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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Nach
ren. Darum muß jeder Tonsezer sich der Nachah-
mungen auf eine geschikte Weise zu bedienen wissen.
Am nothwendigsten aber sind sie in solchen Stüken,
wo mehrere Hauptstimmen sind, wie in Duetten,
Terzetten, in Trio und dergleichen Stüken. Denn
ohne sie würde in diesen vielstimmigen Tonstüken
entweder blos eine Hauptstimme seyn, welcher die
andern nur zur Begleitung dieneten, oder es würde
in den verschiedenen Hauptstimmen keine Einheit
des Charakters angetroffen werden. Es ist also
höchst nöthig, daß der Tonsezer in den Nachahmun-
gen wol geübt sey.

Mehrere ähnliche Säze zu finden, ist nun zwar
an sich sehr leichte; aber wenn man dabey die er-
foderliche Verschiedenheit der Harmonie beobachten
und zugleich harmonisch rein setzen will, so stößt
man gar oft auf nicht geringe Schwierigkeiten. Es
braucht gar keine große Kenntniß zu sehen, daß die-
ser kurze Saz:

[Abbildung]

auf folgende Weise könne nachgeahmt werden.

[Abbildung]

Aber beyde nach einander sezen, und einen Baß von
guter Harmonie dabey anbringen, kann nur der
Harmoniste.

Man kann jungen Tonsezern besonders in unsern
Zeiten, da man sich die Kunst so sehr leicht vorstellt,
nie genug wiederholen, daß sie sich mit anhaltendem
Fleiß im reinen Contrapunkt üben; weil dieses das
einzige Mittel ist in Nachahmungen glüklich zu seyn.
Zuerst also muß man sich im einfachen Contrapunkt
fesisezen, und zu einer gegebenen Stimme zu ei-
nem Cantus firmus mehrere, nach den Regeln des
reinen Sazes, bald in gerader, bald in verkehrter
Fortschreitung, bald in eben so viel, bald in meh-
rern Noten verfertigen. Nur dadurch wird man zur
guten Behandlung der Nachahmungen vorbereitet.
Jst man hierin hinlänglich geübet, so muß man
mit eben dem anhaltenden Fleiße die Uebungen im
doppelten Contrapunkt vornehmen, durch den man
unmittelbar die genauesten Jmitationen erhält.
[Spaltenumbruch]

Nach
Ohne lange Vorbereitung durch Ausübung beyder
Arten des Contrapunkts ist es nicht möglich wahre
Nachahmungen gut anzubringen. Denn daß sich
einige seichte Tonsezer einbilden, sie haben Nach-
ahmungen gemacht, wenn sie einen nichtsbedeu-
tenden Saz vermittelst kahler und zerriger Ver-
sezungen (Transpositionen) des Basses in den
Stimmen abwechselnd wiederholen, wie in diesem
Beyspiel
[Abbildung] zeuget von ihrer Unwissenheit. Dergleichen ver-
meinten Rachahmungen dienen zu nichts, als ein
Stük desto geschwinder abgeschmakt zu machen.
Nicht viel besser sind die Wiederholungen eines Ge-
dankens im Einklang oder in der Octave, ohne Ver-
änderung der zum Grunde liegenden Harmonie,
wie etwa folgendes:

[Abbildung]

Wahre Nachahmungen lassen uns einerley Stellen
mit andern Harmonien, und mit veränderten Me-
lodien andrer Stimmen hören, und dadurch be-
kommen sie ihre Annehmlichkeit. Man kann mit
der Nachahmung in verschiedenen Jntervallen, in
der Secunde, Terz, Quart u. s. w. eintreten, und
muß mit diesen Eintritten gehörig abzuwechseln wis-
sen. Dazu aber ist, wie schon gesagt worden, die
Wissenschaft des doppelten Contrapunkts unumgäng-
lich nothwendig; weil eben dadurch diese verschie-

denen
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[Spaltenumbruch]

Nach
ren. Darum muß jeder Tonſezer ſich der Nachah-
mungen auf eine geſchikte Weiſe zu bedienen wiſſen.
Am nothwendigſten aber ſind ſie in ſolchen Stuͤken,
wo mehrere Hauptſtimmen ſind, wie in Duetten,
Terzetten, in Trio und dergleichen Stuͤken. Denn
ohne ſie wuͤrde in dieſen vielſtimmigen Tonſtuͤken
entweder blos eine Hauptſtimme ſeyn, welcher die
andern nur zur Begleitung dieneten, oder es wuͤrde
in den verſchiedenen Hauptſtimmen keine Einheit
des Charakters angetroffen werden. Es iſt alſo
hoͤchſt noͤthig, daß der Tonſezer in den Nachahmun-
gen wol geuͤbt ſey.

