Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Fün Fur [Abbildung]
Bey Verdoppelung einer Consonanz hat man [Abbildung]
Der fünfstimmige Satz muß überhaupt eben so rein, Furcht. (Schöne Künste.) Diese Leidenschaft kann auf verschiedene Weise und Fur nehmlich, damit wir durch sie der Gefahr entgehen,die uns drohet. Dieses geschieht entweder durch die Flucht, oder durch den Sieg, den wir über den uns drohenden Feind erhalten. Der sinnliche Mensch, der nicht gewohnt ist, sei- Die Furcht entsteht aus der Vorstellung der Ge- Der Künstler muß also keine Gelegenheit versäu- Nach-
[Spaltenumbruch]
Fuͤn Fur [Abbildung]
Bey Verdoppelung einer Conſonanz hat man [Abbildung]
Der fuͤnfſtimmige Satz muß uͤberhaupt eben ſo rein, Furcht. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dieſe Leidenſchaft kann auf verſchiedene Weiſe und Fur nehmlich, damit wir durch ſie der Gefahr entgehen,die uns drohet. Dieſes geſchieht entweder durch die Flucht, oder durch den Sieg, den wir uͤber den uns drohenden Feind erhalten. Der ſinnliche Menſch, der nicht gewohnt iſt, ſei- Die Furcht entſteht aus der Vorſtellung der Ge- Der Kuͤnſtler muß alſo keine Gelegenheit verſaͤu- Nach-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0424" n="412"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Fuͤn Fur</hi> </fw><lb/> <figure/><lb/> <p>Bey Verdoppelung einer Conſonanz hat man<lb/> darauf zu ſehen, daß die Terz niemals weggelaſſen<lb/> werde, weil ſie bey jedem Accord noͤthig iſt. Am<lb/> beſten thut man, daß man die Octave verdoppele;<lb/> wo dieſes nicht angeht, die Quinte; ohne Noth<lb/> aber muß man die Terz, zumal die große, nicht<lb/> verdoppeln. Aus dieſem Grunde hat man in dem<lb/><note place="left">(*) Auf<lb/> der vorher-<lb/> gehenden<lb/> Seite.</note>mit * bezeichneten Accord (*) die Octave ganz wegge-<lb/> laſſen, weil der Baßton die große Terz des eigent-<lb/> lichen Grundtones <hi rendition="#aq">C</hi> iſt, die ſich nicht leicht ver-<lb/> doppeln laͤßt. Bey dißonirenden Accorden kann die<lb/> Dißonanz nicht verdoppelt werden, weil offenbar<lb/> bey den Aufloͤſungen derſelben Octaven entſtuͤhnden.<lb/> Man verdoppelt alſo allemal eine der Conſonanzen;<lb/> nur muß man bey den Vorhalten die Conſonanz<lb/> nicht verdoppeln, die einen Vorhalt hat; alſo beym<lb/> Nonen-Accord die Quinte, wie hier.</p><lb/> <figure/><lb/> <p>Der fuͤnfſtimmige Satz muß uͤberhaupt eben ſo rein,<lb/> als der vierſtimmige ſeyn; nur in den Mittelſtim-<lb/> men vermeidet man Quinten und Octaven nicht mit<lb/> der genauen Sorgfalt, wie im drey- und vierſtim-<lb/> migen Satz. Die aͤußerſte Stimme aber muß<lb/> gegen den Baß auch hier vollkommen rein ſeyn.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Furcht.</hi><lb/> (Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>ieſe Leidenſchaft kann auf verſchiedene Weiſe und<lb/> bey mancherley Gelegenheit ein Gegenſtand der ſchoͤ-<lb/> nen Kuͤnſte werden. Es iſt leicht zu bemerken, aus<lb/> was fuͤr Abſicht die Natur den Menſchen die Faͤhig-<lb/> keit, Furcht zu fuͤhlen, gegeben hat. Sie dienet fuͤr-<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fur</hi></fw><lb/> nehmlich, damit wir durch ſie der Gefahr entgehen,<lb/> die uns drohet. Dieſes geſchieht entweder durch die<lb/> Flucht, oder durch den Sieg, den wir uͤber den uns<lb/> drohenden Feind erhalten.