einen sehr hohen Grad des Reizes, der Grazie zu- schreiben. Aber Plato scheinet auch blos ein gefäl- liges und angenehmes Wesen, wobey man eben nicht in Entzükung geräth, für eine Wükung der Grazien gehalten zu haben. Denn da er dem Xenokrates, der in seiner Art etwas Strenges und Steifes hatte, den Rath giebt, er soll den Grazien Opfer bringen; so verstund er es vermuthlich nicht so, daß er seinen Schüler dadurch in einem Aristippus, oder in seinen Manieren in einem Alcibiades verwandelt zu sehen wünschte. Diese Anmerkungen ziehlen darauf, daß man erkenne, alle Arten ästhetischer Gegenstände seyen des Reizes fähig, und äußern ihn durch einen merklichen Grad der Annehmlichkeit, wodurch wir in solche Gegenstände gleichsam verliebt werden, so daß es eine Art feiner Wollust des Geistes ist, die Eindrüke derselben zu genießen, bey der wir aber nicht so, wie von der Größe und Hoheit in Bewundrung, oder Ehrfurcht gesezt werden. Wir schreiben den Liedern eines Anakreons, und den Gesprächen eines Xenophons Grazie; aber den Oden des Pindars, und den Reden des Demosthenes, Hoheit zu.
Es wäre ein zu kühnes, und vielleicht auch ohne- dem in Absicht auf den Nuzen nicht sehr erhebliches Unternehmen, wenn man die nähere Beschaffenheit des Reizenden, in jeder Gattung der ästhetischen Gegenstände, genau zu zergliedern suchte. Der Lieb- haber, der nur etwas von feinem Gefühl hat, em- pfindet es leicht; und wenn man den Künstler, des- sen Genie weder bloß auf das Große und Strenge bestimmt, noch blos auf schlechte Richtigkeit und Wahrheit geht, überhaupt vermahnet, er soll bey allen seinen Werken wol Acht haben, ob sie in ihrer Art, Annehmlichkeit und Lieblichkeit vertragen, und, wo sie statt haben, besondere Rüksicht darauf neh- men, so hat man ihm ohngefehr alles gesagt, was sich hierüber verständlich und bestimmt sagen läßt.
Denn dieses, was dem Künstler in dieser Absicht am nöthigsten ist, daß er alle Gegenstände seiner Kunst, sowol in der Natur, als in den Werken an- drer Künstler, mit genauer Aufmerksamkeit betrach- ten, die eigentliche Art und den Charakter eines jeden richtig fassen soll, versteht sich von selbst. Durch eine solche Betrachtung aber wird er, wenn er das Gefühl dazu hat, das blos Schöne, das Reizende und das Große, von selbst entdeken, und gehörig von einander unterscheiden. Dieses Gefühl wird ihm ferner von der näheren Beschaffenheit des Rei- [Spaltenumbruch]
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zenden mehr anzeigen, als die mühesameste Entwik- lung desselben, ihn lehren würde. Wer wird es unternehmen, einem Menschen von etwas feinem Gefühl für die Schönheiten des Gesanges, ausführ- lich zu zeigen, worin das Reizende in den süßen Ge- sängen eines Grauns bestehe? Oder wer wird sich unterstehen die Lieblichkeit der Lieder eines Anakreon oder Petrarcha, oder Metastasio zu zergliedern? Dem Mahler das Colorit eines Titians, oder die Zeichnung eines Raphaels und Guido, dem die Gra- zien vorzüglich hold gewesen, ausführlich zu beschrei- ben? Besser kommt man zum Zwek, wenn man sagt: Sing und horche; lies und empfinde; sieh und fühle -- und denn sing, und lies, und siehe wieder, und mache dir ein tägliches Geschäfte daraus: da- durch wirst du dich mit den Grazien deiner Kunst bekannt machen.
Die Wörter sind griechisch, von unbekannter, we- nigstens sehr ungewisser Abstammung, und kommen bey den Alten in verschiedener Bedeutung vor. Die Griechen nannten Rhythmus, 1. was die Römer Numerum Oratorium nannten. 2. das, was wir das Sylbenmaaß nennen; denn sie hatten einen daktylischen, jambischen, päonischen Rhythmus u. s. f. 3. in der Musik, das was wir Takt nen- nen; denn was wir izt durch die Worte geraden und ungeraden Takt ausdruken, hieß bey den Griechen gleicher, oder gerader, und ungleicher, oder ungera- der Rhythmus. 4. im Tanz das, was wir Pas, oder einen Tanzschritt nennen. Die Neuern haben den Begriff des Worts mehr eingeschränkt. Jn der Dichtkunst wird des Rhythmus selten erwähnet, weil er meistentheils unter dem Wort Sylbenmaaß betrachtet wird. Jn der Musik ist er fast allein auf die Abmessung der Einschnitte eingeschränkt. Wir betrachten ihn hier in der weiteren und ehema- ligen Ausdähnung.
