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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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der Juvelierer, und so gar Handwerker von der nie-
drigsten Classe können sich dadurch bis zum Rang
der Künstler erheben, so wie im Gegentheil Künst-
ler unter den Handwerksmann sinken, wenn sie
durch abgeschmakte Zierrathen so gar, was zur
(*) S.
Zierrathen
Tüchtigkeit am wesentlichsten gehört, zerstöhren (*);
wie der wunderliche Mensch in Frankreich, der vor
einiger Zeit ein Gebäude in Form eines Rhinoceros
hat aufführen wollen.

Die wichtigsten Formen, deren Schönheit bis
ins Erhabene hinaufsteiget, sind die, in denen Schön-
heit mit Schiklichkeit und sittlichem Wesen vereiniget
ist, wo die Materie ein Ausdruk geistlicher Kräfte
wird; Seelen in sichtbarer Gestalt. Diese fangen
schon in dem Thierreich an, und erheben sich allmäh-
lig durch unendlich viel Grade bis zum höchsten Jdeal
der menschlichen Schönheit, als dem äussersten, das
Menschen zu erreichen möglich ist. Die Natur und
Kraft dieser Form, die auch schlechthin die Schön-
heit, das ist, das höchste Schöne genennt wird,
ist wegen der Wichtigkeit der Sache in einem be-
(*) S.
Schönheit.
sondern Artikel ausführlich entwikelt worden (*).

Man muß in den zeichnenden Künsten, so oft
als von Formen die Red ist, an den Unterschied
dieser drey Gattungen der Formen gedenken; denn
unter gleichen Namen werden sehr ungleiche Dinge
ausgedrükt. Wenn von Schönheit der Formen ge-
sprochen wird, so kömmt es sehr viel darauf an,
zu welcher Gattung sie gehören.

Form.
(Bildende Künste.)

Dieses Wort bedeutet auch insbesondre einen Kör-
per, dessen Zeichnung oder Gestalt andern Körpern
durch Abgießen, oder Abdruken mitgetheilt wird, so
wie ein Pettschaft die Form ist, in welcher das Sie-
gel abgedrukt wird. Man macht Formen zum Ab-
gießen, in Metall oder in Gyps; Formen zum Ab-
druken in Wachs, oder andre weiche Körper.
Daher heißen die hölzernen Stüke, von denen die
so genannten Holzschnitte abgedrukt werden, auch
Formen, und der Künstler, der sie verfertiget, wird
Formschneider genennt.

Formschneiden.
(Zeichnende Künste.)

Unter der Benennung des Formschneidens versteht
man die Kunst allerhand Zeichnungen in hölzerne
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For
Formen zu schneiden, von denen sie mit Oelfarben
auf Papier abgedrukt werden. Die Abdrüke selbst
nennet man Holzschnitte. Es geht damit überhaupt
also zu. Man trägt auf ein Stük zähes und feines
Holz mit Bleystift oder einer andern Farbe die Zeich-
nung auf; hernach nihmt man mit schiklichen Jn-
strumenten und Werkzeugen von der Oberfläche
des Holzes alles, ausser den gezeichneten Strichen,
bis auf eine gewisse Tiefe weg. Enthält die Zeich-
nung eine Vorstellung, in welcher Gegenstände von
verschiedenen Entfernungen sind, wie in Landschaf-
ten, so bedient man sich des Kunstgriffes, die ent-
fernten Gründe auf dem Stok selbst, ehe man die
Zeichnung darauf trägt, etwas zu vertiefen, damit
hernach beym Abdruken die dazu gehörigen Striche
nur sehr schwach heraus kommen. Wenn nun auf
diese so zubereitete Form mit Ballen, die denjenigen
gleichen, deren sich die Buchdruker bedienen, die
Farbe aufgetragen wird, so bleibet etwas davon auf
der Form kleben und zwar nur auf den Strichen,
weil alles übrige vertieft ist. Wird nun ein feuch-
tes Papier darauf gelegt und sachte gepreßt, so
drükt sich die Farbe auf das Papier ab; die Stellen
aber, die auf die vertieftesten Theile der Form treffen,
bleiben weiß; folglich ist nun die ganze Zeichnung,
aber in Ansehung der rechten und linken Seiten ver-
kehrt, auf dem Papier, das nun ein Holzschnitt
genennt wird.