</p><lb/> <p>Der ſinnliche Menſch, der nicht gewohnt iſt, ſei-<lb/> nen Zuſtand von allen Seiten her mit Ueberlegung<lb/> zu betrachten, noch die Folgen ſeiner Handlungen<lb/> zum voraus zu uͤberdenken, geraͤth in eine traͤge<lb/> Sorgloſigkeit, wodurch er ſich in mancherley Uebel<lb/> ſtuͤrzet, dem er durch Furcht, wenn er ſie nur zu<lb/> rechter Zeit gefuͤhlt haͤtte, entgangen waͤre. Oft<lb/> aber geſchieht es auch, daß man durch unzeitige<lb/> Furcht mitten im Uebel ſteken bleibt, aus welchem<lb/> man ſich mit einigem Muth wuͤrde heraus gezogen<lb/> haben. Leichtſinnigkeit und Mangel der Ueberle-<lb/> gung machen ſorgelos und unbeſonnen, ſo wie ſie<lb/> auch zaghaft machen. Es gehoͤrt alſo zur Vollkom-<lb/> menheit des Menſchen, daß er auf der Mittelſtraße,<lb/> zwiſchen der Unbeſonnenheit und Zaghaftigkeit, ein-<lb/> hergehe. Dem Kuͤnſtler liegt ob, keine Gelegenheit<lb/> zu verſaͤumen, ihm, wo es noͤthig iſt, das Gefuͤhl der<lb/> Furcht zu ſchaͤrfen, oder zu ſchwaͤchen.</p><lb/> <p>Die Furcht entſteht aus der Vorſtellung der Ge-<lb/> fahr, dieſe aber, aus einem vorhandenen oder her-<lb/> annahenden Uebel. Es iſt wichtig, daß ein Menſch<lb/> jedes betraͤchtliche Uebel, das ihn nach ſeinen Um-<lb/> ſtaͤnden betreffen kann, kennen lerne. Nun iſt es<lb/> das unmittelbareſte Geſchaͤft der ſchoͤnen Kuͤnſte,<lb/> uns alle im menſchlichen Leben vorkommenden Vor-<lb/> faͤlle abzubilden, und uns einigermaaßen das zu er-<lb/> ſetzen, was uns an eigener Erfahrung abgehet. (*)<note place="right">(*) S.<lb/> Kuͤnſte.</note><lb/> Alſo muß der Kuͤnſtler, der ſeinem Beruf Genuͤge<lb/> leiſten will, jedes Gute und Boͤſe kennen, und<lb/> als ein verſtaͤndiger und geſezter Mann, der weder<lb/> unbeſonnen noch zaghaft iſt, zu behandeln wiſſen.<lb/> Denn dieſes iſt der einzige Weg, den Gemuͤthern der<lb/> Menſchen, in Abſicht auf die Leidenſchaft der Furcht,<lb/> die vortheilhafteſte Stimmung zu geben.</p><lb/> <p>Der Kuͤnſtler muß alſo keine Gelegenheit verſaͤu-<lb/> men, die Menſchen mit allen Arten der Gefahren<lb/> und des Uebels, denen ſie ausgeſetzt ſind, bekannt zu<lb/> machen. Die beſte Gelegenheit dazu haben die epi-<lb/> ſchen und die dramatiſchen Dichter, deren eigentli-<lb/> ches Werk es iſt, die mannigfaltigen Scenen des<lb/> Lebens uns vor Augen zu bringen. Dem Kuͤnſt-<lb/> ler gebuͤhrt dabey zu uͤberlegen, wo er die Gemuͤther<lb/> mit Furcht oder mit Muth erfuͤllen ſoll. Es giebt<lb/> gewiſſe Uebel, die man ſich ſchlechterdings durch<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nach-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [412/0424]
Fuͤn Fur
Fur
[Abbildung]
Bey Verdoppelung einer Conſonanz hat man
darauf zu ſehen, daß die Terz niemals weggelaſſen
werde, weil ſie bey jedem Accord noͤthig iſt. Am
beſten thut man, daß man die Octave verdoppele;
wo dieſes nicht angeht, die Quinte; ohne Noth
aber muß man die Terz, zumal die große, nicht
verdoppeln. Aus dieſem Grunde hat man in dem
mit * bezeichneten Accord (*) die Octave ganz wegge-
laſſen, weil der Baßton die große Terz des eigent-
lichen Grundtones C iſt, die ſich nicht leicht ver-
doppeln laͤßt. Bey dißonirenden Accorden kann die
Dißonanz nicht verdoppelt werden, weil offenbar
bey den Aufloͤſungen derſelben Octaven entſtuͤhnden.