Es läßt sich aus den angeführten verschiedenen Bedeutungen abnehmen, daß das Wort überhaupt etwas wolgeordnetes, und gleichförmiges in der Folge der Töne und der Bewegung anzeige. Zwar sagt Aristides Quintilianus, einer der alten noch vor- handenen Schriftsteller über die Musik, daß auch in Dingen die auf einmal ins Auge fallen, wie in einer Statüe, ein Rhythmus statt habe. Da aber das,
was
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einen ſehr hohen Grad des Reizes, der Grazie zu- ſchreiben. Aber Plato ſcheinet auch blos ein gefaͤl- liges und angenehmes Weſen, wobey man eben nicht in Entzuͤkung geraͤth, fuͤr eine Wuͤkung der Grazien gehalten zu haben. Denn da er dem Xenokrates, der in ſeiner Art etwas Strenges und Steifes hatte, den Rath giebt, er ſoll den Grazien Opfer bringen; ſo verſtund er es vermuthlich nicht ſo, daß er ſeinen Schuͤler dadurch in einem Ariſtippus, oder in ſeinen Manieren in einem Alcibiades verwandelt zu ſehen wuͤnſchte. Dieſe Anmerkungen ziehlen darauf, daß man erkenne, alle Arten aͤſthetiſcher Gegenſtaͤnde ſeyen des Reizes faͤhig, und aͤußern ihn durch einen merklichen Grad der Annehmlichkeit, wodurch wir in ſolche Gegenſtaͤnde gleichſam verliebt werden, ſo daß es eine Art feiner Wolluſt des Geiſtes iſt, die Eindruͤke derſelben zu genießen, bey der wir aber nicht ſo, wie von der Groͤße und Hoheit in Bewundrung, oder Ehrfurcht geſezt werden. Wir ſchreiben den Liedern eines Anakreons, und den Geſpraͤchen eines Xenophons Grazie; aber den Oden des Pindars, und den Reden des Demoſthenes, Hoheit zu.
Es waͤre ein zu kuͤhnes, und vielleicht auch ohne- dem in Abſicht auf den Nuzen nicht ſehr erhebliches Unternehmen, wenn man die naͤhere Beſchaffenheit des Reizenden, in jeder Gattung der aͤſthetiſchen Gegenſtaͤnde, genau zu zergliedern ſuchte. Der Lieb- haber, der nur etwas von feinem Gefuͤhl hat, em- pfindet es leicht; und wenn man den Kuͤnſtler, deſ- ſen Genie weder bloß auf das Große und Strenge beſtimmt, noch blos auf ſchlechte Richtigkeit und Wahrheit geht, uͤberhaupt vermahnet, er ſoll bey allen ſeinen Werken wol Acht haben, ob ſie in ihrer Art, Annehmlichkeit und Lieblichkeit vertragen, und, wo ſie ſtatt haben, beſondere Ruͤkſicht darauf neh- men, ſo hat man ihm ohngefehr alles geſagt, was ſich hieruͤber verſtaͤndlich und beſtimmt ſagen laͤßt.
Denn dieſes, was dem Kuͤnſtler in dieſer Abſicht am noͤthigſten iſt, daß er alle Gegenſtaͤnde ſeiner Kunſt, ſowol in der Natur, als in den Werken an- drer Kuͤnſtler, mit genauer Aufmerkſamkeit betrach- ten, die eigentliche Art und den Charakter eines jeden richtig faſſen ſoll, verſteht ſich von ſelbſt. Durch eine ſolche Betrachtung aber wird er, wenn er das Gefuͤhl dazu hat, das blos Schoͤne, das Reizende und das Große, von ſelbſt entdeken, und gehoͤrig von einander unterſcheiden. Dieſes Gefuͤhl wird ihm ferner von der naͤheren Beſchaffenheit des Rei- [Spaltenumbruch]
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zenden mehr anzeigen, als die muͤheſameſte Entwik- lung deſſelben, ihn lehren wuͤrde. Wer wird es unternehmen, einem Menſchen von etwas feinem Gefuͤhl fuͤr die Schoͤnheiten des Geſanges, ausfuͤhr- lich zu zeigen, worin das Reizende in den ſuͤßen Ge- ſaͤngen eines Grauns beſtehe? Oder wer wird ſich unterſtehen die Lieblichkeit der Lieder eines Anakreon oder Petrarcha, oder Metaſtaſio zu zergliedern? Dem Mahler das Colorit eines Titians, oder die Zeichnung eines Raphaels und Guido, dem die Gra- zien vorzuͤglich hold geweſen, ausfuͤhrlich zu beſchrei- ben? Beſſer kommt man zum Zwek, wenn man ſagt: Sing und horche; lies und empfinde; ſieh und fuͤhle — und denn ſing, und lies, und ſiehe wieder, und mache dir ein taͤgliches Geſchaͤfte daraus: da- durch wirſt du dich mit den Grazien deiner Kunſt bekannt machen.
