eine Schnekenlinie in die Ründe herumlaufenden Strich besteht, der an dunkelen Stellen kernhafter und an hellen feiner ist. Die Manier ist nicht nur zu Figuren unnatürlich, sondern giebt dem Kupfer- stich etwas blendendes, wobey ein empfindliches Aug Schwindel bekommt. Eben so schlecht ist die Manier des Venedischen Kupferstechers Pitteri, der seine Köpfe durch lauter gerade und parallel an ein- ander herunterlaufenden Striche macht. Von der- gleichen unnatürlichen Behandlungen ist insgemein die Rede, wenn man von einem Künstler, besonders von Mahlern sagt; sie seyen manieret.
Wiewol man den Ausdruk gemeiniglich blos von der Behandlung braucht, so giebt es doch Künstler, die schlechte Manieren in der Wahl der Materie, oder in der Zusammensezung, oder in der Zeich- nung und auch in der Führung des Pensels haben. So haben David Teiniers, Ostade, Braner und andre, ihre Manieren in der Wahl der Materie; Paul aus Verona seine Manier in den zu langen Verhältnissen seiner Figuren. So giebt es Mahler, die nur wenige ihnen geläufige Formen haben, die sie überall anbringen. Die alten Männer, die Jünglinge, die Kinder, die sie mahlen, haben in allen ihren Gemählden, jede Art immer dieselbe Gesichtsbildung, Stellung und dieselben Verhält- nisse, so verschieden auch ihre Charaktere, nach dem Jnhalt der Stüke seyn sollten. So haben einige Mahler nur einen einzigen Ton ihrer Farben, der streng, oder lieblich, finster oder glänzend ist; der Jnhalt sey von welcher Art er wolle.
Diesen manierten Künstlern fehlet es an der Beug- samkeit des Genies jeden Gegenstand nach der ihm eigenen Art darzustellen; sie zwingen alles, in die ihnen allein geläufigen Formen und Farben; und dadurch werden sie unnatürlich, gezwungen, und auch in der größten Mannigfaltigkeit ihrer Werke, einförmig und langweilig.
Darum sollte der Künstler große Sorgfalt an- wenden, sich vor der Manier zu verwahren. Hierzu gehört freylich ein fruchtbares Genie, das für jeden besondern Fall, die eigentlichsten Mittel, zum Zwek zu gelangen, zu erfinden vermag. Nirgend lernet man das Genie des Künstlers besser kennen, als wo er Gegenstände von verschiedener Natur zu behan- deln hat. Weiß er sich in diese Verschiedenheit zu finden, und jedem Ding auch in zufälligen Sachen, seinen natürlichen Charakter zu geben, so ist er ein [Spaltenumbruch]
Man
Mann von fruchtbarem und gelenkigen Genie; aber sehr eingeschränkt ist dasselbe, wenn er Dinge von verschiedener Art, in seine Manier zwinget, und es macht wie Prokrust, von dem die Fabel sagt, daß er denen Gästen die länger waren, als sein Bett, etwas von den Beinen abgehauen. Jenes frucht- bare Genie, sieht man an Homer und Horaz sehr deutlich, da beyde Zeichnung und Farben immer sehr genau nach Jnhalt abändern, da man beym Ovi- dius beynahe immer dieselbe kleine, spiehlerische Ma- nier gewahr wird, es sey daß er große, oder kleine Gegenstände behandle.
Die Manier kann sich in jedem besondern Theil des Werks finden, in der Anordnung, in der Zeichnung, im Colorit, und in der Behandlung; und zeiget sich auch würklich, wenn der Künstler in einem dieser Theile mehr das thut, dessen er ge- wohnt ist, als das, was die besondere Natur und Art seines Gegenstandes erfodert. Es giebt Bau- meister, deren Hauptgeschmak so ganz auf Zierlich- keit und Anmuthigkeit geht, daß sie diesen Charak- ter auch in einem zu bloßen Gefängnis bestimm- ten Gebäude anbringen würden; und wir haben Beyspiele, da ein Dichter auch in einem Trinklied den feyerlichen und erhabenen Ton, der seine Manier ist, beybehält.
