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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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dazu von der alten Tragödie genommen haben. Die
Art, wie sie durch allmählige Veränderungen ent-
standen ist, die man mit einem ziemlich unförmlichen,
mit Musik und Tanz untermischten Schauspiehl,
das großen Herren zu Ehren, bey feyerlichen Gele-
genheiten gegeben wurd, vorgenommen hat, ist be-
kannt. Der Graf Algarotti hält die Daphne, die
Euridice und die Ariane, die Ottavio Rinucini im
Anfange des lezt verflossenen Jahrhunderts auf die
Schaubühne gebracht hat, für die ersten wahren
Operen, darin dramatische Handlung, künstliche
Vorstellungen verschiedener Scenen durch Maschi-
nen, Gesang und Tanz, zur Einheit der Vorstellung
verbunden worden. Denn in den vorher erwähn-
ten Lustbarkeiten, war noch keine solche Verbindung
der verschiedenen Theile, die dabey vorkamen. Eine
Zeitlang war die Oper blos eine Ergözlichkeit der
Höfe, bey besondern Feyerlichkeiten, als Vermäh-
lungen, Thronbesteigungen und freundschaftlichen
Besuchen großer Herren. Aber sie kam in Jtalien
bald in die Städte und unter das ganze Volk; weil
die ersten Unternehmer derselben merkten, daß dieses
Schauspiehl eine gute Gelegenheit Geld zu verdie-
nen, seyn würde. Und dazu wird sie noch gegen-
wärtig in den meisten großen Städten in Jtalien,
so wie die comische und tragische Schaubühne ge-
braucht.

Außer Welschland ist sie an sehr wenig Orten als
ein gewöhnliches dem ganzen Volke für Bezahlung
offenstehendes Schauspiehl eingeführt. Nur wenige
große Höfe haben Truppe Welscher Operisten in ih-
ren Diensten, und geben in den so genannten Winter-
lustbarkeiten, etliche Wochen vor der in der römisch
catholischen Kirche gebothenen Fastenzeit, einige Vor-
stellungen, zum bloßen Zeitvertreib. So lange die
Oper in dieser Erniedrigung bleibet, ist freylich nichts
Großes von ihr zu erwarten. Doch hat man ihr
auch in dieser knechtischen Gestalt die Anwendung
der Musik auf die Schilderungen aller Arten der Lei-
denschaften zu danken, woran man ohne die Oper
vermuthlich nicht würde gedacht haben.

Operetten. Comische Opern.

Wie die eigentliche Oper, davon der vorherge-
hende Artikel handelt, aus Vereinigung des Trauer-
spiehls mit der Musik entstanden, so hat die Musik
mit der Comödie vereiniget, die Operette hervorge-
bracht, die erst vor vierzig oder funfzig Jahren auf-
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gekommen ist, aber seit kurzem sich der deutschen
comischen Schaubühne so bemächtiget hat, daß
sie die eigentliche Comödie davon zu verdrängen
droht. Anfänglich war sie ein bloßes Possenspiehl
zum Lachen, wozu die Deutschen von dem italiäni-
schen Jntermezzo, und der Opera buffa, den Ein-
fall geborgt haben. Dabey waren Dichter und Ton-
sezer allein bemüht recht poßirlich zu seyn. Man
muß gestehen, daß die Musik, ob es gleich scheinet,
daß sie ihrer Natur nach nur zum fröhlichen oder
herzrührenden Ausdruk diene, überaus geschikt ist,
das Poßirliche zu verstärken und dem Lächerlichen
eine Schärfe zu geben, welche weder die Rede noch
die Gebehrden, noch der Tanz, zu erreichen vermö-
gen. Man wird in keiner Comödie, bey keinem
Ballet ein so lautes und allgemeines Lachen gehört
haben, als das ist, daß man im Jntermezzo und
in der Operette gar ofte hört.

Da das Lachen auch seinen guten Nuzen hat,
und in manchen Fällen, sowol der Gesundheit als
dem Gemüthe sehr zuträglich ist; so würde man
nicht wol thun, wenn man der Musik die Beförde-
rung desselben verbiethen wollte. Es giebt Tonkünst-
ler, die sehr gegen die comische Musik eingenommen
sind, und glauben, daß eine so erhabene Kunst da-
durch auf eine unanständige Weise erniedriget werde.
Aber sie bedenken nicht, daß eine dem Menschen,
nach den Absichten der Natur würklich nüzliche Sa-
che, nicht niedrig seyn könne; sie haben nicht beob-
achtet, daß die Natur selbst bisweilen unter Veran-
staltungen, die zu erhabenen Absichten dienen, Freud
und Lachen mischt.

