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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Dis Dit
hafte Weise darstellt. Es kann aber diese Benennung
auch zweyen aus einem grossen Gedicht genommenen
Versen gegeben werden, die einen ausser der Verbin-
dung bestehenden merkwürdigen Sinn haben; wo-
von man in Elegien unzählige Beyspiele findet. Das
Distichon kann demnach eine Aufschrift seyn, wie
folgendes, das Voltaire an dem Fuß eines ausge-
hauenen Amors gesetzt hat.

Qui que tu sois, voici ton maitre,
Il l'est, il le sut ou le doit etre.

Oder es kann ein Sinngedicht seyn, wie dieses, wel-
(*) Diog.
Laert.
ches dem Plato zugeschrieben wird. (*)

#

Welches sehr artig durch folgendes lateinische Disti-
chon gegeben wird.

Suavia dans Agathoni animam ipse in labra tenebam;
Aegra enim properans tanquam abitura suit.

Wenn das Distichon wie hier aus einem Hexame-
ter und einem Pentameter besteht, so scheinet es die
bequämste Form zu haben, um leicht ins Gedächt-
niß gefaßt zu werden. Aus diesem Grunde haben
schon die Alten den Einfall gehabt, merkwürdige
Sittenlehren und Denksprüche in solchen Distichen
vorzutragen, von welcher Art die bekannten Disticha
Dionysii Catonis
sind.

Dithyramben.
(Dichtkunst.)

Diesen Namen führten bey den Griechen gewisse
Lieder oder Oden, die dem Bacchus zu Ehren gesun-
gen wurden. Da von dieser lyrischen Dichtart
nichts auf unsre Zeiten gekommen ist, so läßt sich
auch nicht ganz bestimmen, wodurch sie sich von an-
dern verwandten Arten ausgezeichnet habe. Sie
wurden bey den Opfern des Bacchus, in der phry-
gischen Tonart abg sungen, wenn die Sänger gut
(*) Athen
L. XIV.
betrunken waren (*); daher leicht zu urtheilen ist,
daß sowol das Gedicht, als die Musik etwas aus-
schweiffendes und wildes müße gehabt haben. Ver-
muthlich hatten sie auch viel dunkles, das das An-
sehen einer geheimen Bedeutung haben sollte; denn
Aristophanes setzet die Dithyrambendichter mit den
Sophisten, Wahrsagern und Marktschreyern in eine
Classe, und hält sie für Windbeutel, die mit grossen
und künstlich zusammen gesetzten Worten nichts sa-
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Dit
gen. (*) Man weiß, daß die Religion des Bacchus(*) Jn
dem Lust-
spiel die
Wolke
1 Aufz.
4 Austr

viel Geheimnißvolles hatte, und da ohne dem be-
trunkene Leute weder ihre Ausdrüke noch ihre Ge-
danken genau abmessen, so war es natürlich, daß
die Dithyramben in Gedanken und Ausdrüken etwas
ganz besonders und zum Theil ausschweiffendes und
verwegenes haben müßten. Horaz bezeichnet den
Charakter der von Pindar verfertigten Dithyram-
ben durch drey Züge.

-- per audaces nova Dithyrambos
Verba devolvit, numerisque fertur
Lege solutis.
(*)
(*) Od. 1
IV.
2.

Er nennt die ganze Dichtungsart kühn oder ver-
wegen, vermuthlich wegen des rasenden Tones der-
selben; denn schreibt er ihr neue Wörter zu, die in
der That sehr häuffig müssen vorgekommen seyn, da
der dithyrambische Ausdruk zum Sprüchwort wor-
den; endlich sagt er, sie binden sich an kein Me-
trum. Ein alter Scholiast merkt hiebey an, daß der
Gesang mit einerley Stimm oder Ton, vom Rieder-
schlag bis zum Aufschlag fortgegangen. Aus die-
sem allem aber läßt sich doch die eigentliche Beschaf-
fenheit dieser Lieder nicht genau erkennen. Pindar
sagt, sie seyen in Corinth zuerst aufgekommen, und
Aristoteles giebt den Arion für ihren Erfinder an.

