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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Fun
[Abbildung]

Hier enthält das obere Liniensystem die Noten des
Baßes, so wie sie gespielt werden; das untere
aber die Noten, welche die eigentlichen Grundtöne
jedes Accords anzeigen, und ist also der Fundamen-
talbaß, der auch Grundbaß genennt wird.

Dieser Baß ist also nicht zum Spielen, wird
auch selten, und in Deutschland fast niemals ge-
schrieben. Jn zweifelhaften Fällen, wo man an-
stehen könnte, auf welcher Grundharmonie gewisse
Accorde beruhen, kann er so gleich die Zweifel he-
ben, wie aus folgendem Beyspiel zu sehen ist:

[Abbildung]

Man könnte hier den Septimen-Accord auf dem
Ton G für den wesentlichen Septimen-Accord auf
(*) S.
Septimen-
accord.
der Dominante des Hauptones halten (*), und sich
wundern, warum nach demselben nicht ein Schluß
nach C erfolgte; der darunter geschriebene Funda-
mentalbaß zeiget, daß dieses ein verwechselter Sept-
Nonenaccord auf dem Grundton E sey, auf wel-
chen der Schluß nach A geschehen muß.

Wer nur einigermaaßen mit den wahren Regeln
der Harmonie bekannt ist, hat selten nöthig, daß
ihm dieselbe erst durch einen Fundamentalbaß er-
läutert werde. Daher kömmt es, daß in Deutsch-
land und Jtalien des Fundamentalbaßes| ehedem
nie, und noch itzt selten gedacht wird, ob man
gleich ofte von der Grundharmonie spricht. Ra-
meau
hast zuerst einen geschriebenen Fundamental-
baß eingeführet, daher seine Landsleute ihn für den
Erfinder desselben ausgeben. Einige derselben sind
so unwissend, daß sie mit lächerlicher Dreistigkeit
vorgeben: Rameau habe die Wissenschaft der Har-
monie, die vor ihm sehr ungewiß gewesen, zuerst
auf Grundsätze zurük geführt, und zuerst gezeiget,
daß gewisse Accorde keine wahren Grund-Accorde,
[Spaltenumbruch]

Fun Fün
sondern Verwechslungen andrer Fundamental-Ac-
corde seyen. Diese Leute müssen also nicht wissen,
daß die Wissenschaft des doppelten Contrapunkts,
die viel italiänische und deutsche Tonsetzer unendlich
besser, als Rameau verstanden haben, schlechter-
dings auf diese Kenntnis der Grundharmonien ge-
bauet sey, indem es im doppelten Contrapunkt un-
möglich ist, nur einen Takt ohne die Verwechslung
der Accorde zu setzen. Was also mehr als hundert
Jahre vor Rameau alle guten Tonsetzer gewußt
und täglich ausgeübt haben, hat dieser wunderbare
Mann, dieser einzige Gesetzgeber der Musik, zuerst
erfunden. Rameau hat sich unstreitig um die Musik
verdient gemacht; aber die Leute, die seit einigen
Jahren so sehr dreiste schreiben und wiederholen,
er sey der Erfinder der wahren Grundsätze der Har-
monie, verrathen einen so gänzlichen Mangel der
Kenntnis dessen, was vor ihrer Zeit in der Musik
gethan worden, daß sie billig von einer Sache, die
sie so gar nicht verstehen, nicht schreiben sollten.

Fünfstimmig.
(Musik.)

So wird ein Tonstük genennt, welches aus fünf
verschiedenen Parthien oder Stimmen besteht, in
welchem also eine der so genannten Hauptstimmen
doppelt ist, oder zwey Melodien hat, wie wenn zu
einem Baß, einem Tenor und einem Alt, zwey ver-
schiedene Discante sind.

Beym fünfstimmigen Satz müssen also zu jedem
Grund- oder Baßton in den obern Stimmen noch
vier andre Töne genommen werden. Da aber der
vollständige Dreyklang nur aus Terz, Quinte und
Octave besteht (*), beym fünfstimmigen Satz aber(*) S.
Dreyklang.

noch ein vierter Ton hinzukommen muß, so muß
dieser entweder eine Dißonanz seyn, oder man muß
eine von den Consonanzen verdoppeln. Wie bey
ganz consonirenden Sätzen die Octave, oder die
Terz, oder die Quinte, oder die Sexte zu verdop-
peln seyen, ist aus folgenden Beyspielen zu sehen.

[Abbildung]
F f f 2
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Fun
[Abbildung]

Hier enthaͤlt das obere Linienſyſtem die Noten des
Baßes, ſo wie ſie geſpielt werden; das untere
aber die Noten, welche die eigentlichen Grundtoͤne
jedes Accords anzeigen, und iſt alſo der Fundamen-
talbaß, der auch Grundbaß genennt wird.

