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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Kle
Drama haben sollte, dadurch völlig gehemmet
wird. Einige Schauspieler scheinen zu glauben,
daß in dramatischen Stücken von einiger Würde,
die Personen nie anders, als in gewissem Staat er-
scheinen können. Jn der That ist es ein zarter
Punkt, das völlig Natürliche mit einiger Würde zu
verbinden. Wir wollen auch nicht sagen, daß man
auf der Bühne jemand so natürlich im Bette liegen
lasse, wie er es etwa in seiner Schlafkammer ge-
wohnt ist. Aber auch die allergewöhnlichste Haus-
kleidung kann mit Anständigkeit und Würde ver-
bunden seyn; wenn nur der, der diese Sachen an-
giebt ein Mann von Nachdenken ist und einige
Kenntnis der Welt hat.

Zu dem Schiklichen können wir auch das rechnen,
was von dem Ueblichen charakteristisch ist. Darauf
hat der Künstler vorzüglich Acht zu geben. Der
Mahler ist ofte in Verlegenheit seine Personen be-
stimmt zu bezeichnen; und da kommt ihm das cha-
rakteristische der Kleidung sehr zu statten. Es giebt
ganze Kleider, einzele Theile, so gar Farbe des Ge-
wandes, besondere Arten des Schmuks, die völlig
charakteristisch sind, und sogleich den Stand, oder
die Würde, oder eine ganz besondere Verhältnis
derselben, oder eine ganze Handlung genau bezeich-
nen. Diese muß der Künstler, aus der alten und
neuen Geschicht und von mehrern Nationen kennen.
Aber dieses schlägt schon in das Uebliche ein. (*)

Dem zeichnenden Künstler empfehlen wir zum
fernern Nachdenken über diese Materie ein aufmerk-
sames Lesen, dessen, was der Herr von Hagedorn
über diese Materie mit großer Gründlichkeit ange-
merkt hat. (*) Von der besondern Behandlung der
Kleidung, und der Kunst sie gut zu legen und zu
falten ist in einen besondern Artikel gesprochen
worden. (**)

Klein.
(Schöne Künste.)

Man hat in der Theorie der schönen Künste zwey
Arten des Kleinen zu betrachten, die eine ist ihrem
Zwek zuwider und verwerflich; die andre ist ange-
nehm und gehört zu dem guten ästhetischen Stoff.
Jene entsteht aus Mangel und Unvollkommenheit;
diese hat nichts mangelhaftes.

Das verwerfliche Kleine findet sich bey Künstlern,
denen es entweder an Verstand, oder an Empfin-
dung fehlet. Aus Mangel des Verstandes kommen
[Spaltenumbruch]

Kle
geringschätzige, jedem, auch nur halbklugen Men-
schen, einfallende Gedanken und Betrachtungen;
subtile Spitzfündigkeiten, sophistische Urtheile und
Witz der in bloßen Wortspielen liegt. Dahin gehö-
ren auch alle übertriebene Metaphern, alle mühesa-
men und doch nichtsbedeutenden Gemählde, und die
ängstliche Ausbildung kleiner Umstände, alle difficiles
nugae.
Aus Mangel der Empfindung und aus
einem kleinen, kindischen, furchtsamen, oder phan-
tastischen und ausschweiffenden Herzen kommen kin-
dische Bewundrung nichtsbedeutender Dinge, nie-
drige Schmeicheleyen, List, der alles durch Um-
wege sucht und sich nie getraut gerade zu urtheilen,
oder zu handeln, Prahlereyen, übertriebene Affekte
sowol in dem Künstler, als in den von ihm ein-
geführten Personen. Es wäre sehr leicht aus dem
Ovidius und aus dem Seneka, Beyspiele fast jeder
Art dieses Kleinen anzuführen, und auch aus ein-
heimischen Schriftstellern könnte hiezu ein beträcht-
licher Beytrag geliefert werden.

