Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Fug
[Abbildung]

Hier ist der Gesang, den die obere Stimme bis auf
das dritte Viertel des sechsten Takts hat, das The-
(*) S.
Führer.
ma, welches auch der Führer genennt wird (*); weil
es den übrigen Stimmen zur Lehre dienet, und also
den Gesang aufführet. Da wo die obere Stimme
das Thema schließt, nämlich im sechsten Takt, tritt
die zweyte Stimme ein, um dasselbige eine Quinte
tiefer, und so genau, als möglich ist, nachzuahmen.
Die obere Stimme hat, ehe sie ihr Thema endiget, in ei-
ner dritten Stimm einen Zwischensatz zur Begleitung.

Der nachahmende Gesang der zweyten Stimme
wird der Gefährte der ersten Stimme genennt.
Was aber die eine oder die andre Stimme dem
Thema zur Begleitung haben, wird das Contrasub-
jekt
genennt.

Eine solche Fuge ist zwey, drey oder mehrstim-
mig; sie hat entweder nur einen Hauptsatz, oder
Führer, und wird alsdann eine einfache Fuge ge-
nennt; oder es kommen mehrere Hauptsätze darin
vor, in welchem Falle sie eine Doppelfuge genennt
wird. Ferner kömmt auch dieser Unterschied vor,
daß der Hauptsatz in den andern Stimmen entwe-
der Ton für Ton ganz streng, oder mit einigen Ab-
weichungen nachgeahmet wird. Jm erstern Fall
(*) S.
Canon.
wird die Fuge ein Canon genennt (*); im andern
Fall schlechtweg eine Fuge. So ist in dem ange-
führten Beyspiel gleich im Anfang des Gefährten,
eine kleine Abweichung von dem Führer. Dieser
tritt auf dem zweyten Ton einen halben Ton unter
sich, da der Gefährte auf demselben Ton bleibet.

Der Gefährte wird auch die Antwort genennt,
weil die zweyte Stimme gleichsam die Echo oder
Antwort der ersten ist. Die Art aber, wie der Ge-
fährte bald früher, bald späther eintritt, wird der
(*) Re-
percussio.
Wiederschlag (*) genennt; wiewol dieses Wort bis-
weilen auch von dem Führer selbst gebraucht wird.
So viel dienet hier zur Erklärung der Wörter.

Jede Stimme, so viel ihrer sind, nihmt in ihrer
Ordnung das Thema. Wenn alle Stimmen das-
[Spaltenumbruch]

Fug
selbe in dem Hauptton, darin das Stük angefan-
gen, vorgetragen haben, so wird es hernach durch
andre Töne durchgeführt. So| wol der Führer, als
der Gefährte treten aus einer Stimm in die andren
über, und so wechseln die Stimmen auch mit den
Zwischensätzen ab, die bald in einer, bald in der
andern Stimme sind. Diese Zwischensätze müssen
aber immer aus dem Hauptsatz genommen seyn.

So wird unter beständiger Abwechslung, wodurch
wechselsweise eine Stimme nach der andern die Me-
lodie der andern Stimmen nihmt, der Gesang un-
unterbrochen, ohne Cadenzen und Ruhepunkte, wie
ein Strohm durchgeführt, bis am Ende alle Stim-
men zugleich schliessen. Jn der Fuge ist jede
Stimm eine Hauptstimme; aber niemals fangen
beyde der Führer und der Gefährte zugleich an.

Der Führer und der Gefährte haben in jeder
Fuge das Verhältnis gegen einander, daß, wenn
der eine die authentische Tonart hat, der andre die
plagalische nihmt. So hat in dem angeführten
Beyspiel der Führer die authentische Tonart (*) des(*) S. Am
thentisch.

Tones C, und nihmt mit dem Gesang seinen Um-
fang von c eine ganze Octave herunter, und noch
einen Ton darüber bis H; der Gefährte aber fängt
in der Quarte F an, und nihmt einen eben so großen
Umfang herunter bis E. Nihmt aber der Führer
die plagalische Tonart, so ahmt ihm der Gefährte
in der authentischen nach. Ueberhaupt also ahmet
der Gefährte den Gesang des Führers immer in der
Quarte oder Quinte höher oder tiefer nach.

