Plan gemacht; der allemal anzeiget, was für Haupt- theile zu einem Werk erfodert werden, und in wel- cher Ordnung sie stehen müssen. Wenn dieses ge- funden worden, so kommt es hernach darauf an, je- den Theil so zu machen, wie er nach dem Plan seyn soll, und denn alle in der festgesezten Ordnung zu verbinden.
Also ist bey jedem Werke von bestimmtem End- zwek die Erfindung des Plans die Hauptsach, ohne welche das Werk seinen Zwek nicht erreichen kann. Jndessen zeiget der Plan nur, was zum Werke nö- thig sey, und es ist gar wol möglich, daß er sehr wol erfunden ist, und doch gar nicht, oder schlecht ausgeführt wird; weil es dem Erfinder desselben, an der nöthigen Wissenschaft und Kunst fehlet, das was nöthig wäre, würklich darzustellen. Sowol in mechanischen, als in schönen Künsten ist es möglich, daß ein der Kunst unerfahrner die Haupttheile des Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann auch seyn, daß er die Anordnung derselben zu be- stimmen im Stand, und bey dem allen doch völlig untüchtig ist, diesen Plan auszuführen. So könnte der gemeineste Handwerksmann, der ein Haus will bauen lassen, gar wol Ueberlegung genug haben zu bestimmen, aus wie viel und aus was für Stüken das Haus bestehen sollte; denn er weiß, was er braucht; vielleicht aber würde er sie sehr ungeschikt anordnen. Und wenn er auch überhaupt noch eine gute Anordnung in Absicht auf die Bequämlichkeit anzugeben vermöchte; so könnte es leicht seyn, daß diese Anordnung dem Ganzen eine sehr unschikliche Form geben würde.
Hieraus läßt sich abnehmen, daß gewisse zum Plan gehörige Dinge außer der Kunst liegen, und durch richtige Beurtheilung auch von einem der Kunst völ- lig unerfahrnen, könnten bestimmt werden; hinge- gen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in der Kunst, abhangen. Wir müssen aber diese Be- trachtungen, besonders auf die Werke der schönen Kunst anwenden.
Zuerst scheinet dieses eine Untersuchung zu verdie- nen, ob jedes Werk des Geschmaks nothwendig nach einem Plan müsse gemacht seyn. Der Plan wird durch die Absicht bestimmt, und je genauer diese be- stimmt ist, je näher wird es auch der Plan. Nun giebt es Werke der Kunst, die keinen andern Zwek haben, als daß sie sollen angenehm in die Sinnen sallen, deren einziger Werth in der Form besteht. [Spaltenumbruch]
Pla
Eine Sonnate und viel andre kleine Tonstüke, eine Vase, die blos zur Ergözung des Auges irgend wo- hin gesezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben nichts materielles, das eine bestimmte Würkung thun sollte. Hier hat also kein andrer Plan statt, als der auf Schönheit abziehlet. Die Absicht ist erreicht, wenn ein solches Werk angenehm in die Sinnen fällt; sie sind im engesten Verstand Werke des Ge- schmaks, und blos des Geschmaks, an deren Ver- fertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in so fern sie außer dem Geschmak liegen, keinen An- theil haben.
Wie groß und weitläuftig ein solches Werk auch sey, so ist bey dessen Plan allein auf Schönheit zu sehen, alle Theile müssen ein wolgeordnetes Ganzes machen. Jn den Theilen muß Mannigfaltigkeit und gutes Verhältnis anzutreffen seyn; die kleinesten Theile müssen genau verbunden, und in größere Hauptglieder angeschlossen; alles muß wol gruppirt, und nach dem besten metrischen Ebenmaaße abgepaßt seyn. Jeder Fehler gegen diesen Plan ist in solchen Werken ein wesentlicher Fehler; weil er durch nichts ersezt wird. So müssen in der Musik alle Stüke, die keine Schilderungen der Empfindung enthalten, mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Har- monie und Melodie gearbeitet seyn, als Arien, oder Gesänge, welche die Sprache der Leidenschaften aus- drüken; der Tanz der nichts Pantomimisches hat, muß in jeder kleinen Bewegung weit strenger, als das pantomimische Ballet, nach allen Regeln der Kunst eingerichtet seyn. Jn Gemählden von wichtigem Jnhalt, übersiehet man kleinere Fehler gegen die vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das Colorit; aber in kleinen Stüken, deren Jnhalt nichts interessantes hat, muß alles vollkommen seyn.