Man sagt von einem Künstler, er habe eine große Manier, wenn er sich begnüget das, was wesent- lich zur Darstellung des Gegenstandes gehört in der höchsten Richtigkeit und Kraft in das Werk zu brin- gen, ohne den größten Fleis auf weniger wesentli- che Theile anzuwenden: die kleine Mamer liegt hauptsächlich darin, daß auf diese unwesentliche Theile große Sorgfalt gewendet wird, wodurch ge- schiehet, daß man bey dem Werke weit mehr den Künstler, seinen Fleis, und seine auch auf Kleinig- keiten gehende, beynahe ängstliche Sorgfalt, als die Kraft des Gegenstandes selbst empfindet. So ist in der Ausführung unser deutsche Mahler Denner, der in seinen Köpfen kein Haar im Barte übersehen hat, ohne es besonders anzuzeigen, und selbst der Ritter van der Werff, der, wie es scheinet, sich ein Gewissen würde daraus gemacht haben, einen Penselstrich in seinen Gemählden sehen zu lassen. Diese kleine Manier ist das, vor dem der Künstler sich am mei- sten hüten sollte; weil es dem Werk allen Nachdruk benihmt. Wenn wir einen Dichter sehen, der die einzelen Buchstaben der Worte, die er braucht, mit
sol-
[Spaltenumbruch]
Man
eine Schnekenlinie in die Ruͤnde herumlaufenden Strich beſteht, der an dunkelen Stellen kernhafter und an hellen feiner iſt. Die Manier iſt nicht nur zu Figuren unnatuͤrlich, ſondern giebt dem Kupfer- ſtich etwas blendendes, wobey ein empfindliches Aug Schwindel bekommt. Eben ſo ſchlecht iſt die Manier des Venediſchen Kupferſtechers Pitteri, der ſeine Koͤpfe durch lauter gerade und parallel an ein- ander herunterlaufenden Striche macht. Von der- gleichen unnatuͤrlichen Behandlungen iſt insgemein die Rede, wenn man von einem Kuͤnſtler, beſonders von Mahlern ſagt; ſie ſeyen manieret.
Wiewol man den Ausdruk gemeiniglich blos von der Behandlung braucht, ſo giebt es doch Kuͤnſtler, die ſchlechte Manieren in der Wahl der Materie, oder in der Zuſammenſezung, oder in der Zeich- nung und auch in der Fuͤhrung des Penſels haben. So haben David Teiniers, Oſtade, Braner und andre, ihre Manieren in der Wahl der Materie; Paul aus Verona ſeine Manier in den zu langen Verhaͤltniſſen ſeiner Figuren. So giebt es Mahler, die nur wenige ihnen gelaͤufige Formen haben, die ſie uͤberall anbringen. Die alten Maͤnner, die Juͤnglinge, die Kinder, die ſie mahlen, haben in allen ihren Gemaͤhlden, jede Art immer dieſelbe Geſichtsbildung, Stellung und dieſelben Verhaͤlt- niſſe, ſo verſchieden auch ihre Charaktere, nach dem Jnhalt der Stuͤke ſeyn ſollten. So haben einige Mahler nur einen einzigen Ton ihrer Farben, der ſtreng, oder lieblich, finſter oder glaͤnzend iſt; der Jnhalt ſey von welcher Art er wolle.
Dieſen manierten Kuͤnſtlern fehlet es an der Beug- ſamkeit des Genies jeden Gegenſtand nach der ihm eigenen Art darzuſtellen; ſie zwingen alles, in die ihnen allein gelaͤufigen Formen und Farben; und dadurch werden ſie unnatuͤrlich, gezwungen, und auch in der groͤßten Mannigfaltigkeit ihrer Werke, einfoͤrmig und langweilig.
Darum ſollte der Kuͤnſtler große Sorgfalt an- wenden, ſich vor der Manier zu verwahren. Hierzu gehoͤrt freylich ein fruchtbares Genie, das fuͤr jeden beſondern Fall, die eigentlichſten Mittel, zum Zwek zu gelangen, zu erfinden vermag. Nirgend lernet man das Genie des Kuͤnſtlers beſſer kennen, als wo er Gegenſtaͤnde von verſchiedener Natur zu behan- deln hat. Weiß er ſich in dieſe Verſchiedenheit zu finden, und jedem Ding auch in zufaͤlligen Sachen, ſeinen natuͤrlichen Charakter zu geben, ſo iſt er ein [Spaltenumbruch]
Man
Mann von fruchtbarem und gelenkigen Genie; aber ſehr eingeſchraͤnkt iſt daſſelbe, wenn er Dinge von verſchiedener Art, in ſeine Manier zwinget, und es macht wie Prokruſt, von dem die Fabel ſagt, daß er denen Gaͤſten die laͤnger waren, als ſein Bett, etwas von den Beinen abgehauen. Jenes frucht- bare Genie, ſieht man an Homer und Horaz ſehr deutlich, da beyde Zeichnung und Farben immer ſehr genau nach Jnhalt abaͤndern, da man beym Ovi- dius beynahe immer dieſelbe kleine, ſpiehleriſche Ma- nier gewahr wird, es ſey daß er große, oder kleine Gegenſtaͤnde behandle.
