Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Gru Dieses ist eine der wichtigsten Regeln einer gutenErzählung, wie schon an seinem Ort angemerkt wor- (*) S. Erzählung.den ist (*). Zum Beyspiel einer solchen Gruppirung können wir Bodmers Beschreibung, von dem Ein- gang der Thiere in die Arche, anführen. Das Ge- mähld besteht aus einer unermeßlichen Menge ein- zeler Theile. Hätte der Dichter, ohne es zu grup- piren, uns der Ordnung nach, die ankommenden Thiere ein Paar nach dem andern gleichsam aufge- zählt, so würde er uns ermüdet und verwirrt ha- ben. Darum führt er das Aug zuerst schnell über die Hauptgruppen weg. sie sahn ein seltsames Wunder; Mit diesem einzigen Blik übersehen wir schon das Zuerst stieg [Spaltenumbruch] Gru Alsobald folgte das gestederte Heer; zuerst das Geflügel Auf diese Weise wird eine Erzählung eben wie ein Auch der dogmatische Vortrag erfodert eine ähn- [Spaltenumbruch] Gru Dieſes iſt eine der wichtigſten Regeln einer gutenErzaͤhlung, wie ſchon an ſeinem Ort angemerkt wor- (*) S. Erzaͤhlung.den iſt (*). Zum Beyſpiel einer ſolchen Gruppirung koͤnnen wir Bodmers Beſchreibung, von dem Ein- gang der Thiere in die Arche, anfuͤhren. Das Ge- maͤhld beſteht aus einer unermeßlichen Menge ein- zeler Theile. Haͤtte der Dichter, ohne es zu grup- piren, uns der Ordnung nach, die ankommenden Thiere ein Paar nach dem andern gleichſam aufge- zaͤhlt, ſo wuͤrde er uns ermuͤdet und verwirrt ha- ben. Darum fuͤhrt er das Aug zuerſt ſchnell uͤber die Hauptgruppen weg. ſie ſahn ein ſeltſames Wunder; Mit dieſem einzigen Blik uͤberſehen wir ſchon das Zuerſt ſtieg [Spaltenumbruch] Gru Alſobald folgte das geſtederte Heer; zuerſt das Gefluͤgel Auf dieſe Weiſe wird eine Erzaͤhlung eben wie ein Auch der dogmatiſche Vortrag erfodert eine aͤhn- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0515" n="503"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Gru</hi></fw><lb/> Dieſes iſt eine der wichtigſten Regeln einer guten<lb/> Erzaͤhlung, wie ſchon an ſeinem Ort angemerkt wor-<lb/><note place="left">(*) S.<lb/> Erzaͤhlung.</note>den iſt (*). Zum Beyſpiel einer ſolchen Gruppirung<lb/> koͤnnen wir Bodmers Beſchreibung, von dem Ein-<lb/> gang der Thiere in die Arche, anfuͤhren. Das Ge-<lb/> maͤhld beſteht aus einer unermeßlichen Menge ein-<lb/> zeler Theile. Haͤtte der Dichter, ohne es zu grup-<lb/> piren, uns der Ordnung nach, die ankommenden<lb/> Thiere ein Paar nach dem andern gleichſam aufge-<lb/> zaͤhlt, ſo wuͤrde er uns ermuͤdet und verwirrt ha-<lb/> ben. Darum fuͤhrt er das Aug zuerſt ſchnell uͤber<lb/> die Hauptgruppen weg.</p><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#et">ſie ſahn ein ſeltſames Wunder;</hi><lb/> Voͤgel, Vieh und Wuͤrmer kamen.</quote> </cit><lb/> <p>Mit dieſem einzigen Blik uͤberſehen wir ſchon das<lb/> ganze Gemaͤhld in drey Hauptgruppen. Aber je-<lb/> de dieſer Hauptgruppen hat noch zu viel Mannig-<lb/> faltigkeit; darum theilt jede ſich wieder in Neben-<lb/> gruppen.</p><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#et">Zuerſt ſtieg</hi><lb/> Ueber die Bruͤke die Schaar, die auf vier Fuͤßen einhergeht.<lb/> Sechs Geſchlechte.