Ganz anders verhält es sich mit Werken, deren Jnhalt schon für sich merkwürdig, oder wichtig ist. Der Plan der Schönheit, der in jenen Werken das einzige Wesentliche der ganzen Sach ist, kann hier als eine Nebensach angesehen werden. Doch kann man ihn auch nicht, wie selbst gute Kunstrichter seit einiger Zeit unter uns scheinen behaupten zu wol- len, ganz aus den Augen sezen; wo nicht ein Werk völlig aufhören soll ein Werk der schönen Kunst zu seyn. Es fängt izt beynahe an unter den deutschen Kunstrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen Kunstregeln mit Verachtung zu sprechen, und eben diese Kunstrichter sind sehr nahe daran den Wör-
tern
[Spaltenumbruch]
Pla
Plan gemacht; der allemal anzeiget, was fuͤr Haupt- theile zu einem Werk erfodert werden, und in wel- cher Ordnung ſie ſtehen muͤſſen. Wenn dieſes ge- funden worden, ſo kommt es hernach darauf an, je- den Theil ſo zu machen, wie er nach dem Plan ſeyn ſoll, und denn alle in der feſtgeſezten Ordnung zu verbinden.
Alſo iſt bey jedem Werke von beſtimmtem End- zwek die Erfindung des Plans die Hauptſach, ohne welche das Werk ſeinen Zwek nicht erreichen kann. Jndeſſen zeiget der Plan nur, was zum Werke noͤ- thig ſey, und es iſt gar wol moͤglich, daß er ſehr wol erfunden iſt, und doch gar nicht, oder ſchlecht ausgefuͤhrt wird; weil es dem Erfinder deſſelben, an der noͤthigen Wiſſenſchaft und Kunſt fehlet, das was noͤthig waͤre, wuͤrklich darzuſtellen. Sowol in mechaniſchen, als in ſchoͤnen Kuͤnſten iſt es moͤglich, daß ein der Kunſt unerfahrner die Haupttheile des Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann auch ſeyn, daß er die Anordnung derſelben zu be- ſtimmen im Stand, und bey dem allen doch voͤllig untuͤchtig iſt, dieſen Plan auszufuͤhren. So koͤnnte der gemeineſte Handwerksmann, der ein Haus will bauen laſſen, gar wol Ueberlegung genug haben zu beſtimmen, aus wie viel und aus was fuͤr Stuͤken das Haus beſtehen ſollte; denn er weiß, was er braucht; vielleicht aber wuͤrde er ſie ſehr ungeſchikt anordnen. Und wenn er auch uͤberhaupt noch eine gute Anordnung in Abſicht auf die Bequaͤmlichkeit anzugeben vermoͤchte; ſo koͤnnte es leicht ſeyn, daß dieſe Anordnung dem Ganzen eine ſehr unſchikliche Form geben wuͤrde.
Hieraus laͤßt ſich abnehmen, daß gewiſſe zum Plan gehoͤrige Dinge außer der Kunſt liegen, und durch richtige Beurtheilung auch von einem der Kunſt voͤl- lig unerfahrnen, koͤnnten beſtimmt werden; hinge- gen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in der Kunſt, abhangen. Wir muͤſſen aber dieſe Be- trachtungen, beſonders auf die Werke der ſchoͤnen Kunſt anwenden.
Zuerſt ſcheinet dieſes eine Unterſuchung zu verdie- nen, ob jedes Werk des Geſchmaks nothwendig nach einem Plan muͤſſe gemacht ſeyn. Der Plan wird durch die Abſicht beſtimmt, und je genauer dieſe be- ſtimmt iſt, je naͤher wird es auch der Plan. Nun giebt es Werke der Kunſt, die keinen andern Zwek haben, als daß ſie ſollen angenehm in die Sinnen ſallen, deren einziger Werth in der Form beſteht. [Spaltenumbruch]
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Eine Sonnate und viel andre kleine Tonſtuͤke, eine Vaſe, die blos zur Ergoͤzung des Auges irgend wo- hin geſezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben nichts materielles, das eine beſtimmte Wuͤrkung thun ſollte. Hier hat alſo kein andrer Plan ſtatt, als der auf Schoͤnheit abziehlet. Die Abſicht iſt erreicht, wenn ein ſolches Werk angenehm in die Sinnen faͤllt; ſie ſind im engeſten Verſtand Werke des Ge- ſchmaks, und blos des Geſchmaks, an deren Ver- fertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in ſo fern ſie außer dem Geſchmak liegen, keinen An- theil haben.
