Aber von diesem allgemeinen Nachdruk ist hier nicht die Rede, sondern nur von dem, der einzele Stel- len vor andern auszeichnet. Jeder Theil muß außer der Richtigkeit des Ausdruks, auch das Gepräge des guten Geschmaks haben; aber Nachdruk muß nur auf die wesentlichsten Theile gelegt werden. Wer jedes Einzele nachdrüklich machen will, wird im Ganzen gezwungen und ohne Nachdruk. So such- ten die späthen griechischen Rhetoren, auch einige römische Schriftsteller, die nach der goldenen Zeit des Geschmaks kamen, jedem einzelen Gedanken eine schöne Wendung, oder eine andere ästhetische Kraft zu geben, um überall nachdrüklich zu seyn, und eben dadurch wurden sie unnatürlich, und san- ken durch die Mittel, wodurch sie sich auf die Höhe ihrer Vorgänger schwingen wollten, tief unter die- selben herab. Auch in unsrer deutschen Litteratur zeigen sich schon hier und da Spuhren dieses sinken- den Geschmaks: wir haben auch schon Schriftstel- ler, die in jeder einzelen Redensart wizig, oder nachdrüklich, oder höchst empfindsam zu seyn suchen, und nicht bedenken, daß der Nachdruk im Einze- len, eine Würze sey, die mit sparsamer Hand ein- zustreuen ist; weil aus bloßem Gewürze keine ge- sunde Speise kann gemacht werden.
Es gehöret eine reife Beurtheilung dazu, daß das Nachdrükliche nicht gemißbraucht, sondern nur auf die Stellen eines Werks gelegt werde, die ihrer Natur nach von vorzüglicher Würkung seyn sollen. Hierüber lassen sich keine Regeln geben; der Künst- ler muß sich entweder bewußt seyn, oder durch ein vorzüglich richtiges Gefühl in dem Feuer der Begei- sterung selbst, empfinden, wo eine vorzügliche Kraft nöthig sey. Die Mittel den Nachdruk zu erreichen sind sehr vielfältig, und liegen bald in dem Gegen- stand selbst, bald in dem Ausdruk desselben. Jede Art der ästhetischen Kraft kann den Nachdruk bewür- ken. Der Künstler dem es nicht an richtiger Ur- theilskraft fehlet, wird in jedem besondern Fall eine gute Wahl derselben treffen. Der Dichter wird aus Betrachtung der Personen und der Umstände für die er dichtet, bald in der roheren, bald in der feineren Empfindung, izt in einem völlig natürlichen, denn in einem verfeinerten Ausdruk; einmal in einem wilden, ein andermal in einem gemäßigten Rhyth- mus; bald in kühnern, bald in bescheidenen Figu- ren und Tropen, den wahren Nachdruk zu fin- den wissen.
[Spaltenumbruch]
Nach
Ein neulicher Kunstrichter (*) scheinet zu bedau- ren, daß unsre Dichter nicht mehr so durchaus nach- drüklich sind, wie die alten Celtischen Barden ge- wesen. Er scheinet zu wünschen, daß man izt noch so dichtete, wie die nordischen Barden vor zwey- tausend Jahren gedichtet haben. Aber er hat nicht bedacht, daß bey einem Volke, wo die Vernunft schon merklich entwikelt und die Empfindung verfei- nert worden, nicht alles blos rohes Gefühl seyn könne, und daß der Dichter in dem Geist seiner Zeit singen müsse. Jedermann wird gestehen, daß es für einen Jrokese eine höchst reizende Sache sey, aus dem Hirnschädel seines Feindes starkes Getränk zu trinken und dabey wilde Siegeslieder anzustimmen, wo Ton, Rhythmus und Worte von der heftigsten Leidenschaft angegeben werden. Aber wir sind nicht Jrokesen, unsre Krieger sollen nicht in die Wuth gesezt werden, das Blut der erschlagenen Feinde zu trinken, oder ihr Fleisch zu braten. Die Schlüsse des Verfassers führen noch weiter, als er selbst denkt, denn sie beweisen, daß die Dichter nicht sin- gen, sondern brüllen und heulen müßten, wie der noch ganz wilde Mensch in der Leidenschaft wird ge- than haben. Denn ohne Zweifel ist das unartiku- lirte Heulen noch weit nachdrüklicher, als die aus- gesuchteste Klage in bedeutenden Worten. Es geht also gar nicht an, daß man sich zur Regel mache in den Künsten durchaus den größten Nachdruk zu suchen. Daraus würde folgen, daß man auf der Schaubühne bisweilen die Menschen lebendig schin- den müßte; denn dieses wär doch an sich betrachtet das nachdrüklichste Mittel Schreken und Abschen zu erweken.
