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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Rhy
aber, oder das Metrum, den Zusammengesezten.
Man stelle sich folgende Versart vor , u u
so ist hier ein Takt von zwey Zeiten, in welchem
zwey einfache Rhythmen, nämlich der Spondäus
und der Daktylus vorkommen. Zugleich aber kom-
men zweyerley grössere Glieder oder Verse vor, da-
von einer aus einem Jambus und Daktylus, der
andre aus zwey Jamben besteht; hier hat also der
erste Vers einen zusammengesezten Rhythmus, der
anders ist, als der zusammengesezte Rhythmus des
andern Verses.

Jedermann weiß, wie unzählig viele Verände-
rungen durch die zusammengesezten Rhythmen ent-
stehen können. Die unerschöpfliche Mannigfaltig-
keit der Versarten dienet zum Beyspiehl, aus dem
auch auf Musik und Tanz kann geschlossen werden.
Ueber diesen Rhythmus ist in Ansehung der Musik
zu merken, daß seine Glieder nicht nothwendig aus
ganzen Takten bestehen, wie z. E. dieses @
@@@, sondern auch aus getheilten Takten; als
so: @ @ @ @ @ @ oder so: @
@@@ @@ . Nämlich man kann diesen
Rhythmus am Anfang, in der Mitte oder beym
lezten Theil des Taktes anfangen; aber er muß, um
eine Anzahl ganzer Takte zu haben, alsdenn auch
wieder vor dem Takttheil aufhören, bey dem er an-
gefangen, wie obige Beyspiehle zeigen.

Endlich giebt es auch einen doppelt und dreyfach
zusammengesezten Rhyhtmus. Der doppelt zusam-
mengesezte besteht aus Perioden von zwey, oder
mehrern zusammengesezten Rhythmen. Zum Bey-
spiehl dienen die Versarten, wo allemal zwey, drey
oder mehr Verse eine rhythmische Periode machen,
die immer wiederkommt. Jn der elegischen Vers-
art, in unsern Alexandrinern, die immer wechsels-
weise, männlich und weiblich endigen, und in an-
dern Versarten, machen zwey Verse die Periode,
oder den doppelt zusammengesezten Rhythmus aus;
in andern Versarten, kommen drey, in andern vier
Verse auf eine Periode, die alsdenn eine Strophe
genennt wird.

Wo doppelte wiederkommende Strophen sind, da
ist der Rhythmus dreyfach zusammengesezt; aus Ver-
sen, und aus zweyerley großen Perioden. So sind
die meisten Tanzmelodien. Zwey, oder mehr Takte
machen einen Einschnitt oder Vers; zwey, oder mehr
Einschnitte eine Periode, oder einen Haupttheil; zwey
Haupttheile machen die ganze Strophe, oder die
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Rhy
ganze Melodie, die in der Folge so ofte wiederholt
wird, bis der Tanz zu End ist. Dieses ist die voll-
kommenste rhythmische Einrichtung; weil eine noch
größere Mannigfaltigkeit der Zusammensezung dem
Ohr nicht mehr faßlich wäre.

Mit diesen Tanzmelodien kommen unsre alten
jambischen und trochäischen Versarten mit doppelten
Strophen genau überein. Man nehme z. B. Hal-
lers Doris, die Füße sind Takte, durchaus von
ähnlichem Rhythmus, nämlich Jamben. Vier solche
Takte, machen einen Einschnitt, nur haben zwey
Verse außer den vier Füßen eine angehängte kurze
Sylbe, um den Einschnitt oder Vers fühlbarer zu
machen. Diese drey Einschnitte machen die erste
Periode, oder den ersten Theil der Melodie aus.

Komm Doris, komm zu jenen Buchen
Laßt uns den stillen Grund besuchen,
Wo nichts sich regt als ich und du.

Denn folgt ein ähnlicher und gleichgroßer zweyter
Theil:

Nur noch der Hauch verliebter Weste
Belebt das schwanke Laub der Aeste
Und winket dir liebkosend zu.

Dieser Theil unterscheidet sich von dem ersten durch
den Ton; und jeder Tonsezer von mittelmäßigen
Nachdenken, würde ihn auch in einem andern Ton,
z. B. in der Dominante des ersten, sezen; gerade
wie man es insgemein mit den Tanzmelodien macht.
Hernach wird dieselbe Strophe mit allen ihren Rhyth-
men so lange wiederholt, bis das Lied zu End ist.