Ein deutscher Dichter hat vor einigen Jahren
Oden unter dem Titel Dithyramben herausgegeben,
deren Jnhalt aber nicht Bacchus, sondern Siege- und
Kriegesthaten sind. Der Zwek des Dichters war,
wie er selbst sagt; kühne lyrische Poesien zu liefern,
die den höchsten Grad der Begeisterung hätten, und
in einer de selben angemessenen rauschenden und voll-
tönenden Sprach vorgetragen wären. Dieses sind
also nur in ganz uneigentlichem Verstande Dithy-
ramben. (*)

(*) S.
Briefe
über die n.
Litteratur
XXI Theil
S. 42 u. s. f.

Ueberhaupt scheinet der gegenwärtige Gebrauch
der Dichtkunst, nach welchem sie von öffentlichen
Feyerlichkeiten, wenigstens von solchen, wo eine
hüpfende Begeisterung statt hätte, ausgeschlossen ist,
auch die eigentlichen und uneigentlichen Dithyram-
ben von unsern Dichtungsarten auszuschliessen.
Wir wollen nicht in Abrede seyn, daß eine etwas
ausgelassene Freude bisweilen gute Würkung auf
Leib und Gemüth haben könne, und also das Ho-
razische Dulce est defipere in loco gern unterschrei-
ben; aber dazu sind eben keine Dithyramben noth-
wendig.

Ditonus.

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Diſ Dit
hafte Weiſe darſtellt. Es kann aber dieſe Benennung
auch zweyen aus einem groſſen Gedicht genommenen
Verſen gegeben werden, die einen auſſer der Verbin-
dung beſtehenden merkwuͤrdigen Sinn haben; wo-
von man in Elegien unzaͤhlige Beyſpiele findet. Das
Diſtichon kann demnach eine Aufſchrift ſeyn, wie
folgendes, das Voltaire an dem Fuß eines ausge-
hauenen Amors geſetzt hat.

Qui que tu ſois, voici ton maitre,
Il l’eſt, il le ſut ou le doit être.

Oder es kann ein Sinngedicht ſeyn, wie dieſes, wel-
(*) Diog.
Laert.
ches dem Plato zugeſchrieben wird. (*)

#

Welches ſehr artig durch folgendes lateiniſche Diſti-
chon gegeben wird.

Suavia dans Agathoni animam ipſe in labra tenebam;
Aegra enim properans tanquam abitura ſuit.

Wenn das Diſtichon wie hier aus einem Hexame-
ter und einem Pentameter beſteht, ſo ſcheinet es die
bequaͤmſte Form zu haben, um leicht ins Gedaͤcht-
niß gefaßt zu werden. Aus dieſem Grunde haben
ſchon die Alten den Einfall gehabt, merkwuͤrdige
Sittenlehren und Denkſpruͤche in ſolchen Diſtichen
vorzutragen, von welcher Art die bekannten Diſticha
Dionyſii Catonis
ſind.

Dithyramben.
(Dichtkunſt.)

Dieſen Namen fuͤhrten bey den Griechen gewiſſe
Lieder oder Oden, die dem Bacchus zu Ehren geſun-
gen wurden. Da von dieſer lyriſchen Dichtart
nichts auf unſre Zeiten gekommen iſt, ſo laͤßt ſich
auch nicht ganz beſtimmen, wodurch ſie ſich von an-
dern verwandten Arten ausgezeichnet habe. Sie
wurden bey den Opfern des Bacchus, in der phry-
giſchen Tonart abg ſungen, wenn die Saͤnger gut
(*) Athen
L. XIV.
betrunken waren (*); daher leicht zu urtheilen iſt,
daß ſowol das Gedicht, als die Muſik etwas aus-
ſchweiffendes und wildes muͤße gehabt haben. Ver-
muthlich hatten ſie auch viel dunkles, das das An-
ſehen einer geheimen Bedeutung haben ſollte; denn
Ariſtophanes ſetzet die Dithyrambendichter mit den
Sophiſten, Wahrſagern und Marktſchreyern in eine
Claſſe, und haͤlt ſie fuͤr Windbeutel, die mit groſſen
und kuͤnſtlich zuſammen geſetzten Worten nichts ſa-
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Dit
gen. (*) Man weiß, daß die Religion des Bacchus(*) Jn
dem Luſt-
ſpiel die
Wolke
1 Aufz.
4 Auſtr

viel Geheimnißvolles hatte, und da ohne dem be-
trunkene Leute weder ihre Ausdruͤke noch ihre Ge-
danken genau abmeſſen, ſo war es natuͤrlich, daß
die Dithyramben in Gedanken und Ausdruͤken etwas
ganz beſonders und zum Theil ausſchweiffendes und
verwegenes haben muͤßten. Horaz bezeichnet den
Charakter der von Pindar verfertigten Dithyram-
ben durch drey Zuͤge.

per audaces nova Dithyrambos
Verba devolvit, numeriſque fertur
Lege ſolutis.
(*)
(*) Od. 1
IV.
2.