Diese geschnittenen Formen sind einigermaaßen
das Gegentheil der Kupferplatten. Denn in diesen
werden die Striche, die sich abdruken sollen, vertieft,
und hier sind sie erhöht. Daher ist es auch nicht
möglich in den Holzschnitten die Zeichnungen weder
mit so feinen, noch mit so mannigfaltig durch ein-
ander laufenden Strichen zu machen, als in Ku-
pferplatten, weil das Holz entweder ausspringen,
oder im Druk sich umlegen würde. Dieses giebt
also den Holzschnitten überhaupt ein ganz anderes
und matteres Ansehen, als die Kupferstiche haben.
Diese können auch das Matte und das Glänzende,
das Glatte und das Rauhe, und überhaupt das Cha-
rakteristische der Oberflächen der Körper beynahe so
gut, als der Pinsel selbst bezeichnen, da hingegen
die Holzschnitte alles gleich matt machen. Ferner
können die Kupferstiche das Weiche der Zeichnungen
und der Gemählde, da die Umrisse mehr angedeutet
als ausgedrukt sind, fast eben so gut, als die Mah-
lerey erreichen; diesen Vortheil hat der Holzschnitt

nicht.

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For
der Juvelierer, und ſo gar Handwerker von der nie-
drigſten Claſſe koͤnnen ſich dadurch bis zum Rang
der Kuͤnſtler erheben, ſo wie im Gegentheil Kuͤnſt-
ler unter den Handwerksmann ſinken, wenn ſie
durch abgeſchmakte Zierrathen ſo gar, was zur
(*) S.
Zierrathen
Tuͤchtigkeit am weſentlichſten gehoͤrt, zerſtoͤhren (*);
wie der wunderliche Menſch in Frankreich, der vor
einiger Zeit ein Gebaͤude in Form eines Rhinoceros
hat auffuͤhren wollen.

Die wichtigſten Formen, deren Schoͤnheit bis
ins Erhabene hinaufſteiget, ſind die, in denen Schoͤn-
heit mit Schiklichkeit und ſittlichem Weſen vereiniget
iſt, wo die Materie ein Ausdruk geiſtlicher Kraͤfte
wird; Seelen in ſichtbarer Geſtalt. Dieſe fangen
ſchon in dem Thierreich an, und erheben ſich allmaͤh-
lig durch unendlich viel Grade bis zum hoͤchſten Jdeal
der menſchlichen Schoͤnheit, als dem aͤuſſerſten, das
Menſchen zu erreichen moͤglich iſt. Die Natur und
Kraft dieſer Form, die auch ſchlechthin die Schoͤn-
heit, das iſt, das hoͤchſte Schoͤne genennt wird,
iſt wegen der Wichtigkeit der Sache in einem be-
(*) S.
Schoͤnheit.
ſondern Artikel ausfuͤhrlich entwikelt worden (*).

Man muß in den zeichnenden Kuͤnſten, ſo oft
als von Formen die Red iſt, an den Unterſchied
dieſer drey Gattungen der Formen gedenken; denn
unter gleichen Namen werden ſehr ungleiche Dinge
ausgedruͤkt. Wenn von Schoͤnheit der Formen ge-
ſprochen wird, ſo koͤmmt es ſehr viel darauf an,
zu welcher Gattung ſie gehoͤren.

Form.
(Bildende Kuͤnſte.)

Dieſes Wort bedeutet auch insbeſondre einen Koͤr-
per, deſſen Zeichnung oder Geſtalt andern Koͤrpern
durch Abgießen, oder Abdruken mitgetheilt wird, ſo
wie ein Pettſchaft die Form iſt, in welcher das Sie-
gel abgedrukt wird. Man macht Formen zum Ab-
gießen, in Metall oder in Gyps; Formen zum Ab-
druken in Wachs, oder andre weiche Koͤrper.
Daher heißen die hoͤlzernen Stuͤke, von denen die
ſo genannten Holzſchnitte abgedrukt werden, auch
Formen, und der Kuͤnſtler, der ſie verfertiget, wird
Formſchneider genennt.