Die Woͤrter ſind griechiſch, von unbekannter, we- nigſtens ſehr ungewiſſer Abſtammung, und kommen bey den Alten in verſchiedener Bedeutung vor. Die Griechen nannten Rhythmus, 1. was die Roͤmer Numerum Oratorium nannten. 2. das, was wir das Sylbenmaaß nennen; denn ſie hatten einen daktyliſchen, jambiſchen, paͤoniſchen Rhythmus u. ſ. f. 3. in der Muſik, das was wir Takt nen- nen; denn was wir izt durch die Worte geraden und ungeraden Takt ausdruken, hieß bey den Griechen gleicher, oder gerader, und ungleicher, oder ungera- der Rhythmus. 4. im Tanz das, was wir Pas, oder einen Tanzſchritt nennen. Die Neuern haben den Begriff des Worts mehr eingeſchraͤnkt. Jn der Dichtkunſt wird des Rhythmus ſelten erwaͤhnet, weil er meiſtentheils unter dem Wort Sylbenmaaß betrachtet wird. Jn der Muſik iſt er faſt allein auf die Abmeſſung der Einſchnitte eingeſchraͤnkt. Wir betrachten ihn hier in der weiteren und ehema- ligen Ausdaͤhnung.
Es laͤßt ſich aus den angefuͤhrten verſchiedenen Bedeutungen abnehmen, daß das Wort uͤberhaupt etwas wolgeordnetes, und gleichfoͤrmiges in der Folge der Toͤne und der Bewegung anzeige. Zwar ſagt Ariſtides Quintilianus, einer der alten noch vor- handenen Schriftſteller uͤber die Muſik, daß auch in Dingen die auf einmal ins Auge fallen, wie in einer Statuͤe, ein Rhythmus ſtatt habe. Da aber das,
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einen ſehr hohen Grad des Reizes, der Grazie zu-
ſchreiben. Aber Plato ſcheinet auch blos ein gefaͤl-
liges und angenehmes Weſen, wobey man eben nicht
in Entzuͤkung geraͤth, fuͤr eine Wuͤkung der Grazien
gehalten zu haben. Denn da er dem Xenokrates,
der in ſeiner Art etwas Strenges und Steifes hatte,
den Rath giebt, er ſoll den Grazien Opfer bringen;
ſo verſtund er es vermuthlich nicht ſo, daß er ſeinen
Schuͤler dadurch in einem Ariſtippus, oder in ſeinen
Manieren in einem Alcibiades verwandelt zu ſehen
wuͤnſchte. Dieſe Anmerkungen ziehlen darauf, daß
man erkenne, alle Arten aͤſthetiſcher Gegenſtaͤnde
ſeyen des Reizes faͤhig, und aͤußern ihn durch einen
merklichen Grad der Annehmlichkeit, wodurch wir
in ſolche Gegenſtaͤnde gleichſam verliebt werden, ſo
daß es eine Art feiner Wolluſt des Geiſtes iſt, die
Eindruͤke derſelben zu genießen, bey der wir aber nicht
ſo, wie von der Groͤße und Hoheit in Bewundrung,
oder Ehrfurcht geſezt werden. Wir ſchreiben den
Liedern eines Anakreons, und den Geſpraͤchen eines
Xenophons Grazie; aber den Oden des Pindars,
und den Reden des Demoſthenes, Hoheit zu.
