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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Geg

Man kann aber den Gebrauch des Gegensatzes
auch leicht übertreiben, und dadurch ins Gezierte
fallen. Die Redner und Dichter, die in dem Wahn
stehen, man könne keinen Charakter, und kaum ei-
nen einzeln Gedanken vortragen, ohne ihm einen
Gegensatz zu geben, fallen dadurch leicht ins Abge-
schmakte. Man muß ihn mit eben der wirthschaft-
lichen Klugheit gebrauchen, wie andre Würzen der
Rede. So wenig man Gleichnisse und mahlende
Bilder häufen muß, so wenig soll dieses mit dem
Gegensatz der Gedanken und Begriffe geschehen.
Er ist nur da nützlich, wo viel darauf ankömmt,
daß einzele Gedanken oder Begriffe vollkommen leb-
haft oder deutlich werden.

Also müssen Redner und Dichter mit der Figur,
die man Antithesis nennt, und die eine blos zur
Schreibart gehörige Gattung des Gegensatzes ist,
behutsam umgehen.

Dieser Gegensatz ist von dem beschriebenen fast so
unterschieden, wie die Metapher von dem Gleich-
niß. Denn wie in dem Gleichniß, so wol das Bild,
als das Gegenbild, jedes besonder beschrieben, in
der Metapher aber beyde in einen Gegenstand ver-
einiget werden, so werden im Gegensatz, den wir
beschrieben haben, beyde Gegenstände besonders dar-
gestellt, in der Antithese aber werden sie in einen
einzigen Gedanken verbunden, oder der Gegensatz
wird gleichsam nur im Vorbeygang berührt. Ein
solcher Gegensatz liegt in folgenden Worten: Vol-
vitur ille vomens calidum de pectore flumen fri-

(*) Aen.
IX.
414.
gidus, (*) da die Wörter calidum und frigidus
einander entgegengesetzt werden. Die ganze Schreib-
art mit solchen kleinen Gegensätzen gleichsam zu ver-
brämen, wie so viele französische Schriftsteller thun,
ist eine dem guten Geschmak ganz zuwiderlaufende
Sache. Die Menge kleiner Gegensätze macht, daß
man nicht Zeit hat, auf den Zusammenhang der Ge-
danken Achtung zu geben; indem die Aufmerksam-
keit offenbar von der Hauptsach abgezogen, und nur
auf einzele Redensarten gelenkt wird.

Mit Verstand und am rechten Ort angebracht,
thut diese Figur fürtreffliche Würkung, wie z. B.
in dieser Stelle des Horaz

-- qui fragilem truci
Commisit pelago ratem.

Man findet so gar, daß bisweilen eine ganze Reyhe
solcher Gegensätze von großen Meistern gebraucht
werden, wovon folgendes zum Beyspiel dienen kann.
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Geg
Conferte hanc pacem cum illo bello; hujus praetoris
adventum cum illius imperatoris victoria; hujus
cohortem impuram cum illius exercitu invicto;
hujus libidines, cum illius continentia: ab illo, qui
cepit, conditas, ab hoc, qui constitutas accepit,
captas dicetis Syracusas.
(*) Aber selbst Cicero ist(*) Cicero
in Verrem
Or. IV.

hier nicht ohne Tadel. Bey einer so ernsthaften
Sache, als die wovon hier geredet wird, sollte der
Redner nicht Zeit haben, so viel Antithesen an ein-
ander zu hängen. Es würde dem Tone, der hier
herrschen sollte, weit angemessener gewesen seyn,
wenn nicht das Einzele dem Einzeln, sondern das
Ganze dem Ganzen wär entgegen gesetzt worden,
wie hier: Quam (legem) non didicimus, accepi-
mus, legimus, verum ex natura ipsa arripuimus,
expressimus, hausimus.

