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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Fra
der Person versezt, die er lächerlich machen will;
wie wenn Gellert in der Fabel von der Bethschwe-
ster fragt:

Was kann sie denn dafür, daß es die Leute sehen?

Oder er legt die Frage dieser Person selbst in den
Mund, und macht sie so dumm, daß der Frager lä-
cherlich wird.

Französische Schule.
(Zeichnende Künste.)

Es ist ein sehr uneigentlicher und unbestimmter
Ausdruk, wenn man überhaupt die Künstler, die
sich in Frankreich berühmt gemacht haben, unter
der Benennung der französischen Schule zusammen-
saßt. Denn diese haben nicht, wie die Künstler
einer wahren, eigentlichen Schule, ihren besondern
Charakter, noch haben sie sich nach einem Muster
gebildet. Frankreich hat Mahler und Zeichner ge-
habt, die man ihrem Charakter nach zu der römi-
schen Schule rechnen müßte; andre die in ganz
andre Classen kommen. Es geht also gar nicht an,
daß man Frankreichs Künstlern überhaupt einen Cha-
rakter beylege. Wollte man gegen sie so unbillig
seyn, wie einige französische Kunstrichter gegen die
Deutschen gewesen, denen sie überhaupt einen gothi-
schen Geschmak Schuld geben, so könnte man sagen,
die französische Schule habe dieses eigen, daß sie sich
nicht über die gemeine Natur erhebe, sondern viel-
mehr diese in die besondere kleine Manier ihres Lan-
des und ihrer Sitten hineinzwinge. Es sey aber
sern von uns, einer Nation, die sich um die zeich-
nenden Künste würklich sehr verdient gemacht hat,
aus Rache gegen einige unverständige Schriftsteller,
etwas aufzubürden. Poußin, Eustachins Le Süeur,
Le Brün, Franz de Troy, La Fage, sind Männer,
die wegen der großen Gedanken und der Stärke der
Zeichnung jeder Schule Ehre machen; und in An-
sehung des Kupferstechens und Aetzens, kann Frank-
reich allen Nationen den Vorzug streitig machen.

Man kann die Arbeit, und den Geschmak der
französischen Mahler in einer Folge von Gemählden
sehen, die in der Kirche Notre Dame zu Paris auf-
gehängt sind; da seit 1630 das Gewerk der Gold-
schmiede dieser Kirche jährlich ein großes Gemähld,
als ein Gelübd schenkt. Bey Florent Le Comte fin-
(*) S. Ca-
binet des
singulari-
det man ein Verzeichniß dieser Gemählde von 1630
bis 1699. (*)

[Spaltenumbruch]
Fre
Fresko.tes d'Ar-
chitecture,
peinture,
sculpture
et gravure
par Flo-
rent le
Comte. T.
I.
S. 227.
der zwey-
ten Brüs-
seler Aus-
gabe.

(Mahlerey.)

So nennt man die besondere Art zu mahlen, welche
auf einer frisch mit Mörtel überworfenen Mauer ge-
schieht. Diese Art zu mahlen ist der, da man auf
die schon alte und trokene Mauer mit Wasserfarben
oder mit Oelfarben mahlt, weit vorzuziehen, weil
sie viel dauerhafter ist, indem sich die Farben in
den noch naßen Mörtel hineinziehen. Man nihmt
Farben dazu, welche die Schärfe des Kalks nicht
ändert, und die man mit Kalkwasser anreiben kann;
Kalk selbst, fein geriebenen weißen und schwarzen
Marmor, die verschiedenen Ochererden, das nea-
polische Gelbe, fast alle Arten der gefärbten Erden,
und selbst den Cinober, wie auch Ultramarin und
Lazur. Man muß aber bey diesen Farben wol be-
denken, daß sie alle viel heller werden, wenn ein-
mal die bemahlte Mauer troken geworden, so daß
man alles, so viel möglich, stark und dunkel in Far-
ben halten muß. Die Farben, die sich durch das
Troknen am wenigsten ändern, das englische Roth,
die Ochererde und das Schwarze, das durchs Feuer
gemacht worden, sind hiezu die besten.

Da auch die Farben in Töpfen gemischt werden,
und es weit schweerer, als auf der Palette ist, wenn
eine Farbe ausgegangen, vollkommen dieselbe Mi-
schung zu bekommen, so thut man wol, daß man
auf einmal so viel Farben anmache, als zu einem
ganzen Stück erfodert werden.