Diese Nachahmung geschieht so genau, als es
die Tonarten zulassen. Weil aber die Octave durch
die Dominante oder Quinte in zwey ungleiche Theile
eingetheilt wird, so daß von ihr heraufwärts bis
zur Tonica nur drey Stufen sind, z. E. G-A,
A-H, H-c;
von der Tonica auf die Dominante
aber vier, als C-D, D-E, E-F, F-G, so kann
der Gefährte nicht allemal dieselben Stufen be-
obachten, als der Führer, wenn er nicht aus der
Tonleiter heraustreten soll. Daher kömmt in dem
angeführten Beyspiel der kleine Unterschied, in der
Fortschreitung der zwey ersten Töne des Führers
und des Gefährten.

Der Fugensatz ist sehr großen und mannigfaltigen
Schwierigkeiten unterworfen, und ist in Absicht auf
den reinen Satz, das Schweerste in der Musik;
deswegen auch nur die geübtesten Meister der Har-

monie
[Spaltenumbruch]
Fug
[Abbildung]

Hier iſt der Geſang, den die obere Stimme bis auf
das dritte Viertel des ſechsten Takts hat, das The-
(*) S.
Fuͤhrer.
ma, welches auch der Fuͤhrer genennt wird (*); weil
es den uͤbrigen Stimmen zur Lehre dienet, und alſo
den Geſang auffuͤhret. Da wo die obere Stimme
das Thema ſchließt, naͤmlich im ſechsten Takt, tritt
die zweyte Stimme ein, um daſſelbige eine Quinte
tiefer, und ſo genau, als moͤglich iſt, nachzuahmen.
Die obere Stimme hat, ehe ſie ihr Thema endiget, in ei-
ner dritten Stimm einen Zwiſchenſatz zur Begleitung.

Der nachahmende Geſang der zweyten Stimme
wird der Gefaͤhrte der erſten Stimme genennt.
Was aber die eine oder die andre Stimme dem
Thema zur Begleitung haben, wird das Contraſub-
jekt
genennt.

Eine ſolche Fuge iſt zwey, drey oder mehrſtim-
mig; ſie hat entweder nur einen Hauptſatz, oder
Fuͤhrer, und wird alsdann eine einfache Fuge ge-
nennt; oder es kommen mehrere Hauptſaͤtze darin
vor, in welchem Falle ſie eine Doppelfuge genennt
wird. Ferner koͤmmt auch dieſer Unterſchied vor,
daß der Hauptſatz in den andern Stimmen entwe-
der Ton fuͤr Ton ganz ſtreng, oder mit einigen Ab-
weichungen nachgeahmet wird. Jm erſtern Fall
(*) S.
Canon.
wird die Fuge ein Canon genennt (*); im andern
Fall ſchlechtweg eine Fuge. So iſt in dem ange-
fuͤhrten Beyſpiel gleich im Anfang des Gefaͤhrten,
eine kleine Abweichung von dem Fuͤhrer. Dieſer
tritt auf dem zweyten Ton einen halben Ton unter
ſich, da der Gefaͤhrte auf demſelben Ton bleibet.

Der Gefaͤhrte wird auch die Antwort genennt,
weil die zweyte Stimme gleichſam die Echo oder
Antwort der erſten iſt. Die Art aber, wie der Ge-
faͤhrte bald fruͤher, bald ſpaͤther eintritt, wird der
(*) Re-
percuſſio.
Wiederſchlag (*) genennt; wiewol dieſes Wort bis-
weilen auch von dem Fuͤhrer ſelbſt gebraucht wird.
So viel dienet hier zur Erklaͤrung der Woͤrter.

Jede Stimme, ſo viel ihrer ſind, nihmt in ihrer
Ordnung das Thema. Wenn alle Stimmen daſ-
[Spaltenumbruch]

Fug
ſelbe in dem Hauptton, darin das Stuͤk angefan-
gen, vorgetragen haben, ſo wird es hernach durch
andre Toͤne durchgefuͤhrt. So| wol der Fuͤhrer, als
der Gefaͤhrte treten aus einer Stimm in die andren
uͤber, und ſo wechſeln die Stimmen auch mit den
Zwiſchenſaͤtzen ab, die bald in einer, bald in der
andern Stimme ſind. Dieſe Zwiſchenſaͤtze muͤſſen
aber immer aus dem Hauptſatz genommen ſeyn.

So wird unter beſtaͤndiger Abwechslung, wodurch
wechſelsweiſe eine Stimme nach der andern die Me-
lodie der andern Stimmen nihmt, der Geſang un-
unterbrochen, ohne Cadenzen und Ruhepunkte, wie
ein Strohm durchgefuͤhrt, bis am Ende alle Stim-
men zugleich ſchlieſſen. Jn der Fuge iſt jede
Stimm eine Hauptſtimme; aber niemals fangen
beyde der Fuͤhrer und der Gefaͤhrte zugleich an.