Der Nachdruk der in den Werken der redenden Künste und der Musik aus dem Vortrag entstehet, verdienet ein besonderes Studium. Die kräftigsten Stellen können durch den Mangel des Nachdruks im Vortrag schwach werden. Die Hauptkunst des guten Vortrages besteht in dem gehörigen Nachdruk durch den sich einige Theile vor andern auszeichnen. Davon aber wird an einem andern Orte besonders gesprochen werden. (*)
Nachläßigkeit. (Schöne Künste.)
Es giebt in Bearbeitung der Werke der Kunst eine Nachläßigkeit, die Unvollkommenheit und Mangel zeuget, und eine andere von guter Würkung, die des-
wegen
(*) Der Verfasser der Brieft über den Oßian in dem Werk gen, das unter dem Titel von deutscher Art und Kunst in Hamburg herausge- kommen ist
(*) S Vortrag.
[Spaltenumbruch]
Nach
Aber von dieſem allgemeinen Nachdruk iſt hier nicht die Rede, ſondern nur von dem, der einzele Stel- len vor andern auszeichnet. Jeder Theil muß außer der Richtigkeit des Ausdruks, auch das Gepraͤge des guten Geſchmaks haben; aber Nachdruk muß nur auf die weſentlichſten Theile gelegt werden. Wer jedes Einzele nachdruͤklich machen will, wird im Ganzen gezwungen und ohne Nachdruk. So ſuch- ten die ſpaͤthen griechiſchen Rhetoren, auch einige roͤmiſche Schriftſteller, die nach der goldenen Zeit des Geſchmaks kamen, jedem einzelen Gedanken eine ſchoͤne Wendung, oder eine andere aͤſthetiſche Kraft zu geben, um uͤberall nachdruͤklich zu ſeyn, und eben dadurch wurden ſie unnatuͤrlich, und ſan- ken durch die Mittel, wodurch ſie ſich auf die Hoͤhe ihrer Vorgaͤnger ſchwingen wollten, tief unter die- ſelben herab. Auch in unſrer deutſchen Litteratur zeigen ſich ſchon hier und da Spuhren dieſes ſinken- den Geſchmaks: wir haben auch ſchon Schriftſtel- ler, die in jeder einzelen Redensart wizig, oder nachdruͤklich, oder hoͤchſt empfindſam zu ſeyn ſuchen, und nicht bedenken, daß der Nachdruk im Einze- len, eine Wuͤrze ſey, die mit ſparſamer Hand ein- zuſtreuen iſt; weil aus bloßem Gewuͤrze keine ge- ſunde Speiſe kann gemacht werden.
Es gehoͤret eine reife Beurtheilung dazu, daß das Nachdruͤkliche nicht gemißbraucht, ſondern nur auf die Stellen eines Werks gelegt werde, die ihrer Natur nach von vorzuͤglicher Wuͤrkung ſeyn ſollen. Hieruͤber laſſen ſich keine Regeln geben; der Kuͤnſt- ler muß ſich entweder bewußt ſeyn, oder durch ein vorzuͤglich richtiges Gefuͤhl in dem Feuer der Begei- ſterung ſelbſt, empfinden, wo eine vorzuͤgliche Kraft noͤthig ſey. Die Mittel den Nachdruk zu erreichen ſind ſehr vielfaͤltig, und liegen bald in dem Gegen- ſtand ſelbſt, bald in dem Ausdruk deſſelben. Jede Art der aͤſthetiſchen Kraft kann den Nachdruk bewuͤr- ken. Der Kuͤnſtler dem es nicht an richtiger Ur- theilskraft fehlet, wird in jedem beſondern Fall eine gute Wahl derſelben treffen. Der Dichter wird aus Betrachtung der Perſonen und der Umſtaͤnde fuͤr die er dichtet, bald in der roheren, bald in der feineren Empfindung, izt in einem voͤllig natuͤrlichen, denn in einem verfeinerten Ausdruk; einmal in einem wilden, ein andermal in einem gemaͤßigten Rhyth- mus; bald in kuͤhnern, bald in beſcheidenen Figu- ren und Tropen, den wahren Nachdruk zu fin- den wiſſen.
