sehr großen Wichtigkeit. Die Rede hängt mit der Vernunft selbst so genau zusammen, daß die Ver- vollkomnung der erstern zugleich auch die andere betrift. Ein Ausdruk der uns einen Begriff, oder eine Wahrheit, mit vorzüglicher Klarheit, Stärke oder mit großem Nachdruk erkennen läßt, ist allemal für eine nüzliche Erfindung, nicht eben eines neuen Begriffes, oder einer neuen Wahrheit, aber eines neuen Jnstruments zur Vervollkommnung der Ver- nunft.
Alle Bemühungen der Philosophen, und derer, die sich auf Entdekungen speculativer Wahrheiten legen, müssen, wenn sie dem menschlichen Geschlechte wahrhaftig nüzlich seyn sollen, auf populare Vor- stellungen gebracht, das ist auf eine leichte, sinnliche und dem Gedächtnis leicht inhaftende Art ausge- drukt werden können. Je vollkommener zu dieser Absicht die Sprach eines Volkes ist, je mehr wahre Kenntnis und Vernunft besizet es auch. Die Na- tion der Huronen kann im Grunde so viel Genie, so viel Fähigkeit des Geistes haben, als irgend eine der erleuchtesten Nationen von Europa; aber so lange sie eine arme unausgebildete Sprache hat, blei- bet auch der größte Geist unter diesem Volke, weit unter einem mittelmäßigen Kopf, der eine wolaus- gebildete Sprache besizet.
Man muß die Redner, Geschichtschreiber und Dichter, als Mittelspersonen zwischen den spekula- tiven großen Philosophen und dem Volk ansehen, welche die wichtigsten Begriffe und tiefesten Wahr- heiten der Vernunft in die gemeine Sprach über- sezen. Tacitus ist freylich in seinem Vortrag nicht popular; aber wenn wir zum Beyspiehl sezen, daß auch ein von speculativen Wissenschaften entfernter Mensch, sich mit dem Vortrag dieses Geschichtschrei- ders völlig bekannt gemacht hätte, so müssen wir ge- stehen, daß er nun auch überaus feine Kenntnisse sittlicher Dinge besizen würde, die nur der große Philosoph zu entdeken, und deren popularen Aus- [Spaltenumbruch]
Red
druk zu erfinden nur ein großer Redner in Stande gewesen.
Eine genaue Ausführung dieser Sache möchte hier zu schweerfällig und auch zu weitläuftig wer- den: darum begnüge ich mich eine Wahrheit, die ich schon anderswo in ihren eigentlichen philosophischen Gesichtspunkt gesezt habe, (+) hier blos anzuzeigen, und den wichtigen Schluß daraus zu ziehen, daß die redenden Künste, wenn wir auch ihren unmittelba- ren Nuzen beyseite sezen, nur in so fern sie die Spra- che vervollkommnen, und mit neuen Wörtern und ganzen Säzen, die von ihnen aus allmählig in die populare Sprach übergehen, bereichern, vorzüglich verdienen geschäzt und mit großem Eyfer betrieben zu werden.
Redner.
Die Griechen und Römer, die in allem, was zu den schönen Künsten gehört, unsre Lehrmeister sind, scheinen dem Redner den ersten Rang unter den Künstlern gegeben zu haben. Nur Homer allein, wurd als Lehrer und Muster aller Künstler, außer allen Rang und ohne Vergleichung, immer obenan gesezt; nicht weil er ein epischer Dichter, sondern, weil er Homer, das Muster aller Genien war. (++) Wenn man bedenkt, was für Kräfte des Geistes, was für Gaben, Kenntnisse und erworbene Fertigkeit zu einem vollkommenen Redner erfodert werden, so scheinet es, daß bey ihm mehr seltene Fähigkeiten zusammentreffen, als bey irgend einem andern Künst- ler. Eben darin glaubte Cicero den Grund der so großen Seltenheit vollkommener Redner gefunden zu haben (*), und er sagte einmal öffentlich, als eine bekannte unzweifelhafte Wahrheit, es gebe in einem Staate nur zweyerley vorzüglich wichtige Arten gros- ser Männer, nämlich Feldherren und Redner. (+++)
Mehr, als irgend einem andern Künstler ist ihm ein durchdringender Verstand nöthig, um in allem, was die Menschen am meisten intereßirt, das Wahre,
Wich-
(+) Jn der Sammlung meiner aus dem französischen übersezten academischen Abhandlungen; an zwey Orten, nämlich in der Zergliederung des Begriffes der Vernunft auf der 278 u. s. f. S. und in der Untersuchung über den wechselseitigen Einflus den Vernunft und Sprach auf ein- ander haben.