Mehrere aͤhnliche Saͤze zu finden, iſt nun zwar
an ſich ſehr leichte; aber wenn man dabey die er-
foderliche Verſchiedenheit der Harmonie beobachten
und zugleich harmoniſch rein ſetzen will, ſo ſtoͤßt
man gar oft auf nicht geringe Schwierigkeiten. Es
braucht gar keine große Kenntniß zu ſehen, daß die-
ſer kurze Saz:

[Abbildung]

auf folgende Weiſe koͤnne nachgeahmt werden.

[Abbildung]

Aber beyde nach einander ſezen, und einen Baß von
guter Harmonie dabey anbringen, kann nur der
Harmoniſte.

Man kann jungen Tonſezern beſonders in unſern
Zeiten, da man ſich die Kunſt ſo ſehr leicht vorſtellt,
nie genug wiederholen, daß ſie ſich mit anhaltendem
Fleiß im reinen Contrapunkt uͤben; weil dieſes das
einzige Mittel iſt in Nachahmungen gluͤklich zu ſeyn.
Zuerſt alſo muß man ſich im einfachen Contrapunkt
feſiſezen, und zu einer gegebenen Stimme zu ei-
nem Cantus firmus mehrere, nach den Regeln des
reinen Sazes, bald in gerader, bald in verkehrter
Fortſchreitung, bald in eben ſo viel, bald in meh-
rern Noten verfertigen. Nur dadurch wird man zur
guten Behandlung der Nachahmungen vorbereitet.
Jſt man hierin hinlaͤnglich geuͤbet, ſo muß man
mit eben dem anhaltenden Fleiße die Uebungen im
doppelten Contrapunkt vornehmen, durch den man
unmittelbar die genaueſten Jmitationen erhaͤlt.
[Spaltenumbruch]

Nach
Ohne lange Vorbereitung durch Ausuͤbung beyder
Arten des Contrapunkts iſt es nicht moͤglich wahre
Nachahmungen gut anzubringen. Denn daß ſich
einige ſeichte Tonſezer einbilden, ſie haben Nach-
ahmungen gemacht, wenn ſie einen nichtsbedeu-
tenden Saz vermittelſt kahler und zerriger Ver-
ſezungen (Transpoſitionen) des Baſſes in den
Stimmen abwechſelnd wiederholen, wie in dieſem
Beyſpiel
[Abbildung] zeuget von ihrer Unwiſſenheit. Dergleichen ver-
meinten Rachahmungen dienen zu nichts, als ein
Stuͤk deſto geſchwinder abgeſchmakt zu machen.
Nicht viel beſſer ſind die Wiederholungen eines Ge-
dankens im Einklang oder in der Octave, ohne Ver-
aͤnderung der zum Grunde liegenden Harmonie,
wie etwa folgendes:

[Abbildung]

Wahre Nachahmungen laſſen uns einerley Stellen
mit andern Harmonien, und mit veraͤnderten Me-
lodien andrer Stimmen hoͤren, und dadurch be-
kommen ſie ihre Annehmlichkeit. Man kann mit
der Nachahmung in verſchiedenen Jntervallen, in
der Secunde, Terz, Quart u. ſ. w. eintreten, und
muß mit dieſen Eintritten gehoͤrig abzuwechſeln wiſ-
ſen. Dazu aber iſt, wie ſchon geſagt worden, die
Wiſſenſchaft des doppelten Contrapunkts unumgaͤng-
lich nothwendig; weil eben dadurch dieſe verſchie-

