Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ang die bey dem Wankenden und Widersprechenden derBeobachtungen ihm zu Hülfe komme; die entwe- der seine Zweifel rechtfertige, oder auflöse. Zum Fundament dieser Theorie bemerke er, daß Angst. Der höchste Grad der Furcht, und also eine sehr Von allen Künstlern kann der tragische Dichter Jn dem epischen Gedicht hat Klopstok diese Ang Ank Judas Jscharioth, mit einer wahren Meisterhandbehandelt. Auch in der Noachide kommen ver- schiedene sehr schöne Bearbeitungen dieser Leiden- schaft vor, besonders im zehnten Gesang, da un- ter andern die Scene, wo Lamech einen im To- desschlummer liegenden Sünder aufwekt, der beym Aufwachen glaubt, daß der Tag des Gerichts er- schienen sey, eine meisterhafte Erfindung ist, die auch Füßli in der, dem X. Gesang vorgesetzten, Zeichnung sehr glüklich ausgedrükt hat. Jm Trauerspiel hat Aeschylus in den Eumeni- An die Behandlung dieser Leidenschaft darf sich Ankündigung. (Redende Künste.) Es trägt sehr viel zur guten Würkung eines Werks Daher ist es gekommen, daß die Redner, die Ueber die epische Ankündigung haben wir am heit
[Spaltenumbruch] Ang die bey dem Wankenden und Widerſprechenden derBeobachtungen ihm zu Huͤlfe komme; die entwe- der ſeine Zweifel rechtfertige, oder aufloͤſe. Zum Fundament dieſer Theorie bemerke er, daß Angſt. Der hoͤchſte Grad der Furcht, und alſo eine ſehr Von allen Kuͤnſtlern kann der tragiſche Dichter Jn dem epiſchen Gedicht hat Klopſtok dieſe Ang Ank Judas Jſcharioth, mit einer wahren Meiſterhandbehandelt. Auch in der Noachide kommen ver- ſchiedene ſehr ſchoͤne Bearbeitungen dieſer Leiden- ſchaft vor, beſonders im zehnten Geſang, da un- ter andern die Scene, wo Lamech einen im To- desſchlummer liegenden Suͤnder aufwekt, der beym Aufwachen glaubt, daß der Tag des Gerichts er- ſchienen ſey, eine meiſterhafte Erfindung iſt, die auch Fuͤßli in der, dem X. Geſang vorgeſetzten, Zeichnung ſehr gluͤklich ausgedruͤkt hat. Jm Trauerſpiel hat Aeſchylus in den Eumeni- An die Behandlung dieſer Leidenſchaft darf ſich Ankuͤndigung. (Redende Kuͤnſte.) Es traͤgt ſehr viel zur guten Wuͤrkung eines Werks Daher iſt es gekommen, daß die Redner, die Ueber die epiſche Ankuͤndigung haben wir am heit
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Deswegen iſt<lb/> dieſer ſo kleine Theil eines Gedichts oder einer Rede,<lb/> hoͤchſt wichtig und erfodert eine große Kunſt.</p><lb/> <p>Ueber die epiſche Ankuͤndigung haben wir am<lb/> wenigſten noͤthig uns in eine naͤhere Betrachtung<lb/> einzulaſſen; da ſie viel weniger Schwierigkeit<lb/> hat, als die dramatiſche, und man aus den groſ-<lb/> ſen Muſtern, die jederman bekannt ſind, ſich hin-<lb/> laͤnglich davon unterrichten kann. Die Beſcheiden-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">heit</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0066]
Ang
Ang Ank
die bey dem Wankenden und Widerſprechenden der
Beobachtungen ihm zu Huͤlfe komme; die entwe-
der ſeine Zweifel rechtfertige, oder aufloͤſe.
Zum Fundament dieſer Theorie bemerke er, daß
ein Gegenſtand dadurch angenehm wird, daß er
die Wuͤrkſamkeit der Seele reizt, und daß dieſes
auf zweyerley Art geſchieht; entweder durch die
Vorſtellungskraft, oder durch die Begehrungskraft.
Bey naͤherer Unterſuchung dieſer beyden Gattungen
der Wuͤrkſamkeit wird er die Arten derjenigen Ei-
genſchaften der Dinge entdeken, die angenehm ſind.
So wird er finden, daß die Vorſtellungskraft ge-
reizt wird durch Vollkommenheit, durch Ordnung,
durch Deutlichkeit, durch Wahrheit, durch Schoͤn-
heit, durch Neuigkeit und verſchiedene andere aͤſthe-
tiſche Eigenſchaften; die Begehrungskraft aber
durch das Affektreiche, durch das Zaͤrtliche, durch
das Ruͤhrende, durch das Feyerliche, durch das
Große, durch das Wunderbare, durch das Erha-
bene und andre Eigenſchaften dieſer Art, uͤber wel-
che an ſehr vielen Stellen dieſes Werks naͤhere
Unterſuchungen angeſtellt worden, die zuſammen
genommen eine, wiewol unvollkommene Theorie
des Angenehmen ausmachen.