Wenn die Farben zugerichtet worden, so verfährt
man mit dieser Mahlerey folgender Maaßen. Man
läßt einmal ein so großes Stük der Mauer bewer-
fen, als in einem Tage kann gemahlt werden; denn
wenn der Mörtel zu troken ist, so gelingt sie nicht
so gut. Und weil sich die Pinselstriche, die man
einmal auf der Mauer gemacht, weder auslöschen,
noch verbessern lassen, so muß der Mahler, so wol
in den zur Zeichnung, als zur Färbung gehörigen
Strichen eine große Gewißheit und Sicherheit haben.
Man pflegt deswegen zu wichtigen Stüken erst Car-
tone
zu machen, die man an die Mauer hält, um
die Zeichnung darnach auf der Mauer anzuzeigen,
damit die Hand desto gewißer gehe. Alle Striche
müssen mit Freyheit und Geschwindigkeit gezogen
werden, weil das, was einmal zaghaft ist, schweer-
lich kann verbessert werden; denn die Farbe zieht
sich so gleich in die Mauer ein. Die verschiedenen
Tinten darf man nur neben einander setzen, ohne

etwas

[Spaltenumbruch]

Fra
der Perſon verſezt, die er laͤcherlich machen will;
wie wenn Gellert in der Fabel von der Bethſchwe-
ſter fragt:

Was kann ſie denn dafuͤr, daß es die Leute ſehen?

Oder er legt die Frage dieſer Perſon ſelbſt in den
Mund, und macht ſie ſo dumm, daß der Frager laͤ-
cherlich wird.

Franzoͤſiſche Schule.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Es iſt ein ſehr uneigentlicher und unbeſtimmter
Ausdruk, wenn man uͤberhaupt die Kuͤnſtler, die
ſich in Frankreich beruͤhmt gemacht haben, unter
der Benennung der franzoͤſiſchen Schule zuſammen-
ſaßt. Denn dieſe haben nicht, wie die Kuͤnſtler
einer wahren, eigentlichen Schule, ihren beſondern
Charakter, noch haben ſie ſich nach einem Muſter
gebildet. Frankreich hat Mahler und Zeichner ge-
habt, die man ihrem Charakter nach zu der roͤmi-
ſchen Schule rechnen muͤßte; andre die in ganz
andre Claſſen kommen. Es geht alſo gar nicht an,
daß man Frankreichs Kuͤnſtlern uͤberhaupt einen Cha-
rakter beylege. Wollte man gegen ſie ſo unbillig
ſeyn, wie einige franzoͤſiſche Kunſtrichter gegen die
Deutſchen geweſen, denen ſie uͤberhaupt einen gothi-
ſchen Geſchmak Schuld geben, ſo koͤnnte man ſagen,
die franzoͤſiſche Schule habe dieſes eigen, daß ſie ſich
nicht uͤber die gemeine Natur erhebe, ſondern viel-
mehr dieſe in die beſondere kleine Manier ihres Lan-
des und ihrer Sitten hineinzwinge. Es ſey aber
ſern von uns, einer Nation, die ſich um die zeich-
nenden Kuͤnſte wuͤrklich ſehr verdient gemacht hat,
aus Rache gegen einige unverſtaͤndige Schriftſteller,
etwas aufzubuͤrden. Poußin, Euſtachins Le Suͤeur,
Le Bruͤn, Franz de Troy, La Fage, ſind Maͤnner,
die wegen der großen Gedanken und der Staͤrke der
Zeichnung jeder Schule Ehre machen; und in An-
ſehung des Kupferſtechens und Aetzens, kann Frank-
reich allen Nationen den Vorzug ſtreitig machen.

Man kann die Arbeit, und den Geſchmak der
franzoͤſiſchen Mahler in einer Folge von Gemaͤhlden
ſehen, die in der Kirche Notre Dame zu Paris auf-
gehaͤngt ſind; da ſeit 1630 das Gewerk der Gold-
ſchmiede dieſer Kirche jaͤhrlich ein großes Gemaͤhld,
als ein Geluͤbd ſchenkt. Bey Florent Le Comte fin-
(*) S. Ca-
binet des
ſingulari-
det man ein Verzeichniß dieſer Gemaͤhlde von 1630
bis 1699. (*)

[Spaltenumbruch]
Fre
Fresko.tés d’Ar-
chitecture,
peinture,
ſculpture
et gravure
par Flo-
rent le
Comte. T.
I.
S. 227.
der zwey-
ten Bruͤſ-
ſeler Aus-
gabe.

(Mahlerey.)