Der Fuͤhrer und der Gefaͤhrte haben in jeder
Fuge das Verhaͤltnis gegen einander, daß, wenn
der eine die authentiſche Tonart hat, der andre die
plagaliſche nihmt. So hat in dem angefuͤhrten
Beyſpiel der Fuͤhrer die authentiſche Tonart (*) des(*) S. Am
thentiſch.

Tones C, und nihmt mit dem Geſang ſeinen Um-
fang von c eine ganze Octave herunter, und noch
einen Ton daruͤber bis H; der Gefaͤhrte aber faͤngt
in der Quarte F an, und nihmt einen eben ſo großen
Umfang herunter bis E. Nihmt aber der Fuͤhrer
die plagaliſche Tonart, ſo ahmt ihm der Gefaͤhrte
in der authentiſchen nach. Ueberhaupt alſo ahmet
der Gefaͤhrte den Geſang des Fuͤhrers immer in der
Quarte oder Quinte hoͤher oder tiefer nach.

Dieſe Nachahmung geſchieht ſo genau, als es
die Tonarten zulaſſen. Weil aber die Octave durch
die Dominante oder Quinte in zwey ungleiche Theile
eingetheilt wird, ſo daß von ihr heraufwaͤrts bis
zur Tonica nur drey Stufen ſind, z. E. G-A,
A-H, H-c;
von der Tonica auf die Dominante
aber vier, als C-D, D-E, E-F, F-G, ſo kann
der Gefaͤhrte nicht allemal dieſelben Stufen be-
obachten, als der Fuͤhrer, wenn er nicht aus der
Tonleiter heraustreten ſoll. Daher koͤmmt in dem
angefuͤhrten Beyſpiel der kleine Unterſchied, in der
Fortſchreitung der zwey erſten Toͤne des Fuͤhrers
und des Gefaͤhrten.

Der Fugenſatz iſt ſehr großen und mannigfaltigen
Schwierigkeiten unterworfen, und iſt in Abſicht auf
den reinen Satz, das Schweerſte in der Muſik;
deswegen auch nur die geuͤbteſten Meiſter der Har-