Gegensatz. Contrasubject.
(Musik)

Jst in der Fuge eine, währendem Gesang des Füh-
rers eintretende Zwischenstimme, wovon in dem Ar-
tikel Fuge ein Beyspiel zu sehen ist. Es ist eben
nicht allemal nothwendig, solche Gegensätze in den
Fugen anzubringen, bisweilen aber werden sie noth-
wendig. Dieses geschieht 1. wenn das Hauptthema
oder der Führer so beschaffen ist, daß er den Ton
nicht hinlänglich bestimmt, welches bisweilen ge-
schieht, wenn er in der Dominante eines dur Tons
anfängt und seinen Umfang eine Octave aufwärts
nihmt. Wenn z. E. eine Fuge in C dur so
anfienge:

[Abbildung]

So würde der Hauptgesang noch eher den Ton
G dur, als C dur bestimmen. Dieses zu verhin-
dern dienet der gleich von Anfang eintretende Gegen-
satz, da die Töne e und c im ersten Takt, und der
Ton f im zweyten, so gleich den Ton bestimmen.
2. Auch ist ein Gegensatz nöthig, oder doch sehr gut,
wenn eine Fuge mit ganzen Takten und sehr lang-
sam anfängt, da denn ein solches Zwischenspiel das
Langweilige des Gesanges unterbricht. 3. Wenn

in
K k k 2
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Geg

Man kann aber den Gebrauch des Gegenſatzes
auch leicht uͤbertreiben, und dadurch ins Gezierte
fallen. Die Redner und Dichter, die in dem Wahn
ſtehen, man koͤnne keinen Charakter, und kaum ei-
nen einzeln Gedanken vortragen, ohne ihm einen
Gegenſatz zu geben, fallen dadurch leicht ins Abge-
ſchmakte. Man muß ihn mit eben der wirthſchaft-
lichen Klugheit gebrauchen, wie andre Wuͤrzen der
Rede. So wenig man Gleichniſſe und mahlende
Bilder haͤufen muß, ſo wenig ſoll dieſes mit dem
Gegenſatz der Gedanken und Begriffe geſchehen.
Er iſt nur da nuͤtzlich, wo viel darauf ankoͤmmt,
daß einzele Gedanken oder Begriffe vollkommen leb-
haft oder deutlich werden.

Alſo muͤſſen Redner und Dichter mit der Figur,
die man Antitheſis nennt, und die eine blos zur
Schreibart gehoͤrige Gattung des Gegenſatzes iſt,
behutſam umgehen.

Dieſer Gegenſatz iſt von dem beſchriebenen faſt ſo
unterſchieden, wie die Metapher von dem Gleich-
niß. Denn wie in dem Gleichniß, ſo wol das Bild,
als das Gegenbild, jedes beſonder beſchrieben, in
der Metapher aber beyde in einen Gegenſtand ver-
einiget werden, ſo werden im Gegenſatz, den wir
beſchrieben haben, beyde Gegenſtaͤnde beſonders dar-
geſtellt, in der Antitheſe aber werden ſie in einen
einzigen Gedanken verbunden, oder der Gegenſatz
wird gleichſam nur im Vorbeygang beruͤhrt. Ein
ſolcher Gegenſatz liegt in folgenden Worten: Vol-
vitur ille vomens calidum de pectore flumen fri-

(*) Aen.
IX.
414.
gidus, (*) da die Woͤrter calidum und frigidus
einander entgegengeſetzt werden. Die ganze Schreib-
art mit ſolchen kleinen Gegenſaͤtzen gleichſam zu ver-
braͤmen, wie ſo viele franzoͤſiſche Schriftſteller thun,
iſt eine dem guten Geſchmak ganz zuwiderlaufende
Sache. Die Menge kleiner Gegenſaͤtze macht, daß
man nicht Zeit hat, auf den Zuſammenhang der Ge-
danken Achtung zu geben; indem die Aufmerkſam-
keit offenbar von der Hauptſach abgezogen, und nur
auf einzele Redensarten gelenkt wird.

Mit Verſtand und am rechten Ort angebracht,
thut dieſe Figur fuͤrtreffliche Wuͤrkung, wie z. B.
in dieſer Stelle des Horaz

qui fragilem truci
Commiſit pelago ratem.