(++)[Spaltenumbruch] Aus einer Stelle in Lucians Lob des Demosthenes, wo einem Dichter eine kurze Vergleichung zwischen Homer [Spaltenumbruch]
und Demosthenes in den Mund gelegt wird, möchte man muthmaßen, daß Lucian dem Dichter den Redner wenig- stens an die Seite gesezet, wo nicht gar ihm vorgezogen. Aber er scheuhete sich, die Sache gerade heraus zu sagen.
(*) Die Stelle ist Art. Rede angeführt worden.
(+++)Duae sunt Artes, quae possunt locare homines in amplissimo gradu dignitatis: una imperatoris, altera, Ora- toris boni. Orat. pro L. Muraena. c. 14.
[Spaltenumbruch]
Red
ſehr großen Wichtigkeit. Die Rede haͤngt mit der Vernunft ſelbſt ſo genau zuſammen, daß die Ver- vollkomnung der erſtern zugleich auch die andere betrift. Ein Ausdruk der uns einen Begriff, oder eine Wahrheit, mit vorzuͤglicher Klarheit, Staͤrke oder mit großem Nachdruk erkennen laͤßt, iſt allemal fuͤr eine nuͤzliche Erfindung, nicht eben eines neuen Begriffes, oder einer neuen Wahrheit, aber eines neuen Jnſtruments zur Vervollkommnung der Ver- nunft.
Alle Bemuͤhungen der Philoſophen, und derer, die ſich auf Entdekungen ſpeculativer Wahrheiten legen, muͤſſen, wenn ſie dem menſchlichen Geſchlechte wahrhaftig nuͤzlich ſeyn ſollen, auf populare Vor- ſtellungen gebracht, das iſt auf eine leichte, ſinnliche und dem Gedaͤchtnis leicht inhaftende Art ausge- drukt werden koͤnnen. Je vollkommener zu dieſer Abſicht die Sprach eines Volkes iſt, je mehr wahre Kenntnis und Vernunft beſizet es auch. Die Na- tion der Huronen kann im Grunde ſo viel Genie, ſo viel Faͤhigkeit des Geiſtes haben, als irgend eine der erleuchteſten Nationen von Europa; aber ſo lange ſie eine arme unausgebildete Sprache hat, blei- bet auch der groͤßte Geiſt unter dieſem Volke, weit unter einem mittelmaͤßigen Kopf, der eine wolaus- gebildete Sprache beſizet.
Man muß die Redner, Geſchichtſchreiber und Dichter, als Mittelsperſonen zwiſchen den ſpekula- tiven großen Philoſophen und dem Volk anſehen, welche die wichtigſten Begriffe und tiefeſten Wahr- heiten der Vernunft in die gemeine Sprach uͤber- ſezen. Tacitus iſt freylich in ſeinem Vortrag nicht popular; aber wenn wir zum Beyſpiehl ſezen, daß auch ein von ſpeculativen Wiſſenſchaften entfernter Menſch, ſich mit dem Vortrag dieſes Geſchichtſchrei- ders voͤllig bekannt gemacht haͤtte, ſo muͤſſen wir ge- ſtehen, daß er nun auch uͤberaus feine Kenntniſſe ſittlicher Dinge beſizen wuͤrde, die nur der große Philoſoph zu entdeken, und deren popularen Aus- [Spaltenumbruch]
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druk zu erfinden nur ein großer Redner in Stande geweſen.
Eine genaue Ausfuͤhrung dieſer Sache moͤchte hier zu ſchweerfaͤllig und auch zu weitlaͤuftig wer- den: darum begnuͤge ich mich eine Wahrheit, die ich ſchon anderswo in ihren eigentlichen philoſophiſchen Geſichtspunkt geſezt habe, (†) hier blos anzuzeigen, und den wichtigen Schluß daraus zu ziehen, daß die redenden Kuͤnſte, wenn wir auch ihren unmittelba- ren Nuzen beyſeite ſezen, nur in ſo fern ſie die Spra- che vervollkommnen, und mit neuen Woͤrtern und ganzen Saͤzen, die von ihnen aus allmaͤhlig in die populare Sprach uͤbergehen, bereichern, vorzuͤglich verdienen geſchaͤzt und mit großem Eyfer betrieben zu werden.
Redner.
