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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Erh Erk

Es würde ein sehr unnützes Unternehmen seyn,
Regeln aufzusuchen, wie das Große im Ausdruk
zu erhalten sey. Wenn der Geist und das Herz
des Redners und des Dichters von dem Gegenstand
ganz eingenommen und gerührt sind, so bilden sich
die Wörter und Redensarten von selbst so auf der
Zunge, als wenn ein Theil des innern Lebens sich
in den todten Buchstaben ergöße; wenn nur der
Dichter sonst den ganzen Reichthum und die Me-
chanik seiner Sprache besitzt. Also ist das allge-
meineste Mittel zum Erhabenen in der Schreibart
zugelangen, ein von dem Gegenstand ganz durch-
drungener Geist und ein von der Stärke der Em-
pfindungen aufgeschwollenes Herz. Wie Erhaben
ströhmen nicht die Reden des Demosthenes, Cicero
und Roußeau; in jenen, bey dem vollen Gefühl
der Gefahr, womit die Freyheit ihres Vaterlandes
bedroht wird; in diesem, wenn er die Rechte der
Menschlichkeit zu retten sucht, von deren Heiligkeit
er so ganz durchdrungen ist? Also sind eine lebhafte
Vorstellungskraft und ein warmes Herz zugleich die
würkenden Ursachen erhabener Vorstellungen und des
erhabenen Ausdruks. Freylich muß zu dem letz-
tern die allgemeine Fertigkeit wol zureden, wie Lon-
ginus
anmerkt, noch hinzukommen.

Dem Erhabenen sind entgegengesetzt das Schwül-
stige
oder falsche Erhabene; das Platte oder Nie-
drige, und das Frostige: davon wir in besondern
Artikeln gesprochen haben.

Erklärung.
(Beredsamkeit.)

Erklären ist so viel, als klar oder verständlich ma-
chen; so daß die Erklärung überhaupt ein solcher Theil
der Rede ist, wodurch etwas klar gemacht wird.
Man braucht aber das Wort besonders von den Fäl-
len, wo der genaue Sinn eines Worts klar, oder
wo der Begriff, den das Wort ausdrükt, deutlich
gemacht wird. Jm ersten Fall erklärt man das
Wort oder den Namen der Sache, im andern Fall
den Begriff.

Die Redner brauchen beyde Arten der Erklärun-
gen, wie die Philosophen, aber nicht so ofte, weil
sie nicht in dem Fall sind, die ersten Begriffe aller
Sachen, wovon sie reden, festzusetzen, wie diejeni-
gen Philosophen, welche für Personen schreiben,
die Wissenschaften erlernen wollen. Der Redner
spricht selten, oder vielleicht gar nie von Materien,
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Erk
die seinen Zuhörern ganz unbekannt sind, und davon
er ihnen die Begriffe erklären müßte. Er würde
sich daher sehr lächerlich machen, wenn er den
steifen Vortrag des Philosophen, jede Materie durch
Vorausschikung der Erklärung der dabey vorkom-
menden Begriffe anzufangen, nachahmen wollte,
wie ehedem einige unverständige Redner und Schrift-
steller in Deutschland, als die Wolffische Methode
zu philosophiren noch neu war, gethan haben.
Doch muß man auch auf der andern Seite nicht
denken, daß der Redner nie erklären dürfe: es kom-
men Fälle vor, wo die Erklärungen ihm höchst
wichtig sind. Die Betrachtung dieser Fälle, und
wie der Redner mit der Erklärung verfahren soll,
gehören also in die Rhetorik.

Es ist an seinem Ort (*) angemerkt worden, daß(*) Art.
Beweis-
gründe.

S. 163.

die Erklärungen unter die Beweisgründe gehören.
Sie werden dem Redner nothwendig, wenn das,
was er zu beweisen hat, aus genauer Entniklung und
Gegeneinanderhaltung der Begriffe kann erhärtet
werden. Jn den beweisenden Reden kommt es mei-
stentheils darauf an, daß gezeiget werde, ob ein ge-
wisser allgemeiner Begriff auf eine besondere Sache,
auf eine Person, eine That, ein Unternehmen, an-
gewendet werden könne oder nicht. Dieses kann
selten geschehen, ohne daß der allgemeine Begriff
durch die Erklärung bestimmt und entwikelt werde.
Der Redner muß also, wie der Philosoph, eine Fer-
tigkeit im Erklären besitzen. Was hiezu gehöre,
und wie man dazu gelange, wird in der Vernunft-
lehre gezeiget.

Nicht nur in den Hauptbeweisen, sondern auch
gar oft in Nebensachen, hat der Redner Erklärun-
gen nöthig, um zu zeigen, daß das worauf er dringt
schon würklich in den Begriffen seiner Zuhörer liege,
und also ohne Widerspruch nicht könne verworfen
werden. Er hat tausend Gelegenheiten auf Ramen-
erklärungen zurük zuführen, die ihm weit größere
Dienste thun, als dem Philosophen. Dieser braucht
sie blos um verständlich zu seyn; der Redner aber
wendet sie zur Ueberredung an. Diese entsteht mei-
stentheils aus der Klarheit sinnlicher Begriffe, die
gar oft blos der Erfolg einer etymologischen Erklä-
rung ist. Die meisten Wörter aller Sprachen sind
Metaphern, auf deren Ursprung man selten zurüke-
denkt. Man braucht sie also meistentheils als bloße
Töne, die abgezogene Begriffe bezeichnen, da sie doch
im Grunde Bilder sind, die dem anschauenden Er-

kennt-
X r 3
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Erh Erk

Es wuͤrde ein ſehr unnuͤtzes Unternehmen ſeyn,
Regeln aufzuſuchen, wie das Große im Ausdruk
zu erhalten ſey. Wenn der Geiſt und das Herz
des Redners und des Dichters von dem Gegenſtand
ganz eingenommen und geruͤhrt ſind, ſo bilden ſich
die Woͤrter und Redensarten von ſelbſt ſo auf der
Zunge, als wenn ein Theil des innern Lebens ſich
in den todten Buchſtaben ergoͤße; wenn nur der
Dichter ſonſt den ganzen Reichthum und die Me-
chanik ſeiner Sprache beſitzt. Alſo iſt das allge-
meineſte Mittel zum Erhabenen in der Schreibart
zugelangen, ein von dem Gegenſtand ganz durch-
drungener Geiſt und ein von der Staͤrke der Em-
pfindungen aufgeſchwollenes Herz. Wie Erhaben
ſtroͤhmen nicht die Reden des Demoſthenes, Cicero
und Roußeau; in jenen, bey dem vollen Gefuͤhl
der Gefahr, womit die Freyheit ihres Vaterlandes
bedroht wird; in dieſem, wenn er die Rechte der
Menſchlichkeit zu retten ſucht, von deren Heiligkeit
er ſo ganz durchdrungen iſt? Alſo ſind eine lebhafte
Vorſtellungskraft und ein warmes Herz zugleich die
wuͤrkenden Urſachen erhabener Vorſtellungen und des
erhabenen Ausdruks. Freylich muß zu dem letz-
tern die allgemeine Fertigkeit wol zureden, wie Lon-
ginus
anmerkt, noch hinzukommen.

Dem Erhabenen ſind entgegengeſetzt das Schwuͤl-
ſtige
oder falſche Erhabene; das Platte oder Nie-
drige, und das Froſtige: davon wir in beſondern
Artikeln geſprochen haben.

Erklaͤrung.
(Beredſamkeit.)

Erklaͤren iſt ſo viel, als klar oder verſtaͤndlich ma-
chen; ſo daß die Erklaͤrung uͤberhaupt ein ſolcher Theil
der Rede iſt, wodurch etwas klar gemacht wird.
Man braucht aber das Wort beſonders von den Faͤl-
len, wo der genaue Sinn eines Worts klar, oder
wo der Begriff, den das Wort ausdruͤkt, deutlich
gemacht wird. Jm erſten Fall erklaͤrt man das
Wort oder den Namen der Sache, im andern Fall
den Begriff.

Die Redner brauchen beyde Arten der Erklaͤrun-
gen, wie die Philoſophen, aber nicht ſo ofte, weil
ſie nicht in dem Fall ſind, die erſten Begriffe aller
Sachen, wovon ſie reden, feſtzuſetzen, wie diejeni-
gen Philoſophen, welche fuͤr Perſonen ſchreiben,
die Wiſſenſchaften erlernen wollen. Der Redner
ſpricht ſelten, oder vielleicht gar nie von Materien,
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Erk
die ſeinen Zuhoͤrern ganz unbekannt ſind, und davon
er ihnen die Begriffe erklaͤren muͤßte. Er wuͤrde
ſich daher ſehr laͤcherlich machen, wenn er den
ſteifen Vortrag des Philoſophen, jede Materie durch
Vorausſchikung der Erklaͤrung der dabey vorkom-
menden Begriffe anzufangen, nachahmen wollte,
wie ehedem einige unverſtaͤndige Redner und Schrift-
ſteller in Deutſchland, als die Wolffiſche Methode
zu philoſophiren noch neu war, gethan haben.
Doch muß man auch auf der andern Seite nicht
denken, daß der Redner nie erklaͤren duͤrfe: es kom-
men Faͤlle vor, wo die Erklaͤrungen ihm hoͤchſt
wichtig ſind. Die Betrachtung dieſer Faͤlle, und
wie der Redner mit der Erklaͤrung verfahren ſoll,
gehoͤren alſo in die Rhetorik.

