Lasset uns zu den starken Seelen die dem Staats- enthustasmus unterworfen sind, die Männer zäh- len, die ihre Stärke zur Unterdrükung des Staates angewandt haben. Sylla, Cäsar, Catilina selbst mögen solche Seelen gehabt haben. Es giebt wi- zige Köpfe, die nur bey diesem berühmten Uebelthä- tern Stärke der Seele entdeken. Sie sehn bey Cicero nicht so viel davon, wie bey Augustus. Vol- taire selbst hat dem Cicero sie in geringerm Grade gegeben, als er sie wirklich hatte. Aber wie viele Universitätsgelehrte schäzen nicht den Redner, der gegen Catilina geschrieben hat, höher als den Helden, der das Vaterland gerettet hat? --
Jch finde hier nothwendig anzumerken, daß die Leidenschaft, wenn sie gleich bey wahrhaft starken Seelen bis zum Enthusiasmus gestiegen ist, sich nicht in schwindlichte Entzükungen ergießt, oder sich aus sich selbst verliert, in pectoribus cultae mentis ira considit, feras quidem mentes obsidet, eruditas praelabitur.
Kein Wunder, daß große Poeten sich nicht in den Sinn kommen lassen, in ihren tragischen Er- schütterungen diese erhabenen Tugenden, welche die Staaten vom Untergange retten, in die Gemüther zu werfen! Was kann der Tragiker thun, sich einem Volk gefällig zu machen, bey welchem die Männer nichts loben dürfen, was nicht zu dem Kleinmuth der Weiber hinabfällt? Man müßte zuerst selbst eine große Seele haben, um nicht zu diesen hinunter zu steigen, und nicht Stüke zu schreiben, die man in den Lebenstagen des Dichters bewundert. Wer will schreiben, was man erst lange nach unserm Tode bewundert? Das Parterre hat das Herz nur dazu biegsam, selbst zwischen den Scenen vom Atreus, Fleurettes zu leiden.
Wer für solche Nationen schreibt, hat die Spring- federn der Liebe, schlechterdings nöthig; und wir sehen, daß die Poeten sie brauchen, nicht nur die verliebten Triebe durch kindische Verfeinerungen und metaphysische Zergliederungen in tändelndes Nichts aufzulösen, sondern sie auf einen Grund der Ge- walthätigkeit und des Unsinns zu erhöhen, daß sie zu den größten Uebelthaten, und zu den größten Hel- denthaten führen. Sie lassen die Weiberleibe, und nicht die Vaterlandsliebe spielen, den Untergang von einem Staat abzuwenden, oder zu befördern. Der Staat ist immer die untergeordnete Angele- genheit.
[Spaltenumbruch]
Pol
Dialogen und Reden, in welchen berathschlaget, wiederleget, moralisirt wird, sind ihrem Parterre unausstehlich; dieses ist das Anstößigste was man im Euripides und im Sophokles findet. Jn Athen hatten Leute von allen Ständen und Lebensarten diese Tiraden mit angenehmen Nachdenken angehört, ohne Zweifel weil ihre Erziehung, ihre Staatsver- fassung mehr kühles Geblüte, mehr Ernst und ge- seztes Wesen in ihr Temperament gebracht hatte.
Wir müssen bekennen, daß Catos Tugenden nicht so beschaffen sind, daß sie sich einer weibischen Na- tion gefällig machen. Es fehlt ihnen an denen Grazien, welche dem Charakter und den Handlun- gen das Ansehn einer zwanglosen Leichtigkeit geben. Catos Tugenden sind durch die Erziehung und die Uebung nicht so tief in das Gemüth der Zuseher ein- gedrükt, daß die Leute sich in seinen Charakter ver- fezen, und sie für mehr als Kunst, für Geschenke der Natur ansehen könnten. Für heutige Seelen haben sie ein wiedriges zurükstoßendes Aussehen; sie sind aufgedunsen und übertrieben, ekigt und steif. Dieser Mann erfüllte die Pflichten gegen den Staat mit so viel Eifer, daß man ihn nicht zu dem Consu- lat erheben durfte, aus Furcht, er möchte diesem erhabenen Amte gar zu viel Gutes thun. Er sollte gewissen Grazien mehr geopfert haben, welche ihn gelehrt haben sollten, dem Laster sanfter und ehrer- biethiger zu begegnen. Ohne Zweifel wäre er mit Einer von Cäfars Grazien Consul geworden, und ausgelassene Begierden wären unter seinem Consulat so sicher gewesen, als unter Cäsars.