Die Griechen und Roͤmer, die in allem, was zu den ſchoͤnen Kuͤnſten gehoͤrt, unſre Lehrmeiſter ſind, ſcheinen dem Redner den erſten Rang unter den Kuͤnſtlern gegeben zu haben. Nur Homer allein, wurd als Lehrer und Muſter aller Kuͤnſtler, außer allen Rang und ohne Vergleichung, immer obenan geſezt; nicht weil er ein epiſcher Dichter, ſondern, weil er Homer, das Muſter aller Genien war. (††) Wenn man bedenkt, was fuͤr Kraͤfte des Geiſtes, was fuͤr Gaben, Kenntniſſe und erworbene Fertigkeit zu einem vollkommenen Redner erfodert werden, ſo ſcheinet es, daß bey ihm mehr ſeltene Faͤhigkeiten zuſammentreffen, als bey irgend einem andern Kuͤnſt- ler. Eben darin glaubte Cicero den Grund der ſo großen Seltenheit vollkommener Redner gefunden zu haben (*), und er ſagte einmal oͤffentlich, als eine bekannte unzweifelhafte Wahrheit, es gebe in einem Staate nur zweyerley vorzuͤglich wichtige Arten groſ- ſer Maͤnner, naͤmlich Feldherren und Redner. (†††)
Mehr, als irgend einem andern Kuͤnſtler iſt ihm ein durchdringender Verſtand noͤthig, um in allem, was die Menſchen am meiſten intereßirt, das Wahre,
Wich-
(†) Jn der Sammlung meiner aus dem franzoͤſiſchen uͤberſezten academiſchen Abhandlungen; an zwey Orten, naͤmlich in der Zergliederung des Begriffes der Vernunft auf der 278 u. ſ. f. S. und in der Unterſuchung uͤber den wechſelſeitigen Einflus den Vernunft und Sprach auf ein- ander haben.
(††)[Spaltenumbruch] Aus einer Stelle in Lucians Lob des Demoſthenes, wo einem Dichter eine kurze Vergleichung zwiſchen Homer [Spaltenumbruch]
und Demoſthenes in den Mund gelegt wird, moͤchte man muthmaßen, daß Lucian dem Dichter den Redner wenig- ſtens an die Seite geſezet, wo nicht gar ihm vorgezogen. Aber er ſcheuhete ſich, die Sache gerade heraus zu ſagen.
(*) Die Stelle iſt Art. Rede angefuͤhrt worden.
(†††)Duæ ſunt Artes, quæ poſſunt locare homines in ampliſſimo gradu dignitatis: una imperatoris, altera, Ora- toris boni. Orat. pro L. Muræna. c. 14.
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[964[946]/0393]
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ſehr großen Wichtigkeit. Die Rede haͤngt mit der
Vernunft ſelbſt ſo genau zuſammen, daß die Ver-
vollkomnung der erſtern zugleich auch die andere
betrift. Ein Ausdruk der uns einen Begriff, oder
eine Wahrheit, mit vorzuͤglicher Klarheit, Staͤrke
oder mit großem Nachdruk erkennen laͤßt, iſt allemal
fuͤr eine nuͤzliche Erfindung, nicht eben eines neuen
Begriffes, oder einer neuen Wahrheit, aber eines
neuen Jnſtruments zur Vervollkommnung der Ver-
nunft.
Alle Bemuͤhungen der Philoſophen, und derer,
die ſich auf Entdekungen ſpeculativer Wahrheiten
legen, muͤſſen, wenn ſie dem menſchlichen Geſchlechte
wahrhaftig nuͤzlich ſeyn ſollen, auf populare Vor-
ſtellungen gebracht, das iſt auf eine leichte, ſinnliche
und dem Gedaͤchtnis leicht inhaftende Art ausge-
drukt werden koͤnnen. Je vollkommener zu dieſer
Abſicht die Sprach eines Volkes iſt, je mehr wahre
Kenntnis und Vernunft beſizet es auch. Die Na-
tion der Huronen kann im Grunde ſo viel Genie,
ſo viel Faͤhigkeit des Geiſtes haben, als irgend eine
der erleuchteſten Nationen von Europa; aber ſo
lange ſie eine arme unausgebildete Sprache hat, blei-
bet auch der groͤßte Geiſt unter dieſem Volke, weit
unter einem mittelmaͤßigen Kopf, der eine wolaus-
gebildete Sprache beſizet.