Man muß demnach der comischen Musik ihren
Werth lassen, und nur darauf bedacht seyn, daß sie
nicht gar zu herrschend werde, und das der gute
Geschmak sie beständig begleite. Jch stimme gerne
mit ein, wenn man den Tonsezer, der seine Zuhörer
dadurch zum Lachen zu bringen sucht, daß er mit
seinen Jnstrumenten ein Eselsgeschrey nachahmt, aus
der Zunft stoßen will; aber, dem würde ich das
Wort reden, der durch einen wizigen und launigen
Contrast des Ernst- und Scherzhaften, durch würk-
lich naive Schilderung lächerlich durch einander lau-
fender Gemüthsbewegungen, mich lustig macht.

Seit kurzem hat man versucht die Operette, die
anfänglich blos comisch war, etwas zu veredeln,
und daraus entstehet izt allmählig ein ganz neues
musicalisches Drama, welches von gutem Werth

seyn
Zweyter Theil. N n n n n

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Ope
dazu von der alten Tragoͤdie genommen haben. Die
Art, wie ſie durch allmaͤhlige Veraͤnderungen ent-
ſtanden iſt, die man mit einem ziemlich unfoͤrmlichen,
mit Muſik und Tanz untermiſchten Schauſpiehl,
das großen Herren zu Ehren, bey feyerlichen Gele-
genheiten gegeben wurd, vorgenommen hat, iſt be-
kannt. Der Graf Algarotti haͤlt die Daphne, die
Euridice und die Ariane, die Ottavio Rinucini im
Anfange des lezt verfloſſenen Jahrhunderts auf die
Schaubuͤhne gebracht hat, fuͤr die erſten wahren
Operen, darin dramatiſche Handlung, kuͤnſtliche
Vorſtellungen verſchiedener Scenen durch Maſchi-
nen, Geſang und Tanz, zur Einheit der Vorſtellung
verbunden worden. Denn in den vorher erwaͤhn-
ten Luſtbarkeiten, war noch keine ſolche Verbindung
der verſchiedenen Theile, die dabey vorkamen. Eine
Zeitlang war die Oper blos eine Ergoͤzlichkeit der
Hoͤfe, bey beſondern Feyerlichkeiten, als Vermaͤh-
lungen, Thronbeſteigungen und freundſchaftlichen
Beſuchen großer Herren. Aber ſie kam in Jtalien
bald in die Staͤdte und unter das ganze Volk; weil
die erſten Unternehmer derſelben merkten, daß dieſes
Schauſpiehl eine gute Gelegenheit Geld zu verdie-
nen, ſeyn wuͤrde. Und dazu wird ſie noch gegen-
waͤrtig in den meiſten großen Staͤdten in Jtalien,
ſo wie die comiſche und tragiſche Schaubuͤhne ge-
braucht.

Außer Welſchland iſt ſie an ſehr wenig Orten als
ein gewoͤhnliches dem ganzen Volke fuͤr Bezahlung
offenſtehendes Schauſpiehl eingefuͤhrt. Nur wenige
große Hoͤfe haben Truppe Welſcher Operiſten in ih-
ren Dienſten, und geben in den ſo genannten Winter-
luſtbarkeiten, etliche Wochen vor der in der roͤmiſch
catholiſchen Kirche gebothenen Faſtenzeit, einige Vor-
ſtellungen, zum bloßen Zeitvertreib. So lange die
Oper in dieſer Erniedrigung bleibet, iſt freylich nichts
Großes von ihr zu erwarten. Doch hat man ihr
auch in dieſer knechtiſchen Geſtalt die Anwendung
der Muſik auf die Schilderungen aller Arten der Lei-
denſchaften zu danken, woran man ohne die Oper
vermuthlich nicht wuͤrde gedacht haben.

Operetten. Comiſche Opern.

Wie die eigentliche Oper, davon der vorherge-
hende Artikel handelt, aus Vereinigung des Trauer-
ſpiehls mit der Muſik entſtanden, ſo hat die Muſik
mit der Comoͤdie vereiniget, die Operette hervorge-
bracht, die erſt vor vierzig oder funfzig Jahren auf-
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Ope
gekommen iſt, aber ſeit kurzem ſich der deutſchen
comiſchen Schaubuͤhne ſo bemaͤchtiget hat, daß
ſie die eigentliche Comoͤdie davon zu verdraͤngen
droht. Anfaͤnglich war ſie ein bloßes Poſſenſpiehl
zum Lachen, wozu die Deutſchen von dem italiaͤni-
ſchen Jntermezzo, und der Opera buffa, den Ein-
fall geborgt haben. Dabey waren Dichter und Ton-
ſezer allein bemuͤht recht poßirlich zu ſeyn. Man
muß geſtehen, daß die Muſik, ob es gleich ſcheinet,
daß ſie ihrer Natur nach nur zum froͤhlichen oder
herzruͤhrenden Ausdruk diene, uͤberaus geſchikt iſt,
das Poßirliche zu verſtaͤrken und dem Laͤcherlichen
eine Schaͤrfe zu geben, welche weder die Rede noch
die Gebehrden, noch der Tanz, zu erreichen vermoͤ-
gen. Man wird in keiner Comoͤdie, bey keinem
Ballet ein ſo lautes und allgemeines Lachen gehoͤrt
haben, als das iſt, daß man im Jntermezzo und
in der Operette gar ofte hoͤrt.

