Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Fle Fli
so lang man nicht den erwünschten Erfolg davon
sieht, sie durch neue Beobachtungen zu verbessern
suchen. Dieses ist vermuthlich der einzige Weg in
diesem Theile der Kunst zur Vollkommenheit zu ge-
langen.

Laireße hat über die Fleischung, wie über ver-
schiedene andre Zweige der Kunst, Regeln gegeben,
die dem, dessen Genie sonst für diesen Theil der Kunst
die gehörige Wendung hat, das Studium etwas
erleichtern könnten. Aber alle Regeln, die man
nicht selbst entdeket, oder deren Gründlichkeit man
nicht durch eigenes Nachdenken einsieht, können
hier nichts helfen.

Fließend.
(Schöne Künste.)

Dasjenige, was unsre Vorstellungskraft ohne
alle Aufhaltung und Hinternis in einem gleichen
Grad der Stärke unterhält. Der Ausdruk ist von
einem sanft fortfließenden Wasser genommen, des-
sen mäßige Geschwindigkeit überall gleich ist. Man
sagt von einer gebundenen, oder ungebundenen
Rede, sie sey fließend, wenn sie wie ein sanfter
Strohm so fortgeht, daß weder das Ohr, noch
die innern Sinnen einmal merklich stärker, als das
andre gereitzt werden, wenn alles leicht auf einander
folgt, daß man in seinen Vorstellungen, ohne merk-
liche Unterbrechungen, und erneuerte oder verän-
derte Aufmerksamkeit, sanft fortgeführt wird. Auf
eine ähnliche Art ist ein fließendes Tonstük beschaffen,
oder eine fließende Melodie, wenn alles ungezwun-
gen, ohne schnelle Veränderungen in unsern Vor-
stellungen hinter einander folget. Man nennt auch
eine Zeichnung fließend, wenn die Umrisse ohne
Unterbrechung, ohne starke oder schnelle Wendun-
gen, ohne Zwang, in angenehmen Krümmungen
fortgehen.

Das Fließende ist demnach dem Holprigen und
Rauen gerade entgegen gesetzt, wobey die Aufmerk-
samkeit alle Augenblik anstößt, eine Weile gehemmt,
oder verstärkt wird. Auch das Feurige und Leb-
hafte, und das wilde Rauschende, sind dem Fließen-
den einigermaaßen entgegen.

Das Fließende hat ausser der Leichtigkeit auch
die Würkung, daß es das Gemüth nur sanft an-
greift, angenehm aber fast unvermerkt von einer
Vorstellung zur andern fortführet, und uns in stil-
ler Betrachtung einwieget, wiewol es uns auch
[Spaltenumbruch]

Fli Flo
nach und nach bis zum sanften Reitz fortziehen
kann. Und hieraus ist zu sehen, daß das Fließende
nur in denen Werken, oder Theilen der Werke statt
hat, welche allmählig auf das Gemüthe würken sollen.
Es wäre ein Fehler in den Werken, die uns über-
raschen, fortreißen, oder überhaupt in starke und
lebhafte Empfindungen setzen sollen. Es ist eine
wesentliche Eigenschaft des blos Angenehmen und
Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefsitzende Lei-
denschaften, liebliche Vorstellungen der Phantasie,
müssen auf eine fließende Art behandelt werden, eben
so wie das, was man Unterhaltend und Ergötzend
nennt.

Virgil ist in den angenehmen Scenen, die er be-
schreibt, Ovidius und Euripides in sanften Affekten
und angenehmen Gemählden, Phädrus und La Fon-
taine in ihren Fabeln Fließend. Grauns meiste Me-
lodien sind Muster des Fließenden.

Es ist ein Zeichen eines schwachen Genies, oder
eines verdorbenen Geschmaks, wenn man in Wer-
ken der Kunst alles Fließend verlangt; denn auf
diese Weise könnten die größten Würkungen ofte
nicht erhalten werden. Vielmehr ist das Fließende
gar oft ein Fehler. Es wäre lächerlich, wenn ein
Redner bey Vorstellung einer nahen Gefahr das
Fließende in seiner Rede suchen wollte. Es ist
allen heftigen und strengen Leidenschaften gänzlich
entgegen.

Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken,
eine Kunst seine Vorstellungen auf alle Seiten um-
zuwenden, eine Fertigkeit in allen Wendungen,
und feine Sinnen, um das Fließende zu erreichen.

Florentinische Schule.

Die Stadt Florenz ist schon seit vielen Jahrhun-
derten ein vorzüglicher Sitz der zeichnenden Künste;
sie hat in allen Zweigen der Kunst eine so beträcht-
liche Anzahl großer Männer besessen, Bildhauer,
Stein- und Stempelschneider und Mahler, daß
keine andre Stadt ihr in diesem Stük den Vorzug
streitig machen kann.

Man muß die ganz alte florentinische Schule von
der neuen unterscheiden. Schon im dreyzehnten
Jahrhundert haben die Künste in dieser Stadt ge-
blüht. Der Rath ließ verschiedene Künstler aus
Griechenland kommen, welche sich in Florenz nie-
dergelassen und daselbst Schüler gezogen haben, durch

welche

[Spaltenumbruch]

Fle Fli
ſo lang man nicht den erwuͤnſchten Erfolg davon
ſieht, ſie durch neue Beobachtungen zu verbeſſern
ſuchen. Dieſes iſt vermuthlich der einzige Weg in
dieſem Theile der Kunſt zur Vollkommenheit zu ge-
langen.

Laireße hat uͤber die Fleiſchung, wie uͤber ver-
ſchiedene andre Zweige der Kunſt, Regeln gegeben,
die dem, deſſen Genie ſonſt fuͤr dieſen Theil der Kunſt
die gehoͤrige Wendung hat, das Studium etwas
erleichtern koͤnnten. Aber alle Regeln, die man
nicht ſelbſt entdeket, oder deren Gruͤndlichkeit man
nicht durch eigenes Nachdenken einſieht, koͤnnen
hier nichts helfen.

Fließend.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Dasjenige, was unſre Vorſtellungskraft ohne
alle Aufhaltung und Hinternis in einem gleichen
Grad der Staͤrke unterhaͤlt. Der Ausdruk iſt von
einem ſanft fortfließenden Waſſer genommen, deſ-
ſen maͤßige Geſchwindigkeit uͤberall gleich iſt. Man
ſagt von einer gebundenen, oder ungebundenen
Rede, ſie ſey fließend, wenn ſie wie ein ſanfter
Strohm ſo fortgeht, daß weder das Ohr, noch
die innern Sinnen einmal merklich ſtaͤrker, als das
andre gereitzt werden, wenn alles leicht auf einander
folgt, daß man in ſeinen Vorſtellungen, ohne merk-
liche Unterbrechungen, und erneuerte oder veraͤn-
derte Aufmerkſamkeit, ſanft fortgefuͤhrt wird. Auf
eine aͤhnliche Art iſt ein fließendes Tonſtuͤk beſchaffen,
oder eine fließende Melodie, wenn alles ungezwun-
gen, ohne ſchnelle Veraͤnderungen in unſern Vor-
ſtellungen hinter einander folget. Man nennt auch
eine Zeichnung fließend, wenn die Umriſſe ohne
Unterbrechung, ohne ſtarke oder ſchnelle Wendun-
gen, ohne Zwang, in angenehmen Kruͤmmungen
fortgehen.

Das Fließende iſt demnach dem Holprigen und
Rauen gerade entgegen geſetzt, wobey die Aufmerk-
ſamkeit alle Augenblik anſtoͤßt, eine Weile gehemmt,
oder verſtaͤrkt wird. Auch das Feurige und Leb-
hafte, und das wilde Rauſchende, ſind dem Fließen-
den einigermaaßen entgegen.

Das Fließende hat auſſer der Leichtigkeit auch
die Wuͤrkung, daß es das Gemuͤth nur ſanft an-
greift, angenehm aber faſt unvermerkt von einer
Vorſtellung zur andern fortfuͤhret, und uns in ſtil-
ler Betrachtung einwieget, wiewol es uns auch
[Spaltenumbruch]

Fli Flo
nach und nach bis zum ſanften Reitz fortziehen
kann. Und hieraus iſt zu ſehen, daß das Fließende
nur in denen Werken, oder Theilen der Werke ſtatt
hat, welche allmaͤhlig auf das Gemuͤthe wuͤrken ſollen.
Es waͤre ein Fehler in den Werken, die uns uͤber-
raſchen, fortreißen, oder uͤberhaupt in ſtarke und
lebhafte Empfindungen ſetzen ſollen. Es iſt eine
weſentliche Eigenſchaft des blos Angenehmen und
Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefſitzende Lei-
denſchaften, liebliche Vorſtellungen der Phantaſie,
muͤſſen auf eine fließende Art behandelt werden, eben
ſo wie das, was man Unterhaltend und Ergoͤtzend
nennt.