[Spaltenumbruch]
Nach
Ein neulicher Kunſtrichter (*) ſcheinet zu bedau- ren, daß unſre Dichter nicht mehr ſo durchaus nach- druͤklich ſind, wie die alten Celtiſchen Barden ge- weſen. Er ſcheinet zu wuͤnſchen, daß man izt noch ſo dichtete, wie die nordiſchen Barden vor zwey- tauſend Jahren gedichtet haben. Aber er hat nicht bedacht, daß bey einem Volke, wo die Vernunft ſchon merklich entwikelt und die Empfindung verfei- nert worden, nicht alles blos rohes Gefuͤhl ſeyn koͤnne, und daß der Dichter in dem Geiſt ſeiner Zeit ſingen muͤſſe. Jedermann wird geſtehen, daß es fuͤr einen Jrokeſe eine hoͤchſt reizende Sache ſey, aus dem Hirnſchaͤdel ſeines Feindes ſtarkes Getraͤnk zu trinken und dabey wilde Siegeslieder anzuſtimmen, wo Ton, Rhythmus und Worte von der heftigſten Leidenſchaft angegeben werden. Aber wir ſind nicht Jrokeſen, unſre Krieger ſollen nicht in die Wuth geſezt werden, das Blut der erſchlagenen Feinde zu trinken, oder ihr Fleiſch zu braten. Die Schluͤſſe des Verfaſſers fuͤhren noch weiter, als er ſelbſt denkt, denn ſie beweiſen, daß die Dichter nicht ſin- gen, ſondern bruͤllen und heulen muͤßten, wie der noch ganz wilde Menſch in der Leidenſchaft wird ge- than haben. Denn ohne Zweifel iſt das unartiku- lirte Heulen noch weit nachdruͤklicher, als die aus- geſuchteſte Klage in bedeutenden Worten. Es geht alſo gar nicht an, daß man ſich zur Regel mache in den Kuͤnſten durchaus den groͤßten Nachdruk zu ſuchen. Daraus wuͤrde folgen, daß man auf der Schaubuͤhne bisweilen die Menſchen lebendig ſchin- den muͤßte; denn dieſes waͤr doch an ſich betrachtet das nachdruͤklichſte Mittel Schreken und Abſchen zu erweken.
Der Nachdruk der in den Werken der redenden Kuͤnſte und der Muſik aus dem Vortrag entſtehet, verdienet ein beſonderes Studium. Die kraͤftigſten Stellen koͤnnen durch den Mangel des Nachdruks im Vortrag ſchwach werden. Die Hauptkunſt des guten Vortrages beſteht in dem gehoͤrigen Nachdruk durch den ſich einige Theile vor andern auszeichnen. Davon aber wird an einem andern Orte beſonders geſprochen werden. (*)
Nachlaͤßigkeit. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Es giebt in Bearbeitung der Werke der Kunſt eine Nachlaͤßigkeit, die Unvollkommenheit und Mangel zeuget, und eine andere von guter Wuͤrkung, die des-
wegen
(*) Der Verfaſſer der Brieft uͤber den Oßian in dem Werk gen, das unter dem Titel von deutſcher Art und Kunſt in Hamburg herausge- kommen iſt
(*) S Vortrag.
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[801[783]/0218]
Nach
Nach
Aber von dieſem allgemeinen Nachdruk iſt hier nicht
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der Richtigkeit des Ausdruks, auch das Gepraͤge
des guten Geſchmaks haben; aber Nachdruk muß
nur auf die weſentlichſten Theile gelegt werden. Wer
jedes Einzele nachdruͤklich machen will, wird im
Ganzen gezwungen und ohne Nachdruk. So ſuch-
ten die ſpaͤthen griechiſchen Rhetoren, auch einige
roͤmiſche Schriftſteller, die nach der goldenen Zeit
des Geſchmaks kamen, jedem einzelen Gedanken
eine ſchoͤne Wendung, oder eine andere aͤſthetiſche
Kraft zu geben, um uͤberall nachdruͤklich zu ſeyn,
und eben dadurch wurden ſie unnatuͤrlich, und ſan-
ken durch die Mittel, wodurch ſie ſich auf die Hoͤhe
ihrer Vorgaͤnger ſchwingen wollten, tief unter die-
ſelben herab. Auch in unſrer deutſchen Litteratur
zeigen ſich ſchon hier und da Spuhren dieſes ſinken-
den Geſchmaks: wir haben auch ſchon Schriftſtel-
ler, die in jeder einzelen Redensart wizig, oder
nachdruͤklich, oder hoͤchſt empfindſam zu ſeyn ſuchen,
und nicht bedenken, daß der Nachdruk im Einze-
len, eine Wuͤrze ſey, die mit ſparſamer Hand ein-
zuſtreuen iſt; weil aus bloßem Gewuͤrze keine ge-
ſunde Speiſe kann gemacht werden.
Es gehoͤret eine reife Beurtheilung dazu, daß
das Nachdruͤkliche nicht gemißbraucht, ſondern nur
auf die Stellen eines Werks gelegt werde, die ihrer
Natur nach von vorzuͤglicher Wuͤrkung ſeyn ſollen.