Er nennt die ganze Dichtungsart kuͤhn oder ver-
wegen, vermuthlich wegen des raſenden Tones der-
ſelben; denn ſchreibt er ihr neue Woͤrter zu, die in
der That ſehr haͤuffig muͤſſen vorgekommen ſeyn, da
der dithyrambiſche Ausdruk zum Spruͤchwort wor-
den; endlich ſagt er, ſie binden ſich an kein Me-
trum. Ein alter Scholiaſt merkt hiebey an, daß der
Geſang mit einerley Stimm oder Ton, vom Rieder-
ſchlag bis zum Aufſchlag fortgegangen. Aus die-
ſem allem aber laͤßt ſich doch die eigentliche Beſchaf-
fenheit dieſer Lieder nicht genau erkennen. Pindar
ſagt, ſie ſeyen in Corinth zuerſt aufgekommen, und
Ariſtoteles giebt den Arion fuͤr ihren Erfinder an.

Ein deutſcher Dichter hat vor einigen Jahren
Oden unter dem Titel Dithyramben herausgegeben,
deren Jnhalt aber nicht Bacchus, ſondern Siege- und
Kriegesthaten ſind. Der Zwek des Dichters war,
wie er ſelbſt ſagt; kuͤhne lyriſche Poeſien zu liefern,
die den hoͤchſten Grad der Begeiſterung haͤtten, und
in einer de ſelben angemeſſenen rauſchenden und voll-
toͤnenden Sprach vorgetragen waͤren. Dieſes ſind
alſo nur in ganz uneigentlichem Verſtande Dithy-
ramben. (*)

(*) S.
Briefe
uͤber die n.
Litteratur
XXI Theil
S. 42 u. ſ. f.

Ueberhaupt ſcheinet der gegenwaͤrtige Gebrauch
der Dichtkunſt, nach welchem ſie von oͤffentlichen
Feyerlichkeiten, wenigſtens von ſolchen, wo eine
huͤpfende Begeiſterung ſtatt haͤtte, ausgeſchloſſen iſt,
auch die eigentlichen und uneigentlichen Dithyram-
ben von unſern Dichtungsarten auszuſchlieſſen.
Wir wollen nicht in Abrede ſeyn, daß eine etwas
ausgelaſſene Freude bisweilen gute Wuͤrkung auf
Leib und Gemuͤth haben koͤnne, und alſo das Ho-
raziſche Dulce eſt defipere in loco gern unterſchrei-
ben; aber dazu ſind eben keine Dithyramben noth-
wendig.

