Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
All Die Würkung der Allegorie ist überhaupt eben -- Mir ward der Becher voll Wermuth in ein Gleichnis verwandeln, so würde sie viel von Von dem Gebrauch der Allegorie ist überhaupt Nach diesen allgemeinen Anmerkungen können Allem Ansehen nach hat die Nothwendigkeit den Der nächste Gebrauch derselben wird in der Ab- All men, eine feinere Wendung bekomme, daß sie aufeine von der gemeinen Art sich unterscheidende Weise gesagt werde; wodurch demjenigen, mit dem man redet, gleichsam ein Compliment gemacht wird. Diese Absicht hat Virgil in einigen seiner Eklogen gehabt. Der Dichter hätte seine Dank- barkeit gegen den Augustus, und alles, was er sonst durch diese Allegorien sagt, eben so nachdrüklich, und noch stärker, gerade zu sagen können: aber so fein und mit so gutem Witz nicht, als es durch die Al- legorie geschehen ist. Dergleichen Wendung nehmen geistreiche Personen allenral, wenn sie jemand loben oder tadeln wollen. Gerade zu hat beydes etwas gar zu gemeines. Noch wichtiger wird der Gebrauch der Allegorie, Hist. II. 32. Jn diesen beyden Arten kömmt es nicht auf eine Man braucht bisweilen die Allegorie in der Crescit indulgens sibi dirus hydrops(*) Od. L. II. 2. Jener Ausdruk ist für den Philosophen, dieser für meine, D 3
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All Die Wuͤrkung der Allegorie iſt uͤberhaupt eben — Mir ward der Becher voll Wermuth in ein Gleichnis verwandeln, ſo wuͤrde ſie viel von Von dem Gebrauch der Allegorie iſt uͤberhaupt Nach dieſen allgemeinen Anmerkungen koͤnnen Allem Anſehen nach hat die Nothwendigkeit den Der naͤchſte Gebrauch derſelben wird in der Ab- All men, eine feinere Wendung bekomme, daß ſie aufeine von der gemeinen Art ſich unterſcheidende Weiſe geſagt werde; wodurch demjenigen, mit dem man redet, gleichſam ein Compliment gemacht wird. Dieſe Abſicht hat Virgil in einigen ſeiner Eklogen gehabt. Der Dichter haͤtte ſeine Dank- barkeit gegen den Auguſtus, und alles, was er ſonſt durch dieſe Allegorien ſagt, eben ſo nachdruͤklich, und noch ſtaͤrker, gerade zu ſagen koͤnnen: aber ſo fein und mit ſo gutem Witz nicht, als es durch die Al- legorie geſchehen iſt. Dergleichen Wendung nehmen geiſtreiche Perſonen allenral, wenn ſie jemand loben oder tadeln wollen. Gerade zu hat beydes etwas gar zu gemeines. Noch wichtiger wird der Gebrauch der Allegorie, Hiſt. II. 32. Jn dieſen beyden Arten koͤmmt es nicht auf eine Man braucht bisweilen die Allegorie in der Creſcit indulgens ſibi dirus hydrops(*) Od. L. II. 2. Jener Ausdruk iſt fuͤr den Philoſophen, dieſer fuͤr meine, D 3
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All
All
Die Wuͤrkung der Allegorie iſt uͤberhaupt eben
die, welche jedes Bild hat; daß ſie abgezogene
Vorſtellungen dem anſchauenden Erkenntnis ſinnlich
darſtellt. Nur hat ſie dieſen Vortheil in einem
hoͤheren Grad, als die andern Gattungen der
Bilder, weil ihr die Kuͤrze, die aus der Weglaſſung
des Gegenbildes entſteht, eine groͤßere Lebhaftigkeit
giebt, und weil aus eben dem Grunde die ganze
Aufmerkſamkeit erſt blos auf die genaue Vorſtellung
des Bildes gerichtet iſt, das Gegenbild aber her-
nach deſto genauer und ſchneller in ſeiner vollen
Klarheit da ſteht. Wollte man dieſe ſchoͤne Alle-
gorie
— Mir ward der Becher voll Wermuth
Kaum am Rande mit Honig beſtrichen, zu trinken gegeben; (*)
in ein Gleichnis verwandeln, ſo wuͤrde ſie viel von
ihrer Lebhaftigkeit verlieren. Sie iſt alſo die kraͤf-
tigſte Art des Bildes. Daher denn auch die Gleich-
niſſe, die der Allegorie am naͤchſten kommen, die
lebhafteſten ſind. (*)
(*) S.
Gleichnis.
Von dem Gebrauch der Allegorie iſt uͤberhaupt
zu merken, daß man ihn nicht uͤbertreiben muͤſſe.