Da das Lachen auch ſeinen guten Nuzen hat,
und in manchen Faͤllen, ſowol der Geſundheit als
dem Gemuͤthe ſehr zutraͤglich iſt; ſo wuͤrde man
nicht wol thun, wenn man der Muſik die Befoͤrde-
rung deſſelben verbiethen wollte. Es giebt Tonkuͤnſt-
ler, die ſehr gegen die comiſche Muſik eingenommen
ſind, und glauben, daß eine ſo erhabene Kunſt da-
durch auf eine unanſtaͤndige Weiſe erniedriget werde.
Aber ſie bedenken nicht, daß eine dem Menſchen,
nach den Abſichten der Natur wuͤrklich nuͤzliche Sa-
che, nicht niedrig ſeyn koͤnne; ſie haben nicht beob-
achtet, daß die Natur ſelbſt bisweilen unter Veran-
ſtaltungen, die zu erhabenen Abſichten dienen, Freud
und Lachen miſcht.

Man muß demnach der comiſchen Muſik ihren
Werth laſſen, und nur darauf bedacht ſeyn, daß ſie
nicht gar zu herrſchend werde, und das der gute
Geſchmak ſie beſtaͤndig begleite. Jch ſtimme gerne
mit ein, wenn man den Tonſezer, der ſeine Zuhoͤrer
dadurch zum Lachen zu bringen ſucht, daß er mit
ſeinen Jnſtrumenten ein Eſelsgeſchrey nachahmt, aus
der Zunft ſtoßen will; aber, dem wuͤrde ich das
Wort reden, der durch einen wizigen und launigen
Contraſt des Ernſt- und Scherzhaften, durch wuͤrk-
lich naive Schilderung laͤcherlich durch einander lau-
fender Gemuͤthsbewegungen, mich luſtig macht.

Seit kurzem hat man verſucht die Operette, die
anfaͤnglich blos comiſch war, etwas zu veredeln,
und daraus entſtehet izt allmaͤhlig ein ganz neues
muſicaliſches Drama, welches von gutem Werth

