Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
All Von der glüklichen Erfindung einzeler Bilder Der erste und leichteste ist der Weg des Beyspiels; Der Weg des Gleichnißes, ist schon schweerer. All als eine bloße Landschaft angesehen werden. Eswürde aber zur Allegorie werden, wenn auf demsel- ben Gemählde Personen so vorgestellt würden, daß man deutlich merkte, sie wenden die Vorstellung als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß den Widerwärtigkeiten eine gemäßigte, nachgebende Gemüthsart, und nicht ein stolzer widersetzlicher Sinn, entgegen zu setzen sey. Eine mittelmäßige Erfindungskraft kann durch diesen Weg zu schö- nen allegorischen Gemählden kommen. Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, ist der An dergleichen allegorische Vorstellungen aber -- medi Erster Theil. F
[Spaltenumbruch]
All Von der gluͤklichen Erfindung einzeler Bilder Der erſte und leichteſte iſt der Weg des Beyſpiels; Der Weg des Gleichnißes, iſt ſchon ſchweerer. All als eine bloße Landſchaft angeſehen werden. Eswuͤrde aber zur Allegorie werden, wenn auf demſel- ben Gemaͤhlde Perſonen ſo vorgeſtellt wuͤrden, daß man deutlich merkte, ſie wenden die Vorſtellung als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß den Widerwaͤrtigkeiten eine gemaͤßigte, nachgebende Gemuͤthsart, und nicht ein ſtolzer widerſetzlicher Sinn, entgegen zu ſetzen ſey. Eine mittelmaͤßige Erfindungskraft kann durch dieſen Weg zu ſchoͤ- nen allegoriſchen Gemaͤhlden kommen. Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, iſt der An dergleichen allegoriſche Vorſtellungen aber — medi Erſter Theil. F
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Jnzwi-<lb/> ſchen kann es doch nuͤzlich ſeyn, wenn der Kuͤnſtler<lb/> die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleiſ-<lb/> ſig uͤberdenkt, und ſich uͤbet durch dieſelben zu alle-<lb/> goriſchen Vorſtellungen zu gelangen.</p><lb/> <p>Der erſte und leichteſte iſt der Weg des Beyſpiels;<lb/> da von der Sache, welche man allgemein vor-<lb/> ſtellen will, blos beſondere Faͤlle, als Beyſpiele vor-<lb/> gebildet werden, welche, entweder durch den Ort,<lb/> oder durch gewiße Nebenumſtaͤnde, leicht eine all-<lb/> gemeine Bedeutung bekommen koͤnnen. Ein alter<lb/> Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tem-<lb/> pel der Fortung, den <hi rendition="#fr">Dionyſius in Corinth,</hi> den<lb/><hi rendition="#fr">Tyrtaͤus an der Spitze eines Heeres,</hi> den <hi rendition="#fr">Marius,</hi><lb/> wie er ſich in einem Sumpf verſtekt, <hi rendition="#fr">Beliſarius</hi><lb/> der um Almoſen bittet, oder andere, eben ſo tref-<lb/> fende, beſondere Faͤlle großer Gluͤksveraͤnderungen,<lb/> vorſtellen; ſo war die Allegorie ſchon da. Der Ort<lb/> allein verwandelte dieſe beſondere Faͤlle in allgemei-<lb/> ne Vorſtellungen uͤber die Macht des Gluͤks, dem<lb/> nichts zu hoch iſt, um niedergedruͤkt; nichts zu niedrig,<lb/> um erhoͤhet zu werden. Eine von den erwaͤhnten<lb/> Vorſtellungen, blos in einem Zimmer gemahlt,<lb/> macht noch keine Allegorie aus. Doch wuͤrde es<lb/> einem nachdenkenden Kuͤnſtler nicht ſchweer werden,<lb/> ſie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der For-<lb/> tuna, irgendwo in dem Gemaͤhlde ſelbſt gut ange-<lb/> bracht, auch blos allegoriſche Verzierungen des<lb/> Rahmens, der das Gemaͤhlde einfaßt, waͤren da-<lb/> zu hinlaͤnglich.</p><lb/> <p>Der Weg des Gleichnißes, iſt ſchon ſchweerer.