Polonoise. (Musik, Tanz.)
Ein kleines Tonstük, wonach in Pohlen der dortige Nationaltanz getanzt wird, das aber dort auch vielfältig in Concerten unter andern Tonstüken vor- kommt. Es ist in 3/4 Takt gesezt, und besteht aus zwey Theilen von 6, 8, 10 und mehr Takten, die beyde in der Haupttonart, die immer ein Durton ist, schließen. Man hat in Deutschland Tanzmelo- dien, unter dem Namen Polonoisen, deren Charak- ter von den eigentlichen Poloneifen, so wie sie in Pohlen gemacht und geliebt werden, völlig ver- schieden ist. Deswegen sie von den Pohlen gar nicht geachtet werden. Jch will den Charakter der wah- ren Polonoise, so wie er mir von einem geschikten
Vir-
[Spaltenumbruch]
Pol
Laſſet uns zu den ſtarken Seelen die dem Staats- enthuſtasmus unterworfen ſind, die Maͤnner zaͤh- len, die ihre Staͤrke zur Unterdruͤkung des Staates angewandt haben. Sylla, Caͤſar, Catilina ſelbſt moͤgen ſolche Seelen gehabt haben. Es giebt wi- zige Koͤpfe, die nur bey dieſem beruͤhmten Uebelthaͤ- tern Staͤrke der Seele entdeken. Sie ſehn bey Cicero nicht ſo viel davon, wie bey Auguſtus. Vol- taire ſelbſt hat dem Cicero ſie in geringerm Grade gegeben, als er ſie wirklich hatte. Aber wie viele Univerſitaͤtsgelehrte ſchaͤzen nicht den Redner, der gegen Catilina geſchrieben hat, hoͤher als den Helden, der das Vaterland gerettet hat? —
Jch finde hier nothwendig anzumerken, daß die Leidenſchaft, wenn ſie gleich bey wahrhaft ſtarken Seelen bis zum Enthuſiasmus geſtiegen iſt, ſich nicht in ſchwindlichte Entzuͤkungen ergießt, oder ſich aus ſich ſelbſt verliert, in pectoribus cultæ mentis ira conſidit, feras quidem mentes obſidet, eruditas prælabitur.
Kein Wunder, daß große Poeten ſich nicht in den Sinn kommen laſſen, in ihren tragiſchen Er- ſchuͤtterungen dieſe erhabenen Tugenden, welche die Staaten vom Untergange retten, in die Gemuͤther zu werfen! Was kann der Tragiker thun, ſich einem Volk gefaͤllig zu machen, bey welchem die Maͤnner nichts loben duͤrfen, was nicht zu dem Kleinmuth der Weiber hinabfaͤllt? Man muͤßte zuerſt ſelbſt eine große Seele haben, um nicht zu dieſen hinunter zu ſteigen, und nicht Stuͤke zu ſchreiben, die man in den Lebenstagen des Dichters bewundert. Wer will ſchreiben, was man erſt lange nach unſerm Tode bewundert? Das Parterre hat das Herz nur dazu biegſam, ſelbſt zwiſchen den Scenen vom Atreus, Fleurettes zu leiden.
Wer fuͤr ſolche Nationen ſchreibt, hat die Spring- federn der Liebe, ſchlechterdings noͤthig; und wir ſehen, daß die Poeten ſie brauchen, nicht nur die verliebten Triebe durch kindiſche Verfeinerungen und metaphyſiſche Zergliederungen in taͤndelndes Nichts aufzuloͤſen, ſondern ſie auf einen Grund der Ge- walthaͤtigkeit und des Unſinns zu erhoͤhen, daß ſie zu den groͤßten Uebelthaten, und zu den groͤßten Hel- denthaten fuͤhren. Sie laſſen die Weiberleibe, und nicht die Vaterlandsliebe ſpielen, den Untergang von einem Staat abzuwenden, oder zu befoͤrdern. Der Staat iſt immer die untergeordnete Angele- genheit.
[Spaltenumbruch]
Pol
Dialogen und Reden, in welchen berathſchlaget, wiederleget, moraliſirt wird, ſind ihrem Parterre unausſtehlich; dieſes iſt das Anſtoͤßigſte was man im Euripides und im Sophokles findet. Jn Athen hatten Leute von allen Staͤnden und Lebensarten dieſe Tiraden mit angenehmen Nachdenken angehoͤrt, ohne Zweifel weil ihre Erziehung, ihre Staatsver- faſſung mehr kuͤhles Gebluͤte, mehr Ernſt und ge- ſeztes Weſen in ihr Temperament gebracht hatte.