monie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0420" n="408"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Fug</hi> </fw><lb/>
          <figure/><lb/>
          <p>Hier i&#x017F;t der Ge&#x017F;ang, den die obere Stimme bis auf<lb/>
das dritte Viertel des &#x017F;echsten Takts hat, das <hi rendition="#fr">The-</hi><lb/><note place="left">(*) S.<lb/>
Fu&#x0364;hrer.</note><hi rendition="#fr">ma,</hi> welches auch der <hi rendition="#fr">Fu&#x0364;hrer</hi> genennt wird (*); weil<lb/>
es den u&#x0364;brigen Stimmen zur Lehre dienet, und al&#x017F;o<lb/>
den Ge&#x017F;ang auffu&#x0364;hret. Da wo die obere Stimme<lb/>
das Thema &#x017F;chließt, na&#x0364;mlich im &#x017F;echsten Takt, tritt<lb/>
die zweyte Stimme ein, um da&#x017F;&#x017F;elbige eine Quinte<lb/>
tiefer, und &#x017F;o genau, als mo&#x0364;glich i&#x017F;t, nachzuahmen.<lb/>
Die obere Stimme hat, ehe &#x017F;ie ihr Thema endiget, in ei-<lb/>
ner dritten Stimm einen Zwi&#x017F;chen&#x017F;atz zur Begleitung.</p><lb/>
          <p>Der nachahmende Ge&#x017F;ang der zweyten Stimme<lb/>
wird der <hi rendition="#fr">Gefa&#x0364;hrte</hi> der er&#x017F;ten Stimme genennt.<lb/>
Was aber die eine oder die andre Stimme dem<lb/>
Thema zur Begleitung haben, wird das <hi rendition="#fr">Contra&#x017F;ub-<lb/>
jekt</hi> genennt.</p><lb/>
          <p>Eine &#x017F;olche Fuge i&#x017F;t zwey, drey oder mehr&#x017F;tim-<lb/>
mig; &#x017F;ie hat entweder nur einen Haupt&#x017F;atz, oder<lb/>
Fu&#x0364;hrer, und wird alsdann eine <hi rendition="#fr">einfache Fuge</hi> ge-<lb/>
nennt; oder es kommen mehrere Haupt&#x017F;a&#x0364;tze darin<lb/>
vor, in welchem Falle &#x017F;ie eine <hi rendition="#fr">Doppelfuge</hi> genennt<lb/>
wird. Ferner ko&#x0364;mmt auch die&#x017F;er Unter&#x017F;chied vor,<lb/>
daß der Haupt&#x017F;atz in den andern Stimmen entwe-<lb/>
der Ton fu&#x0364;r Ton ganz &#x017F;treng, oder mit einigen Ab-<lb/>
weichungen nachgeahmet wird. Jm er&#x017F;tern Fall<lb/><note place="left">(*) S.<lb/>
Canon.</note>wird die Fuge ein <hi rendition="#fr">Canon</hi> genennt (*); im andern<lb/>
Fall &#x017F;chlechtweg eine Fuge. So i&#x017F;t in dem ange-<lb/>
fu&#x0364;hrten Bey&#x017F;piel gleich im Anfang des Gefa&#x0364;hrten,<lb/>
eine kleine Abweichung von dem Fu&#x0364;hrer. Die&#x017F;er<lb/>
tritt auf dem zweyten Ton einen halben Ton unter<lb/>
&#x017F;ich, da der Gefa&#x0364;hrte auf dem&#x017F;elben Ton bleibet.</p><lb/>
          <p>Der Gefa&#x0364;hrte wird auch die <hi rendition="#fr">Antwort</hi> genennt,<lb/>
weil die zweyte Stimme gleich&#x017F;am die Echo oder<lb/>
Antwort der er&#x017F;ten i&#x017F;t. Die Art aber, wie der Ge-<lb/>
fa&#x0364;hrte bald fru&#x0364;her, bald &#x017F;pa&#x0364;ther eintritt, wird der<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Re-<lb/>
percu&#x017F;&#x017F;io.</hi></note><hi rendition="#fr">Wieder&#x017F;chlag</hi> (*) genennt; wiewol die&#x017F;es Wort bis-<lb/>
weilen auch von dem Fu&#x0364;hrer &#x017F;elb&#x017F;t gebraucht wird.<lb/>
So viel dienet hier zur Erkla&#x0364;rung der Wo&#x0364;rter.</p><lb/>
          <p>Jede Stimme, &#x017F;o viel ihrer &#x017F;ind, nihmt in ihrer<lb/>
Ordnung das Thema. Wenn alle Stimmen da&#x017F;-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fug</hi></fw><lb/>
&#x017F;elbe in dem Hauptton, darin das Stu&#x0364;k angefan-<lb/>
gen, vorgetragen haben, &#x017F;o wird es hernach durch<lb/>
andre To&#x0364;ne durchgefu&#x0364;hrt. So| wol der Fu&#x0364;hrer, als<lb/>
der Gefa&#x0364;hrte treten aus einer Stimm in die andren<lb/>
u&#x0364;ber, und &#x017F;o wech&#x017F;eln die Stimmen auch mit den<lb/>
Zwi&#x017F;chen&#x017F;a&#x0364;tzen ab, die bald in einer, bald in der<lb/>
andern Stimme &#x017F;ind. Die&#x017F;e Zwi&#x017F;chen&#x017F;a&#x0364;tze mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