So nennt man die beſondere Art zu mahlen, welche
auf einer friſch mit Moͤrtel uͤberworfenen Mauer ge-
ſchieht. Dieſe Art zu mahlen iſt der, da man auf
die ſchon alte und trokene Mauer mit Waſſerfarben
oder mit Oelfarben mahlt, weit vorzuziehen, weil
ſie viel dauerhafter iſt, indem ſich die Farben in
den noch naßen Moͤrtel hineinziehen. Man nihmt
Farben dazu, welche die Schaͤrfe des Kalks nicht
aͤndert, und die man mit Kalkwaſſer anreiben kann;
Kalk ſelbſt, fein geriebenen weißen und ſchwarzen
Marmor, die verſchiedenen Ochererden, das nea-
poliſche Gelbe, faſt alle Arten der gefaͤrbten Erden,
und ſelbſt den Cinober, wie auch Ultramarin und
Lazur. Man muß aber bey dieſen Farben wol be-
denken, daß ſie alle viel heller werden, wenn ein-
mal die bemahlte Mauer troken geworden, ſo daß
man alles, ſo viel moͤglich, ſtark und dunkel in Far-
ben halten muß. Die Farben, die ſich durch das
Troknen am wenigſten aͤndern, das engliſche Roth,
die Ochererde und das Schwarze, das durchs Feuer
gemacht worden, ſind hiezu die beſten.

Da auch die Farben in Toͤpfen gemiſcht werden,
und es weit ſchweerer, als auf der Palette iſt, wenn
eine Farbe ausgegangen, vollkommen dieſelbe Mi-
ſchung zu bekommen, ſo thut man wol, daß man
auf einmal ſo viel Farben anmache, als zu einem
ganzen Stuͤck erfodert werden.

Wenn die Farben zugerichtet worden, ſo verfaͤhrt
man mit dieſer Mahlerey folgender Maaßen. Man
laͤßt einmal ein ſo großes Stuͤk der Mauer bewer-
fen, als in einem Tage kann gemahlt werden; denn
wenn der Moͤrtel zu troken iſt, ſo gelingt ſie nicht
ſo gut. Und weil ſich die Pinſelſtriche, die man
einmal auf der Mauer gemacht, weder ausloͤſchen,
noch verbeſſern laſſen, ſo muß der Mahler, ſo wol
in den zur Zeichnung, als zur Faͤrbung gehoͤrigen
Strichen eine große Gewißheit und Sicherheit haben.
Man pflegt deswegen zu wichtigen Stuͤken erſt Car-
tone
zu machen, die man an die Mauer haͤlt, um
die Zeichnung darnach auf der Mauer anzuzeigen,
damit die Hand deſto gewißer gehe. Alle Striche
muͤſſen mit Freyheit und Geſchwindigkeit gezogen
werden, weil das, was einmal zaghaft iſt, ſchweer-
lich kann verbeſſert werden; denn die Farbe zieht
ſich ſo gleich in die Mauer ein. Die verſchiedenen
Tinten darf man nur neben einander ſetzen, ohne