Man verdoppelt alſo allemal eine der Conſonanzen;
nur muß man bey den Vorhalten die Conſonanz
nicht verdoppeln, die einen Vorhalt hat; alſo beym
Nonen-Accord die Quinte, wie hier.
(*) Auf
der vorher-
gehenden
Seite.
[Abbildung]
Der fuͤnfſtimmige Satz muß uͤberhaupt eben ſo rein,
als der vierſtimmige ſeyn; nur in den Mittelſtim-
men vermeidet man Quinten und Octaven nicht mit
der genauen Sorgfalt, wie im drey- und vierſtim-
migen Satz. Die aͤußerſte Stimme aber muß
gegen den Baß auch hier vollkommen rein ſeyn.
Furcht.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Dieſe Leidenſchaft kann auf verſchiedene Weiſe und
bey mancherley Gelegenheit ein Gegenſtand der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte werden. Es iſt leicht zu bemerken, aus
was fuͤr Abſicht die Natur den Menſchen die Faͤhig-
keit, Furcht zu fuͤhlen, gegeben hat. Sie dienet fuͤr-
nehmlich, damit wir durch ſie der Gefahr entgehen,
die uns drohet. Dieſes geſchieht entweder durch die
Flucht, oder durch den Sieg, den wir uͤber den uns
drohenden Feind erhalten.
Der ſinnliche Menſch, der nicht gewohnt iſt, ſei-
nen Zuſtand von allen Seiten her mit Ueberlegung
zu betrachten, noch die Folgen ſeiner Handlungen
zum voraus zu uͤberdenken, geraͤth in eine traͤge
Sorgloſigkeit, wodurch er ſich in mancherley Uebel
ſtuͤrzet, dem er durch Furcht, wenn er ſie nur zu
rechter Zeit gefuͤhlt haͤtte, entgangen waͤre. Oft
aber geſchieht es auch, daß man durch unzeitige
Furcht mitten im Uebel ſteken bleibt, aus welchem
man ſich mit einigem Muth wuͤrde heraus gezogen
haben. Leichtſinnigkeit und Mangel der Ueberle-
gung machen ſorgelos und unbeſonnen, ſo wie ſie
auch zaghaft machen. Es gehoͤrt alſo zur Vollkom-
menheit des Menſchen, daß er auf der Mittelſtraße,
zwiſchen der Unbeſonnenheit und Zaghaftigkeit, ein-
hergehe. Dem Kuͤnſtler liegt ob, keine Gelegenheit
zu verſaͤumen, ihm, wo es noͤthig iſt, das Gefuͤhl der
Furcht zu ſchaͤrfen, oder zu ſchwaͤchen.
Die Furcht entſteht aus der Vorſtellung der Ge-
fahr, dieſe aber, aus einem vorhandenen oder her-
annahenden Uebel. Es iſt wichtig, daß ein Menſch
jedes betraͤchtliche Uebel, das ihn nach ſeinen Um-
ſtaͤnden betreffen kann, kennen lerne. Nun iſt es
das unmittelbareſte Geſchaͤft der ſchoͤnen Kuͤnſte,
uns alle im menſchlichen Leben vorkommenden Vor-
faͤlle abzubilden, und uns einigermaaßen das zu er-
ſetzen, was uns an eigener Erfahrung abgehet. (*)
Alſo muß der Kuͤnſtler, der ſeinem Beruf Genuͤge
leiſten will, jedes Gute und Boͤſe kennen, und
als ein verſtaͤndiger und geſezter Mann, der weder
unbeſonnen noch zaghaft iſt, zu behandeln wiſſen.
Denn dieſes iſt der einzige Weg, den Gemuͤthern der
Menſchen, in Abſicht auf die Leidenſchaft der Furcht,
die vortheilhafteſte Stimmung zu geben.
(*) S.
Kuͤnſte.
Der Kuͤnſtler muß alſo keine Gelegenheit verſaͤu-
men, die Menſchen mit allen Arten der Gefahren
und des Uebels, denen ſie ausgeſetzt ſind, bekannt zu
machen. Die beſte Gelegenheit dazu haben die epi-
ſchen und die dramatiſchen Dichter, deren eigentli-
ches Werk es iſt, die mannigfaltigen Scenen des
Lebens uns vor Augen zu bringen. Dem Kuͤnſt-
ler gebuͤhrt dabey zu uͤberlegen, wo er die Gemuͤther
mit Furcht oder mit Muth erfuͤllen ſoll. Es giebt
gewiſſe Uebel, die man ſich ſchlechterdings durch
Nach-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |