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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Der angehende Mahler, der das Glük hat, seine
Kunst von einem guten und aufrichtigen Meister zu
lernen, kömmt ohne große Mühe zur Kenntnis der
körperlichen Eigenschaften der Farben. Aber man-
cher Lehrer ist zurükhaltend, auch wol neidisch, und
manch fürtrefliches Genie fällt einem schlechten Lehr-
meister in die Hände; und in diesem Fall muß seine
eigene Beobachtung sein Lehrer seyn. Es ist über-
haupt gut, daß der Mahler seine ältesten Arbeiten
sehr oft wieder ansehe, um die darin allmählig sich
äussernden Veränderungen der Farben zu beobachten.
Er kann sich auch dadurch etwas helfen, daß er Probe-
gemählde macht, und sie an die Sonne, und an die
offene Luft setzet, um das Veränderliche der Farben
kennen zu lernen. Großen Vortheil wird ihm,
wenn er nur die Gelegenheit dazu hat, eine fleis-
sige Beobachtung der Werke der besten alten Mei-
ster geben, deren Arbeiten schon ein, oder ein
Paar Jahrhunderte hinter sich haben. Vorzüg-
lich können blos angelegte Gemählde alter Mei-
ster hierin lehrreich seyn, weil man mit ziemli-
cher Gewißheit die eigentlichen Farben, die sie
gebraucht haben, noch erkennen kann. Auf diese
Weise kann der Mahler zur Kenntnis des Festen
und Dauerhaften der Farben kommen.

Jhren Werth, in Absicht auf die Bearbeitung
selbst, das mehr oder weniger Körperliche in ihnen,
die Eigenschaft, durch ihre Einmischung in andre, die-
sen aufzuhelfen, oder sie zu verderben, ihre Stärke
durch andre Farben durchzudringen, oder nur als
schwache, durchsichtige Decken andrer Farben nüz-
lich zu seyn, wird der Künstler nie anders, als
durch genaues Nachdenken und Beobachten, wäh-
render Arbeit selbst kennen lernen. Der scharfsin-
nigste und nachdenkendste Kopf kömmt hierin natür-
licher Weise am weitesten. Der Mahler muß das
Genie eines Naturforschers haben, um jede kör-
perliche Veränderung wahrzunehmen, und mit
Scharfsinnigkeit ihre Ursache zu entdeken. Ohne
dieses Genie ist es nicht wol möglich, ein guter
Coloriste zu werden.

Jn Ansehung der Bestandtheile sind die Farben
entweder Erdfarben, oder Gattungen gefärbter,
von der Natur erzeugter Erden, wie der Ocher, die
[Spaltenumbruch]

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grüne, braune, rothe Erden; und diese sind gemei-
niglich, wiewol mit Unterschied, die beständigsten,
und die auch am meisten Körper haben; oder chimi-
sche
Farben, die durch die Chymie aus metallischen
Materien verfertiget worden. Diesen ist nicht alle-
mal zu trauen, weil sie nicht nur ofte selbst etwas
scharfes, beißendes an sich haben, wodurch sie an-
dern Farben, mit denen sie vermischt werden, schäd-
lich sind, sondern auch selbst von den in der Luft
befindlichen mineralischen Ausdünstungen angegrif-
fen werden, wiewol es auch sehr schöne und höchst
dauerhafte Farben dieser Art giebt. Endlich hat man
auch Farben, die durch Zubereitung aus den ani-
malischen und vegetabilischen Körpern verfertigt wer-
den. Allein eine umständliche Beschreibung dieser
Gegenstände gehöret nicht hieher. Wer ausführ-
lichere Nachrichten über die Farben sucht, der wird
sie unter andern in Dom Pernetys am Rand ange-
zeigten Werke finden. [Spaltenumbruch] (+).

Weit wesentlicher zur Kunst dienet die Betrach-
tung der Farben, in so fern man sie als gefärbtes
Licht ansieht, womit man jedem gezeichneten Ge-
genstand das Ansehen eines in der Natur vorhan-
denen Körpers geben kann. Die Farben selbst,
womit die Natur die Körper bemahlt hat, sind von
unendlicher Mannigfaltigkeit, und es ist völlig un-
möglich, sie alle zu nennen, oder auch nur zu zäh-
len. Dann verursachen die verschiedenen Grade der
Stärke des auffallenden Lichts, die Entfernung vom
Auge, der Ton der Luft, und die Wiederscheine bey
jeder Farbe, wieder mannigfaltige Abänderungen.
Dem ersten Anscheine nach ist gar keine Hofnung
vorhanden, daß die Kunst des Colorits auch nur
einigermaaßen in Regeln zu fassen seyn könnte.
Dennoch haben wir Gemählde, darin die Natur
bis auf einen hohen Grad der Täuschung nachge-
ahmt ist. Man muß also die Hofnung nicht auf-
geben, diesem Theil der Kunst durch bestimmte und
sichere Vorschriften weiter aufzuhelfen.