Hieruͤber laſſen ſich keine Regeln geben; der Kuͤnſt-
ler muß ſich entweder bewußt ſeyn, oder durch ein
vorzuͤglich richtiges Gefuͤhl in dem Feuer der Begei-
ſterung ſelbſt, empfinden, wo eine vorzuͤgliche Kraft
noͤthig ſey. Die Mittel den Nachdruk zu erreichen
ſind ſehr vielfaͤltig, und liegen bald in dem Gegen-
ſtand ſelbſt, bald in dem Ausdruk deſſelben. Jede
Art der aͤſthetiſchen Kraft kann den Nachdruk bewuͤr-
ken. Der Kuͤnſtler dem es nicht an richtiger Ur-
theilskraft fehlet, wird in jedem beſondern Fall eine
gute Wahl derſelben treffen. Der Dichter wird aus
Betrachtung der Perſonen und der Umſtaͤnde fuͤr die
er dichtet, bald in der roheren, bald in der feineren
Empfindung, izt in einem voͤllig natuͤrlichen, denn
in einem verfeinerten Ausdruk; einmal in einem
wilden, ein andermal in einem gemaͤßigten Rhyth-
mus; bald in kuͤhnern, bald in beſcheidenen Figu-
ren und Tropen, den wahren Nachdruk zu fin-
den wiſſen.
Ein neulicher Kunſtrichter (*) ſcheinet zu bedau-
ren, daß unſre Dichter nicht mehr ſo durchaus nach-
druͤklich ſind, wie die alten Celtiſchen Barden ge-
weſen. Er ſcheinet zu wuͤnſchen, daß man izt noch
ſo dichtete, wie die nordiſchen Barden vor zwey-
tauſend Jahren gedichtet haben. Aber er hat nicht
bedacht, daß bey einem Volke, wo die Vernunft
ſchon merklich entwikelt und die Empfindung verfei-
nert worden, nicht alles blos rohes Gefuͤhl ſeyn
koͤnne, und daß der Dichter in dem Geiſt ſeiner Zeit
ſingen muͤſſe. Jedermann wird geſtehen, daß es
fuͤr einen Jrokeſe eine hoͤchſt reizende Sache ſey, aus
dem Hirnſchaͤdel ſeines Feindes ſtarkes Getraͤnk zu
trinken und dabey wilde Siegeslieder anzuſtimmen,
wo Ton, Rhythmus und Worte von der heftigſten
Leidenſchaft angegeben werden. Aber wir ſind nicht
Jrokeſen, unſre Krieger ſollen nicht in die Wuth
geſezt werden, das Blut der erſchlagenen Feinde zu
trinken, oder ihr Fleiſch zu braten. Die Schluͤſſe
des Verfaſſers fuͤhren noch weiter, als er ſelbſt
denkt, denn ſie beweiſen, daß die Dichter nicht ſin-
gen, ſondern bruͤllen und heulen muͤßten, wie der
noch ganz wilde Menſch in der Leidenſchaft wird ge-
than haben. Denn ohne Zweifel iſt das unartiku-
lirte Heulen noch weit nachdruͤklicher, als die aus-
geſuchteſte Klage in bedeutenden Worten. Es geht
alſo gar nicht an, daß man ſich zur Regel mache
in den Kuͤnſten durchaus den groͤßten Nachdruk zu
ſuchen. Daraus wuͤrde folgen, daß man auf der
Schaubuͤhne bisweilen die Menſchen lebendig ſchin-
den muͤßte; denn dieſes waͤr doch an ſich betrachtet
das nachdruͤklichſte Mittel Schreken und Abſchen
zu erweken.
Der Nachdruk der in den Werken der redenden
Kuͤnſte und der Muſik aus dem Vortrag entſtehet,
verdienet ein beſonderes Studium. Die kraͤftigſten
Stellen koͤnnen durch den Mangel des Nachdruks
im Vortrag ſchwach werden. Die Hauptkunſt des
guten Vortrages beſteht in dem gehoͤrigen Nachdruk
durch den ſich einige Theile vor andern auszeichnen.
Davon aber wird an einem andern Orte beſonders
geſprochen werden. (*)
Nachlaͤßigkeit.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Es giebt in Bearbeitung der Werke der Kunſt eine
Nachlaͤßigkeit, die Unvollkommenheit und Mangel
zeuget, und eine andere von guter Wuͤrkung, die des-
wegen
(*) Der
Verfaſſer
der Brieft
uͤber den
Oßian in
dem Werk
gen, das
unter dem
Titel von
deutſcher
Art und
Kunſt in
Hamburg
herausge-
kommen iſt
(*) S
Vortrag.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 801[783]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/218>, abgerufen am 25.11.2024.
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