Formſchneiden.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Unter der Benennung des Formſchneidens verſteht
man die Kunſt allerhand Zeichnungen in hoͤlzerne
[Spaltenumbruch]

For
Formen zu ſchneiden, von denen ſie mit Oelfarben
auf Papier abgedrukt werden. Die Abdruͤke ſelbſt
nennet man Holzſchnitte. Es geht damit uͤberhaupt
alſo zu. Man traͤgt auf ein Stuͤk zaͤhes und feines
Holz mit Bleyſtift oder einer andern Farbe die Zeich-
nung auf; hernach nihmt man mit ſchiklichen Jn-
ſtrumenten und Werkzeugen von der Oberflaͤche
des Holzes alles, auſſer den gezeichneten Strichen,
bis auf eine gewiſſe Tiefe weg. Enthaͤlt die Zeich-
nung eine Vorſtellung, in welcher Gegenſtaͤnde von
verſchiedenen Entfernungen ſind, wie in Landſchaf-
ten, ſo bedient man ſich des Kunſtgriffes, die ent-
fernten Gruͤnde auf dem Stok ſelbſt, ehe man die
Zeichnung darauf traͤgt, etwas zu vertiefen, damit
hernach beym Abdruken die dazu gehoͤrigen Striche
nur ſehr ſchwach heraus kommen. Wenn nun auf
dieſe ſo zubereitete Form mit Ballen, die denjenigen
gleichen, deren ſich die Buchdruker bedienen, die
Farbe aufgetragen wird, ſo bleibet etwas davon auf
der Form kleben und zwar nur auf den Strichen,
weil alles uͤbrige vertieft iſt. Wird nun ein feuch-
tes Papier darauf gelegt und ſachte gepreßt, ſo
druͤkt ſich die Farbe auf das Papier ab; die Stellen
aber, die auf die vertiefteſten Theile der Form treffen,
bleiben weiß; folglich iſt nun die ganze Zeichnung,
aber in Anſehung der rechten und linken Seiten ver-
kehrt, auf dem Papier, das nun ein Holzſchnitt
genennt wird.

Dieſe geſchnittenen Formen ſind einigermaaßen
das Gegentheil der Kupferplatten. Denn in dieſen
werden die Striche, die ſich abdruken ſollen, vertieft,
und hier ſind ſie erhoͤht. Daher iſt es auch nicht
moͤglich in den Holzſchnitten die Zeichnungen weder
mit ſo feinen, noch mit ſo mannigfaltig durch ein-
ander laufenden Strichen zu machen, als in Ku-
pferplatten, weil das Holz entweder ausſpringen,
oder im Druk ſich umlegen wuͤrde. Dieſes giebt
alſo den Holzſchnitten uͤberhaupt ein ganz anderes
und matteres Anſehen, als die Kupferſtiche haben.
Dieſe koͤnnen auch das Matte und das Glaͤnzende,
das Glatte und das Rauhe, und uͤberhaupt das Cha-
rakteriſtiſche der Oberflaͤchen der Koͤrper beynahe ſo
gut, als der Pinſel ſelbſt bezeichnen, da hingegen
die Holzſchnitte alles gleich matt machen. Ferner
koͤnnen die Kupferſtiche das Weiche der Zeichnungen
und der Gemaͤhlde, da die Umriſſe mehr angedeutet
als ausgedrukt ſind, faſt eben ſo gut, als die Mah-
lerey erreichen; dieſen Vortheil hat der Holzſchnitt