Den Anfang dazu muß man nothwendig von
einem Verzeichnis aller Farben machen, damit jede
zu nennen sey, und von der Bestimmung der ver-
schiedenen Modificationen, denen ein und eben die-
selbe Farbe unterworfen ist, ohne ihre eigentliche

Fär-
(+) Dictionaire portatif de peinture &c. vor welchem
Buch eine Abhandlung von dem Praktischen der Kunst ist,
[Spaltenumbruch] darin die verschiedenen Farben beschrieben werden, die in dem
Werk selbst, jede unter ihren Namen, nochmals vorkommen.
[Spaltenumbruch]
Far

Der angehende Mahler, der das Gluͤk hat, ſeine
Kunſt von einem guten und aufrichtigen Meiſter zu
lernen, koͤmmt ohne große Muͤhe zur Kenntnis der
koͤrperlichen Eigenſchaften der Farben. Aber man-
cher Lehrer iſt zuruͤkhaltend, auch wol neidiſch, und
manch fuͤrtrefliches Genie faͤllt einem ſchlechten Lehr-
meiſter in die Haͤnde; und in dieſem Fall muß ſeine
eigene Beobachtung ſein Lehrer ſeyn. Es iſt uͤber-
haupt gut, daß der Mahler ſeine aͤlteſten Arbeiten
ſehr oft wieder anſehe, um die darin allmaͤhlig ſich
aͤuſſernden Veraͤnderungen der Farben zu beobachten.
Er kann ſich auch dadurch etwas helfen, daß er Probe-
gemaͤhlde macht, und ſie an die Sonne, und an die
offene Luft ſetzet, um das Veraͤnderliche der Farben
kennen zu lernen. Großen Vortheil wird ihm,
wenn er nur die Gelegenheit dazu hat, eine fleiſ-
ſige Beobachtung der Werke der beſten alten Mei-
ſter geben, deren Arbeiten ſchon ein, oder ein
Paar Jahrhunderte hinter ſich haben. Vorzuͤg-
lich koͤnnen blos angelegte Gemaͤhlde alter Mei-
ſter hierin lehrreich ſeyn, weil man mit ziemli-
cher Gewißheit die eigentlichen Farben, die ſie
gebraucht haben, noch erkennen kann. Auf dieſe
Weiſe kann der Mahler zur Kenntnis des Feſten
und Dauerhaften der Farben kommen.

Jhren Werth, in Abſicht auf die Bearbeitung
ſelbſt, das mehr oder weniger Koͤrperliche in ihnen,
die Eigenſchaft, durch ihre Einmiſchung in andre, die-
ſen aufzuhelfen, oder ſie zu verderben, ihre Staͤrke
durch andre Farben durchzudringen, oder nur als
ſchwache, durchſichtige Decken andrer Farben nuͤz-
lich zu ſeyn, wird der Kuͤnſtler nie anders, als
durch genaues Nachdenken und Beobachten, waͤh-
render Arbeit ſelbſt kennen lernen. Der ſcharfſin-
nigſte und nachdenkendſte Kopf koͤmmt hierin natuͤr-
licher Weiſe am weiteſten. Der Mahler muß das
Genie eines Naturforſchers haben, um jede koͤr-
perliche Veraͤnderung wahrzunehmen, und mit
Scharfſinnigkeit ihre Urſache zu entdeken. Ohne
dieſes Genie iſt es nicht wol moͤglich, ein guter
Coloriſte zu werden.