Die Manier kann ſich in jedem beſondern Theil des Werks finden, in der Anordnung, in der Zeichnung, im Colorit, und in der Behandlung; und zeiget ſich auch wuͤrklich, wenn der Kuͤnſtler in einem dieſer Theile mehr das thut, deſſen er ge- wohnt iſt, als das, was die beſondere Natur und Art ſeines Gegenſtandes erfodert. Es giebt Bau- meiſter, deren Hauptgeſchmak ſo ganz auf Zierlich- keit und Anmuthigkeit geht, daß ſie dieſen Charak- ter auch in einem zu bloßen Gefaͤngnis beſtimm- ten Gebaͤude anbringen wuͤrden; und wir haben Beyſpiele, da ein Dichter auch in einem Trinklied den feyerlichen und erhabenen Ton, der ſeine Manier iſt, beybehaͤlt.
Man ſagt von einem Kuͤnſtler, er habe eine große Manier, wenn er ſich begnuͤget das, was weſent- lich zur Darſtellung des Gegenſtandes gehoͤrt in der hoͤchſten Richtigkeit und Kraft in das Werk zu brin- gen, ohne den groͤßten Fleis auf weniger weſentli- che Theile anzuwenden: die kleine Mamer liegt hauptſaͤchlich darin, daß auf dieſe unweſentliche Theile große Sorgfalt gewendet wird, wodurch ge- ſchiehet, daß man bey dem Werke weit mehr den Kuͤnſtler, ſeinen Fleis, und ſeine auch auf Kleinig- keiten gehende, beynahe aͤngſtliche Sorgfalt, als die Kraft des Gegenſtandes ſelbſt empfindet. So iſt in der Ausfuͤhrung unſer deutſche Mahler Denner, der in ſeinen Koͤpfen kein Haar im Barte uͤberſehen hat, ohne es beſonders anzuzeigen, und ſelbſt der Ritter van der Werff, der, wie es ſcheinet, ſich ein Gewiſſen wuͤrde daraus gemacht haben, einen Penſelſtrich in ſeinen Gemaͤhlden ſehen zu laſſen. Dieſe kleine Manier iſt das, vor dem der Kuͤnſtler ſich am mei- ſten huͤten ſollte; weil es dem Werk allen Nachdruk benihmt. Wenn wir einen Dichter ſehen, der die einzelen Buchſtaben der Worte, die er braucht, mit
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[740[722]/0157]
Man
Man
eine Schnekenlinie in die Ruͤnde herumlaufenden
Strich beſteht, der an dunkelen Stellen kernhafter
und an hellen feiner iſt. Die Manier iſt nicht nur
zu Figuren unnatuͤrlich, ſondern giebt dem Kupfer-
ſtich etwas blendendes, wobey ein empfindliches
Aug Schwindel bekommt. Eben ſo ſchlecht iſt die
Manier des Venediſchen Kupferſtechers Pitteri, der
ſeine Koͤpfe durch lauter gerade und parallel an ein-
ander herunterlaufenden Striche macht. Von der-
gleichen unnatuͤrlichen Behandlungen iſt insgemein
die Rede, wenn man von einem Kuͤnſtler, beſonders
von Mahlern ſagt; ſie ſeyen manieret.
Wiewol man den Ausdruk gemeiniglich blos von
der Behandlung braucht, ſo giebt es doch Kuͤnſtler,
die ſchlechte Manieren in der Wahl der Materie,
oder in der Zuſammenſezung, oder in der Zeich-
nung und auch in der Fuͤhrung des Penſels haben.
So haben David Teiniers, Oſtade, Braner und
andre, ihre Manieren in der Wahl der Materie;
Paul aus Verona ſeine Manier in den zu langen
Verhaͤltniſſen ſeiner Figuren. So giebt es Mahler,
die nur wenige ihnen gelaͤufige Formen haben, die
ſie uͤberall anbringen. Die alten Maͤnner, die
Juͤnglinge, die Kinder, die ſie mahlen, haben in
allen ihren Gemaͤhlden, jede Art immer dieſelbe
Geſichtsbildung, Stellung und dieſelben Verhaͤlt-
niſſe, ſo verſchieden auch ihre Charaktere, nach dem
Jnhalt der Stuͤke ſeyn ſollten. So haben einige
Mahler nur einen einzigen Ton ihrer Farben, der
ſtreng, oder lieblich, finſter oder glaͤnzend iſt; der
Jnhalt ſey von welcher Art er wolle.