<lb/> Der Kuͤnſtler muß erſt ein gutes Gleichnis erfin-<lb/> den, das ſeinen Gedanken wol ausdruͤket, hernach<lb/> aber durch eine andre Erfindung die Deutung deſ-<lb/> ſelben anzeigen. Ein Gemaͤhlde, auf welchem zu ſe-<lb/> hen waͤre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Ei-<lb/> che niederreißt, hingegen kleinere ſchlanke Baͤume<lb/> und Straͤucher blos etwas niederbeuget, koͤnnte<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">All</hi></fw><lb/> als eine bloße Landſchaft angeſehen werden. 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Daher werden dergleichen Vorſtellungen,<lb/><hi rendition="#fr">reine Allegorien</hi> genennt. Das Gluͤk wuͤrde<lb/> z. E. als eine Goͤttin auf einem Thron ſitzen. Man<lb/> wuͤrde ihr ſolche <hi rendition="#fr">Attributa</hi> geben, wodurch ver-<lb/> ſchiedene Zuͤge ihrer Macht ſo wol, als ihres Ei-<lb/> genſinnes angedeutet wuͤrden. Ein Zauberſtab in<lb/> der Hand, koͤnnte die ſchnelle und wunderbare<lb/> Wuͤrkungen ihrer Macht ansdruͤken. Jhren Thron<lb/> koͤnnte man ſchwebend, und von den verſchiedenen,<lb/> in allegoriſcher Geſtallt erſcheinenden Winden ge-<lb/> tragen, vorſtellen, um ſo wol die Schnelligkeit,<lb/> als die Unbeſtaͤndigkeit ihrer Wendungen auszudruͤ-<lb/> ken. Jn dem Geſicht und in der Stellung koͤnnte<lb/> Wankelmuth, Eigenſinn, Frechheit und Unbeſonnen-<lb/> heit ausgedruͤkt werden. 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All
All
Von der gluͤklichen Erfindung einzeler Bilder
haͤngt auch die Erfindung ganzer Vorſtellungen ab,
ſie ſeyn von der phyſiſchen, moraliſchen oder hi-
ſtoriſchen Gattung. Dieſe Vorſtellungen muͤſſen
nothwendig durch handelnde Perſonen angedeutet
werden; denn eine aus bloßen Zeichen zuſammenge-
ſetzte Vorſtellung, nach Art der hieroglyphiſchen
Schrift auf aͤgyptiſchen Denkmaͤlern, verdient den
Namen eines allegoriſchen Gemaͤhldes niemals. Es
wuͤrde vergeblich ſeyn, beſondere Regeln zu Erfin-
dung ſolcher Gemaͤhlde geben zu wollen. Jnzwi-
ſchen kann es doch nuͤzlich ſeyn, wenn der Kuͤnſtler
die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleiſ-
ſig uͤberdenkt, und ſich uͤbet durch dieſelben zu alle-
goriſchen Vorſtellungen zu gelangen.
Der erſte und leichteſte iſt der Weg des Beyſpiels;
da von der Sache, welche man allgemein vor-
ſtellen will, blos beſondere Faͤlle, als Beyſpiele vor-
gebildet werden, welche, entweder durch den Ort,
oder durch gewiße Nebenumſtaͤnde, leicht eine all-
gemeine Bedeutung bekommen koͤnnen. Ein alter
Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tem-
pel der Fortung, den Dionyſius in Corinth, den
Tyrtaͤus an der Spitze eines Heeres, den Marius,
wie er ſich in einem Sumpf verſtekt, Beliſarius
der um Almoſen bittet, oder andere, eben ſo tref-
fende, beſondere Faͤlle großer Gluͤksveraͤnderungen,
vorſtellen; ſo war die Allegorie ſchon da. Der Ort
allein verwandelte dieſe beſondere Faͤlle in allgemei-
ne Vorſtellungen uͤber die Macht des Gluͤks, dem
nichts zu hoch iſt, um niedergedruͤkt; nichts zu niedrig,
um erhoͤhet zu werden. Eine von den erwaͤhnten
Vorſtellungen, blos in einem Zimmer gemahlt,
macht noch keine Allegorie aus. Doch wuͤrde es
einem nachdenkenden Kuͤnſtler nicht ſchweer werden,
ſie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der For-
tuna, irgendwo in dem Gemaͤhlde ſelbſt gut ange-
bracht, auch blos allegoriſche Verzierungen des
Rahmens, der das Gemaͤhlde einfaßt, waͤren da-
zu hinlaͤnglich.