Virgil iſt in den angenehmen Scenen, die er be-
ſchreibt, Ovidius und Euripides in ſanften Affekten
und angenehmen Gemaͤhlden, Phaͤdrus und La Fon-
taine in ihren Fabeln Fließend. Grauns meiſte Me-
lodien ſind Muſter des Fließenden.

Es iſt ein Zeichen eines ſchwachen Genies, oder
eines verdorbenen Geſchmaks, wenn man in Wer-
ken der Kunſt alles Fließend verlangt; denn auf
dieſe Weiſe koͤnnten die groͤßten Wuͤrkungen ofte
nicht erhalten werden. Vielmehr iſt das Fließende
gar oft ein Fehler. Es waͤre laͤcherlich, wenn ein
Redner bey Vorſtellung einer nahen Gefahr das
Fließende in ſeiner Rede ſuchen wollte. Es iſt
allen heftigen und ſtrengen Leidenſchaften gaͤnzlich
entgegen.

Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken,
eine Kunſt ſeine Vorſtellungen auf alle Seiten um-
zuwenden, eine Fertigkeit in allen Wendungen,
und feine Sinnen, um das Fließende zu erreichen.

Florentiniſche Schule.

Die Stadt Florenz iſt ſchon ſeit vielen Jahrhun-
derten ein vorzuͤglicher Sitz der zeichnenden Kuͤnſte;
ſie hat in allen Zweigen der Kunſt eine ſo betraͤcht-
liche Anzahl großer Maͤnner beſeſſen, Bildhauer,
Stein- und Stempelſchneider und Mahler, daß
keine andre Stadt ihr in dieſem Stuͤk den Vorzug
ſtreitig machen kann.

Man muß die ganz alte florentiniſche Schule von
der neuen unterſcheiden. Schon im dreyzehnten
Jahrhundert haben die Kuͤnſte in dieſer Stadt ge-
bluͤht. Der Rath ließ verſchiedene Kuͤnſtler aus
Griechenland kommen, welche ſich in Florenz nie-
dergelaſſen und daſelbſt Schuͤler gezogen haben, durch