Dieſen manierten Kuͤnſtlern fehlet es an der Beug-
ſamkeit des Genies jeden Gegenſtand nach der ihm
eigenen Art darzuſtellen; ſie zwingen alles, in die
ihnen allein gelaͤufigen Formen und Farben; und
dadurch werden ſie unnatuͤrlich, gezwungen, und
auch in der groͤßten Mannigfaltigkeit ihrer Werke,
einfoͤrmig und langweilig.
Darum ſollte der Kuͤnſtler große Sorgfalt an-
wenden, ſich vor der Manier zu verwahren. Hierzu
gehoͤrt freylich ein fruchtbares Genie, das fuͤr jeden
beſondern Fall, die eigentlichſten Mittel, zum Zwek
zu gelangen, zu erfinden vermag. Nirgend lernet
man das Genie des Kuͤnſtlers beſſer kennen, als wo
er Gegenſtaͤnde von verſchiedener Natur zu behan-
deln hat. Weiß er ſich in dieſe Verſchiedenheit zu
finden, und jedem Ding auch in zufaͤlligen Sachen,
ſeinen natuͤrlichen Charakter zu geben, ſo iſt er ein
Mann von fruchtbarem und gelenkigen Genie; aber
ſehr eingeſchraͤnkt iſt daſſelbe, wenn er Dinge von
verſchiedener Art, in ſeine Manier zwinget, und es
macht wie Prokruſt, von dem die Fabel ſagt, daß
er denen Gaͤſten die laͤnger waren, als ſein Bett,
etwas von den Beinen abgehauen. Jenes frucht-
bare Genie, ſieht man an Homer und Horaz ſehr
deutlich, da beyde Zeichnung und Farben immer ſehr
genau nach Jnhalt abaͤndern, da man beym Ovi-
dius beynahe immer dieſelbe kleine, ſpiehleriſche Ma-
nier gewahr wird, es ſey daß er große, oder kleine
Gegenſtaͤnde behandle.
Die Manier kann ſich in jedem beſondern Theil
des Werks finden, in der Anordnung, in der
Zeichnung, im Colorit, und in der Behandlung;
und zeiget ſich auch wuͤrklich, wenn der Kuͤnſtler
in einem dieſer Theile mehr das thut, deſſen er ge-
wohnt iſt, als das, was die beſondere Natur und
Art ſeines Gegenſtandes erfodert. Es giebt Bau-
meiſter, deren Hauptgeſchmak ſo ganz auf Zierlich-
keit und Anmuthigkeit geht, daß ſie dieſen Charak-
ter auch in einem zu bloßen Gefaͤngnis beſtimm-
ten Gebaͤude anbringen wuͤrden; und wir haben
Beyſpiele, da ein Dichter auch in einem Trinklied den
feyerlichen und erhabenen Ton, der ſeine Manier
iſt, beybehaͤlt.
Man ſagt von einem Kuͤnſtler, er habe eine große
Manier, wenn er ſich begnuͤget das, was weſent-
lich zur Darſtellung des Gegenſtandes gehoͤrt in der
hoͤchſten Richtigkeit und Kraft in das Werk zu brin-
gen, ohne den groͤßten Fleis auf weniger weſentli-
che Theile anzuwenden: die kleine Mamer liegt
hauptſaͤchlich darin, daß auf dieſe unweſentliche
Theile große Sorgfalt gewendet wird, wodurch ge-
ſchiehet, daß man bey dem Werke weit mehr den
Kuͤnſtler, ſeinen Fleis, und ſeine auch auf Kleinig-
keiten gehende, beynahe aͤngſtliche Sorgfalt, als die
Kraft des Gegenſtandes ſelbſt empfindet. So iſt in
der Ausfuͤhrung unſer deutſche Mahler Denner, der
in ſeinen Koͤpfen kein Haar im Barte uͤberſehen hat,
ohne es beſonders anzuzeigen, und ſelbſt der Ritter
van der Werff, der, wie es ſcheinet, ſich ein Gewiſſen
wuͤrde daraus gemacht haben, einen Penſelſtrich
in ſeinen Gemaͤhlden ſehen zu laſſen. Dieſe kleine
Manier iſt das, vor dem der Kuͤnſtler ſich am mei-
ſten huͤten ſollte; weil es dem Werk allen Nachdruk
benihmt. Wenn wir einen Dichter ſehen, der die
einzelen Buchſtaben der Worte, die er braucht, mit
ſol-
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 740[722]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/157>, abgerufen am 23.11.2024.
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