Wie groß und weitlaͤuftig ein ſolches Werk auch ſey, ſo iſt bey deſſen Plan allein auf Schoͤnheit zu ſehen, alle Theile muͤſſen ein wolgeordnetes Ganzes machen. Jn den Theilen muß Mannigfaltigkeit und gutes Verhaͤltnis anzutreffen ſeyn; die kleineſten Theile muͤſſen genau verbunden, und in groͤßere Hauptglieder angeſchloſſen; alles muß wol gruppirt, und nach dem beſten metriſchen Ebenmaaße abgepaßt ſeyn. Jeder Fehler gegen dieſen Plan iſt in ſolchen Werken ein weſentlicher Fehler; weil er durch nichts erſezt wird. So muͤſſen in der Muſik alle Stuͤke, die keine Schilderungen der Empfindung enthalten, mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Har- monie und Melodie gearbeitet ſeyn, als Arien, oder Geſaͤnge, welche die Sprache der Leidenſchaften aus- druͤken; der Tanz der nichts Pantomimiſches hat, muß in jeder kleinen Bewegung weit ſtrenger, als das pantomimiſche Ballet, nach allen Regeln der Kunſt eingerichtet ſeyn. Jn Gemaͤhlden von wichtigem Jnhalt, uͤberſiehet man kleinere Fehler gegen die vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das Colorit; aber in kleinen Stuͤken, deren Jnhalt nichts intereſſantes hat, muß alles vollkommen ſeyn.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit Werken, deren Jnhalt ſchon fuͤr ſich merkwuͤrdig, oder wichtig iſt. Der Plan der Schoͤnheit, der in jenen Werken das einzige Weſentliche der ganzen Sach iſt, kann hier als eine Nebenſach angeſehen werden. Doch kann man ihn auch nicht, wie ſelbſt gute Kunſtrichter ſeit einiger Zeit unter uns ſcheinen behaupten zu wol- len, ganz aus den Augen ſezen; wo nicht ein Werk voͤllig aufhoͤren ſoll ein Werk der ſchoͤnen Kunſt zu ſeyn. Es faͤngt izt beynahe an unter den deutſchen Kunſtrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen Kunſtregeln mit Verachtung zu ſprechen, und eben dieſe Kunſtrichter ſind ſehr nahe daran den Woͤr-
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[905[887]/0323]
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Plan gemacht; der allemal anzeiget, was fuͤr Haupt-
theile zu einem Werk erfodert werden, und in wel-
cher Ordnung ſie ſtehen muͤſſen. Wenn dieſes ge-
funden worden, ſo kommt es hernach darauf an, je-
den Theil ſo zu machen, wie er nach dem Plan ſeyn
ſoll, und denn alle in der feſtgeſezten Ordnung zu
verbinden.
Alſo iſt bey jedem Werke von beſtimmtem End-
zwek die Erfindung des Plans die Hauptſach, ohne
welche das Werk ſeinen Zwek nicht erreichen kann.
Jndeſſen zeiget der Plan nur, was zum Werke noͤ-
thig ſey, und es iſt gar wol moͤglich, daß er ſehr
wol erfunden iſt, und doch gar nicht, oder ſchlecht
ausgefuͤhrt wird; weil es dem Erfinder deſſelben,
an der noͤthigen Wiſſenſchaft und Kunſt fehlet, das
was noͤthig waͤre, wuͤrklich darzuſtellen. Sowol in
mechaniſchen, als in ſchoͤnen Kuͤnſten iſt es moͤglich,
daß ein der Kunſt unerfahrner die Haupttheile des
Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann
auch ſeyn, daß er die Anordnung derſelben zu be-
ſtimmen im Stand, und bey dem allen doch voͤllig
untuͤchtig iſt, dieſen Plan auszufuͤhren. So koͤnnte
der gemeineſte Handwerksmann, der ein Haus will
bauen laſſen, gar wol Ueberlegung genug haben zu
beſtimmen, aus wie viel und aus was fuͤr Stuͤken
das Haus beſtehen ſollte; denn er weiß, was er
braucht; vielleicht aber wuͤrde er ſie ſehr ungeſchikt
anordnen. Und wenn er auch uͤberhaupt noch eine
gute Anordnung in Abſicht auf die Bequaͤmlichkeit
anzugeben vermoͤchte; ſo koͤnnte es leicht ſeyn, daß
dieſe Anordnung dem Ganzen eine ſehr unſchikliche
Form geben wuͤrde.