denen
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[799[781]/0216] Nach Nach ren. Darum muß jeder Tonſezer ſich der Nachah- mungen auf eine geſchikte Weiſe zu bedienen wiſſen. Am nothwendigſten aber ſind ſie in ſolchen Stuͤken, wo mehrere Hauptſtimmen ſind, wie in Duetten, Terzetten, in Trio und dergleichen Stuͤken. Denn ohne ſie wuͤrde in dieſen vielſtimmigen Tonſtuͤken entweder blos eine Hauptſtimme ſeyn, welcher die andern nur zur Begleitung dieneten, oder es wuͤrde in den verſchiedenen Hauptſtimmen keine Einheit des Charakters angetroffen werden. Es iſt alſo hoͤchſt noͤthig, daß der Tonſezer in den Nachahmun- gen wol geuͤbt ſey. Mehrere aͤhnliche Saͤze zu finden, iſt nun zwar an ſich ſehr leichte; aber wenn man dabey die er- foderliche Verſchiedenheit der Harmonie beobachten und zugleich harmoniſch rein ſetzen will, ſo ſtoͤßt man gar oft auf nicht geringe Schwierigkeiten. Es braucht gar keine große Kenntniß zu ſehen, daß die- ſer kurze Saz: [Abbildung] auf folgende Weiſe koͤnne nachgeahmt werden. [Abbildung] Aber beyde nach einander ſezen, und einen Baß von guter Harmonie dabey anbringen, kann nur der Harmoniſte. Man kann jungen Tonſezern beſonders in unſern Zeiten, da man ſich die Kunſt ſo ſehr leicht vorſtellt, nie genug wiederholen, daß ſie ſich mit anhaltendem Fleiß im reinen Contrapunkt uͤben; weil dieſes das einzige Mittel iſt in Nachahmungen gluͤklich zu ſeyn. Zuerſt alſo muß man ſich im einfachen Contrapunkt feſiſezen, und zu einer gegebenen Stimme zu ei- nem Cantus firmus mehrere, nach den Regeln des reinen Sazes, bald in gerader, bald in verkehrter Fortſchreitung, bald in eben ſo viel, bald in meh- rern Noten verfertigen. Nur dadurch wird man zur guten Behandlung der Nachahmungen vorbereitet. Jſt man hierin hinlaͤnglich geuͤbet, ſo muß man mit eben dem anhaltenden Fleiße die Uebungen im doppelten Contrapunkt vornehmen, durch den man unmittelbar die genaueſten Jmitationen erhaͤlt. Ohne lange Vorbereitung durch Ausuͤbung beyder Arten des Contrapunkts iſt es nicht moͤglich wahre Nachahmungen gut anzubringen. Denn daß ſich einige ſeichte Tonſezer einbilden, ſie haben Nach- ahmungen gemacht, wenn ſie einen nichtsbedeu- tenden Saz vermittelſt kahler und zerriger Ver- ſezungen (Transpoſitionen) des Baſſes in den Stimmen abwechſelnd wiederholen, wie in dieſem Beyſpiel [Abbildung] zeuget von ihrer Unwiſſenheit. Dergleichen ver- meinten Rachahmungen dienen zu nichts, als ein Stuͤk deſto geſchwinder abgeſchmakt zu machen. Nicht viel beſſer ſind die Wiederholungen eines Ge- dankens im Einklang oder in der Octave, ohne Ver- aͤnderung der zum Grunde liegenden Harmonie, wie etwa folgendes: [Abbildung] Wahre Nachahmungen laſſen uns einerley Stellen mit andern Harmonien, und mit veraͤnderten Me- lodien andrer Stimmen hoͤren, und dadurch be- kommen ſie ihre Annehmlichkeit. Man kann mit der Nachahmung in verſchiedenen Jntervallen, in der Secunde, Terz, Quart u. ſ. w. eintreten, und muß mit dieſen Eintritten gehoͤrig abzuwechſeln wiſ- ſen. Dazu aber iſt, wie ſchon geſagt worden, die Wiſſenſchaft des doppelten Contrapunkts unumgaͤng- lich nothwendig; weil eben dadurch dieſe verſchie- denen F f f f f 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 799[781]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/216>, abgerufen am 25.11.2024.