Ditonus.
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[271/0283] Diſ Dit Dit hafte Weiſe darſtellt. Es kann aber dieſe Benennung auch zweyen aus einem groſſen Gedicht genommenen Verſen gegeben werden, die einen auſſer der Verbin- dung beſtehenden merkwuͤrdigen Sinn haben; wo- von man in Elegien unzaͤhlige Beyſpiele findet. Das Diſtichon kann demnach eine Aufſchrift ſeyn, wie folgendes, das Voltaire an dem Fuß eines ausge- hauenen Amors geſetzt hat. Qui que tu ſois, voici ton maitre, Il l’eſt, il le ſut ou le doit être. Oder es kann ein Sinngedicht ſeyn, wie dieſes, wel- ches dem Plato zugeſchrieben wird. (*) (*) Diog. Laert. # Welches ſehr artig durch folgendes lateiniſche Diſti- chon gegeben wird. Suavia dans Agathoni animam ipſe in labra tenebam; Aegra enim properans tanquam abitura ſuit. Wenn das Diſtichon wie hier aus einem Hexame- ter und einem Pentameter beſteht, ſo ſcheinet es die bequaͤmſte Form zu haben, um leicht ins Gedaͤcht- niß gefaßt zu werden. Aus dieſem Grunde haben ſchon die Alten den Einfall gehabt, merkwuͤrdige Sittenlehren und Denkſpruͤche in ſolchen Diſtichen vorzutragen, von welcher Art die bekannten Diſticha Dionyſii Catonis ſind. Dithyramben. (Dichtkunſt.) Dieſen Namen fuͤhrten bey den Griechen gewiſſe Lieder oder Oden, die dem Bacchus zu Ehren geſun- gen wurden. Da von dieſer lyriſchen Dichtart nichts auf unſre Zeiten gekommen iſt, ſo laͤßt ſich auch nicht ganz beſtimmen, wodurch ſie ſich von an- dern verwandten Arten ausgezeichnet habe. Sie wurden bey den Opfern des Bacchus, in der phry- giſchen Tonart abg ſungen, wenn die Saͤnger gut betrunken waren (*); daher leicht zu urtheilen iſt, daß ſowol das Gedicht, als die Muſik etwas aus- ſchweiffendes und wildes muͤße gehabt haben. Ver- muthlich hatten ſie auch viel dunkles, das das An- ſehen einer geheimen Bedeutung haben ſollte; denn Ariſtophanes ſetzet die Dithyrambendichter mit den Sophiſten, Wahrſagern und Marktſchreyern in eine Claſſe, und haͤlt ſie fuͤr Windbeutel, die mit groſſen und kuͤnſtlich zuſammen geſetzten Worten nichts ſa- gen. (*) Man weiß, daß die Religion des Bacchus viel Geheimnißvolles hatte, und da ohne dem be- trunkene Leute weder ihre Ausdruͤke noch ihre Ge- danken genau abmeſſen, ſo war es natuͤrlich, daß die Dithyramben in Gedanken und Ausdruͤken etwas ganz beſonders und zum Theil ausſchweiffendes und verwegenes haben muͤßten. Horaz bezeichnet den Charakter der von Pindar verfertigten Dithyram- ben durch drey Zuͤge. (*) Athen L. XIV. (*) Jn dem Luſt- ſpiel die Wolke 1 Aufz. 4 Auſtr — per audaces nova Dithyrambos Verba devolvit, numeriſque fertur Lege ſolutis. (*) Er nennt die ganze Dichtungsart kuͤhn oder ver- wegen, vermuthlich wegen des raſenden Tones der- ſelben; denn ſchreibt er ihr neue Woͤrter zu, die in der That ſehr haͤuffig muͤſſen vorgekommen ſeyn, da der dithyrambiſche Ausdruk zum Spruͤchwort wor- den; endlich ſagt er, ſie binden ſich an kein Me- trum. Ein alter Scholiaſt merkt hiebey an, daß der Geſang mit einerley Stimm oder Ton, vom Rieder- ſchlag bis zum Aufſchlag fortgegangen. Aus die- ſem allem aber laͤßt ſich doch die eigentliche Beſchaf- fenheit dieſer Lieder nicht genau erkennen. Pindar ſagt, ſie ſeyen in Corinth zuerſt aufgekommen, und Ariſtoteles giebt den Arion fuͤr ihren Erfinder an. Ein deutſcher Dichter hat vor einigen Jahren Oden unter dem Titel Dithyramben herausgegeben, deren Jnhalt aber nicht Bacchus, ſondern Siege- und Kriegesthaten ſind. Der Zwek des Dichters war, wie er ſelbſt ſagt; kuͤhne lyriſche Poeſien zu liefern, die den hoͤchſten Grad der Begeiſterung haͤtten, und in einer de ſelben angemeſſenen rauſchenden und voll- toͤnenden Sprach vorgetragen waͤren. Dieſes ſind alſo nur in ganz uneigentlichem Verſtande Dithy- ramben. (*) Ueberhaupt ſcheinet der gegenwaͤrtige Gebrauch der Dichtkunſt, nach welchem ſie von oͤffentlichen Feyerlichkeiten, wenigſtens von ſolchen, wo eine huͤpfende Begeiſterung ſtatt haͤtte, ausgeſchloſſen iſt, auch die eigentlichen und uneigentlichen Dithyram- ben von unſern Dichtungsarten auszuſchlieſſen. Wir wollen nicht in Abrede ſeyn, daß eine etwas ausgelaſſene Freude bisweilen gute Wuͤrkung auf Leib und Gemuͤth haben koͤnne, und alſo das Ho- raziſche Dulce eſt defipere in loco gern unterſchrei- ben; aber dazu ſind eben keine Dithyramben noth- wendig. Ditonus.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/283>, abgerufen am 24.11.2024.