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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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untern Fläche in Felder abgetheilt werden; wenn
der Kinn des Kranzes eben dergleichen Eintheilun-
gen hat, vielleicht die, welche die größte Mannig-
faltigkeit der Theile zeiget, und bey ihrem ernsthaf-
ten Wesen die meiste Pracht hat. Sie schiket sich
zu allen prächtigen Gebäuden, und muß allemal,
wo mehr Geschosse sind, an dem untersten ange-
bracht werden. Die ernsthafte Pracht dieser Ord-
nung und ihre schöne Abwechslung gegen die dar-
übergesetzte jonische, empfindet man lebhaft bey ge-
nauer Betrachtung der kleinern Portale in dem Hof
des Berlinischen Schlosses, wo die Hauptwache ist:
wie denn überhaupt alles, was an diesem Schlosse
von dorischer Ordnung, sowol in Austheilung und
Verhältniß, als in Verzierungen, zum Muster die-
ser Bauart kann genommen werden.

Drama. Dramatische
Dichtkunst.

Man ist schon gewohnt, ein zu würklicher Vorstel-
lung einer Handlung verfertigtes Gedicht, mit
dem griechischen Worte Drama, (eine Handlung)
zu benennen; daher ist die dramatische Dichtkunst
der Theil der Kunst, der sich mit Verfertigung des
Drama beschäftiget.

Die Handlungen der Menschen, bey denen das
Genie und das Herz sich in so mannigfaltigem Lichte
zeigen, sind ohne Zweifel der intressanteste Gegenstand
der Dichtkunst. Die Epopee erzählt dieselben, doch
so, daß sie uns in den wichtigsten Vorfällen die han-
delnden Personen gleichsam abmahlt, und daß wir
uns einbilden, sie handeln zu sehen; die Schau-
bühne aber stellt uns würklich handelnde Menschen
vors Gesicht, und das Drama enthält ihre Reden,
und jede Aeusserung ihrer Gedanken und Empfin-
dungen. Wenn also gleich beyde Gattungen einer-
ley Materie behandelten, so müßte die Art zu ver-
fahren nothwendig sehr verschieden seyn. Denn der
Hauptumstand, daß wir bey der dramatischen Vor-
stellung bey der Handlung gegenwärtig sind, erfo-
dert, daß sie kurz sey, daß alles in einem ununter-
brochenen Zusammenhang in Ansehung der Zeit und
des Orts geschehe.

Das dramatische Schauspiel giebt einem versam-
melten Volk eine intressante Handlung von ihrem
Anfang bis zu ihrem Ende zu sehen. Untersucht
man nun, wie dieses auf die beste und natürlichste
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Art geschehen könne, so entdeket man die Regeln,
sowol für die Beschaffenheit des Theaters, als für
die Einrichtung des Drama.

Natürlicher Weise ist die Handlung auf eine ge-
wisse Kürze der Zeit eingeschränkt, weil Niemand
Tagelang auf einer Stelle stehen und einer Hand-
lung mit unverwandten Augen zusehen kann. Ein
paar Stunden hält man dieses aus; währet es
länger, so müssen viele davon gehen, ohne das Ende
der Handlung abwarten zu können. Daher ist die
Einrichtung des Drama gekommen, die überall be-
obachtet wird, daß ein paar Stunden hinlänglich
sind, die ganze Handlung zu sehen: und wenn es
wahr ist, daß die Chineser Schauspiele haben, die
Tagelang währen, so sind sie barbarisch, und kön-
nen nicht einmal als eine Ausnahme dieser Regel
angesehen werden. So lang also muß das Spiel
der Handlung oder die Vorstellung währen.

Aber die Handlung selbst kann aus verschiedenen
Umständen so beschaffen seyn, daß sie mehr Zeit er-
foderte. So bald einige dazu gehörige Dinge nicht
vor den Augen des Zuschauers geschehen, so kann
man die dazu erfoderliche Zeit merklich abkürzen.
Wo zum Fortgang der Handlung nöthig ist, daß
gewisse Personen herbey gerufen, oder daß gewisse
Nachrichten von andern Orten her eingeholt werden,
oder wo sonst etwas ausser dem Gesicht des Zuschau-
ers geschehen soll, da kann man immer eine kürzere
Zeit dazu setzen, als in der Natur nöthig ist. Der
Bote, der eine Meile weit weggeschikt wird, um
Nachrichten einzuziehen, kann in wenig Minuten
wieder kommen, weil der Zuschauer das Unmögliche
dieser Schnelligkeit zwar erkennet, aber nicht fühlt.
Aus diesem Grund hat man gefunden, daß die
Handlung, wozu ein ganzer Tag nöthig wäre,
in ein paar Stunden kann vorgestellt werden, ohne
die Zuschauer das Unnatürliche dieser Kürze fühlen
zu lassen.