ſeyn
Zweyter Theil. N n n n n
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[851[833]/0268] Ope Ope dazu von der alten Tragoͤdie genommen haben. Die Art, wie ſie durch allmaͤhlige Veraͤnderungen ent- ſtanden iſt, die man mit einem ziemlich unfoͤrmlichen, mit Muſik und Tanz untermiſchten Schauſpiehl, das großen Herren zu Ehren, bey feyerlichen Gele- genheiten gegeben wurd, vorgenommen hat, iſt be- kannt. Der Graf Algarotti haͤlt die Daphne, die Euridice und die Ariane, die Ottavio Rinucini im Anfange des lezt verfloſſenen Jahrhunderts auf die Schaubuͤhne gebracht hat, fuͤr die erſten wahren Operen, darin dramatiſche Handlung, kuͤnſtliche Vorſtellungen verſchiedener Scenen durch Maſchi- nen, Geſang und Tanz, zur Einheit der Vorſtellung verbunden worden. Denn in den vorher erwaͤhn- ten Luſtbarkeiten, war noch keine ſolche Verbindung der verſchiedenen Theile, die dabey vorkamen. Eine Zeitlang war die Oper blos eine Ergoͤzlichkeit der Hoͤfe, bey beſondern Feyerlichkeiten, als Vermaͤh- lungen, Thronbeſteigungen und freundſchaftlichen Beſuchen großer Herren. Aber ſie kam in Jtalien bald in die Staͤdte und unter das ganze Volk; weil die erſten Unternehmer derſelben merkten, daß dieſes Schauſpiehl eine gute Gelegenheit Geld zu verdie- nen, ſeyn wuͤrde. Und dazu wird ſie noch gegen- waͤrtig in den meiſten großen Staͤdten in Jtalien, ſo wie die comiſche und tragiſche Schaubuͤhne ge- braucht. Außer Welſchland iſt ſie an ſehr wenig Orten als ein gewoͤhnliches dem ganzen Volke fuͤr Bezahlung offenſtehendes Schauſpiehl eingefuͤhrt. Nur wenige große Hoͤfe haben Truppe Welſcher Operiſten in ih- ren Dienſten, und geben in den ſo genannten Winter- luſtbarkeiten, etliche Wochen vor der in der roͤmiſch catholiſchen Kirche gebothenen Faſtenzeit, einige Vor- ſtellungen, zum bloßen Zeitvertreib. So lange die Oper in dieſer Erniedrigung bleibet, iſt freylich nichts Großes von ihr zu erwarten. Doch hat man ihr auch in dieſer knechtiſchen Geſtalt die Anwendung der Muſik auf die Schilderungen aller Arten der Lei- denſchaften zu danken, woran man ohne die Oper vermuthlich nicht wuͤrde gedacht haben. Operetten. Comiſche Opern. Wie die eigentliche Oper, davon der vorherge- hende Artikel handelt, aus Vereinigung des Trauer- ſpiehls mit der Muſik entſtanden, ſo hat die Muſik mit der Comoͤdie vereiniget, die Operette hervorge- bracht, die erſt vor vierzig oder funfzig Jahren auf- gekommen iſt, aber ſeit kurzem ſich der deutſchen comiſchen Schaubuͤhne ſo bemaͤchtiget hat, daß ſie die eigentliche Comoͤdie davon zu verdraͤngen droht. Anfaͤnglich war ſie ein bloßes Poſſenſpiehl zum Lachen, wozu die Deutſchen von dem italiaͤni- ſchen Jntermezzo, und der Opera buffa, den Ein- fall geborgt haben. Dabey waren Dichter und Ton- ſezer allein bemuͤht recht poßirlich zu ſeyn. Man muß geſtehen, daß die Muſik, ob es gleich ſcheinet, daß ſie ihrer Natur nach nur zum froͤhlichen oder herzruͤhrenden Ausdruk diene, uͤberaus geſchikt iſt, das Poßirliche zu verſtaͤrken und dem Laͤcherlichen eine Schaͤrfe zu geben, welche weder die Rede noch die Gebehrden, noch der Tanz, zu erreichen vermoͤ- gen. Man wird in keiner Comoͤdie, bey keinem Ballet ein ſo lautes und allgemeines Lachen gehoͤrt haben, als das iſt, daß man im Jntermezzo und in der Operette gar ofte hoͤrt. Da das Lachen auch ſeinen guten Nuzen hat, und in manchen Faͤllen, ſowol der Geſundheit als dem Gemuͤthe ſehr zutraͤglich iſt; ſo wuͤrde man nicht wol thun, wenn man der Muſik die Befoͤrde- rung deſſelben verbiethen wollte. Es giebt Tonkuͤnſt- ler, die ſehr gegen die comiſche Muſik eingenommen ſind, und glauben, daß eine ſo erhabene Kunſt da- durch auf eine unanſtaͤndige Weiſe erniedriget werde. Aber ſie bedenken nicht, daß eine dem Menſchen, nach den Abſichten der Natur wuͤrklich nuͤzliche Sa- che, nicht niedrig ſeyn koͤnne; ſie haben nicht beob- achtet, daß die Natur ſelbſt bisweilen unter Veran- ſtaltungen, die zu erhabenen Abſichten dienen, Freud und Lachen miſcht. Man muß demnach der comiſchen Muſik ihren Werth laſſen, und nur darauf bedacht ſeyn, daß ſie nicht gar zu herrſchend werde, und das der gute Geſchmak ſie beſtaͤndig begleite. Jch ſtimme gerne mit ein, wenn man den Tonſezer, der ſeine Zuhoͤrer dadurch zum Lachen zu bringen ſucht, daß er mit ſeinen Jnſtrumenten ein Eſelsgeſchrey nachahmt, aus der Zunft ſtoßen will; aber, dem wuͤrde ich das Wort reden, der durch einen wizigen und launigen Contraſt des Ernſt- und Scherzhaften, durch wuͤrk- lich naive Schilderung laͤcherlich durch einander lau- fender Gemuͤthsbewegungen, mich luſtig macht. Seit kurzem hat man verſucht die Operette, die anfaͤnglich blos comiſch war, etwas zu veredeln, und daraus entſtehet izt allmaͤhlig ein ganz neues muſicaliſches Drama, welches von gutem Werth ſeyn Zweyter Theil. N n n n n

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 851[833]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/268>, abgerufen am 28.11.2024.