen Uebel auf die wuͤrkſameſte Weiſe wie-
derſezen. Sie vermoͤgen mehr, als aͤußerliche Ge-
walt, die nur den Ausbruch des Uebels auf eine Zeit-
lang hemmet, aber die Wurzel deſſelben nicht abſchnei-
det. Es waͤre wol moͤglich Erfahrungen daruͤber an-
zufuͤhren; aber dieſes iſt fuͤr uns zu weitlaͤuftig.

Jch getraue mir deswegen zu behaupten, daß
die Satire wol eine beſondere Aufmerkſamkeit von
Seite der geſezgebenden Macht, in jedem Staat
verdiente. So wie die Selbſtrache, in Faͤllen, wo
die Geſeze Genugthuung derſchaffen, und das Pas-
quill, das in Privatfeindſchaft gegruͤndet iſt, noth-

wen-
(*) S.
Laͤcherlich
S. 647. f.f.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 999[981]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/428>, abgerufen am 26.11.2024.