zigen Zwek den sie haben kann, sind die Tonsezer, Sänger und Spiehler nicht zufrieden. Sie machen es wie die Gaukler, die die Hände zum Gehen, und die Füße zu Führung des Degens, oder andern Ver- richtungen der Hände brauchen, um den Pöbel in Erstaunen zu setzen. Es ist selten eine Oper wo der Tonsezer nicht Fleiß darauf wendet, sich in das Gebieth des Mahlers einzudrängen. Bald schildert er das Donnern und Blizen, bald das Stürmen der Winde, oder das Rieseln eines Baches, bald das Geklirre der Waffen, bald den Flug eines Vo- gels, oder andre natürliche Dinge, die mit den Em- pfindungen des Herzens keine Verbindung haben. Ohne Zweifel hat dieser verkehrte Geschmak des Ton- sezers die Dichter zu der Ungereimtheit verleitet in den Arien so sehr oste Vergleichungen mit Schiffern, mit Löwen und Tygern und dergleichen die Phan- tasie reizenden Dingen anzubringen.
Dazu kam noch allmählig beym Tonsezer, Sän- ger und Spiehler die kindische Begierde schweere, künstliche Sachen zu machen. Der Sänger wollte dem Pöbel einen außerordentlich langen Athem, eine ungewöhnliche Höhe und Tiefe der Stimme, eine kaum begreifliche Beugsamkeit und Schnelligkeit der Kehle und andre dergleichen Raritäten zeigen: auch der Spiehler machte seine Ansprüche auf Gelegenheit die Schnelligkeit seiner Finger, in blizenden Passa- gen und gewaltigen Sprüngen zu zeigen. Dazu mußte der Tonsezer ihm Gelegenheit geben. Daher entstehen die Mißgebuhrten von Passagen, Läufen und Cadenzen, die oft in affektvollen Arien alle Em- pfindung so plözlich auslöschen, als wenn man Was- ser auf glüende Kohlen göße. Daher die unleidliche Verbrähmung, wodurch ein sehr nachdrüklicher Ton, in eine reiche Gruppe feiner Tönchen so gut einge- saßt wird, daß man ihn kaum mehr vernehmen kann. Wer nur einigen Geschmak oder Empfindung hat, wird von dem lebhaftesten Unwillen getroffen, wenn er hört, daß ein Sänger anfängt in rühren- den Tönen eine zärtliche, oder schmerzhafte Ge- müthslag an den Tag zu legen, und dann plözlich schöne Raritäten auskramt. Anfänglich fühlt man sich von Mitleiden über sein Elend gerührt; aber kaum hat man angefangen die süße Empfindung mit ihm zu theilen, so sieht man ihn in einen Markt- schreyer verwandelt, der von der vorgegebenen Lei- denschaft nichts fühlt, sondern uns blos die raren Künste seiner Kehle zeigen will; und izt möchte man [Spaltenumbruch]
Ope
ihn mit Steinen von der Bühne wegjagen, daß er uns für so pöbelhaft hält, einen Gefallen an solchen Gaukeleyen zu haben.
Endlich muß man in so mancher Oper die meiste Zeit mit Anhörung sehr langweiliger, keine Spuhr von Empfindung verrathender Gesänge über nichts- bedeutende Texte zubringen. Denn es soll bald in jeder Scene eine Arie stehen. Da aber doch das Drama nicht durchaus in Aeußerungen der Empfin- dung besteht, so müßte der Dichter auch Befehle, Anschläge, Anmerkungen oder Einwendungen, in lyrischen Ton vortragen, und der Sezer mußte nothwendig Arien daraus machen, die dem Zuhörer unerträgliche Langeweile machen, oder, welches noch ärger ist, ihn mitten in einer ernsthaften Handlung, da er das Betragen, die Anschläge und Gedanken der darin verwikelten Personen beobachten möchte, an einen Ball erinnern. Denn diese auf nichtsbe- deutende Texte gesezte Gesänge, sind insgemein in dem Ton und Zeitmaaß einer Menuet, Polonoise oder eines andern Tanzes.
Zu allen diesen Ungereimtheiten kommt noch die einschläfernde Einförmigkeit der Form aller Arien. Erst ein Ritornell, denn fängt der Sänger an ein Stük der Arie vorzutragen; hält ein, damit die Jn- strumente ihre Geräusch machen können; denn fängt er aufs neu an; sagt uns dasselbe in einem andern Tone noch einmal; dann läßt er seine Künste in Pas- sagen, Läufen und Sprüngen sehen und so weiter. Es würde für eine Beleidigung der hohen Oper ge- halten werden, wenn irgendwo, auch da wo die Ge- legenheit dazu höchst natürlich wäre, ein rührendes, oder fröhliches Lied angebracht, oder wenn eine Arie ohne Wiederholungen und ohne künstliche Verbrä- mungen erscheinen sollte. Unfehlbar würde der Sänger dem sie zu Theil würde, sich dadurch für erniedriget halten. Und der Thor bedenkt nicht, daß in dem empfindungsvollen Vortrag des einfa- chesten Liedes, der höchste Werth seiner Kunst besteht.