Der Weg des Gleichnißes, iſt ſchon ſchweerer.
Der Kuͤnſtler muß erſt ein gutes Gleichnis erfin-
den, das ſeinen Gedanken wol ausdruͤket, hernach
aber durch eine andre Erfindung die Deutung deſ-
ſelben anzeigen. Ein Gemaͤhlde, auf welchem zu ſe-
hen waͤre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Ei-
che niederreißt, hingegen kleinere ſchlanke Baͤume
und Straͤucher blos etwas niederbeuget, koͤnnte
als eine bloße Landſchaft angeſehen werden. Es
wuͤrde aber zur Allegorie werden, wenn auf demſel-
ben Gemaͤhlde Perſonen ſo vorgeſtellt wuͤrden, daß
man deutlich merkte, ſie wenden die Vorſtellung
als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß
den Widerwaͤrtigkeiten eine gemaͤßigte, nachgebende
Gemuͤthsart, und nicht ein ſtolzer widerſetzlicher
Sinn, entgegen zu ſetzen ſey. Eine mittelmaͤßige
Erfindungskraft kann durch dieſen Weg zu ſchoͤ-
nen allegoriſchen Gemaͤhlden kommen.
Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, iſt der
ſchweerſte, aber auch, wenn er gluͤklich betreten wird,
der vollkommenſte; indem er am weiteſten fuͤhret.
Wer durch dieſen Weg die Gewalt und die man-
cherley ſeltſamen Wuͤrkungen des Gluͤks vorſtellen
wollte; muͤßte es durch lauter erdichtete Bilder
thun, neben denen nichts wahres oder eigentliches
ſtuͤhnde, wie in den beyden vorhergehenden Beyſpie-
len. Daher werden dergleichen Vorſtellungen,
reine Allegorien genennt. Das Gluͤk wuͤrde
z. E. als eine Goͤttin auf einem Thron ſitzen. Man
wuͤrde ihr ſolche Attributa geben, wodurch ver-
ſchiedene Zuͤge ihrer Macht ſo wol, als ihres Ei-
genſinnes angedeutet wuͤrden. Ein Zauberſtab in
der Hand, koͤnnte die ſchnelle und wunderbare
Wuͤrkungen ihrer Macht ansdruͤken. Jhren Thron
koͤnnte man ſchwebend, und von den verſchiedenen,
in allegoriſcher Geſtallt erſcheinenden Winden ge-
tragen, vorſtellen, um ſo wol die Schnelligkeit,
als die Unbeſtaͤndigkeit ihrer Wendungen auszudruͤ-
ken. Jn dem Geſicht und in der Stellung koͤnnte
Wankelmuth, Eigenſinn, Frechheit und Unbeſonnen-
heit ausgedruͤkt werden. Wollte man die Vorſtel-
lung ausfuͤhrlicher machen, ſo koͤnnte in verſchie-
denen Nebenbildern noch viel angezeiget werden.
Jn dem Gefolge der Goͤttin koͤnnten Reichthum
und Armuth, Hoheit und Sclaverey, und verſchie-
dene Bilder dieſer Art erſcheinen. Vor ihr her
koͤnnte die Sicherheit ziehen oder etwas aͤhnliches,
um anzuzeigen, daß das Gluͤk unerwartet koͤmmt,
und verſchiedenes von dieſer Art.
An dergleichen allegoriſche Vorſtellungen aber
muß ſich kein Kuͤnſtler wagen, als der ſich getrauet
in das Heiligthum der Kunſt zu dringen, wo Apel-
les und Raphael zu allen Geheimnißen derſelben
ſind eingeweyhet worden. Denn hier gilt fuͤr-
nehmlich, was Horaz von den Dichtern ſagt:
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