Sie iſt, als eine Wuͤrze, ſparſam zu brauchen: ihr
Ueberfluß wuͤrde den Geſchmak fuͤr das Einfache
ganz benehmen; zu geſchweigen, daß die Anhaͤu-
fung der Bilder den Geiſt verwirrt, und, anſtatt
einer großen Klarheit, zuletzt ein verworrenes Ge-
menge ſinnlicher Gegenſtaͤnde zuruͤk laͤßt. Jn die-
ſen Fehler iſt der ſonſt ſo fuͤrtreffliche Young in
ſeinen Nachtgedanken nur gar zu ofte gefallen.
Nach dieſen allgemeinen Anmerkungen koͤnnen
wir die beſondern Arten der Allegorie betrachten,
die aus der Verſchiedenheit des Endzweks oder der
Wuͤrkung derſelben, entſtehen.
Allem Anſehen nach hat die Nothwendigkeit den
Gebrauch der Allegorie eingefuͤhrt. Als die Sprache
noch keine Woͤrter hatte, allgemeine Begriffe aus-
zudruͤken, gab man einem heftigen und rachgieri-
Menſchen den Namen eines Hundes, oder eines
andern Thieres, an dem man aͤhnliche Eigenſchaf-
ten entdekt hatte. Damals war die Abſicht der
Allegorie, blos den Ausdruk der Sache moͤglich zu
machen. Dergleichen Allegorien ſind haͤufig in
der Sprache geblieben, und haben gaͤnzlich die Art
der eigentlichen Ausdruͤke angenommen.
Der naͤchſte Gebrauch derſelben wird in der Ab-
ſicht gemacht, daß die ganze Vorſtellung der Sa-
che, ohne eine beſondere aͤſthetiſche Kraft anzuneh-
men, eine feinere Wendung bekomme, daß ſie auf
eine von der gemeinen Art ſich unterſcheidende
Weiſe geſagt werde; wodurch demjenigen, mit dem
man redet, gleichſam ein Compliment gemacht
wird. Dieſe Abſicht hat Virgil in einigen ſeiner
Eklogen gehabt. Der Dichter haͤtte ſeine Dank-
barkeit gegen den Auguſtus, und alles, was er ſonſt
durch dieſe Allegorien ſagt, eben ſo nachdruͤklich, und
noch ſtaͤrker, gerade zu ſagen koͤnnen: aber ſo fein
und mit ſo gutem Witz nicht, als es durch die Al-
legorie geſchehen iſt. Dergleichen Wendung nehmen
geiſtreiche Perſonen allenral, wenn ſie jemand loben
oder tadeln wollen. Gerade zu hat beydes etwas
gar zu gemeines.
Noch wichtiger wird der Gebrauch der Allegorie,
wenn zu der feinen Wendung noch die Abſicht hinzu
koͤmmt, das Gegenbild oder den Sinn der Allegorie
ſo lange zu verbergen, bis das Urtheil daruͤber vor
dem Einfluß aller Verblendung geſichert iſt; wel-
ches man auf eine aͤhnliche Weiſe auch durch die
aͤſopiſche Fabel erhaͤlt. Von dieſer Art iſt die be-
kannte Rede, wodurch der Conſul, Menenius
Agrippa, das roͤmiſche Volk in einem Aufruhr
beſaͤnftiget hat. (*)
Jn dieſen beyden Arten koͤmmt es nicht auf eine
vollkommene, ſich auf die Nebenumſtaͤnde erſtre-
kende Aehnlichkeit an. Jeden beſondern Umſtand
darinn bedeutend machen wollen, wuͤrde die Alle-
gorie in ein Kinderſpiel verwandeln. Es iſt zur
Abſicht hinlaͤnglich, wenn die Sache, die man ſa-
gen will, nach dem Hauptſatz anſchauend in dem
Bilde liegt.
Man braucht bisweilen die Allegorie in der
Abſicht, der Vorſtellung, ohne andre Vortheile, blos
Klarheit oder Sinnlichkeit zu geben, damit ſie faß-
licher und unvergeßlicher bleibe. Was Haller
ſehr kurz auf eine philoſophiſche Art mit dieſen
Worten ausdruͤkt: Mit dem Genuß waͤchſt die
Begierd, hat Horaz in dieſe Allegorie eingeklei-
det:
Creſcit indulgens ſibi dirus hydrops
Nec ſitim pellit, niſi cauſa morbi
Fugerit venis et aquoſus albo
Corpore languor. (*)
Jener Ausdruk iſt fuͤr den Philoſophen, dieſer fuͤr
jederman. Was jener dem Verſtande ſagt, mahlt
dieſer der Einbildungskraft deutlich ab. Allegorien
von dieſer Art ſind hoͤchſt noͤthig, ſo oft als allge-
meine,
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