Jn Anſehung der Beſtandtheile ſind die Farben
entweder Erdfarben, oder Gattungen gefaͤrbter,
von der Natur erzeugter Erden, wie der Ocher, die
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gruͤne, braune, rothe Erden; und dieſe ſind gemei-
niglich, wiewol mit Unterſchied, die beſtaͤndigſten,
und die auch am meiſten Koͤrper haben; oder chimi-
ſche
Farben, die durch die Chymie aus metalliſchen
Materien verfertiget worden. Dieſen iſt nicht alle-
mal zu trauen, weil ſie nicht nur ofte ſelbſt etwas
ſcharfes, beißendes an ſich haben, wodurch ſie an-
dern Farben, mit denen ſie vermiſcht werden, ſchaͤd-
lich ſind, ſondern auch ſelbſt von den in der Luft
befindlichen mineraliſchen Ausduͤnſtungen angegrif-
fen werden, wiewol es auch ſehr ſchoͤne und hoͤchſt
dauerhafte Farben dieſer Art giebt. Endlich hat man
auch Farben, die durch Zubereitung aus den ani-
maliſchen und vegetabiliſchen Koͤrpern verfertigt wer-
den. Allein eine umſtaͤndliche Beſchreibung dieſer
Gegenſtaͤnde gehoͤret nicht hieher. Wer ausfuͤhr-
lichere Nachrichten uͤber die Farben ſucht, der wird
ſie unter andern in Dom Pernetys am Rand ange-
zeigten Werke finden. [Spaltenumbruch] (†).

Weit weſentlicher zur Kunſt dienet die Betrach-
tung der Farben, in ſo fern man ſie als gefaͤrbtes
Licht anſieht, womit man jedem gezeichneten Ge-
genſtand das Anſehen eines in der Natur vorhan-
denen Koͤrpers geben kann. Die Farben ſelbſt,
womit die Natur die Koͤrper bemahlt hat, ſind von
unendlicher Mannigfaltigkeit, und es iſt voͤllig un-
moͤglich, ſie alle zu nennen, oder auch nur zu zaͤh-
len. Dann verurſachen die verſchiedenen Grade der
Staͤrke des auffallenden Lichts, die Entfernung vom
Auge, der Ton der Luft, und die Wiederſcheine bey
jeder Farbe, wieder mannigfaltige Abaͤnderungen.
Dem erſten Anſcheine nach iſt gar keine Hofnung
vorhanden, daß die Kunſt des Colorits auch nur
einigermaaßen in Regeln zu faſſen ſeyn koͤnnte.
Dennoch haben wir Gemaͤhlde, darin die Natur
bis auf einen hohen Grad der Taͤuſchung nachge-
ahmt iſt. Man muß alſo die Hofnung nicht auf-
geben, dieſem Theil der Kunſt durch beſtimmte und
ſichere Vorſchriften weiter aufzuhelfen.

Den Anfang dazu muß man nothwendig von
einem Verzeichnis aller Farben machen, damit jede
zu nennen ſey, und von der Beſtimmung der ver-
ſchiedenen Modificationen, denen ein und eben die-
ſelbe Farbe unterworfen iſt, ohne ihre eigentliche