Angſt.
Der hoͤchſte Grad der Furcht, und alſo eine ſehr
wichtige Leidenſchaft. Da ſie nicht ſo ploͤtzlich und
ſo voruͤber gehend iſt, wie der Schreken, ſondern
lange anhalten, und die Seele in ihren innerſten
Winkeln durchwuͤhlen kann; ſo iſt ſchwerlich irgend
eine andre Leidenſchaft, die ſo daurende Eindruͤke
in dem Gemuͤthe zuruͤk laͤßt. Sie iſt deswegen
hoͤchſt wichtig, weil ſie das kraͤftigſte Mittel iſt, ei-
nen immerwaͤhrenden Abſcheu fuͤr dasjenige zu er-
weken, welches dieſe unertraͤglichſte aller Leiden-
ſchaften hervor gebracht hat.
Von allen Kuͤnſtlern kann der tragiſche Dichter
den beſten Gebrauch davon machen, weil er uns
das innere und aͤußere derſelben vor Augen le-
gen, und vermittelſt der Taͤuſchung dieſe Leiden-
ſchaft in einem ziemlich hohen Grad in uns erwe-
ken kann. Selten koͤnnen die zeichnenden Kuͤnſte
ſich zu dem Grade der Vollkommenheit erheben,
daß ſie die Angſt erweken koͤnnen. Kaum iſt Ra-
phaels großes Genie dazu hinreichend.
Jn dem epiſchen Gedicht hat Klopſtok dieſe
Leidenſchaft ſo wol an dem Abbadona, als an dem
Judas Jſcharioth, mit einer wahren Meiſterhand
behandelt. Auch in der Noachide kommen ver-
ſchiedene ſehr ſchoͤne Bearbeitungen dieſer Leiden-
ſchaft vor, beſonders im zehnten Geſang, da un-
ter andern die Scene, wo Lamech einen im To-
desſchlummer liegenden Suͤnder aufwekt, der beym
Aufwachen glaubt, daß der Tag des Gerichts er-
ſchienen ſey, eine meiſterhafte Erfindung iſt, die
auch Fuͤßli in der, dem X. Geſang vorgeſetzten,
Zeichnung ſehr gluͤklich ausgedruͤkt hat.
Jm Trauerſpiel hat Aeſchylus in den Eumeni-
den die Angſt auf das hoͤchſte getrieben; und un-
ter den Neuern hat Shakeſpear ſie an verſchiedenen
Orten ſo ausnehmend vorgeſtellt, daß es kaum
moͤglich ſcheint, ihn zu uͤbertreffen.
An die Behandlung dieſer Leidenſchaft darf ſich
kein mittelmaͤßiger Kopf wagen; ſie erfodert einen
großen Meiſter.
Ankuͤndigung.
(Redende Kuͤnſte.)
Es traͤgt ſehr viel zur guten Wuͤrkung eines Werks
bey, wenn man gleich von Anfang einige Haupt-
begriffe gefaßt hat, welche die Aufmerkſamkeit durch
das ganze Werk hindurch lenken und unterhalten.
Jn redenden Kuͤnſten, kann dieſe vortheilhafte Lage
des Geiſtes durch eine geſchikte Ankuͤndigung des
Jnhalts hervor gebracht werden. Dadurch wird
der Aufmerkſamkeit die noͤthige Spaunung gegeben,
und ſie wird zugleich dahin, wo es die Abſicht des
Kuͤnſtlers erfodert, gerichtet.
Daher iſt es gekommen, daß die Redner, die
tragiſchen und epiſchen Dichter, insgemein gleich an-
fangs ihre Materie auf die vortheilhafteſte Weiſe
anzukuͤndigen geſucht haben. Jn der Ankuͤndigung
liegt das ganze Werk ſo eingewikelt, wie nach der
Beobachtung der neuern Naturlehrer, die kuͤnftige
Pflanze mit ihren Blaͤttern, Blumen und Fruͤchten
in dem Keim des Saamenkorns liegt. Deswegen iſt
dieſer ſo kleine Theil eines Gedichts oder einer Rede,
hoͤchſt wichtig und erfodert eine große Kunſt.
Ueber die epiſche Ankuͤndigung haben wir am
wenigſten noͤthig uns in eine naͤhere Betrachtung
einzulaſſen; da ſie viel weniger Schwierigkeit
hat, als die dramatiſche, und man aus den groſ-
ſen Muſtern, die jederman bekannt ſind, ſich hin-
laͤnglich davon unterrichten kann. Die Beſcheiden-
heit
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