Bey dieser Gelegenheit muß ich anmerken, daß
diese Art Strophen für den Gesang die vollkommenste
rhythmische Einrichtung haben. Die lyrischen Vers-
arten der Alten schiken sich selten für unsre Musik.
Allem Ansehen nach haben die Griechen ihrem Ge-
sang keine harmonische Begleitung gegeben, folglich
auch keine harmonische Cadenzen gekannt, und einen
vollen Redesaz nicht wie wir thun, durch eine Ca-
denz geschlossen. Jhr Sylbenmaaß allein war hin-
reichend, die Einschnitte völlig fühlbar zu machen.
Vielleicht könnten wir den Gesang der Alten wieder
finden, wenn ein Tonsezer von Geschmak versuchen
wollte, die Klopstokischen Oden nach griechischen
Sylbenmaaßen so zu sezen, daß der Gesang einer
Strophe auf alle andern gleich gut paßte. Doch
dieses im Vorbeygang.

Dieses kann hinlänglich seyn jedem aufmerksa-
men Leser einen richtigen Begriff von dem zu geben,
was in Musik und Tanz Rhythmus genennt wird.

Man
Zweyter Theil. F f f f f f

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Rhy
aber, oder das Metrum, den Zuſammengeſezten.
Man ſtelle ſich folgende Versart vor 𝄩 𝄩, 𝄩 υ υ
ſo iſt hier ein Takt von zwey Zeiten, in welchem
zwey einfache Rhythmen, naͤmlich der Spondaͤus
und der Daktylus vorkommen. Zugleich aber kom-
men zweyerley groͤſſere Glieder oder Verſe vor, da-
von einer aus einem Jambus und Daktylus, der
andre aus zwey Jamben beſteht; hier hat alſo der
erſte Vers einen zuſammengeſezten Rhythmus, der
anders iſt, als der zuſammengeſezte Rhythmus des
andern Verſes.

Jedermann weiß, wie unzaͤhlig viele Veraͤnde-
rungen durch die zuſammengeſezten Rhythmen ent-
ſtehen koͤnnen. Die unerſchoͤpfliche Mannigfaltig-
keit der Versarten dienet zum Beyſpiehl, aus dem
auch auf Muſik und Tanz kann geſchloſſen werden.
Ueber dieſen Rhythmus iſt in Anſehung der Muſik
zu merken, daß ſeine Glieder nicht nothwendig aus
ganzen Takten beſtehen, wie z. E. dieſes 𝄀
𝄀𝄀, ſondern auch aus getheilten Takten; als
ſo:   𝄀    𝄀  𝄀𝄀 oder ſo:  𝄀
𝄀  𝄀𝄀. Naͤmlich man kann dieſen
Rhythmus am Anfang, in der Mitte oder beym
lezten Theil des Taktes anfangen; aber er muß, um
eine Anzahl ganzer Takte zu haben, alsdenn auch
wieder vor dem Takttheil aufhoͤren, bey dem er an-
gefangen, wie obige Beyſpiehle zeigen.

Endlich giebt es auch einen doppelt und dreyfach
zuſammengeſezten Rhyhtmus. Der doppelt zuſam-
mengeſezte beſteht aus Perioden von zwey, oder
mehrern zuſammengeſezten Rhythmen. Zum Bey-
ſpiehl dienen die Versarten, wo allemal zwey, drey
oder mehr Verſe eine rhythmiſche Periode machen,
die immer wiederkommt. Jn der elegiſchen Vers-
art, in unſern Alexandrinern, die immer wechſels-
weiſe, maͤnnlich und weiblich endigen, und in an-
dern Versarten, machen zwey Verſe die Periode,
oder den doppelt zuſammengeſezten Rhythmus aus;
in andern Versarten, kommen drey, in andern vier
Verſe auf eine Periode, die alsdenn eine Strophe
genennt wird.

Wo doppelte wiederkommende Strophen ſind, da
iſt der Rhythmus dreyfach zuſammengeſezt; aus Ver-
ſen, und aus zweyerley großen Perioden. So ſind
die meiſten Tanzmelodien. Zwey, oder mehr Takte
machen einen Einſchnitt oder Vers; zwey, oder mehr
Einſchnitte eine Periode, oder einen Haupttheil; zwey
Haupttheile machen die ganze Strophe, oder die
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Rhy
ganze Melodie, die in der Folge ſo ofte wiederholt
wird, bis der Tanz zu End iſt. Dieſes iſt die voll-
kommenſte rhythmiſche Einrichtung; weil eine noch
groͤßere Mannigfaltigkeit der Zuſammenſezung dem
Ohr nicht mehr faßlich waͤre.