Es iſt an ſeinem Ort (*) angemerkt worden, daß(*) Art.
Beweis-
gruͤnde.

S. 163.

die Erklaͤrungen unter die Beweisgruͤnde gehoͤren.
Sie werden dem Redner nothwendig, wenn das,
was er zu beweiſen hat, aus genauer Entniklung und
Gegeneinanderhaltung der Begriffe kann erhaͤrtet
werden. Jn den beweiſenden Reden kommt es mei-
ſtentheils darauf an, daß gezeiget werde, ob ein ge-
wiſſer allgemeiner Begriff auf eine beſondere Sache,
auf eine Perſon, eine That, ein Unternehmen, an-
gewendet werden koͤnne oder nicht. Dieſes kann
ſelten geſchehen, ohne daß der allgemeine Begriff
durch die Erklaͤrung beſtimmt und entwikelt werde.
Der Redner muß alſo, wie der Philoſoph, eine Fer-
tigkeit im Erklaͤren beſitzen. Was hiezu gehoͤre,
und wie man dazu gelange, wird in der Vernunft-
lehre gezeiget.

Nicht nur in den Hauptbeweiſen, ſondern auch
gar oft in Nebenſachen, hat der Redner Erklaͤrun-
gen noͤthig, um zu zeigen, daß das worauf er dringt
ſchon wuͤrklich in den Begriffen ſeiner Zuhoͤrer liege,
und alſo ohne Widerſpruch nicht koͤnne verworfen
werden. Er hat tauſend Gelegenheiten auf Ramen-
erklaͤrungen zuruͤk zufuͤhren, die ihm weit groͤßere
Dienſte thun, als dem Philoſophen. Dieſer braucht
ſie blos um verſtaͤndlich zu ſeyn; der Redner aber
wendet ſie zur Ueberredung an. Dieſe entſteht mei-
ſtentheils aus der Klarheit ſinnlicher Begriffe, die
gar oft blos der Erfolg einer etymologiſchen Erklaͤ-
rung iſt. Die meiſten Woͤrter aller Sprachen ſind
Metaphern, auf deren Urſprung man ſelten zuruͤke-
denkt. Man braucht ſie alſo meiſtentheils als bloße
Toͤne, die abgezogene Begriffe bezeichnen, da ſie doch
im Grunde Bilder ſind, die dem anſchauenden Er-