Hieraus laͤßt ſich abnehmen, daß gewiſſe zum Plan
gehoͤrige Dinge außer der Kunſt liegen, und durch
richtige Beurtheilung auch von einem der Kunſt voͤl-
lig unerfahrnen, koͤnnten beſtimmt werden; hinge-
gen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in
der Kunſt, abhangen. Wir muͤſſen aber dieſe Be-
trachtungen, beſonders auf die Werke der ſchoͤnen
Kunſt anwenden.
Zuerſt ſcheinet dieſes eine Unterſuchung zu verdie-
nen, ob jedes Werk des Geſchmaks nothwendig nach
einem Plan muͤſſe gemacht ſeyn. Der Plan wird
durch die Abſicht beſtimmt, und je genauer dieſe be-
ſtimmt iſt, je naͤher wird es auch der Plan. Nun
giebt es Werke der Kunſt, die keinen andern Zwek
haben, als daß ſie ſollen angenehm in die Sinnen
ſallen, deren einziger Werth in der Form beſteht.
Eine Sonnate und viel andre kleine Tonſtuͤke, eine
Vaſe, die blos zur Ergoͤzung des Auges irgend wo-
hin geſezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben
nichts materielles, das eine beſtimmte Wuͤrkung thun
ſollte. Hier hat alſo kein andrer Plan ſtatt, als
der auf Schoͤnheit abziehlet. Die Abſicht iſt erreicht,
wenn ein ſolches Werk angenehm in die Sinnen
faͤllt; ſie ſind im engeſten Verſtand Werke des Ge-
ſchmaks, und blos des Geſchmaks, an deren Ver-
fertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in
ſo fern ſie außer dem Geſchmak liegen, keinen An-
theil haben.
Wie groß und weitlaͤuftig ein ſolches Werk auch
ſey, ſo iſt bey deſſen Plan allein auf Schoͤnheit zu
ſehen, alle Theile muͤſſen ein wolgeordnetes Ganzes
machen. Jn den Theilen muß Mannigfaltigkeit
und gutes Verhaͤltnis anzutreffen ſeyn; die kleineſten
Theile muͤſſen genau verbunden, und in groͤßere
Hauptglieder angeſchloſſen; alles muß wol gruppirt,
und nach dem beſten metriſchen Ebenmaaße abgepaßt
ſeyn. Jeder Fehler gegen dieſen Plan iſt in ſolchen
Werken ein weſentlicher Fehler; weil er durch nichts
erſezt wird. So muͤſſen in der Muſik alle Stuͤke,
die keine Schilderungen der Empfindung enthalten,
mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Har-
monie und Melodie gearbeitet ſeyn, als Arien, oder
Geſaͤnge, welche die Sprache der Leidenſchaften aus-
druͤken; der Tanz der nichts Pantomimiſches hat, muß
in jeder kleinen Bewegung weit ſtrenger, als das
pantomimiſche Ballet, nach allen Regeln der Kunſt
eingerichtet ſeyn. Jn Gemaͤhlden von wichtigem
Jnhalt, uͤberſiehet man kleinere Fehler gegen die
vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das
Colorit; aber in kleinen Stuͤken, deren Jnhalt nichts
intereſſantes hat, muß alles vollkommen ſeyn.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit Werken, deren
Jnhalt ſchon fuͤr ſich merkwuͤrdig, oder wichtig iſt.
Der Plan der Schoͤnheit, der in jenen Werken das
einzige Weſentliche der ganzen Sach iſt, kann hier
als eine Nebenſach angeſehen werden. Doch kann
man ihn auch nicht, wie ſelbſt gute Kunſtrichter
ſeit einiger Zeit unter uns ſcheinen behaupten zu wol-
len, ganz aus den Augen ſezen; wo nicht ein Werk
voͤllig aufhoͤren ſoll ein Werk der ſchoͤnen Kunſt zu
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Kunſtrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen
Kunſtregeln mit Verachtung zu ſprechen, und eben
dieſe Kunſtrichter ſind ſehr nahe daran den Woͤr-
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 905[887]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/323>, abgerufen am 27.11.2024.
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