Man findet ſo gar, daß bisweilen eine ganze Reyhe
ſolcher Gegenſaͤtze von großen Meiſtern gebraucht
werden, wovon folgendes zum Beyſpiel dienen kann.
[Spaltenumbruch]

Geg
Conferte hanc pacem cum illo bello; hujus prætoris
adventum cum illius imperatoris victoria; hujus
cohortem impuram cum illius exercitu invicto;
hujus libidines, cum illius continentia: ab illo, qui
cepit, conditas, ab hoc, qui conſtitutas accepit,
captas dicetis Syracuſas.
(*) Aber ſelbſt Cicero iſt(*) Cicero
in Verrem
Or. IV.

hier nicht ohne Tadel. Bey einer ſo ernſthaften
Sache, als die wovon hier geredet wird, ſollte der
Redner nicht Zeit haben, ſo viel Antitheſen an ein-
ander zu haͤngen. Es wuͤrde dem Tone, der hier
herrſchen ſollte, weit angemeſſener geweſen ſeyn,
wenn nicht das Einzele dem Einzeln, ſondern das
Ganze dem Ganzen waͤr entgegen geſetzt worden,
wie hier: Quam (legem) non didicimus, accepi-
mus, legimus, verum ex natura ipſa arripuimus,
expreſſimus, hauſimus.

Gegenſatz. Contraſubject.
(Muſik)

Jſt in der Fuge eine, waͤhrendem Geſang des Fuͤh-
rers eintretende Zwiſchenſtimme, wovon in dem Ar-
tikel Fuge ein Beyſpiel zu ſehen iſt. Es iſt eben
nicht allemal nothwendig, ſolche Gegenſaͤtze in den
Fugen anzubringen, bisweilen aber werden ſie noth-
wendig. Dieſes geſchieht 1. wenn das Hauptthema
oder der Fuͤhrer ſo beſchaffen iſt, daß er den Ton
nicht hinlaͤnglich beſtimmt, welches bisweilen ge-
ſchieht, wenn er in der Dominante eines dur Tons
anfaͤngt und ſeinen Umfang eine Octave aufwaͤrts
nihmt. Wenn z. E. eine Fuge in C dur ſo
anfienge:

[Abbildung]

So wuͤrde der Hauptgeſang noch eher den Ton
G dur, als C dur beſtimmen. Dieſes zu verhin-
dern dienet der gleich von Anfang eintretende Gegen-
ſatz, da die Toͤne e und c im erſten Takt, und der
Ton f im zweyten, ſo gleich den Ton beſtimmen.
2. Auch iſt ein Gegenſatz noͤthig, oder doch ſehr gut,
wenn eine Fuge mit ganzen Takten und ſehr lang-
ſam anfaͤngt, da denn ein ſolches Zwiſchenſpiel das
Langweilige des Geſanges unterbricht. 3. Wenn