Darin waren die Alten mehr eingeschränkt, als
wir. Die Schaubühne wurd bey ihnen nie leer,
weil der Chor immer zugegen war; wir aber lassen
nach jedem Aufzug die Bühne leer, dadurch verliert
man einigermaassen das Gefühl des Zeitmaasses der
Dinge, die inzwischen geschehen. Allein auf der
andern Seite scheinet diese völlige Unterbrechung der
Handlung gegen die Natur der dramatischen Vor-
stellung zu seyn; weil der Zuschauer dadurch leichter
aus der Täuschung herauskommt. Noch ungeschik-

ter

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Dor Dra
untern Flaͤche in Felder abgetheilt werden; wenn
der Kinn des Kranzes eben dergleichen Eintheilun-
gen hat, vielleicht die, welche die groͤßte Mannig-
faltigkeit der Theile zeiget, und bey ihrem ernſthaf-
ten Weſen die meiſte Pracht hat. Sie ſchiket ſich
zu allen praͤchtigen Gebaͤuden, und muß allemal,
wo mehr Geſchoſſe ſind, an dem unterſten ange-
bracht werden. Die ernſthafte Pracht dieſer Ord-
nung und ihre ſchoͤne Abwechslung gegen die dar-
uͤbergeſetzte joniſche, empfindet man lebhaft bey ge-
nauer Betrachtung der kleinern Portale in dem Hof
des Berliniſchen Schloſſes, wo die Hauptwache iſt:
wie denn uͤberhaupt alles, was an dieſem Schloſſe
von doriſcher Ordnung, ſowol in Austheilung und
Verhaͤltniß, als in Verzierungen, zum Muſter die-
ſer Bauart kann genommen werden.

Drama. Dramatiſche
Dichtkunſt.

Man iſt ſchon gewohnt, ein zu wuͤrklicher Vorſtel-
lung einer Handlung verfertigtes Gedicht, mit
dem griechiſchen Worte Drama, (eine Handlung)
zu benennen; daher iſt die dramatiſche Dichtkunſt
der Theil der Kunſt, der ſich mit Verfertigung des
Drama beſchaͤftiget.

Die Handlungen der Menſchen, bey denen das
Genie und das Herz ſich in ſo mannigfaltigem Lichte
zeigen, ſind ohne Zweifel der intreſſanteſte Gegenſtand
der Dichtkunſt. Die Epopee erzaͤhlt dieſelben, doch
ſo, daß ſie uns in den wichtigſten Vorfaͤllen die han-
delnden Perſonen gleichſam abmahlt, und daß wir
uns einbilden, ſie handeln zu ſehen; die Schau-
buͤhne aber ſtellt uns wuͤrklich handelnde Menſchen
vors Geſicht, und das Drama enthaͤlt ihre Reden,
und jede Aeuſſerung ihrer Gedanken und Empfin-
dungen. Wenn alſo gleich beyde Gattungen einer-
ley Materie behandelten, ſo muͤßte die Art zu ver-
fahren nothwendig ſehr verſchieden ſeyn. Denn der
Hauptumſtand, daß wir bey der dramatiſchen Vor-
ſtellung bey der Handlung gegenwaͤrtig ſind, erfo-
dert, daß ſie kurz ſey, daß alles in einem ununter-
brochenen Zuſammenhang in Anſehung der Zeit und
des Orts geſchehe.

Das dramatiſche Schauſpiel giebt einem verſam-
melten Volk eine intreſſante Handlung von ihrem
Anfang bis zu ihrem Ende zu ſehen. Unterſucht
man nun, wie dieſes auf die beſte und natuͤrlichſte
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Art geſchehen koͤnne, ſo entdeket man die Regeln,
ſowol fuͤr die Beſchaffenheit des Theaters, als fuͤr
die Einrichtung des Drama.