Nun kommt das Unschikliche der äußerlichen Ver- anftaltungen, wodurch so manche Oper ein pöbel- haftes Schauspiehl wird. Da begeht man gleich- große Ungereimtheiten durch Ueberfluß und durch Mangel. Man will in jeder Oper wenigstens einige Scenen haben, die das Aug des Zuschauers betäu- ben, die Natur der Handlung lasse es zu oder nicht. Könige kommen ofte mit ihrer ganzen Leibwache ins
Audienz-
[Spaltenumbruch]
Ope
zigen Zwek den ſie haben kann, ſind die Tonſezer, Saͤnger und Spiehler nicht zufrieden. Sie machen es wie die Gaukler, die die Haͤnde zum Gehen, und die Fuͤße zu Fuͤhrung des Degens, oder andern Ver- richtungen der Haͤnde brauchen, um den Poͤbel in Erſtaunen zu ſetzen. Es iſt ſelten eine Oper wo der Tonſezer nicht Fleiß darauf wendet, ſich in das Gebieth des Mahlers einzudraͤngen. Bald ſchildert er das Donnern und Blizen, bald das Stuͤrmen der Winde, oder das Rieſeln eines Baches, bald das Geklirre der Waffen, bald den Flug eines Vo- gels, oder andre natuͤrliche Dinge, die mit den Em- pfindungen des Herzens keine Verbindung haben. Ohne Zweifel hat dieſer verkehrte Geſchmak des Ton- ſezers die Dichter zu der Ungereimtheit verleitet in den Arien ſo ſehr oſte Vergleichungen mit Schiffern, mit Loͤwen und Tygern und dergleichen die Phan- taſie reizenden Dingen anzubringen.
Dazu kam noch allmaͤhlig beym Tonſezer, Saͤn- ger und Spiehler die kindiſche Begierde ſchweere, kuͤnſtliche Sachen zu machen. Der Saͤnger wollte dem Poͤbel einen außerordentlich langen Athem, eine ungewoͤhnliche Hoͤhe und Tiefe der Stimme, eine kaum begreifliche Beugſamkeit und Schnelligkeit der Kehle und andre dergleichen Raritaͤten zeigen: auch der Spiehler machte ſeine Anſpruͤche auf Gelegenheit die Schnelligkeit ſeiner Finger, in blizenden Paſſa- gen und gewaltigen Spruͤngen zu zeigen. Dazu mußte der Tonſezer ihm Gelegenheit geben. Daher entſtehen die Mißgebuhrten von Paſſagen, Laͤufen und Cadenzen, die oft in affektvollen Arien alle Em- pfindung ſo ploͤzlich ausloͤſchen, als wenn man Waſ- ſer auf gluͤende Kohlen goͤße. Daher die unleidliche Verbraͤhmung, wodurch ein ſehr nachdruͤklicher Ton, in eine reiche Gruppe feiner Toͤnchen ſo gut einge- ſaßt wird, daß man ihn kaum mehr vernehmen kann. Wer nur einigen Geſchmak oder Empfindung hat, wird von dem lebhafteſten Unwillen getroffen, wenn er hoͤrt, daß ein Saͤnger anfaͤngt in ruͤhren- den Toͤnen eine zaͤrtliche, oder ſchmerzhafte Ge- muͤthslag an den Tag zu legen, und dann ploͤzlich ſchoͤne Raritaͤten auskramt. Anfaͤnglich fuͤhlt man ſich von Mitleiden uͤber ſein Elend geruͤhrt; aber kaum hat man angefangen die ſuͤße Empfindung mit ihm zu theilen, ſo ſieht man ihn in einen Markt- ſchreyer verwandelt, der von der vorgegebenen Lei- denſchaft nichts fuͤhlt, ſondern uns blos die raren Kuͤnſte ſeiner Kehle zeigen will; und izt moͤchte man [Spaltenumbruch]
Ope
ihn mit Steinen von der Buͤhne wegjagen, daß er uns fuͤr ſo poͤbelhaft haͤlt, einen Gefallen an ſolchen Gaukeleyen zu haben.