<lb/> — —</quote> </cit><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Gru</hi> </fw><lb/> <cit> <quote>Alſobald folgte das geſtederte Heer; zuerſt das Gefluͤgel<lb/> Von der gefraͤßigen Art u. ſ. w.<lb/> — — —<lb/> Nach der gefluͤgelten Schaar kam ein kleiner gehaſſeter<lb/><hi rendition="#et">Hauffe</hi><lb/> Der in die Fluth und das trokene Land ſein Leben vertheilet<lb/> — —<lb/> Noch war ein Volk zuruͤk, die Pygmaͤen in Reiche der<lb/><hi rendition="#et">Thiere.</hi></quote> </cit><lb/> <p>Auf dieſe Weiſe wird eine Erzaͤhlung eben wie ein<lb/> Gemaͤhlde gruppirt. Man uͤberſieht erſt das Ganze;<lb/> dann jeden großen Haupttheil beſonders wieder in<lb/> ſeinem Ganzen, und darauf die Theile dieſer Theile.</p><lb/> <p>Auch der dogmatiſche Vortrag erfodert eine aͤhn-<lb/> liche Gruppirung, damit man zuerſt das Ganze uͤber-<lb/> ſehen, die Haupttheile in ihrer Ordnung und Ab-<lb/> haͤnglichkeit von einander bemerke, und von da auf<lb/> die Betrachtung des Einzelen komme. Dieſen Theil<lb/> der redenden Kunſt ſcheinen die neuern franzoͤſiſchen<lb/> Schriftſteller mehr, als irgend eine gelehrte Nation<lb/> ſtudirt zu haben. Jm dogmatiſchen Vortrag koͤn-<lb/> nen, was die gute Gruppirung der Materie betrift,<lb/> alle andre Voͤlker von ihnen lernen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [503/0515]
Gru
Gru
Dieſes iſt eine der wichtigſten Regeln einer guten
Erzaͤhlung, wie ſchon an ſeinem Ort angemerkt wor-
den iſt (*). Zum Beyſpiel einer ſolchen Gruppirung
koͤnnen wir Bodmers Beſchreibung, von dem Ein-
gang der Thiere in die Arche, anfuͤhren. Das Ge-
maͤhld beſteht aus einer unermeßlichen Menge ein-
zeler Theile. Haͤtte der Dichter, ohne es zu grup-
piren, uns der Ordnung nach, die ankommenden
Thiere ein Paar nach dem andern gleichſam aufge-
zaͤhlt, ſo wuͤrde er uns ermuͤdet und verwirrt ha-
ben. Darum fuͤhrt er das Aug zuerſt ſchnell uͤber
die Hauptgruppen weg.
(*) S.
Erzaͤhlung.
ſie ſahn ein ſeltſames Wunder;
Voͤgel, Vieh und Wuͤrmer kamen.
Mit dieſem einzigen Blik uͤberſehen wir ſchon das
ganze Gemaͤhld in drey Hauptgruppen. Aber je-
de dieſer Hauptgruppen hat noch zu viel Mannig-
faltigkeit; darum theilt jede ſich wieder in Neben-
gruppen.
Zuerſt ſtieg
Ueber die Bruͤke die Schaar, die auf vier Fuͤßen einhergeht.
Sechs Geſchlechte.
— —
Alſobald folgte das geſtederte Heer; zuerſt das Gefluͤgel
Von der gefraͤßigen Art u. ſ. w.
— — —
Nach der gefluͤgelten Schaar kam ein kleiner gehaſſeter
Hauffe
Der in die Fluth und das trokene Land ſein Leben vertheilet
— —
Noch war ein Volk zuruͤk, die Pygmaͤen in Reiche der
Thiere.
Auf dieſe Weiſe wird eine Erzaͤhlung eben wie ein
Gemaͤhlde gruppirt. Man uͤberſieht erſt das Ganze;
dann jeden großen Haupttheil beſonders wieder in
ſeinem Ganzen, und darauf die Theile dieſer Theile.
Auch der dogmatiſche Vortrag erfodert eine aͤhn-
liche Gruppirung, damit man zuerſt das Ganze uͤber-
ſehen, die Haupttheile in ihrer Ordnung und Ab-
haͤnglichkeit von einander bemerke, und von da auf
die Betrachtung des Einzelen komme. Dieſen Theil
der redenden Kunſt ſcheinen die neuern franzoͤſiſchen
Schriftſteller mehr, als irgend eine gelehrte Nation
ſtudirt zu haben. Jm dogmatiſchen Vortrag koͤn-
nen, was die gute Gruppirung der Materie betrift,
alle andre Voͤlker von ihnen lernen.
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