welche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0404" n="392"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fle Fli</hi></fw><lb/>
&#x017F;o lang man nicht den erwu&#x0364;n&#x017F;chten Erfolg davon<lb/>
&#x017F;ieht, &#x017F;ie durch neue Beobachtungen zu verbe&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
&#x017F;uchen. Die&#x017F;es i&#x017F;t vermuthlich der einzige Weg in<lb/>
die&#x017F;em Theile der Kun&#x017F;t zur Vollkommenheit zu ge-<lb/>
langen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Laireße</hi> hat u&#x0364;ber die Flei&#x017F;chung, wie u&#x0364;ber ver-<lb/>
&#x017F;chiedene andre Zweige der Kun&#x017F;t, Regeln gegeben,<lb/>
die dem, de&#x017F;&#x017F;en Genie &#x017F;on&#x017F;t fu&#x0364;r die&#x017F;en Theil der Kun&#x017F;t<lb/>
die geho&#x0364;rige Wendung hat, das Studium etwas<lb/>
erleichtern ko&#x0364;nnten. Aber alle Regeln, die man<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t entdeket, oder deren Gru&#x0364;ndlichkeit man<lb/>
nicht durch eigenes Nachdenken ein&#x017F;ieht, ko&#x0364;nnen<lb/>
hier nichts helfen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Fließend.</hi><lb/>
(Scho&#x0364;ne Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>asjenige, was un&#x017F;re Vor&#x017F;tellungskraft ohne<lb/>
alle Aufhaltung und Hinternis in einem gleichen<lb/>
Grad der Sta&#x0364;rke unterha&#x0364;lt. Der Ausdruk i&#x017F;t von<lb/>
einem &#x017F;anft fortfließenden Wa&#x017F;&#x017F;er genommen, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ma&#x0364;ßige Ge&#x017F;chwindigkeit u&#x0364;berall gleich i&#x017F;t. Man<lb/>
&#x017F;agt von einer gebundenen, oder ungebundenen<lb/>
Rede, &#x017F;ie &#x017F;ey fließend, wenn &#x017F;ie wie ein &#x017F;anfter<lb/>
Strohm &#x017F;o fortgeht, daß weder das Ohr, noch<lb/>
die innern Sinnen einmal merklich &#x017F;ta&#x0364;rker, als das<lb/>
andre gereitzt werden, wenn alles leicht auf einander<lb/>
folgt, daß man in &#x017F;einen Vor&#x017F;tellungen, ohne merk-<lb/>
liche Unterbrechungen, und erneuerte oder vera&#x0364;n-<lb/>
derte Aufmerk&#x017F;amkeit, &#x017F;anft fortgefu&#x0364;hrt wird. Auf<lb/>
eine a&#x0364;hnliche Art i&#x017F;t ein fließendes Ton&#x017F;tu&#x0364;k be&#x017F;chaffen,<lb/>
oder eine fließende Melodie, wenn alles ungezwun-<lb/>
gen, ohne &#x017F;chnelle Vera&#x0364;nderungen in un&#x017F;ern Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen hinter einander folget. Man nennt auch<lb/>
eine Zeichnung fließend, wenn die Umri&#x017F;&#x017F;e ohne<lb/>
Unterbrechung, ohne &#x017F;tarke oder &#x017F;chnelle Wendun-<lb/>
gen, ohne Zwang, in angenehmen Kru&#x0364;mmungen<lb/>
fortgehen.</p><lb/>
          <p>Das Fließende i&#x017F;t demnach dem Holprigen und<lb/>
Rauen gerade entgegen ge&#x017F;etzt, wobey die Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit alle Augenblik an&#x017F;to&#x0364;ßt, eine Weile gehemmt,<lb/>
oder ver&#x017F;ta&#x0364;rkt wird. Auch das Feurige und Leb-<lb/>
hafte, und das wilde Rau&#x017F;chende, &#x017F;ind dem Fließen-<lb/>
den einigermaaßen entgegen.</p><lb/>
          <p>Das Fließende hat au&#x017F;&#x017F;er der Leichtigkeit auch<lb/>
die Wu&#x0364;rkung, daß es das Gemu&#x0364;th nur &#x017F;anft an-<lb/>
greift, angenehm aber fa&#x017F;t unvermerkt von einer<lb/>
Vor&#x017F;tellung zur andern fortfu&#x0364;hret, und uns in &#x017F;til-<lb/>
ler Betrachtung einwieget, wiewol es uns auch<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fli Flo</hi></fw><lb/>
nach und nach bis zum &#x017F;anften Reitz fortziehen<lb/>
kann. Und hieraus i&#x017F;t zu &#x017F;ehen, daß das Fließende<lb/>
nur in denen Werken, oder Theilen der Werke &#x017F;tatt<lb/>
hat, welche allma&#x0364;hlig auf das Gemu&#x0364;the wu&#x0364;rken &#x017F;ollen.<lb/>