Dieſer Baß iſt alſo nicht zum Spielen, wird
auch ſelten, und in Deutſchland faſt niemals ge-
ſchrieben. Jn zweifelhaften Faͤllen, wo man an-
ſtehen koͤnnte, auf welcher Grundharmonie gewiſſe
Accorde beruhen, kann er ſo gleich die Zweifel he-
ben, wie aus folgendem Beyſpiel zu ſehen iſt:

[Abbildung]

Man koͤnnte hier den Septimen-Accord auf dem
Ton G fuͤr den weſentlichen Septimen-Accord auf
(*) S.
Septimen-
accord.
der Dominante des Hauptones halten (*), und ſich
wundern, warum nach demſelben nicht ein Schluß
nach C erfolgte; der darunter geſchriebene Funda-
mentalbaß zeiget, daß dieſes ein verwechſelter Sept-
Nonenaccord auf dem Grundton E ſey, auf wel-
chen der Schluß nach A geſchehen muß.

Wer nur einigermaaßen mit den wahren Regeln
der Harmonie bekannt iſt, hat ſelten noͤthig, daß
ihm dieſelbe erſt durch einen Fundamentalbaß er-
laͤutert werde. Daher koͤmmt es, daß in Deutſch-
land und Jtalien des Fundamentalbaßes| ehedem
nie, und noch itzt ſelten gedacht wird, ob man
gleich ofte von der Grundharmonie ſpricht. Ra-
meau
haſt zuerſt einen geſchriebenen Fundamental-
baß eingefuͤhret, daher ſeine Landsleute ihn fuͤr den
Erfinder deſſelben ausgeben. Einige derſelben ſind
ſo unwiſſend, daß ſie mit laͤcherlicher Dreiſtigkeit
vorgeben: Rameau habe die Wiſſenſchaft der Har-
monie, die vor ihm ſehr ungewiß geweſen, zuerſt
auf Grundſaͤtze zuruͤk gefuͤhrt, und zuerſt gezeiget,
daß gewiſſe Accorde keine wahren Grund-Accorde,
[Spaltenumbruch]

Fun Fuͤn
ſondern Verwechslungen andrer Fundamental-Ac-
corde ſeyen. Dieſe Leute muͤſſen alſo nicht wiſſen,
daß die Wiſſenſchaft des doppelten Contrapunkts,
die viel italiaͤniſche und deutſche Tonſetzer unendlich
beſſer, als Rameau verſtanden haben, ſchlechter-
dings auf dieſe Kenntnis der Grundharmonien ge-
bauet ſey, indem es im doppelten Contrapunkt un-
moͤglich iſt, nur einen Takt ohne die Verwechslung
der Accorde zu ſetzen. Was alſo mehr als hundert
Jahre vor Rameau alle guten Tonſetzer gewußt
und taͤglich ausgeuͤbt haben, hat dieſer wunderbare
Mann, dieſer einzige Geſetzgeber der Muſik, zuerſt
erfunden. Rameau hat ſich unſtreitig um die Muſik
verdient gemacht; aber die Leute, die ſeit einigen
Jahren ſo ſehr dreiſte ſchreiben und wiederholen,
er ſey der Erfinder der wahren Grundſaͤtze der Har-
monie, verrathen einen ſo gaͤnzlichen Mangel der
Kenntnis deſſen, was vor ihrer Zeit in der Muſik
gethan worden, daß ſie billig von einer Sache, die
ſie ſo gar nicht verſtehen, nicht ſchreiben ſollten.

Fuͤnfſtimmig.
(Muſik.)

So wird ein Tonſtuͤk genennt, welches aus fuͤnf
verſchiedenen Parthien oder Stimmen beſteht, in
welchem alſo eine der ſo genannten Hauptſtimmen
doppelt iſt, oder zwey Melodien hat, wie wenn zu
einem Baß, einem Tenor und einem Alt, zwey ver-
ſchiedene Discante ſind.

Beym fuͤnfſtimmigen Satz muͤſſen alſo zu jedem
Grund- oder Baßton in den obern Stimmen noch
vier andre Toͤne genommen werden. Da aber der
vollſtaͤndige Dreyklang nur aus Terz, Quinte und
Octave beſteht (*), beym fuͤnfſtimmigen Satz aber(*) S.
Dreyklang.

noch ein vierter Ton hinzukommen muß, ſo muß
dieſer entweder eine Dißonanz ſeyn, oder man muß
eine von den Conſonanzen verdoppeln. Wie bey
ganz conſonirenden Saͤtzen die Octave, oder die
Terz, oder die Quinte, oder die Sexte zu verdop-
peln ſeyen, iſt aus folgenden Beyſpielen zu ſehen.