Endlich muß man in ſo mancher Oper die meiſte Zeit mit Anhoͤrung ſehr langweiliger, keine Spuhr von Empfindung verrathender Geſaͤnge uͤber nichts- bedeutende Texte zubringen. Denn es ſoll bald in jeder Scene eine Arie ſtehen. Da aber doch das Drama nicht durchaus in Aeußerungen der Empfin- dung beſteht, ſo muͤßte der Dichter auch Befehle, Anſchlaͤge, Anmerkungen oder Einwendungen, in lyriſchen Ton vortragen, und der Sezer mußte nothwendig Arien daraus machen, die dem Zuhoͤrer unertraͤgliche Langeweile machen, oder, welches noch aͤrger iſt, ihn mitten in einer ernſthaften Handlung, da er das Betragen, die Anſchlaͤge und Gedanken der darin verwikelten Perſonen beobachten moͤchte, an einen Ball erinnern. Denn dieſe auf nichtsbe- deutende Texte geſezte Geſaͤnge, ſind insgemein in dem Ton und Zeitmaaß einer Menuet, Polonoiſe oder eines andern Tanzes.
Zu allen dieſen Ungereimtheiten kommt noch die einſchlaͤfernde Einfoͤrmigkeit der Form aller Arien. Erſt ein Ritornell, denn faͤngt der Saͤnger an ein Stuͤk der Arie vorzutragen; haͤlt ein, damit die Jn- ſtrumente ihre Geraͤuſch machen koͤnnen; denn faͤngt er aufs neu an; ſagt uns daſſelbe in einem andern Tone noch einmal; dann laͤßt er ſeine Kuͤnſte in Paſ- ſagen, Laͤufen und Spruͤngen ſehen und ſo weiter. Es wuͤrde fuͤr eine Beleidigung der hohen Oper ge- halten werden, wenn irgendwo, auch da wo die Ge- legenheit dazu hoͤchſt natuͤrlich waͤre, ein ruͤhrendes, oder froͤhliches Lied angebracht, oder wenn eine Arie ohne Wiederholungen und ohne kuͤnſtliche Verbraͤ- mungen erſcheinen ſollte. Unfehlbar wuͤrde der Saͤnger dem ſie zu Theil wuͤrde, ſich dadurch fuͤr erniedriget halten. Und der Thor bedenkt nicht, daß in dem empfindungsvollen Vortrag des einfa- cheſten Liedes, der hoͤchſte Werth ſeiner Kunſt beſteht.
Nun kommt das Unſchikliche der aͤußerlichen Ver- anftaltungen, wodurch ſo manche Oper ein poͤbel- haftes Schauſpiehl wird. Da begeht man gleich- große Ungereimtheiten durch Ueberfluß und durch Mangel. Man will in jeder Oper wenigſtens einige Scenen haben, die das Aug des Zuſchauers betaͤu- ben, die Natur der Handlung laſſe es zu oder nicht. Koͤnige kommen ofte mit ihrer ganzen Leibwache ins
Audienz-
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[844[826]/0261]
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zigen Zwek den ſie haben kann, ſind die Tonſezer,
Saͤnger und Spiehler nicht zufrieden. Sie machen
es wie die Gaukler, die die Haͤnde zum Gehen, und
die Fuͤße zu Fuͤhrung des Degens, oder andern Ver-
richtungen der Haͤnde brauchen, um den Poͤbel in
Erſtaunen zu ſetzen. Es iſt ſelten eine Oper wo
der Tonſezer nicht Fleiß darauf wendet, ſich in das
Gebieth des Mahlers einzudraͤngen. Bald ſchildert
er das Donnern und Blizen, bald das Stuͤrmen
der Winde, oder das Rieſeln eines Baches, bald
das Geklirre der Waffen, bald den Flug eines Vo-
gels, oder andre natuͤrliche Dinge, die mit den Em-
pfindungen des Herzens keine Verbindung haben.
Ohne Zweifel hat dieſer verkehrte Geſchmak des Ton-
ſezers die Dichter zu der Ungereimtheit verleitet in
den Arien ſo ſehr oſte Vergleichungen mit Schiffern,
mit Loͤwen und Tygern und dergleichen die Phan-
taſie reizenden Dingen anzubringen.
Dazu kam noch allmaͤhlig beym Tonſezer, Saͤn-
ger und Spiehler die kindiſche Begierde ſchweere,
kuͤnſtliche Sachen zu machen. Der Saͤnger wollte
dem Poͤbel einen außerordentlich langen Athem, eine
ungewoͤhnliche Hoͤhe und Tiefe der Stimme, eine
kaum begreifliche Beugſamkeit und Schnelligkeit der
Kehle und andre dergleichen Raritaͤten zeigen: auch
der Spiehler machte ſeine Anſpruͤche auf Gelegenheit
die Schnelligkeit ſeiner Finger, in blizenden Paſſa-
gen und gewaltigen Spruͤngen zu zeigen. Dazu
mußte der Tonſezer ihm Gelegenheit geben. Daher
entſtehen die Mißgebuhrten von Paſſagen, Laͤufen
und Cadenzen, die oft in affektvollen Arien alle Em-
pfindung ſo ploͤzlich ausloͤſchen, als wenn man Waſ-
ſer auf gluͤende Kohlen goͤße. Daher die unleidliche
Verbraͤhmung, wodurch ein ſehr nachdruͤklicher Ton,
in eine reiche Gruppe feiner Toͤnchen ſo gut einge-
ſaßt wird, daß man ihn kaum mehr vernehmen
kann. Wer nur einigen Geſchmak oder Empfindung
hat, wird von dem lebhafteſten Unwillen getroffen,
wenn er hoͤrt, daß ein Saͤnger anfaͤngt in ruͤhren-
den Toͤnen eine zaͤrtliche, oder ſchmerzhafte Ge-
muͤthslag an den Tag zu legen, und dann ploͤzlich
ſchoͤne Raritaͤten auskramt. Anfaͤnglich fuͤhlt man
ſich von Mitleiden uͤber ſein Elend geruͤhrt; aber
kaum hat man angefangen die ſuͤße Empfindung mit
ihm zu theilen, ſo ſieht man ihn in einen Markt-
ſchreyer verwandelt, der von der vorgegebenen Lei-
denſchaft nichts fuͤhlt, ſondern uns blos die raren
Kuͤnſte ſeiner Kehle zeigen will; und izt moͤchte man
ihn mit Steinen von der Buͤhne wegjagen, daß er
uns fuͤr ſo poͤbelhaft haͤlt, einen Gefallen an ſolchen
Gaukeleyen zu haben.
Endlich muß man in ſo mancher Oper die meiſte
Zeit mit Anhoͤrung ſehr langweiliger, keine Spuhr
von Empfindung verrathender Geſaͤnge uͤber nichts-
bedeutende Texte zubringen. Denn es ſoll bald in
jeder Scene eine Arie ſtehen. Da aber doch das
Drama nicht durchaus in Aeußerungen der Empfin-
dung beſteht, ſo muͤßte der Dichter auch Befehle,
Anſchlaͤge, Anmerkungen oder Einwendungen, in
lyriſchen Ton vortragen, und der Sezer mußte
nothwendig Arien daraus machen, die dem Zuhoͤrer
unertraͤgliche Langeweile machen, oder, welches noch
aͤrger iſt, ihn mitten in einer ernſthaften Handlung,
da er das Betragen, die Anſchlaͤge und Gedanken
der darin verwikelten Perſonen beobachten moͤchte,
an einen Ball erinnern. Denn dieſe auf nichtsbe-
deutende Texte geſezte Geſaͤnge, ſind insgemein in
dem Ton und Zeitmaaß einer Menuet, Polonoiſe
oder eines andern Tanzes.
Zu allen dieſen Ungereimtheiten kommt noch die
einſchlaͤfernde Einfoͤrmigkeit der Form aller Arien.
Erſt ein Ritornell, denn faͤngt der Saͤnger an ein
Stuͤk der Arie vorzutragen; haͤlt ein, damit die Jn-
ſtrumente ihre Geraͤuſch machen koͤnnen; denn faͤngt
er aufs neu an; ſagt uns daſſelbe in einem andern
Tone noch einmal; dann laͤßt er ſeine Kuͤnſte in Paſ-
ſagen, Laͤufen und Spruͤngen ſehen und ſo weiter.
Es wuͤrde fuͤr eine Beleidigung der hohen Oper ge-
halten werden, wenn irgendwo, auch da wo die Ge-
legenheit dazu hoͤchſt natuͤrlich waͤre, ein ruͤhrendes,
oder froͤhliches Lied angebracht, oder wenn eine Arie
ohne Wiederholungen und ohne kuͤnſtliche Verbraͤ-
mungen erſcheinen ſollte. Unfehlbar wuͤrde der
Saͤnger dem ſie zu Theil wuͤrde, ſich dadurch fuͤr
erniedriget halten. Und der Thor bedenkt nicht,
daß in dem empfindungsvollen Vortrag des einfa-
cheſten Liedes, der hoͤchſte Werth ſeiner Kunſt
beſteht.
Nun kommt das Unſchikliche der aͤußerlichen Ver-
anftaltungen, wodurch ſo manche Oper ein poͤbel-
haftes Schauſpiehl wird. Da begeht man gleich-
große Ungereimtheiten durch Ueberfluß und durch
Mangel. Man will in jeder Oper wenigſtens einige
Scenen haben, die das Aug des Zuſchauers betaͤu-
ben, die Natur der Handlung laſſe es zu oder nicht.
Koͤnige kommen ofte mit ihrer ganzen Leibwache ins
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 844[826]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/261>, abgerufen am 27.11.2024.
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