Wir muͤſſen bekennen, daß Catos Tugenden nicht ſo beſchaffen ſind, daß ſie ſich einer weibiſchen Na- tion gefaͤllig machen. Es fehlt ihnen an denen Grazien, welche dem Charakter und den Handlun- gen das Anſehn einer zwangloſen Leichtigkeit geben. Catos Tugenden ſind durch die Erziehung und die Uebung nicht ſo tief in das Gemuͤth der Zuſeher ein- gedruͤkt, daß die Leute ſich in ſeinen Charakter ver- fezen, und ſie fuͤr mehr als Kunſt, fuͤr Geſchenke der Natur anſehen koͤnnten. Fuͤr heutige Seelen haben ſie ein wiedriges zuruͤkſtoßendes Ausſehen; ſie ſind aufgedunſen und uͤbertrieben, ekigt und ſteif. Dieſer Mann erfuͤllte die Pflichten gegen den Staat mit ſo viel Eifer, daß man ihn nicht zu dem Conſu- lat erheben durfte, aus Furcht, er moͤchte dieſem erhabenen Amte gar zu viel Gutes thun. Er ſollte gewiſſen Grazien mehr geopfert haben, welche ihn gelehrt haben ſollten, dem Laſter ſanfter und ehrer- biethiger zu begegnen. Ohne Zweifel waͤre er mit Einer von Caͤfars Grazien Conſul geworden, und ausgelaſſene Begierden waͤren unter ſeinem Conſulat ſo ſicher geweſen, als unter Caͤſars.
Polonoiſe. (Muſik, Tanz.)
Ein kleines Tonſtuͤk, wonach in Pohlen der dortige Nationaltanz getanzt wird, das aber dort auch vielfaͤltig in Concerten unter andern Tonſtuͤken vor- kommt. Es iſt in ¾ Takt geſezt, und beſteht aus zwey Theilen von 6, 8, 10 und mehr Takten, die beyde in der Haupttonart, die immer ein Durton iſt, ſchließen. Man hat in Deutſchland Tanzmelo- dien, unter dem Namen Polonoiſen, deren Charak- ter von den eigentlichen Poloneifen, ſo wie ſie in Pohlen gemacht und geliebt werden, voͤllig ver- ſchieden iſt. Deswegen ſie von den Pohlen gar nicht geachtet werden. Jch will den Charakter der wah- ren Polonoiſe, ſo wie er mir von einem geſchikten
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[916[898]/0334]
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Laſſet uns zu den ſtarken Seelen die dem Staats-
enthuſtasmus unterworfen ſind, die Maͤnner zaͤh-
len, die ihre Staͤrke zur Unterdruͤkung des Staates
angewandt haben. Sylla, Caͤſar, Catilina ſelbſt
moͤgen ſolche Seelen gehabt haben. Es giebt wi-
zige Koͤpfe, die nur bey dieſem beruͤhmten Uebelthaͤ-
tern Staͤrke der Seele entdeken. Sie ſehn bey
Cicero nicht ſo viel davon, wie bey Auguſtus. Vol-
taire ſelbſt hat dem Cicero ſie in geringerm Grade
gegeben, als er ſie wirklich hatte. Aber wie viele
Univerſitaͤtsgelehrte ſchaͤzen nicht den Redner, der
gegen Catilina geſchrieben hat, hoͤher als den Helden,
der das Vaterland gerettet hat? —
Jch finde hier nothwendig anzumerken, daß die
Leidenſchaft, wenn ſie gleich bey wahrhaft ſtarken
Seelen bis zum Enthuſiasmus geſtiegen iſt, ſich nicht
in ſchwindlichte Entzuͤkungen ergießt, oder ſich aus
ſich ſelbſt verliert, in pectoribus cultæ mentis ira
conſidit, feras quidem mentes obſidet, eruditas
prælabitur.