kennt-
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[349/0361] Erh Erk Erk Es wuͤrde ein ſehr unnuͤtzes Unternehmen ſeyn, Regeln aufzuſuchen, wie das Große im Ausdruk zu erhalten ſey. Wenn der Geiſt und das Herz des Redners und des Dichters von dem Gegenſtand ganz eingenommen und geruͤhrt ſind, ſo bilden ſich die Woͤrter und Redensarten von ſelbſt ſo auf der Zunge, als wenn ein Theil des innern Lebens ſich in den todten Buchſtaben ergoͤße; wenn nur der Dichter ſonſt den ganzen Reichthum und die Me- chanik ſeiner Sprache beſitzt. Alſo iſt das allge- meineſte Mittel zum Erhabenen in der Schreibart zugelangen, ein von dem Gegenſtand ganz durch- drungener Geiſt und ein von der Staͤrke der Em- pfindungen aufgeſchwollenes Herz. Wie Erhaben ſtroͤhmen nicht die Reden des Demoſthenes, Cicero und Roußeau; in jenen, bey dem vollen Gefuͤhl der Gefahr, womit die Freyheit ihres Vaterlandes bedroht wird; in dieſem, wenn er die Rechte der Menſchlichkeit zu retten ſucht, von deren Heiligkeit er ſo ganz durchdrungen iſt? Alſo ſind eine lebhafte Vorſtellungskraft und ein warmes Herz zugleich die wuͤrkenden Urſachen erhabener Vorſtellungen und des erhabenen Ausdruks. Freylich muß zu dem letz- tern die allgemeine Fertigkeit wol zureden, wie Lon- ginus anmerkt, noch hinzukommen. Dem Erhabenen ſind entgegengeſetzt das Schwuͤl- ſtige oder falſche Erhabene; das Platte oder Nie- drige, und das Froſtige: davon wir in beſondern Artikeln geſprochen haben. Erklaͤrung. (Beredſamkeit.) Erklaͤren iſt ſo viel, als klar oder verſtaͤndlich ma- chen; ſo daß die Erklaͤrung uͤberhaupt ein ſolcher Theil der Rede iſt, wodurch etwas klar gemacht wird. Man braucht aber das Wort beſonders von den Faͤl- len, wo der genaue Sinn eines Worts klar, oder wo der Begriff, den das Wort ausdruͤkt, deutlich gemacht wird. Jm erſten Fall erklaͤrt man das Wort oder den Namen der Sache, im andern Fall den Begriff. Die Redner brauchen beyde Arten der Erklaͤrun- gen, wie die Philoſophen, aber nicht ſo ofte, weil ſie nicht in dem Fall ſind, die erſten Begriffe aller Sachen, wovon ſie reden, feſtzuſetzen, wie diejeni- gen Philoſophen, welche fuͤr Perſonen ſchreiben, die Wiſſenſchaften erlernen wollen. Der Redner ſpricht ſelten, oder vielleicht gar nie von Materien, die ſeinen Zuhoͤrern ganz unbekannt ſind, und davon er ihnen die Begriffe erklaͤren muͤßte. Er wuͤrde ſich daher ſehr laͤcherlich machen, wenn er den ſteifen Vortrag des Philoſophen, jede Materie durch Vorausſchikung der Erklaͤrung der dabey vorkom- menden Begriffe anzufangen, nachahmen wollte, wie ehedem einige unverſtaͤndige Redner und Schrift- ſteller in Deutſchland, als die Wolffiſche Methode zu philoſophiren noch neu war, gethan haben. Doch muß man auch auf der andern Seite nicht denken, daß der Redner nie erklaͤren duͤrfe: es kom- men Faͤlle vor, wo die Erklaͤrungen ihm hoͤchſt wichtig ſind. Die Betrachtung dieſer Faͤlle, und wie der Redner mit der Erklaͤrung verfahren ſoll, gehoͤren alſo in die Rhetorik. Es iſt an ſeinem Ort (*) angemerkt worden, daß die Erklaͤrungen unter die Beweisgruͤnde gehoͤren. Sie werden dem Redner nothwendig, wenn das, was er zu beweiſen hat, aus genauer Entniklung und Gegeneinanderhaltung der Begriffe kann erhaͤrtet werden. Jn den beweiſenden Reden kommt es mei- ſtentheils darauf an, daß gezeiget werde, ob ein ge- wiſſer allgemeiner Begriff auf eine beſondere Sache, auf eine Perſon, eine That, ein Unternehmen, an- gewendet werden koͤnne oder nicht. Dieſes kann ſelten geſchehen, ohne daß der allgemeine Begriff durch die Erklaͤrung beſtimmt und entwikelt werde. Der Redner muß alſo, wie der Philoſoph, eine Fer- tigkeit im Erklaͤren beſitzen. Was hiezu gehoͤre, und wie man dazu gelange, wird in der Vernunft- lehre gezeiget. (*) Art. Beweis- gruͤnde. S. 163. Nicht nur in den Hauptbeweiſen, ſondern auch gar oft in Nebenſachen, hat der Redner Erklaͤrun- gen noͤthig, um zu zeigen, daß das worauf er dringt ſchon wuͤrklich in den Begriffen ſeiner Zuhoͤrer liege, und alſo ohne Widerſpruch nicht koͤnne verworfen werden. Er hat tauſend Gelegenheiten auf Ramen- erklaͤrungen zuruͤk zufuͤhren, die ihm weit groͤßere Dienſte thun, als dem Philoſophen. Dieſer braucht ſie blos um verſtaͤndlich zu ſeyn; der Redner aber wendet ſie zur Ueberredung an. Dieſe entſteht mei- ſtentheils aus der Klarheit ſinnlicher Begriffe, die gar oft blos der Erfolg einer etymologiſchen Erklaͤ- rung iſt. Die meiſten Woͤrter aller Sprachen ſind Metaphern, auf deren Urſprung man ſelten zuruͤke- denkt. Man braucht ſie alſo meiſtentheils als bloße Toͤne, die abgezogene Begriffe bezeichnen, da ſie doch im Grunde Bilder ſind, die dem anſchauenden Er- kennt- X r 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/361>, abgerufen am 22.11.2024.