Natuͤrlicher Weiſe iſt die Handlung auf eine ge-
wiſſe Kuͤrze der Zeit eingeſchraͤnkt, weil Niemand
Tagelang auf einer Stelle ſtehen und einer Hand-
lung mit unverwandten Augen zuſehen kann. Ein
paar Stunden haͤlt man dieſes aus; waͤhret es
laͤnger, ſo muͤſſen viele davon gehen, ohne das Ende
der Handlung abwarten zu koͤnnen. Daher iſt die
Einrichtung des Drama gekommen, die uͤberall be-
obachtet wird, daß ein paar Stunden hinlaͤnglich
ſind, die ganze Handlung zu ſehen: und wenn es
wahr iſt, daß die Chineſer Schauſpiele haben, die
Tagelang waͤhren, ſo ſind ſie barbariſch, und koͤn-
nen nicht einmal als eine Ausnahme dieſer Regel
angeſehen werden. So lang alſo muß das Spiel
der Handlung oder die Vorſtellung waͤhren.

Aber die Handlung ſelbſt kann aus verſchiedenen
Umſtaͤnden ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie mehr Zeit er-
foderte. So bald einige dazu gehoͤrige Dinge nicht
vor den Augen des Zuſchauers geſchehen, ſo kann
man die dazu erfoderliche Zeit merklich abkuͤrzen.
Wo zum Fortgang der Handlung noͤthig iſt, daß
gewiſſe Perſonen herbey gerufen, oder daß gewiſſe
Nachrichten von andern Orten her eingeholt werden,
oder wo ſonſt etwas auſſer dem Geſicht des Zuſchau-
ers geſchehen ſoll, da kann man immer eine kuͤrzere
Zeit dazu ſetzen, als in der Natur noͤthig iſt. Der
Bote, der eine Meile weit weggeſchikt wird, um
Nachrichten einzuziehen, kann in wenig Minuten
wieder kommen, weil der Zuſchauer das Unmoͤgliche
dieſer Schnelligkeit zwar erkennet, aber nicht fuͤhlt.
Aus dieſem Grund hat man gefunden, daß die
Handlung, wozu ein ganzer Tag noͤthig waͤre,
in ein paar Stunden kann vorgeſtellt werden, ohne
die Zuſchauer das Unnatuͤrliche dieſer Kuͤrze fuͤhlen
zu laſſen.

Darin waren die Alten mehr eingeſchraͤnkt, als
wir. Die Schaubuͤhne wurd bey ihnen nie leer,
weil der Chor immer zugegen war; wir aber laſſen
nach jedem Aufzug die Buͤhne leer, dadurch verliert
man einigermaaſſen das Gefuͤhl des Zeitmaaſſes der
Dinge, die inzwiſchen geſchehen. Allein auf der
andern Seite ſcheinet dieſe voͤllige Unterbrechung der
Handlung gegen die Natur der dramatiſchen Vor-
ſtellung zu ſeyn; weil der Zuſchauer dadurch leichter
aus der Taͤuſchung herauskommt. Noch ungeſchik-