Schon aus dem, was von den Quellen des Kleinen
angemerkt worden ist, erhellet, wie es zu vermeiden
sey. Der Künstler muß seinen Verstand und sein
Herz zum Großen bilden. An mehrern Stellen
dieses Werks ist schon erinnert worden, daß zu ei-
nem guten Künstler mehr, als nur das eigentliche
Kunstgenie erfodert werde; nämlich Verstand und
Größe des Herzens. Wiewol nun die Natur hiezu
das beste thut; so müssen doch noch Erfahrung und
Uebung dazu kommen. Um also das Kleine zu ver-
meiden, muß der Künstler sich aus der Sphäre
der Menschen bey denen noch Unwissenheit, Vor-
urtheile und die gemeinesten Schwachheiten herr-
schen, in eine höhere Sphäre empor schwingen; er
muß genaue Bekanntschaft mit dem Menschen ha-
ben, die durch Vernunft und große Gesinnungen
weit über dem niedrigen Kreis des großen Haufens,
gleichsam in einer reinern Luft leben.

Schon in früher Jugend sollte der künftige Künst-
ler mit den Hülfsmitteln bekannt werden, wodurch
er zu einer gründlichen Kenntnis der Welt und der
Menschen alter und neuer Zeiten gelangen kann.
Durch einen fleißigen Gebrauch dieser Hülfsmittel
muß er sich eine genaue Bekanntschaft mit den
größten und besten Menschen aller Zeiten erwerben.
Die Geschichte der Völker und die Beobachtung sei-
nes Zeitalters muß ihn lehren, was in dem Genie
und Charakter der Menschen klein, oder groß ist.

Da-
(*) S.
Ueblich.
(*) Be-
trachtung.
über die
Mahlerey.
II Buch
1 Absch.
im 16 und
17 Cap.
(**) S.
Gewand.

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Kle
Drama haben ſollte, dadurch voͤllig gehemmet
wird. Einige Schauſpieler ſcheinen zu glauben,
daß in dramatiſchen Stuͤcken von einiger Wuͤrde,
die Perſonen nie anders, als in gewiſſem Staat er-
ſcheinen koͤnnen. Jn der That iſt es ein zarter
Punkt, das voͤllig Natuͤrliche mit einiger Wuͤrde zu
verbinden. Wir wollen auch nicht ſagen, daß man
auf der Buͤhne jemand ſo natuͤrlich im Bette liegen
laſſe, wie er es etwa in ſeiner Schlafkammer ge-
wohnt iſt. Aber auch die allergewoͤhnlichſte Haus-
kleidung kann mit Anſtaͤndigkeit und Wuͤrde ver-
bunden ſeyn; wenn nur der, der dieſe Sachen an-
giebt ein Mann von Nachdenken iſt und einige
Kenntnis der Welt hat.

Zu dem Schiklichen koͤnnen wir auch das rechnen,
was von dem Ueblichen charakteriſtiſch iſt. Darauf
hat der Kuͤnſtler vorzuͤglich Acht zu geben. Der
Mahler iſt ofte in Verlegenheit ſeine Perſonen be-
ſtimmt zu bezeichnen; und da kommt ihm das cha-
rakteriſtiſche der Kleidung ſehr zu ſtatten. Es giebt
ganze Kleider, einzele Theile, ſo gar Farbe des Ge-
wandes, beſondere Arten des Schmuks, die voͤllig
charakteriſtiſch ſind, und ſogleich den Stand, oder
die Wuͤrde, oder eine ganz beſondere Verhaͤltnis
derſelben, oder eine ganze Handlung genau bezeich-
nen. Dieſe muß der Kuͤnſtler, aus der alten und
neuen Geſchicht und von mehrern Nationen kennen.
Aber dieſes ſchlaͤgt ſchon in das Uebliche ein. (*)

Dem zeichnenden Kuͤnſtler empfehlen wir zum
fernern Nachdenken uͤber dieſe Materie ein aufmerk-
ſames Leſen, deſſen, was der Herr von Hagedorn
uͤber dieſe Materie mit großer Gruͤndlichkeit ange-
merkt hat. (*) Von der beſondern Behandlung der
Kleidung, und der Kunſt ſie gut zu legen und zu
falten iſt in einen beſondern Artikel geſprochen
worden. (**)

Klein.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Man hat in der Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte zwey
Arten des Kleinen zu betrachten, die eine iſt ihrem
Zwek zuwider und verwerflich; die andre iſt ange-
nehm und gehoͤrt zu dem guten aͤſthetiſchen Stoff.
Jene entſteht aus Mangel und Unvollkommenheit;
dieſe hat nichts mangelhaftes.