aber immer aus dem Haupt&#x017F;atz genommen &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>So wird unter be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Abwechslung, wodurch<lb/>
wech&#x017F;elswei&#x017F;e eine Stimme nach der andern die Me-<lb/>
lodie der andern Stimmen nihmt, der Ge&#x017F;ang un-<lb/>
unterbrochen, ohne Cadenzen und Ruhepunkte, wie<lb/>
ein Strohm durchgefu&#x0364;hrt, bis am Ende alle Stim-<lb/>
men zugleich &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en. Jn der Fuge i&#x017F;t jede<lb/>
Stimm eine Haupt&#x017F;timme; aber niemals fangen<lb/>
beyde der Fu&#x0364;hrer und der Gefa&#x0364;hrte zugleich an.</p><lb/>
          <p>Der Fu&#x0364;hrer und der Gefa&#x0364;hrte haben in jeder<lb/>
Fuge das Verha&#x0364;ltnis gegen einander, daß, wenn<lb/>
der eine die <hi rendition="#fr">authenti&#x017F;che</hi> Tonart hat, der andre die<lb/><hi rendition="#fr">plagali&#x017F;che</hi> nihmt. So hat in dem angefu&#x0364;hrten<lb/>
Bey&#x017F;piel der Fu&#x0364;hrer die authenti&#x017F;che Tonart (*) des<note place="right">(*) S. Am<lb/>
thenti&#x017F;ch.</note><lb/>
Tones <hi rendition="#aq">C,</hi> und nihmt mit dem Ge&#x017F;ang &#x017F;einen Um-<lb/>
fang von <hi rendition="#aq">c</hi> eine ganze Octave herunter, und noch<lb/>
einen Ton daru&#x0364;ber bis <hi rendition="#aq">H;</hi> der Gefa&#x0364;hrte aber fa&#x0364;ngt<lb/>
in der Quarte <hi rendition="#aq">F</hi> an, und nihmt einen eben &#x017F;o großen<lb/>
Umfang herunter bis <hi rendition="#aq">E.</hi> Nihmt aber der Fu&#x0364;hrer<lb/>
die plagali&#x017F;che Tonart, &#x017F;o ahmt ihm der Gefa&#x0364;hrte<lb/>
in der authenti&#x017F;chen nach. Ueberhaupt al&#x017F;o ahmet<lb/>
der Gefa&#x0364;hrte den Ge&#x017F;ang des Fu&#x0364;hrers immer in der<lb/>
Quarte oder Quinte ho&#x0364;her oder tiefer nach.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Nachahmung ge&#x017F;chieht &#x017F;o genau, als es<lb/>
die Tonarten zula&#x017F;&#x017F;en. Weil aber die Octave durch<lb/>
die Dominante oder Quinte in zwey ungleiche Theile<lb/>
eingetheilt wird, &#x017F;o daß von ihr heraufwa&#x0364;rts bis<lb/>
zur Tonica nur drey Stufen &#x017F;ind, z. E. <hi rendition="#aq">G-A,<lb/>
A-H, H-c;</hi> von der Tonica auf die Dominante<lb/>
aber vier, als <hi rendition="#aq">C-D, D-E, E-F, F-G,</hi> &#x017F;o kann<lb/>
der Gefa&#x0364;hrte nicht allemal die&#x017F;elben Stufen be-<lb/>
obachten, als der Fu&#x0364;hrer, wenn er nicht aus der<lb/>
Tonleiter heraustreten &#x017F;oll. Daher ko&#x0364;mmt in dem<lb/>
angefu&#x0364;hrten Bey&#x017F;piel der kleine Unter&#x017F;chied, in der<lb/>
Fort&#x017F;chreitung der zwey er&#x017F;ten To&#x0364;ne des Fu&#x0364;hrers<lb/>
und des Gefa&#x0364;hrten.</p><lb/>
          <p>Der Fugen&#x017F;atz i&#x017F;t &#x017F;ehr großen und mannigfaltigen<lb/>
Schwierigkeiten unterworfen, und i&#x017F;t in Ab&#x017F;icht auf<lb/>
den reinen Satz, das Schweer&#x017F;te in der Mu&#x017F;ik;<lb/>
deswegen auch nur die geu&#x0364;bte&#x017F;ten Mei&#x017F;ter der Har-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">monie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[408/0420] Fug Fug [Abbildung] Hier iſt der Geſang, den die obere Stimme bis auf das dritte Viertel des ſechsten Takts hat, das The- ma, welches auch der Fuͤhrer genennt wird (*); weil es den uͤbrigen Stimmen zur Lehre dienet, und alſo den Geſang auffuͤhret. Da wo die obere Stimme das Thema ſchließt, naͤmlich im ſechsten Takt, tritt die zweyte Stimme ein, um daſſelbige eine Quinte tiefer, und ſo genau, als moͤglich iſt, nachzuahmen. Die obere Stimme hat, ehe ſie ihr Thema endiget, in ei- ner dritten Stimm einen Zwiſchenſatz zur Begleitung. (*) S. Fuͤhrer. Der nachahmende