Man muß die Redner, Geſchichtſchreiber und
Dichter, als Mittelsperſonen zwiſchen den ſpekula-
tiven großen Philoſophen und dem Volk anſehen,
welche die wichtigſten Begriffe und tiefeſten Wahr-
heiten der Vernunft in die gemeine Sprach uͤber-
ſezen. Tacitus iſt freylich in ſeinem Vortrag nicht
popular; aber wenn wir zum Beyſpiehl ſezen, daß
auch ein von ſpeculativen Wiſſenſchaften entfernter
Menſch, ſich mit dem Vortrag dieſes Geſchichtſchrei-
ders voͤllig bekannt gemacht haͤtte, ſo muͤſſen wir ge-
ſtehen, daß er nun auch uͤberaus feine Kenntniſſe
ſittlicher Dinge beſizen wuͤrde, die nur der große
Philoſoph zu entdeken, und deren popularen Aus-
druk zu erfinden nur ein großer Redner in Stande
geweſen.
Eine genaue Ausfuͤhrung dieſer Sache moͤchte
hier zu ſchweerfaͤllig und auch zu weitlaͤuftig wer-
den: darum begnuͤge ich mich eine Wahrheit, die ich
ſchon anderswo in ihren eigentlichen philoſophiſchen
Geſichtspunkt geſezt habe, (†) hier blos anzuzeigen,
und den wichtigen Schluß daraus zu ziehen, daß die
redenden Kuͤnſte, wenn wir auch ihren unmittelba-
ren Nuzen beyſeite ſezen, nur in ſo fern ſie die Spra-
che vervollkommnen, und mit neuen Woͤrtern und
ganzen Saͤzen, die von ihnen aus allmaͤhlig in die
populare Sprach uͤbergehen, bereichern, vorzuͤglich
verdienen geſchaͤzt und mit großem Eyfer betrieben
zu werden.
Redner.
Die Griechen und Roͤmer, die in allem, was zu
den ſchoͤnen Kuͤnſten gehoͤrt, unſre Lehrmeiſter ſind,
ſcheinen dem Redner den erſten Rang unter den
Kuͤnſtlern gegeben zu haben. Nur Homer allein,
wurd als Lehrer und Muſter aller Kuͤnſtler, außer
allen Rang und ohne Vergleichung, immer obenan
geſezt; nicht weil er ein epiſcher Dichter, ſondern,
weil er Homer, das Muſter aller Genien war. (††)
Wenn man bedenkt, was fuͤr Kraͤfte des Geiſtes,
was fuͤr Gaben, Kenntniſſe und erworbene Fertigkeit
zu einem vollkommenen Redner erfodert werden, ſo
ſcheinet es, daß bey ihm mehr ſeltene Faͤhigkeiten
zuſammentreffen, als bey irgend einem andern Kuͤnſt-
ler. Eben darin glaubte Cicero den Grund der ſo
großen Seltenheit vollkommener Redner gefunden
zu haben (*), und er ſagte einmal oͤffentlich, als eine
bekannte unzweifelhafte Wahrheit, es gebe in einem
Staate nur zweyerley vorzuͤglich wichtige Arten groſ-
ſer Maͤnner, naͤmlich Feldherren und Redner. (†††)
Mehr, als irgend einem andern Kuͤnſtler iſt ihm
ein durchdringender Verſtand noͤthig, um in allem,
was die Menſchen am meiſten intereßirt, das Wahre,
Wich-
(†) Jn der Sammlung meiner aus dem franzoͤſiſchen
uͤberſezten academiſchen Abhandlungen; an zwey Orten,
naͤmlich in der Zergliederung des Begriffes der Vernunft
auf der 278 u. ſ. f. S. und in der Unterſuchung uͤber den
wechſelſeitigen Einflus den Vernunft und Sprach auf ein-
ander haben.
(††)
Aus einer Stelle in Lucians Lob des Demoſthenes,
wo einem Dichter eine kurze Vergleichung zwiſchen Homer
und Demoſthenes in den Mund gelegt wird, moͤchte man
muthmaßen, daß Lucian dem Dichter den Redner wenig-
ſtens an die Seite geſezet, wo nicht gar ihm vorgezogen.
Aber er ſcheuhete ſich, die Sache gerade heraus zu ſagen.
(*) Die
Stelle iſt
Art. Rede
angefuͤhrt
worden.
(†††) Duæ ſunt Artes, quæ poſſunt locare homines in
ampliſſimo gradu dignitatis: una imperatoris, altera, Ora-
toris boni. Orat. pro L. Muræna. c. 14.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 964[946]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/393>, abgerufen am 22.02.2025.
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