Das verwerfliche Kleine findet ſich bey Kuͤnſtlern,
denen es entweder an Verſtand, oder an Empfin-
dung fehlet. Aus Mangel des Verſtandes kommen
[Spaltenumbruch]

Kle
geringſchaͤtzige, jedem, auch nur halbklugen Men-
ſchen, einfallende Gedanken und Betrachtungen;
ſubtile Spitzfuͤndigkeiten, ſophiſtiſche Urtheile und
Witz der in bloßen Wortſpielen liegt. Dahin gehoͤ-
ren auch alle uͤbertriebene Metaphern, alle muͤheſa-
men und doch nichtsbedeutenden Gemaͤhlde, und die
aͤngſtliche Ausbildung kleiner Umſtaͤnde, alle difficiles
nugæ.
Aus Mangel der Empfindung und aus
einem kleinen, kindiſchen, furchtſamen, oder phan-
taſtiſchen und ausſchweiffenden Herzen kommen kin-
diſche Bewundrung nichtsbedeutender Dinge, nie-
drige Schmeicheleyen, Liſt, der alles durch Um-
wege ſucht und ſich nie getraut gerade zu urtheilen,
oder zu handeln, Prahlereyen, uͤbertriebene Affekte
ſowol in dem Kuͤnſtler, als in den von ihm ein-
gefuͤhrten Perſonen. Es waͤre ſehr leicht aus dem
Ovidius und aus dem Seneka, Beyſpiele faſt jeder
Art dieſes Kleinen anzufuͤhren, und auch aus ein-
heimiſchen Schriftſtellern koͤnnte hiezu ein betraͤcht-
licher Beytrag geliefert werden.

Schon aus dem, was von den Quellen des Kleinen
angemerkt worden iſt, erhellet, wie es zu vermeiden
ſey. Der Kuͤnſtler muß ſeinen Verſtand und ſein
Herz zum Großen bilden. An mehrern Stellen
dieſes Werks iſt ſchon erinnert worden, daß zu ei-
nem guten Kuͤnſtler mehr, als nur das eigentliche
Kunſtgenie erfodert werde; naͤmlich Verſtand und
Groͤße des Herzens. Wiewol nun die Natur hiezu
das beſte thut; ſo muͤſſen doch noch Erfahrung und
Uebung dazu kommen. Um alſo das Kleine zu ver-
meiden, muß der Kuͤnſtler ſich aus der Sphaͤre
der Menſchen bey denen noch Unwiſſenheit, Vor-
urtheile und die gemeineſten Schwachheiten herr-
ſchen, in eine hoͤhere Sphaͤre empor ſchwingen; er
muß genaue Bekanntſchaft mit dem Menſchen ha-
ben, die durch Vernunft und große Geſinnungen
weit uͤber dem niedrigen Kreis des großen Haufens,
gleichſam in einer reinern Luft leben.

Schon in fruͤher Jugend ſollte der kuͤnftige Kuͤnſt-
ler mit den Huͤlfsmitteln bekannt werden, wodurch
er zu einer gruͤndlichen Kenntnis der Welt und der
Menſchen alter und neuer Zeiten gelangen kann.
Durch einen fleißigen Gebrauch dieſer Huͤlfsmittel
muß er ſich eine genaue Bekanntſchaft mit den
groͤßten und beſten Menſchen aller Zeiten erwerben.
Die Geſchichte der Voͤlker und die Beobachtung ſei-
nes Zeitalters muß ihn lehren, was in dem Genie
und Charakter der Menſchen klein, oder groß iſt.

Da-
(*) S.
Ueblich.
(*) Be-
trachtung.
uͤber die
Mahlerey.
II Buch
1 Abſch.
im 16 und
17 Cap.
(**) S.
Gewand.
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/29>, abgerufen am 22.12.2024.