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[396/0408] For For der Juvelierer, und ſo gar Handwerker von der nie- drigſten Claſſe koͤnnen ſich dadurch bis zum Rang der Kuͤnſtler erheben, ſo wie im Gegentheil Kuͤnſt- ler unter den Handwerksmann ſinken, wenn ſie durch abgeſchmakte Zierrathen ſo gar, was zur Tuͤchtigkeit am weſentlichſten gehoͤrt, zerſtoͤhren (*); wie der wunderliche Menſch in Frankreich, der vor einiger Zeit ein Gebaͤude in Form eines Rhinoceros hat auffuͤhren wollen. (*) S. Zierrathen Die wichtigſten Formen, deren Schoͤnheit bis ins Erhabene hinaufſteiget, ſind die, in denen Schoͤn- heit mit Schiklichkeit und ſittlichem Weſen vereiniget iſt, wo die Materie ein Ausdruk geiſtlicher Kraͤfte wird; Seelen in ſichtbarer Geſtalt. Dieſe fangen ſchon in dem Thierreich an, und erheben ſich allmaͤh- lig durch unendlich viel Grade bis zum hoͤchſten Jdeal der menſchlichen Schoͤnheit, als dem aͤuſſerſten, das Menſchen zu erreichen moͤglich iſt. Die Natur und Kraft dieſer Form, die auch ſchlechthin die Schoͤn- heit, das iſt, das hoͤchſte Schoͤne genennt wird, iſt wegen der Wichtigkeit der Sache in einem be- ſondern Artikel ausfuͤhrlich entwikelt worden (*). (*) S. Schoͤnheit. Man muß in den zeichnenden Kuͤnſten, ſo oft als von Formen die Red iſt, an den Unterſchied dieſer drey Gattungen der Formen gedenken; denn unter gleichen Namen werden ſehr ungleiche Dinge ausgedruͤkt. Wenn von Schoͤnheit der Formen ge- ſprochen wird, ſo koͤmmt es ſehr viel darauf an, zu welcher Gattung ſie gehoͤren. Form. (Bildende Kuͤnſte.) Dieſes Wort bedeutet auch insbeſondre einen Koͤr- per, deſſen Zeichnung oder Geſtalt andern Koͤrpern durch Abgießen, oder Abdruken mitgetheilt wird, ſo wie ein Pettſchaft die Form iſt, in welcher das Sie- gel abgedrukt wird. Man macht Formen zum Ab- gießen, in Metall oder in Gyps; Formen zum Ab- druken in Wachs, oder andre weiche Koͤrper. Daher heißen die hoͤlzernen Stuͤke, von denen die ſo genannten Holzſchnitte abgedrukt werden, auch Formen, und der Kuͤnſtler, der ſie verfertiget, wird Formſchneider genennt. Formſchneiden. (Zeichnende Kuͤnſte.) Unter der Benennung des Formſchneidens verſteht man die Kunſt allerhand Zeichnungen in hoͤlzerne Formen zu ſchneiden, von denen ſie mit Oelfarben auf Papier abgedrukt werden. Die Abdruͤke ſelbſt nennet man Holzſchnitte. Es geht damit uͤberhaupt alſo zu. Man traͤgt auf ein Stuͤk zaͤhes und feines Holz mit Bleyſtift oder einer andern Farbe die Zeich- nung auf; hernach nihmt man mit ſchiklichen Jn- ſtrumenten und Werkzeugen von der Oberflaͤche des Holzes alles, auſſer den gezeichneten Strichen, bis auf eine gewiſſe Tiefe weg. Enthaͤlt die Zeich- nung eine Vorſtellung, in welcher Gegenſtaͤnde von verſchiedenen Entfernungen ſind, wie in Landſchaf- ten, ſo bedient man ſich des Kunſtgriffes, die ent- fernten Gruͤnde auf dem Stok ſelbſt, ehe man die Zeichnung darauf traͤgt, etwas zu vertiefen, damit hernach beym Abdruken die dazu gehoͤrigen Striche nur ſehr ſchwach heraus kommen. Wenn nun auf dieſe ſo zubereitete Form mit Ballen, die denjenigen gleichen, deren ſich die Buchdruker bedienen, die Farbe aufgetragen wird, ſo bleibet etwas davon auf der Form kleben und zwar nur auf den Strichen, weil alles uͤbrige vertieft iſt. Wird nun ein feuch- tes Papier darauf gelegt und ſachte gepreßt, ſo druͤkt ſich die Farbe auf das Papier ab; die Stellen aber, die auf die vertiefteſten Theile der Form treffen, bleiben weiß; folglich iſt nun die ganze Zeichnung, aber in Anſehung der rechten und linken Seiten ver- kehrt, auf dem Papier, das nun ein Holzſchnitt genennt wird. Dieſe geſchnittenen Formen ſind einigermaaßen das Gegentheil der Kupferplatten. Denn in dieſen werden die Striche, die ſich abdruken ſollen, vertieft, und hier ſind ſie erhoͤht. Daher iſt es auch nicht moͤglich in den Holzſchnitten die Zeichnungen weder mit ſo feinen, noch mit ſo mannigfaltig durch ein- ander laufenden Strichen zu machen, als in Ku- pferplatten, weil das Holz entweder ausſpringen, oder im Druk ſich umlegen wuͤrde. Dieſes giebt alſo den Holzſchnitten uͤberhaupt ein ganz anderes und matteres Anſehen, als die Kupferſtiche haben. Dieſe koͤnnen auch das Matte und das Glaͤnzende, das Glatte und das Rauhe, und uͤberhaupt das Cha- rakteriſtiſche der Oberflaͤchen der Koͤrper beynahe ſo gut, als der Pinſel ſelbſt bezeichnen, da hingegen die Holzſchnitte alles gleich matt machen. Ferner koͤnnen die Kupferſtiche das Weiche der Zeichnungen und der Gemaͤhlde, da die Umriſſe mehr angedeutet als ausgedrukt ſind, faſt eben ſo gut, als die Mah- lerey erreichen; dieſen Vortheil hat der Holzſchnitt nicht.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/408>, abgerufen am 22.11.2024.