Es waͤre ein zu kuͤhnes, und vielleicht auch ohne-
dem in Abſicht auf den Nuzen nicht ſehr erhebliches
Unternehmen, wenn man die naͤhere Beſchaffenheit
des Reizenden, in jeder Gattung der aͤſthetiſchen
Gegenſtaͤnde, genau zu zergliedern ſuchte. Der Lieb-
haber, der nur etwas von feinem Gefuͤhl hat, em-
pfindet es leicht; und wenn man den Kuͤnſtler, deſ-
ſen Genie weder bloß auf das Große und Strenge
beſtimmt, noch blos auf ſchlechte Richtigkeit und
Wahrheit geht, uͤberhaupt vermahnet, er ſoll bey
allen ſeinen Werken wol Acht haben, ob ſie in ihrer
Art, Annehmlichkeit und Lieblichkeit vertragen, und,
wo ſie ſtatt haben, beſondere Ruͤkſicht darauf neh-
men, ſo hat man ihm ohngefehr alles geſagt, was
ſich hieruͤber verſtaͤndlich und beſtimmt ſagen laͤßt.
Denn dieſes, was dem Kuͤnſtler in dieſer Abſicht
am noͤthigſten iſt, daß er alle Gegenſtaͤnde ſeiner
Kunſt, ſowol in der Natur, als in den Werken an-
drer Kuͤnſtler, mit genauer Aufmerkſamkeit betrach-
ten, die eigentliche Art und den Charakter eines
jeden richtig faſſen ſoll, verſteht ſich von ſelbſt. Durch
eine ſolche Betrachtung aber wird er, wenn er das
Gefuͤhl dazu hat, das blos Schoͤne, das Reizende
und das Große, von ſelbſt entdeken, und gehoͤrig
von einander unterſcheiden. Dieſes Gefuͤhl wird
ihm ferner von der naͤheren Beſchaffenheit des Rei-
zenden mehr anzeigen, als die muͤheſameſte Entwik-
lung deſſelben, ihn lehren wuͤrde. Wer wird es
unternehmen, einem Menſchen von etwas feinem
Gefuͤhl fuͤr die Schoͤnheiten des Geſanges, ausfuͤhr-
lich zu zeigen, worin das Reizende in den ſuͤßen Ge-
ſaͤngen eines Grauns beſtehe? Oder wer wird ſich
unterſtehen die Lieblichkeit der Lieder eines Anakreon
oder Petrarcha, oder Metaſtaſio zu zergliedern?
Dem Mahler das Colorit eines Titians, oder die
Zeichnung eines Raphaels und Guido, dem die Gra-
zien vorzuͤglich hold geweſen, ausfuͤhrlich zu beſchrei-
ben? Beſſer kommt man zum Zwek, wenn man ſagt:
Sing und horche; lies und empfinde; ſieh und
fuͤhle — und denn ſing, und lies, und ſiehe wieder,
und mache dir ein taͤgliches Geſchaͤfte daraus: da-
durch wirſt du dich mit den Grazien deiner Kunſt
bekannt machen.
Rhythmus; Rhythmiſch.
(Redende Kuͤnſte, Muſik, Tanz.)
Die Woͤrter ſind griechiſch, von unbekannter, we-
nigſtens ſehr ungewiſſer Abſtammung, und kommen
bey den Alten in verſchiedener Bedeutung vor. Die
Griechen nannten Rhythmus, 1. was die Roͤmer
Numerum Oratorium nannten. 2. das, was wir
das Sylbenmaaß nennen; denn ſie hatten einen
daktyliſchen, jambiſchen, paͤoniſchen Rhythmus
u. ſ. f. 3. in der Muſik, das was wir Takt nen-
nen; denn was wir izt durch die Worte geraden und
ungeraden Takt ausdruken, hieß bey den Griechen
gleicher, oder gerader, und ungleicher, oder ungera-
der Rhythmus. 4. im Tanz das, was wir Pas,
oder einen Tanzſchritt nennen. Die Neuern haben
den Begriff des Worts mehr eingeſchraͤnkt. Jn
der Dichtkunſt wird des Rhythmus ſelten erwaͤhnet,
weil er meiſtentheils unter dem Wort Sylbenmaaß
betrachtet wird. Jn der Muſik iſt er faſt allein
auf die Abmeſſung der Einſchnitte eingeſchraͤnkt.
Wir betrachten ihn hier in der weiteren und ehema-
ligen Ausdaͤhnung.
Es laͤßt ſich aus den angefuͤhrten verſchiedenen
Bedeutungen abnehmen, daß das Wort uͤberhaupt
etwas wolgeordnetes, und gleichfoͤrmiges in der Folge
der Toͤne und der Bewegung anzeige. Zwar ſagt
Ariſtides Quintilianus, einer der alten noch vor-
handenen Schriftſteller uͤber die Muſik, daß auch in
Dingen die auf einmal ins Auge fallen, wie in einer
Statuͤe, ein Rhythmus ſtatt habe. Da aber das,
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 975[957]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/404>, abgerufen am 22.02.2025.
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