Mit dieſen Tanzmelodien kommen unſre alten
jambiſchen und trochaͤiſchen Versarten mit doppelten
Strophen genau uͤberein. Man nehme z. B. Hal-
lers Doris, die Fuͤße ſind Takte, durchaus von
aͤhnlichem Rhythmus, naͤmlich Jamben. Vier ſolche
Takte, machen einen Einſchnitt, nur haben zwey
Verſe außer den vier Fuͤßen eine angehaͤngte kurze
Sylbe, um den Einſchnitt oder Vers fuͤhlbarer zu
machen. Dieſe drey Einſchnitte machen die erſte
Periode, oder den erſten Theil der Melodie aus.

Komm Doris, komm zu jenen Buchen
Laßt uns den ſtillen Grund beſuchen,
Wo nichts ſich regt als ich und du.

Denn folgt ein aͤhnlicher und gleichgroßer zweyter
Theil:

Nur noch der Hauch verliebter Weſte
Belebt das ſchwanke Laub der Aeſte
Und winket dir liebkoſend zu.

Dieſer Theil unterſcheidet ſich von dem erſten durch
den Ton; und jeder Tonſezer von mittelmaͤßigen
Nachdenken, wuͤrde ihn auch in einem andern Ton,
z. B. in der Dominante des erſten, ſezen; gerade
wie man es insgemein mit den Tanzmelodien macht.
Hernach wird dieſelbe Strophe mit allen ihren Rhyth-
men ſo lange wiederholt, bis das Lied zu End iſt.

Bey dieſer Gelegenheit muß ich anmerken, daß
dieſe Art Strophen fuͤr den Geſang die vollkommenſte
rhythmiſche Einrichtung haben. Die lyriſchen Vers-
arten der Alten ſchiken ſich ſelten fuͤr unſre Muſik.
Allem Anſehen nach haben die Griechen ihrem Ge-
ſang keine harmoniſche Begleitung gegeben, folglich
auch keine harmoniſche Cadenzen gekannt, und einen
vollen Redeſaz nicht wie wir thun, durch eine Ca-
denz geſchloſſen. Jhr Sylbenmaaß allein war hin-
reichend, die Einſchnitte voͤllig fuͤhlbar zu machen.
Vielleicht koͤnnten wir den Geſang der Alten wieder
finden, wenn ein Tonſezer von Geſchmak verſuchen
wollte, die Klopſtokiſchen Oden nach griechiſchen
Sylbenmaaßen ſo zu ſezen, daß der Geſang einer
Strophe auf alle andern gleich gut paßte. Doch
dieſes im Vorbeygang.

Dieſes kann hinlaͤnglich ſeyn jedem aufmerkſa-
men Leſer einen richtigen Begriff von dem zu geben,
was in Muſik und Tanz Rhythmus genennt wird.