[Abbildung]
F f f 2
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[411/0423] Fun Fun Fuͤn [Abbildung] Hier enthaͤlt das obere Linienſyſtem die Noten des Baßes, ſo wie ſie geſpielt werden; das untere aber die Noten, welche die eigentlichen Grundtoͤne jedes Accords anzeigen, und iſt alſo der Fundamen- talbaß, der auch Grundbaß genennt wird. Dieſer Baß iſt alſo nicht zum Spielen, wird auch ſelten, und in Deutſchland faſt niemals ge- ſchrieben. Jn zweifelhaften Faͤllen, wo man an- ſtehen koͤnnte, auf welcher Grundharmonie gewiſſe Accorde beruhen, kann er ſo gleich die Zweifel he- ben, wie aus folgendem Beyſpiel zu ſehen iſt: [Abbildung] Man koͤnnte hier den Septimen-Accord auf dem Ton G fuͤr den weſentlichen Septimen-Accord auf der Dominante des Hauptones halten (*), und ſich wundern, warum nach demſelben nicht ein Schluß nach C erfolgte; der darunter geſchriebene Funda- mentalbaß zeiget, daß dieſes ein verwechſelter Sept- Nonenaccord auf dem Grundton E ſey, auf wel- chen der Schluß nach A geſchehen muß. (*) S. Septimen- accord. Wer nur einigermaaßen mit den wahren Regeln der Harmonie bekannt iſt, hat ſelten noͤthig, daß ihm dieſelbe erſt durch einen Fundamentalbaß er- laͤutert werde. Daher koͤmmt es, daß in Deutſch- land und Jtalien des Fundamentalbaßes| ehedem nie, und noch itzt ſelten gedacht wird, ob man gleich ofte von der Grundharmonie ſpricht. Ra- meau haſt zuerſt einen geſchriebenen Fundamental- baß eingefuͤhret, daher ſeine Landsleute ihn fuͤr den Erfinder deſſelben ausgeben. Einige derſelben ſind ſo unwiſſend, daß ſie mit laͤcherlicher Dreiſtigkeit vorgeben: Rameau habe die Wiſſenſchaft der Har- monie, die vor ihm ſehr ungewiß geweſen, zuerſt auf Grundſaͤtze zuruͤk gefuͤhrt, und zuerſt gezeiget, daß gewiſſe Accorde keine wahren Grund-Accorde, ſondern Verwechslungen andrer Fundamental-Ac- corde ſeyen. Dieſe Leute muͤſſen alſo nicht wiſſen, daß die Wiſſenſchaft des doppelten Contrapunkts, die viel italiaͤniſche und deutſche Tonſetzer unendlich beſſer, als Rameau verſtanden haben, ſchlechter- dings auf dieſe Kenntnis der Grundharmonien ge- bauet ſey, indem es im doppelten Contrapunkt un- moͤglich iſt, nur einen Takt ohne die Verwechslung der Accorde zu ſetzen. Was alſo mehr als hundert Jahre vor Rameau alle guten Tonſetzer gewußt und taͤglich ausgeuͤbt haben, hat dieſer wunderbare Mann, dieſer einzige Geſetzgeber der Muſik, zuerſt erfunden. Rameau hat ſich unſtreitig um die Muſik verdient gemacht; aber die Leute, die ſeit einigen Jahren ſo ſehr dreiſte ſchreiben und wiederholen, er ſey der Erfinder der wahren Grundſaͤtze der Har- monie, verrathen einen ſo gaͤnzlichen Mangel der Kenntnis deſſen, was vor ihrer Zeit in der Muſik gethan worden, daß ſie billig von einer Sache, die ſie ſo gar nicht verſtehen, nicht ſchreiben ſollten. Fuͤnfſtimmig. (Muſik.) So wird ein Tonſtuͤk genennt, welches aus fuͤnf verſchiedenen Parthien oder Stimmen beſteht, in welchem alſo eine der ſo genannten Hauptſtimmen doppelt iſt, oder zwey Melodien hat, wie wenn zu einem Baß, einem Tenor und einem Alt, zwey ver- ſchiedene Discante ſind. Beym fuͤnfſtimmigen Satz muͤſſen alſo zu jedem Grund- oder Baßton in den obern Stimmen noch vier andre Toͤne genommen werden. Da aber der vollſtaͤndige Dreyklang nur aus Terz, Quinte und Octave beſteht (*), beym fuͤnfſtimmigen Satz aber noch ein vierter Ton hinzukommen muß, ſo muß dieſer entweder eine Dißonanz ſeyn, oder man muß eine von den Conſonanzen verdoppeln. Wie bey ganz conſonirenden Saͤtzen die Octave, oder die Terz, oder die Quinte, oder die Sexte zu verdop- peln ſeyen, iſt aus folgenden Beyſpielen zu ſehen. (*) S. Dreyklang. [Abbildung] F f f 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/423>, abgerufen am 25.11.2024.