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[274/0286] Dor Dra Dra untern Flaͤche in Felder abgetheilt werden; wenn der Kinn des Kranzes eben dergleichen Eintheilun- gen hat, vielleicht die, welche die groͤßte Mannig- faltigkeit der Theile zeiget, und bey ihrem ernſthaf- ten Weſen die meiſte Pracht hat. Sie ſchiket ſich zu allen praͤchtigen Gebaͤuden, und muß allemal, wo mehr Geſchoſſe ſind, an dem unterſten ange- bracht werden. Die ernſthafte Pracht dieſer Ord- nung und ihre ſchoͤne Abwechslung gegen die dar- uͤbergeſetzte joniſche, empfindet man lebhaft bey ge- nauer Betrachtung der kleinern Portale in dem Hof des Berliniſchen Schloſſes, wo die Hauptwache iſt: wie denn uͤberhaupt alles, was an dieſem Schloſſe von doriſcher Ordnung, ſowol in Austheilung und Verhaͤltniß, als in Verzierungen, zum Muſter die- ſer Bauart kann genommen werden. Drama. Dramatiſche Dichtkunſt. Man iſt ſchon gewohnt, ein zu wuͤrklicher Vorſtel- lung einer Handlung verfertigtes Gedicht, mit dem griechiſchen Worte Drama, (eine Handlung) zu benennen; daher iſt die dramatiſche Dichtkunſt der Theil der Kunſt, der ſich mit Verfertigung des Drama beſchaͤftiget. Die Handlungen der Menſchen, bey denen das Genie und das Herz ſich in ſo mannigfaltigem Lichte zeigen, ſind ohne Zweifel der intreſſanteſte Gegenſtand der Dichtkunſt. Die Epopee erzaͤhlt dieſelben, doch ſo, daß ſie uns in den wichtigſten Vorfaͤllen die han- delnden Perſonen gleichſam abmahlt, und daß wir uns einbilden, ſie handeln zu ſehen; die Schau- buͤhne aber ſtellt uns wuͤrklich handelnde Menſchen vors Geſicht, und das Drama enthaͤlt ihre Reden, und jede Aeuſſerung ihrer Gedanken und Empfin- dungen. Wenn alſo gleich beyde Gattungen einer- ley Materie behandelten, ſo muͤßte die Art zu ver- fahren nothwendig ſehr verſchieden ſeyn. Denn der Hauptumſtand, daß wir bey der dramatiſchen Vor- ſtellung bey der Handlung gegenwaͤrtig ſind, erfo- dert, daß ſie kurz ſey, daß alles in einem ununter- brochenen Zuſammenhang in Anſehung der Zeit und des Orts geſchehe. Das dramatiſche Schauſpiel giebt einem verſam- melten Volk eine intreſſante Handlung von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende zu ſehen. Unterſucht man nun, wie dieſes auf die beſte und natuͤrlichſte Art geſchehen koͤnne, ſo entdeket man die Regeln, ſowol fuͤr die Beſchaffenheit des Theaters, als fuͤr die Einrichtung des Drama. Natuͤrlicher Weiſe iſt die Handlung auf eine ge- wiſſe Kuͤrze der Zeit eingeſchraͤnkt, weil Niemand Tagelang auf einer Stelle ſtehen und einer Hand- lung mit unverwandten Augen zuſehen kann. Ein paar Stunden haͤlt man dieſes aus; waͤhret es laͤnger, ſo muͤſſen viele davon gehen, ohne das Ende der Handlung abwarten zu koͤnnen. Daher iſt die Einrichtung des Drama gekommen, die uͤberall be- obachtet wird, daß ein paar Stunden hinlaͤnglich ſind, die ganze Handlung zu ſehen: und wenn es wahr iſt, daß die Chineſer Schauſpiele haben, die Tagelang waͤhren, ſo ſind ſie barbariſch, und koͤn- nen nicht einmal als eine Ausnahme dieſer Regel angeſehen werden. So lang alſo muß das Spiel der Handlung oder die Vorſtellung waͤhren. Aber die Handlung ſelbſt kann aus verſchiedenen Umſtaͤnden ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie mehr Zeit er- foderte. So bald einige dazu gehoͤrige Dinge nicht vor den Augen des Zuſchauers geſchehen, ſo kann man die dazu erfoderliche Zeit merklich abkuͤrzen. Wo zum Fortgang der Handlung noͤthig iſt, daß gewiſſe Perſonen herbey gerufen, oder daß gewiſſe Nachrichten von andern Orten her eingeholt werden, oder wo ſonſt etwas auſſer dem Geſicht des Zuſchau- ers geſchehen ſoll, da kann man immer eine kuͤrzere Zeit dazu ſetzen, als in der Natur noͤthig iſt. Der Bote, der eine Meile weit weggeſchikt wird, um Nachrichten einzuziehen, kann in wenig Minuten wieder kommen, weil der Zuſchauer das Unmoͤgliche dieſer Schnelligkeit zwar erkennet, aber nicht fuͤhlt. Aus dieſem Grund hat man gefunden, daß die Handlung, wozu ein ganzer Tag noͤthig waͤre, in ein paar Stunden kann vorgeſtellt werden, ohne die Zuſchauer das Unnatuͤrliche dieſer Kuͤrze fuͤhlen zu laſſen. Darin waren die Alten mehr eingeſchraͤnkt, als wir. Die Schaubuͤhne wurd bey ihnen nie leer, weil der Chor immer zugegen war; wir aber laſſen nach jedem Aufzug die Buͤhne leer, dadurch verliert man einigermaaſſen das Gefuͤhl des Zeitmaaſſes der Dinge, die inzwiſchen geſchehen. Allein auf der andern Seite ſcheinet dieſe voͤllige Unterbrechung der Handlung gegen die Natur der dramatiſchen Vor- ſtellung zu ſeyn; weil der Zuſchauer dadurch leichter aus der Taͤuſchung herauskommt. Noch ungeſchik- ter

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/286>, abgerufen am 28.11.2024.