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[402/0414] Fra Fre der Perſon verſezt, die er laͤcherlich machen will; wie wenn Gellert in der Fabel von der Bethſchwe- ſter fragt: Was kann ſie denn dafuͤr, daß es die Leute ſehen? Oder er legt die Frage dieſer Perſon ſelbſt in den Mund, und macht ſie ſo dumm, daß der Frager laͤ- cherlich wird. Franzoͤſiſche Schule. (Zeichnende Kuͤnſte.) Es iſt ein ſehr uneigentlicher und unbeſtimmter Ausdruk, wenn man uͤberhaupt die Kuͤnſtler, die ſich in Frankreich beruͤhmt gemacht haben, unter der Benennung der franzoͤſiſchen Schule zuſammen- ſaßt. Denn dieſe haben nicht, wie die Kuͤnſtler einer wahren, eigentlichen Schule, ihren beſondern Charakter, noch haben ſie ſich nach einem Muſter gebildet. Frankreich hat Mahler und Zeichner ge- habt, die man ihrem Charakter nach zu der roͤmi- ſchen Schule rechnen muͤßte; andre die in ganz andre Claſſen kommen. Es geht alſo gar nicht an, daß man Frankreichs Kuͤnſtlern uͤberhaupt einen Cha- rakter beylege. Wollte man gegen ſie ſo unbillig ſeyn, wie einige franzoͤſiſche Kunſtrichter gegen die Deutſchen geweſen, denen ſie uͤberhaupt einen gothi- ſchen Geſchmak Schuld geben, ſo koͤnnte man ſagen, die franzoͤſiſche Schule habe dieſes eigen, daß ſie ſich nicht uͤber die gemeine Natur erhebe, ſondern viel- mehr dieſe in die beſondere kleine Manier ihres Lan- des und ihrer Sitten hineinzwinge. Es ſey aber ſern von uns, einer Nation, die ſich um die zeich- nenden Kuͤnſte wuͤrklich ſehr verdient gemacht hat, aus Rache gegen einige unverſtaͤndige Schriftſteller, etwas aufzubuͤrden. Poußin, Euſtachins Le Suͤeur, Le Bruͤn, Franz de Troy, La Fage, ſind Maͤnner, die wegen der großen Gedanken und der Staͤrke der Zeichnung jeder Schule Ehre machen; und in An- ſehung des Kupferſtechens und Aetzens, kann Frank- reich allen Nationen den Vorzug ſtreitig machen. Man kann die Arbeit, und den Geſchmak der franzoͤſiſchen Mahler in einer Folge von Gemaͤhlden ſehen, die in der Kirche Notre Dame zu Paris auf- gehaͤngt ſind; da ſeit 1630 das Gewerk der Gold- ſchmiede dieſer Kirche jaͤhrlich ein großes Gemaͤhld, als ein Geluͤbd ſchenkt. Bey Florent Le Comte fin- det man ein Verzeichniß dieſer Gemaͤhlde von 1630 bis 1699. (*) (*) S. Ca- binet des ſingulari- Fresko. (Mahlerey.) So nennt man die beſondere Art zu mahlen, welche auf einer friſch mit Moͤrtel uͤberworfenen Mauer ge- ſchieht. Dieſe Art zu mahlen iſt der, da man auf die ſchon alte und trokene Mauer mit Waſſerfarben oder mit Oelfarben mahlt, weit vorzuziehen, weil ſie viel dauerhafter iſt, indem ſich die Farben in den noch naßen Moͤrtel hineinziehen. Man nihmt Farben dazu, welche die Schaͤrfe des Kalks nicht aͤndert, und die man mit Kalkwaſſer anreiben kann; Kalk ſelbſt, fein geriebenen weißen und ſchwarzen Marmor, die verſchiedenen Ochererden, das nea- poliſche Gelbe, faſt alle Arten der gefaͤrbten Erden, und ſelbſt den Cinober, wie auch Ultramarin und Lazur. Man muß aber bey dieſen Farben wol be- denken, daß ſie alle viel heller werden, wenn ein- mal die bemahlte Mauer troken geworden, ſo daß man alles, ſo viel moͤglich, ſtark und dunkel in Far- ben halten muß. Die Farben, die ſich durch das Troknen am wenigſten aͤndern, das engliſche Roth, die Ochererde und das Schwarze, das durchs Feuer gemacht worden, ſind hiezu die beſten. Da auch die Farben in Toͤpfen gemiſcht werden, und es weit ſchweerer, als auf der Palette iſt, wenn eine Farbe ausgegangen, vollkommen dieſelbe Mi- ſchung zu bekommen, ſo thut man wol, daß man auf einmal ſo viel Farben anmache, als zu einem ganzen Stuͤck erfodert werden. Wenn die Farben zugerichtet worden, ſo verfaͤhrt man mit dieſer Mahlerey folgender Maaßen. Man laͤßt einmal ein ſo großes Stuͤk der Mauer bewer- fen, als in einem Tage kann gemahlt werden; denn wenn der Moͤrtel zu troken iſt, ſo gelingt ſie nicht ſo gut. Und weil ſich die Pinſelſtriche, die man einmal auf der Mauer gemacht, weder ausloͤſchen, noch verbeſſern laſſen, ſo muß der Mahler, ſo wol in den zur Zeichnung, als zur Faͤrbung gehoͤrigen Strichen eine große Gewißheit und Sicherheit haben. Man pflegt deswegen zu wichtigen Stuͤken erſt Car- tone zu machen, die man an die Mauer haͤlt, um die Zeichnung darnach auf der Mauer anzuzeigen, damit die Hand deſto gewißer gehe. Alle Striche muͤſſen mit Freyheit und Geſchwindigkeit gezogen werden, weil das, was einmal zaghaft iſt, ſchweer- lich kann verbeſſert werden; denn die Farbe zieht ſich ſo gleich in die Mauer ein. Die verſchiedenen Tinten darf man nur neben einander ſetzen, ohne etwas

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/414>, abgerufen am 25.11.2024.