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[443/0455] Geg Geg Man kann aber den Gebrauch des Gegenſatzes auch leicht uͤbertreiben, und dadurch ins Gezierte fallen. Die Redner und Dichter, die in dem Wahn ſtehen, man koͤnne keinen Charakter, und kaum ei- nen einzeln Gedanken vortragen, ohne ihm einen Gegenſatz zu geben, fallen dadurch leicht ins Abge- ſchmakte. Man muß ihn mit eben der wirthſchaft- lichen Klugheit gebrauchen, wie andre Wuͤrzen der Rede. So wenig man Gleichniſſe und mahlende Bilder haͤufen muß, ſo wenig ſoll dieſes mit dem Gegenſatz der Gedanken und Begriffe geſchehen. Er iſt nur da nuͤtzlich, wo viel darauf ankoͤmmt, daß einzele Gedanken oder Begriffe vollkommen leb- haft oder deutlich werden. Alſo muͤſſen Redner und Dichter mit der Figur, die man Antitheſis nennt, und die eine blos zur Schreibart gehoͤrige Gattung des Gegenſatzes iſt, behutſam umgehen. Dieſer Gegenſatz iſt von dem beſchriebenen faſt ſo unterſchieden, wie die Metapher von dem Gleich- niß. Denn wie in dem Gleichniß, ſo wol das Bild, als das Gegenbild, jedes beſonder beſchrieben, in der Metapher aber beyde in einen Gegenſtand ver- einiget werden, ſo werden im Gegenſatz, den wir beſchrieben haben, beyde Gegenſtaͤnde beſonders dar- geſtellt, in der Antitheſe aber werden ſie in einen einzigen Gedanken verbunden, oder der Gegenſatz wird gleichſam nur im Vorbeygang beruͤhrt. Ein ſolcher Gegenſatz liegt in folgenden Worten: Vol- vitur ille vomens calidum de pectore flumen fri- gidus, (*) da die Woͤrter calidum und frigidus einander entgegengeſetzt werden. Die ganze Schreib- art mit ſolchen kleinen Gegenſaͤtzen gleichſam zu ver- braͤmen, wie ſo viele franzoͤſiſche Schriftſteller thun, iſt eine dem guten Geſchmak ganz zuwiderlaufende Sache. Die Menge kleiner Gegenſaͤtze macht, daß man nicht Zeit hat, auf den Zuſammenhang der Ge- danken Achtung zu geben; indem die Aufmerkſam- keit offenbar von der Hauptſach abgezogen, und nur auf einzele Redensarten gelenkt wird. (*) Aen. IX. 414. Mit Verſtand und am rechten Ort angebracht, thut dieſe Figur fuͤrtreffliche Wuͤrkung, wie z. B. in dieſer Stelle des Horaz — qui fragilem truci Commiſit pelago ratem. Man findet ſo gar, daß bisweilen eine ganze Reyhe ſolcher Gegenſaͤtze von großen Meiſtern gebraucht werden, wovon folgendes zum Beyſpiel dienen kann. Conferte hanc pacem cum illo bello; hujus prætoris adventum cum illius imperatoris victoria; hujus cohortem impuram cum illius exercitu invicto; hujus libidines, cum illius continentia: ab illo, qui cepit, conditas, ab hoc, qui conſtitutas accepit, captas dicetis Syracuſas. (*) Aber ſelbſt Cicero iſt hier nicht ohne Tadel. Bey einer ſo ernſthaften Sache, als die wovon hier geredet wird, ſollte der Redner nicht Zeit haben, ſo viel Antitheſen an ein- ander zu haͤngen. Es wuͤrde dem Tone, der hier herrſchen ſollte, weit angemeſſener geweſen ſeyn, wenn nicht das Einzele dem Einzeln, ſondern das Ganze dem Ganzen waͤr entgegen geſetzt worden, wie hier: Quam (legem) non didicimus, accepi- mus, legimus, verum ex natura ipſa arripuimus, expreſſimus, hauſimus. (*) Cicero in Verrem Or. IV. Gegenſatz. Contraſubject. (Muſik) Jſt in der Fuge eine, waͤhrendem Geſang des Fuͤh- rers eintretende Zwiſchenſtimme, wovon in dem Ar- tikel Fuge ein Beyſpiel zu ſehen iſt. Es iſt eben nicht allemal nothwendig, ſolche Gegenſaͤtze in den Fugen anzubringen, bisweilen aber werden ſie noth- wendig. Dieſes geſchieht 1. wenn das Hauptthema oder der Fuͤhrer ſo beſchaffen iſt, daß er den Ton nicht hinlaͤnglich beſtimmt, welches bisweilen ge- ſchieht, wenn er in der Dominante eines dur Tons anfaͤngt und ſeinen Umfang eine Octave aufwaͤrts nihmt. Wenn z. E. eine Fuge in C dur ſo anfienge: [Abbildung] So wuͤrde der Hauptgeſang noch eher den Ton G dur, als C dur beſtimmen. Dieſes zu verhin- dern dienet der gleich von Anfang eintretende Gegen- ſatz, da die Toͤne e und c im erſten Takt, und der Ton f im zweyten, ſo gleich den Ton beſtimmen. 2. Auch iſt ein Gegenſatz noͤthig, oder doch ſehr gut, wenn eine Fuge mit ganzen Takten und ſehr lang- ſam anfaͤngt, da denn ein ſolches Zwiſchenſpiel das Langweilige des Geſanges unterbricht. 3. Wenn in K k k 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/455>, abgerufen am 22.11.2024.