Geſang der zweyten Stimme wird der Gefaͤhrte der erſten Stimme genennt. Was aber die eine oder die andre Stimme dem Thema zur Begleitung haben, wird das Contraſub- jekt genennt. Eine ſolche Fuge iſt zwey, drey oder mehrſtim- mig; ſie hat entweder nur einen Hauptſatz, oder Fuͤhrer, und wird alsdann eine einfache Fuge ge- nennt; oder es kommen mehrere Hauptſaͤtze darin vor, in welchem Falle ſie eine Doppelfuge genennt wird. Ferner koͤmmt auch dieſer Unterſchied vor, daß der Hauptſatz in den andern Stimmen entwe- der Ton fuͤr Ton ganz ſtreng, oder mit einigen Ab- weichungen nachgeahmet wird. Jm erſtern Fall wird die Fuge ein Canon genennt (*); im andern Fall ſchlechtweg eine Fuge. So iſt in dem ange- fuͤhrten Beyſpiel gleich im Anfang des Gefaͤhrten, eine kleine Abweichung von dem Fuͤhrer. Dieſer tritt auf dem zweyten Ton einen halben Ton unter ſich, da der Gefaͤhrte auf demſelben Ton bleibet. (*) S. Canon. Der Gefaͤhrte wird auch die Antwort genennt, weil die zweyte Stimme gleichſam die Echo oder Antwort der erſten iſt. Die Art aber, wie der Ge- faͤhrte bald fruͤher, bald ſpaͤther eintritt, wird der Wiederſchlag (*) genennt; wiewol dieſes Wort bis- weilen auch von dem Fuͤhrer ſelbſt gebraucht wird. So viel dienet hier zur Erklaͤrung der Woͤrter. (*) Re- percuſſio. Jede Stimme, ſo viel ihrer ſind, nihmt in ihrer Ordnung das Thema. Wenn alle Stimmen daſ- ſelbe in dem Hauptton, darin das Stuͤk angefan- gen, vorgetragen haben, ſo wird es hernach durch andre Toͤne durchgefuͤhrt. So| wol der Fuͤhrer, als der Gefaͤhrte treten aus einer Stimm in die andren uͤber, und ſo wechſeln die Stimmen auch mit den Zwiſchenſaͤtzen ab, die bald in einer, bald in der andern Stimme ſind. Dieſe Zwiſchenſaͤtze muͤſſen aber immer aus dem Hauptſatz genommen ſeyn. So wird unter beſtaͤndiger Abwechslung, wodurch wechſelsweiſe eine Stimme nach der andern die Me- lodie der andern Stimmen nihmt, der Geſang un- unterbrochen, ohne Cadenzen und Ruhepunkte, wie ein Strohm durchgefuͤhrt, bis am Ende alle Stim- men zugleich ſchlieſſen. Jn der Fuge iſt jede Stimm eine Hauptſtimme; aber niemals fangen beyde der Fuͤhrer und der Gefaͤhrte zugleich an. Der Fuͤhrer und der Gefaͤhrte haben in jeder Fuge das Verhaͤltnis gegen einander, daß, wenn der eine die authentiſche Tonart hat, der andre die plagaliſche nihmt. So hat in dem angefuͤhrten Beyſpiel der Fuͤhrer die authentiſche Tonart (*) des Tones C, und nihmt mit dem Geſang ſeinen Um- fang von c eine ganze Octave herunter, und noch einen Ton daruͤber bis H; der Gefaͤhrte aber faͤngt in der Quarte F an, und nihmt einen eben ſo großen Umfang herunter bis E. Nihmt aber der Fuͤhrer die plagaliſche Tonart, ſo ahmt ihm der Gefaͤhrte in der authentiſchen nach. Ueberhaupt alſo ahmet der Gefaͤhrte den Geſang des Fuͤhrers immer in der Quarte oder Quinte hoͤher oder tiefer nach. (*) S. Am thentiſch. Dieſe Nachahmung geſchieht ſo genau, als es die Tonarten zulaſſen. Weil aber die Octave durch die Dominante oder Quinte in zwey ungleiche Theile eingetheilt wird, ſo daß von ihr heraufwaͤrts bis zur Tonica nur drey Stufen ſind, z. E. G-A, A-H, H-c; von der Tonica auf die Dominante aber vier, als C-D, D-E, E-F, F-G, ſo kann der Gefaͤhrte nicht allemal dieſelben Stufen be- obachten, als der Fuͤhrer, wenn er nicht aus der Tonleiter heraustreten ſoll. Daher koͤmmt in dem angefuͤhrten Beyſpiel der kleine Unterſchied, in der Fortſchreitung der zwey erſten Toͤne des Fuͤhrers und des Gefaͤhrten. Der Fugenſatz iſt ſehr großen und mannigfaltigen Schwierigkeiten unterworfen, und iſt in Abſicht auf den reinen Satz, das Schweerſte in der Muſik; deswegen auch nur die geuͤbteſten Meiſter der Har- monie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/420
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/420>, abgerufen am 25.11.2024.