Faͤr-
(†) Dictionaire portatif de peinture &c. vor welchem
Buch eine Abhandlung von dem Praktiſchen der Kunſt iſt,
[Spaltenumbruch] darin die verſchiedenen Farben beſchrieben werden, die in dem
Werk ſelbſt, jede unter ihren Namen, nochmals vorkommen.
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[370/0382] Far Far Der angehende Mahler, der das Gluͤk hat, ſeine Kunſt von einem guten und aufrichtigen Meiſter zu lernen, koͤmmt ohne große Muͤhe zur Kenntnis der koͤrperlichen Eigenſchaften der Farben. Aber man- cher Lehrer iſt zuruͤkhaltend, auch wol neidiſch, und manch fuͤrtrefliches Genie faͤllt einem ſchlechten Lehr- meiſter in die Haͤnde; und in dieſem Fall muß ſeine eigene Beobachtung ſein Lehrer ſeyn. Es iſt uͤber- haupt gut, daß der Mahler ſeine aͤlteſten Arbeiten ſehr oft wieder anſehe, um die darin allmaͤhlig ſich aͤuſſernden Veraͤnderungen der Farben zu beobachten. Er kann ſich auch dadurch etwas helfen, daß er Probe- gemaͤhlde macht, und ſie an die Sonne, und an die offene Luft ſetzet, um das Veraͤnderliche der Farben kennen zu lernen. Großen Vortheil wird ihm, wenn er nur die Gelegenheit dazu hat, eine fleiſ- ſige Beobachtung der Werke der beſten alten Mei- ſter geben, deren Arbeiten ſchon ein, oder ein Paar Jahrhunderte hinter ſich haben. Vorzuͤg- lich koͤnnen blos angelegte Gemaͤhlde alter Mei- ſter hierin lehrreich ſeyn, weil man mit ziemli- cher Gewißheit die eigentlichen Farben, die ſie gebraucht haben, noch erkennen kann. Auf dieſe Weiſe kann der Mahler zur Kenntnis des Feſten und Dauerhaften der Farben kommen. Jhren Werth, in Abſicht auf die Bearbeitung ſelbſt, das mehr oder weniger Koͤrperliche in ihnen, die Eigenſchaft, durch ihre Einmiſchung in andre, die- ſen aufzuhelfen, oder ſie zu verderben, ihre Staͤrke durch andre Farben durchzudringen, oder nur als ſchwache, durchſichtige Decken andrer Farben nuͤz- lich zu ſeyn, wird der Kuͤnſtler nie anders, als durch genaues Nachdenken und Beobachten, waͤh- render Arbeit ſelbſt kennen lernen. Der ſcharfſin- nigſte und nachdenkendſte Kopf koͤmmt hierin natuͤr- licher Weiſe am weiteſten. Der Mahler muß das Genie eines Naturforſchers haben, um jede koͤr- perliche Veraͤnderung wahrzunehmen, und mit Scharfſinnigkeit ihre Urſache zu entdeken. Ohne dieſes Genie iſt es nicht wol moͤglich, ein guter Coloriſte zu werden. Jn Anſehung der Beſtandtheile ſind die Farben entweder Erdfarben, oder Gattungen gefaͤrbter, von der Natur erzeugter Erden, wie der Ocher, die gruͤne, braune, rothe Erden; und dieſe ſind gemei- niglich, wiewol mit Unterſchied, die beſtaͤndigſten, und die auch am meiſten Koͤrper haben; oder chimi- ſche Farben, die durch die Chymie aus metalliſchen Materien verfertiget worden. Dieſen iſt nicht alle- mal zu trauen, weil ſie nicht nur ofte ſelbſt etwas ſcharfes, beißendes an ſich haben, wodurch ſie an- dern Farben, mit denen ſie vermiſcht werden, ſchaͤd- lich ſind, ſondern auch ſelbſt von den in der Luft befindlichen mineraliſchen Ausduͤnſtungen angegrif- fen werden, wiewol es auch ſehr ſchoͤne und hoͤchſt dauerhafte Farben dieſer Art giebt. Endlich hat man auch Farben, die durch Zubereitung aus den ani- maliſchen und vegetabiliſchen Koͤrpern verfertigt wer- den. Allein eine umſtaͤndliche Beſchreibung dieſer Gegenſtaͤnde gehoͤret nicht hieher. Wer ausfuͤhr- lichere Nachrichten uͤber die Farben ſucht, der wird ſie unter andern in Dom Pernetys am Rand ange- zeigten Werke finden. (†). Weit weſentlicher zur Kunſt dienet die Betrach- tung der Farben, in ſo fern man ſie als gefaͤrbtes Licht anſieht, womit man jedem gezeichneten Ge- genſtand das Anſehen eines in der Natur vorhan- denen Koͤrpers geben kann. Die Farben ſelbſt, womit die Natur die Koͤrper bemahlt hat, ſind von unendlicher Mannigfaltigkeit, und es iſt voͤllig un- moͤglich, ſie alle zu nennen, oder auch nur zu zaͤh- len. Dann verurſachen die verſchiedenen Grade der Staͤrke des auffallenden Lichts, die Entfernung vom Auge, der Ton der Luft, und die Wiederſcheine bey jeder Farbe, wieder mannigfaltige Abaͤnderungen. Dem erſten Anſcheine nach iſt gar keine Hofnung vorhanden, daß die Kunſt des Colorits auch nur einigermaaßen in Regeln zu faſſen ſeyn koͤnnte. Dennoch haben wir Gemaͤhlde, darin die Natur bis auf einen hohen Grad der Taͤuſchung nachge- ahmt iſt. Man muß alſo die Hofnung nicht auf- geben, dieſem Theil der Kunſt durch beſtimmte und ſichere Vorſchriften weiter aufzuhelfen. Den Anfang dazu muß man nothwendig von einem Verzeichnis aller Farben machen, damit jede zu nennen ſey, und von der Beſtimmung der ver- ſchiedenen Modificationen, denen ein und eben die- ſelbe Farbe unterworfen iſt, ohne ihre eigentliche Faͤr- (†) Dictionaire portatif de peinture &c. vor welchem Buch eine Abhandlung von dem Praktiſchen der Kunſt iſt, darin die verſchiedenen Farben beſchrieben werden, die in dem Werk ſelbſt, jede unter ihren Namen, nochmals vorkommen.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/382>, abgerufen am 22.11.2024.