Man
Zweyter Theil. F f f f f f
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[979[961]/0408] Rhy Rhy aber, oder das Metrum, den Zuſammengeſezten. Man ſtelle ſich folgende Versart vor 𝄩 𝄩, 𝄩 υ υ ſo iſt hier ein Takt von zwey Zeiten, in welchem zwey einfache Rhythmen, naͤmlich der Spondaͤus und der Daktylus vorkommen. Zugleich aber kom- men zweyerley groͤſſere Glieder oder Verſe vor, da- von einer aus einem Jambus und Daktylus, der andre aus zwey Jamben beſteht; hier hat alſo der erſte Vers einen zuſammengeſezten Rhythmus, der anders iſt, als der zuſammengeſezte Rhythmus des andern Verſes. Jedermann weiß, wie unzaͤhlig viele Veraͤnde- rungen durch die zuſammengeſezten Rhythmen ent- ſtehen koͤnnen. Die unerſchoͤpfliche Mannigfaltig- keit der Versarten dienet zum Beyſpiehl, aus dem auch auf Muſik und Tanz kann geſchloſſen werden. Ueber dieſen Rhythmus iſt in Anſehung der Muſik zu merken, daß ſeine Glieder nicht nothwendig aus ganzen Takten beſtehen, wie z. E. dieſes 𝄀 𝄀𝄀, ſondern auch aus getheilten Takten; als ſo:   𝄀    𝄀  𝄀𝄀 oder ſo:  𝄀 𝄀  𝄀𝄀. Naͤmlich man kann dieſen Rhythmus am Anfang, in der Mitte oder beym lezten Theil des Taktes anfangen; aber er muß, um eine Anzahl ganzer Takte zu haben, alsdenn auch wieder vor dem Takttheil aufhoͤren, bey dem er an- gefangen, wie obige Beyſpiehle zeigen. Endlich giebt es auch einen doppelt und dreyfach zuſammengeſezten Rhyhtmus. Der doppelt zuſam- mengeſezte beſteht aus Perioden von zwey, oder mehrern zuſammengeſezten Rhythmen. Zum Bey- ſpiehl dienen die Versarten, wo allemal zwey, drey oder mehr Verſe eine rhythmiſche Periode machen, die immer wiederkommt. Jn der elegiſchen Vers- art, in unſern Alexandrinern, die immer wechſels- weiſe, maͤnnlich und weiblich endigen, und in an- dern Versarten, machen zwey Verſe die Periode, oder den doppelt zuſammengeſezten Rhythmus aus; in andern Versarten, kommen drey, in andern vier Verſe auf eine Periode, die alsdenn eine Strophe genennt wird. Wo doppelte wiederkommende Strophen ſind, da iſt der Rhythmus dreyfach zuſammengeſezt; aus Ver- ſen, und aus zweyerley großen Perioden. So ſind die meiſten Tanzmelodien. Zwey, oder mehr Takte machen einen Einſchnitt oder Vers; zwey, oder mehr Einſchnitte eine Periode, oder einen Haupttheil; zwey Haupttheile machen die ganze Strophe, oder die ganze Melodie, die in der Folge ſo ofte wiederholt wird, bis der Tanz zu End iſt. Dieſes iſt die voll- kommenſte rhythmiſche Einrichtung; weil eine noch groͤßere Mannigfaltigkeit der Zuſammenſezung dem Ohr nicht mehr faßlich waͤre. Mit dieſen Tanzmelodien kommen unſre alten jambiſchen und trochaͤiſchen Versarten mit doppelten Strophen genau uͤberein. Man nehme z. B. Hal- lers Doris, die Fuͤße ſind Takte, durchaus von aͤhnlichem Rhythmus, naͤmlich Jamben. Vier ſolche Takte, machen einen Einſchnitt, nur haben zwey Verſe außer den vier Fuͤßen eine angehaͤngte kurze Sylbe, um den Einſchnitt oder Vers fuͤhlbarer zu machen. Dieſe drey Einſchnitte machen die erſte Periode, oder den erſten Theil der Melodie aus. Komm Doris, komm zu jenen Buchen Laßt uns den ſtillen Grund beſuchen, Wo nichts ſich regt als ich und du. Denn folgt ein aͤhnlicher und gleichgroßer zweyter Theil: Nur noch der Hauch verliebter Weſte Belebt das ſchwanke Laub der Aeſte Und winket dir liebkoſend zu. Dieſer Theil unterſcheidet ſich von dem erſten durch den Ton; und jeder Tonſezer von mittelmaͤßigen Nachdenken, wuͤrde ihn auch in einem andern Ton, z. B. in der Dominante des erſten, ſezen; gerade wie man es insgemein mit den Tanzmelodien macht. Hernach wird dieſelbe Strophe mit allen ihren Rhyth- men ſo lange wiederholt, bis das Lied zu End iſt. Bey dieſer Gelegenheit muß ich anmerken, daß dieſe Art Strophen fuͤr den Geſang die vollkommenſte rhythmiſche Einrichtung haben. Die lyriſchen Vers- arten der Alten ſchiken ſich ſelten fuͤr unſre Muſik. Allem Anſehen nach haben die Griechen ihrem Ge- ſang keine harmoniſche Begleitung gegeben, folglich auch keine harmoniſche Cadenzen gekannt, und einen vollen Redeſaz nicht wie wir thun, durch eine Ca- denz geſchloſſen. Jhr Sylbenmaaß allein war hin- reichend, die Einſchnitte voͤllig fuͤhlbar zu machen. Vielleicht koͤnnten wir den Geſang der Alten wieder finden, wenn ein Tonſezer von Geſchmak verſuchen wollte, die Klopſtokiſchen Oden nach griechiſchen Sylbenmaaßen ſo zu ſezen, daß der Geſang einer Strophe auf alle andern gleich gut paßte. Doch dieſes im Vorbeygang. Dieſes kann hinlaͤnglich ſeyn jedem aufmerkſa- men Leſer einen richtigen Begriff von dem zu geben, was in Muſik und Tanz Rhythmus genennt wird. Man Zweyter Theil. F f f f f f

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 979[961]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/408>, abgerufen am 25.11.2024.