Es wa&#x0364;re ein Fehler in den Werken, die uns u&#x0364;ber-<lb/>
ra&#x017F;chen, fortreißen, oder u&#x0364;berhaupt in &#x017F;tarke und<lb/>
lebhafte Empfindungen &#x017F;etzen &#x017F;ollen. Es i&#x017F;t eine<lb/>
we&#x017F;entliche Eigen&#x017F;chaft des blos Angenehmen und<lb/>
Sanftreitzenden. Stille, wiewol tief&#x017F;itzende Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften, liebliche Vor&#x017F;tellungen der Phanta&#x017F;ie,<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auf eine fließende Art behandelt werden, eben<lb/>
&#x017F;o wie das, was man Unterhaltend und Ergo&#x0364;tzend<lb/>
nennt.</p><lb/>
          <p>Virgil i&#x017F;t in den angenehmen Scenen, die er be-<lb/>
&#x017F;chreibt, Ovidius und Euripides in &#x017F;anften Affekten<lb/>
und angenehmen Gema&#x0364;hlden, Pha&#x0364;drus und La Fon-<lb/>
taine in ihren Fabeln Fließend. Grauns mei&#x017F;te Me-<lb/>
lodien &#x017F;ind Mu&#x017F;ter des Fließenden.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t ein Zeichen eines &#x017F;chwachen Genies, oder<lb/>
eines verdorbenen Ge&#x017F;chmaks, wenn man in Wer-<lb/>
ken der Kun&#x017F;t alles Fließend verlangt; denn auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e ko&#x0364;nnten die gro&#x0364;ßten Wu&#x0364;rkungen ofte<lb/>
nicht erhalten werden. Vielmehr i&#x017F;t das Fließende<lb/>
gar oft ein Fehler. Es wa&#x0364;re la&#x0364;cherlich, wenn ein<lb/>
Redner bey Vor&#x017F;tellung einer nahen Gefahr das<lb/>
Fließende in &#x017F;einer Rede &#x017F;uchen wollte. Es i&#x017F;t<lb/>
allen heftigen und &#x017F;trengen Leiden&#x017F;chaften ga&#x0364;nzlich<lb/>
entgegen.</p><lb/>
          <p>Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken,<lb/>
eine Kun&#x017F;t &#x017F;eine Vor&#x017F;tellungen auf alle Seiten um-<lb/>
zuwenden, eine Fertigkeit in allen Wendungen,<lb/>
und feine Sinnen, um das Fließende zu erreichen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>Florentini&#x017F;che Schule.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Stadt Florenz i&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;eit vielen Jahrhun-<lb/>
derten ein vorzu&#x0364;glicher Sitz der zeichnenden Ku&#x0364;n&#x017F;te;<lb/>
&#x017F;ie hat in allen Zweigen der Kun&#x017F;t eine &#x017F;o betra&#x0364;cht-<lb/>
liche Anzahl großer Ma&#x0364;nner be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, Bildhauer,<lb/>
Stein- und Stempel&#x017F;chneider und Mahler, daß<lb/>
keine andre Stadt ihr in die&#x017F;em Stu&#x0364;k den Vorzug<lb/>
&#x017F;treitig machen kann.</p><lb/>
          <p>Man muß die ganz alte florentini&#x017F;che Schule von<lb/>
der neuen unter&#x017F;cheiden. Schon im dreyzehnten<lb/>
Jahrhundert haben die Ku&#x0364;n&#x017F;te in die&#x017F;er Stadt ge-<lb/>
blu&#x0364;ht. Der Rath ließ ver&#x017F;chiedene Ku&#x0364;n&#x017F;tler aus<lb/>
Griechenland kommen, welche &#x017F;ich in Florenz nie-<lb/>
dergela&#x017F;&#x017F;en und da&#x017F;elb&#x017F;t Schu&#x0364;ler gezogen haben, durch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">welche</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0404] Fle Fli Fli Flo ſo lang man nicht den erwuͤnſchten Erfolg davon ſieht, ſie durch neue Beobachtungen zu verbeſſern ſuchen. Dieſes iſt vermuthlich der einzige Weg in dieſem Theile der Kunſt zur Vollkommenheit zu ge- langen. Laireße hat uͤber die Fleiſchung, wie uͤber ver- ſchiedene andre Zweige der Kunſt, Regeln gegeben, die dem, deſſen Genie ſonſt fuͤr dieſen Theil der Kunſt die gehoͤrige Wendung hat, das Studium etwas erleichtern koͤnnten. Aber alle Regeln, die man nicht ſelbſt entdeket, oder deren Gruͤndlichkeit man nicht durch eigenes Nachdenken einſieht, koͤnnen hier nichts helfen. Fließend. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dasjenige, was unſre Vorſtellungskraft ohne alle Aufhaltung und Hinternis in einem gleichen Grad der Staͤrke unterhaͤlt. Der Ausdruk iſt von einem ſanft fortfließenden Waſſer genommen, deſ- ſen maͤßige Geſchwindigkeit uͤberall gleich iſt. Man ſagt von einer gebundenen, oder ungebundenen Rede, ſie ſey fließend, wenn ſie wie ein ſanfter Strohm ſo fortgeht, daß weder das Ohr, noch die innern Sinnen einmal merklich ſtaͤrker, als das andre gereitzt werden, wenn alles leicht auf einander folgt, daß man in ſeinen Vorſtellungen, ohne merk- liche Unterbrechungen, und erneuerte oder veraͤn- derte Aufmerkſamkeit, ſanft fortgefuͤhrt wird. Auf eine aͤhnliche Art iſt ein fließendes Tonſtuͤk beſchaffen, oder eine fließende Melodie, wenn alles ungezwun- gen, ohne ſchnelle Veraͤnderungen in unſern Vor- ſtellungen hinter einander folget. Man nennt auch eine Zeichnung fließend, wenn die Umriſſe ohne Unterbrechung, ohne ſtarke oder ſchnelle Wendun- gen, ohne Zwang, in angenehmen Kruͤmmungen fortgehen. Das Fließende iſt demnach dem Holprigen und Rauen gerade entgegen geſetzt, wobey die Aufmerk- ſamkeit alle Augenblik anſtoͤßt, eine Weile gehemmt, oder verſtaͤrkt wird. Auch das Feurige und Leb- hafte, und das wilde Rauſchende, ſind dem Fließen- den einigermaaßen entgegen. Das Fließende hat auſſer der Leichtigkeit auch die Wuͤrkung, daß es das Gemuͤth nur ſanft an- greift, angenehm aber faſt unvermerkt von einer Vorſtellung zur andern fortfuͤhret, und uns in ſtil- ler Betrachtung einwieget, wiewol es uns auch nach und nach bis zum ſanften Reitz fortziehen kann. Und hieraus iſt zu ſehen, daß das Fließende nur in denen Werken, oder Theilen der Werke ſtatt hat, welche allmaͤhlig auf das Gemuͤthe wuͤrken ſollen. Es waͤre ein Fehler in den Werken, die uns uͤber- raſchen, fortreißen, oder uͤberhaupt in ſtarke und lebhafte Empfindungen ſetzen ſollen. Es iſt eine weſentliche Eigenſchaft des blos Angenehmen und Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefſitzende Lei- denſchaften, liebliche Vorſtellungen der Phantaſie, muͤſſen auf eine fließende Art behandelt werden, eben ſo wie das, was man Unterhaltend und Ergoͤtzend nennt. Virgil iſt in den angenehmen Scenen, die er be- ſchreibt, Ovidius und Euripides in ſanften Affekten und angenehmen Gemaͤhlden, Phaͤdrus und La Fon- taine in ihren Fabeln Fließend. Grauns meiſte Me- lodien ſind Muſter des Fließenden. Es iſt ein Zeichen eines ſchwachen Genies, oder eines verdorbenen Geſchmaks, wenn man in Wer- ken der Kunſt alles Fließend verlangt; denn auf dieſe Weiſe koͤnnten die groͤßten Wuͤrkungen ofte nicht erhalten werden. Vielmehr iſt das Fließende gar oft ein Fehler. Es waͤre laͤcherlich, wenn ein Redner bey Vorſtellung einer nahen Gefahr das Fließende in ſeiner Rede ſuchen wollte. Es iſt allen heftigen und ſtrengen Leidenſchaften gaͤnzlich entgegen. Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken, eine Kunſt ſeine Vorſtellungen auf alle Seiten um- zuwenden, eine Fertigkeit in allen Wendungen, und feine Sinnen, um das Fließende zu erreichen. Florentiniſche Schule. Die Stadt Florenz iſt ſchon ſeit vielen Jahrhun- derten ein vorzuͤglicher Sitz der zeichnenden Kuͤnſte; ſie hat in allen Zweigen der Kunſt eine ſo betraͤcht- liche Anzahl großer Maͤnner beſeſſen, Bildhauer, Stein- und Stempelſchneider und Mahler, daß keine andre Stadt ihr in dieſem Stuͤk den Vorzug ſtreitig machen kann. Man muß die ganz alte florentiniſche Schule von der neuen unterſcheiden. Schon im dreyzehnten Jahrhundert haben die Kuͤnſte in dieſer Stadt ge- bluͤht. Der Rath ließ verſchiedene Kuͤnſtler aus Griechenland kommen, welche ſich in Florenz nie- dergelaſſen und daſelbſt Schuͤler gezogen haben, durch welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/404
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/404>, abgerufen am 25.11.2024.