Kein Wunder, daß große Poeten ſich nicht in
den Sinn kommen laſſen, in ihren tragiſchen Er-
ſchuͤtterungen dieſe erhabenen Tugenden, welche die
Staaten vom Untergange retten, in die Gemuͤther
zu werfen! Was kann der Tragiker thun, ſich einem
Volk gefaͤllig zu machen, bey welchem die Maͤnner
nichts loben duͤrfen, was nicht zu dem Kleinmuth
der Weiber hinabfaͤllt? Man muͤßte zuerſt ſelbſt eine
große Seele haben, um nicht zu dieſen hinunter zu
ſteigen, und nicht Stuͤke zu ſchreiben, die man in
den Lebenstagen des Dichters bewundert. Wer will
ſchreiben, was man erſt lange nach unſerm Tode
bewundert? Das Parterre hat das Herz nur dazu
biegſam, ſelbſt zwiſchen den Scenen vom Atreus,
Fleurettes zu leiden.
Wer fuͤr ſolche Nationen ſchreibt, hat die Spring-
federn der Liebe, ſchlechterdings noͤthig; und wir
ſehen, daß die Poeten ſie brauchen, nicht nur die
verliebten Triebe durch kindiſche Verfeinerungen und
metaphyſiſche Zergliederungen in taͤndelndes Nichts
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walthaͤtigkeit und des Unſinns zu erhoͤhen, daß ſie
zu den groͤßten Uebelthaten, und zu den groͤßten Hel-
denthaten fuͤhren. Sie laſſen die Weiberleibe, und
nicht die Vaterlandsliebe ſpielen, den Untergang
von einem Staat abzuwenden, oder zu befoͤrdern.
Der Staat iſt immer die untergeordnete Angele-
genheit.
Dialogen und Reden, in welchen berathſchlaget,
wiederleget, moraliſirt wird, ſind ihrem Parterre
unausſtehlich; dieſes iſt das Anſtoͤßigſte was man
im Euripides und im Sophokles findet. Jn Athen
hatten Leute von allen Staͤnden und Lebensarten
dieſe Tiraden mit angenehmen Nachdenken angehoͤrt,
ohne Zweifel weil ihre Erziehung, ihre Staatsver-
faſſung mehr kuͤhles Gebluͤte, mehr Ernſt und ge-
ſeztes Weſen in ihr Temperament gebracht hatte.
Wir muͤſſen bekennen, daß Catos Tugenden nicht
ſo beſchaffen ſind, daß ſie ſich einer weibiſchen Na-
tion gefaͤllig machen. Es fehlt ihnen an denen
Grazien, welche dem Charakter und den Handlun-
gen das Anſehn einer zwangloſen Leichtigkeit geben.
Catos Tugenden ſind durch die Erziehung und die
Uebung nicht ſo tief in das Gemuͤth der Zuſeher ein-
gedruͤkt, daß die Leute ſich in ſeinen Charakter ver-
fezen, und ſie fuͤr mehr als Kunſt, fuͤr Geſchenke
der Natur anſehen koͤnnten. Fuͤr heutige Seelen
haben ſie ein wiedriges zuruͤkſtoßendes Ausſehen; ſie
ſind aufgedunſen und uͤbertrieben, ekigt und ſteif.
Dieſer Mann erfuͤllte die Pflichten gegen den Staat
mit ſo viel Eifer, daß man ihn nicht zu dem Conſu-
lat erheben durfte, aus Furcht, er moͤchte dieſem
erhabenen Amte gar zu viel Gutes thun. Er ſollte
gewiſſen Grazien mehr geopfert haben, welche ihn
gelehrt haben ſollten, dem Laſter ſanfter und ehrer-
biethiger zu begegnen. Ohne Zweifel waͤre er mit
Einer von Caͤfars Grazien Conſul geworden, und
ausgelaſſene Begierden waͤren unter ſeinem Conſulat
ſo ſicher geweſen, als unter Caͤſars.
Polonoiſe.
(Muſik, Tanz.)
Ein kleines Tonſtuͤk, wonach in Pohlen der dortige
Nationaltanz getanzt wird, das aber dort auch
vielfaͤltig in Concerten unter andern Tonſtuͤken vor-
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zwey Theilen von 6, 8, 10 und mehr Takten, die
beyde in der Haupttonart, die immer ein Durton
iſt, ſchließen. Man hat in Deutſchland Tanzmelo-
dien, unter dem Namen Polonoiſen, deren Charak-
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ſchieden iſt. Deswegen ſie von den Pohlen gar nicht
geachtet werden. Jch will den Charakter der wah-
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 916[898]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/334>, abgerufen am 26.11.2024.
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