Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Deu Dia ren und in den Chören sieht, das Schnizwerk, wo-mit die Dekel der Bücher, und die gemahlten An- fangsbuchstaben, womit der Text derselben ausge- zieret worden, zeigen eben keinen geringern Ge- schmak an, als die Sachen, die zur selbigen Zeit in Jtalien und andern Ländern verfertiget worden. Aber der Mangel der Geschichtschreiber hat auch den Untergang der Namen aller Künstler der damaligen Zeiten nach sich gezogen. Die ersten deutschen Mah- ler, von denen man Nachricht hat, haben gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts gelebt, von welcher Zeit an Deutschland bis auf diesen Tag ohne Unterbre- chung allezeit Mahler gehabt, die sich auch bey aus- wärtigen Liebhabern einen Namen gemacht haben. Weil aber selten drey oder vier deutsche Mahler Diatonisch. (Musik.) Mit diesem Wort, das aus der griechischen Musik Dia fen halbe Töne ausmachen; so daß auch folgendeTonleiter D, E, Fis, G, A, H, cis, d, diatonisch ist. Jeder Gesang, der seine Jntervalle aus einer Wenn man überall nach einer gleichschwebenden Der diatonische Gesang scheinet natürlicher und [Abbildung]
welches bey keiner andern Tonleiter angeht.Da H h 3
[Spaltenumbruch] Deu Dia ren und in den Choͤren ſieht, das Schnizwerk, wo-mit die Dekel der Buͤcher, und die gemahlten An- fangsbuchſtaben, womit der Text derſelben ausge- zieret worden, zeigen eben keinen geringern Ge- ſchmak an, als die Sachen, die zur ſelbigen Zeit in Jtalien und andern Laͤndern verfertiget worden. Aber der Mangel der Geſchichtſchreiber hat auch den Untergang der Namen aller Kuͤnſtler der damaligen Zeiten nach ſich gezogen. Die erſten deutſchen Mah- ler, von denen man Nachricht hat, haben gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts gelebt, von welcher Zeit an Deutſchland bis auf dieſen Tag ohne Unterbre- chung allezeit Mahler gehabt, die ſich auch bey aus- waͤrtigen Liebhabern einen Namen gemacht haben. Weil aber ſelten drey oder vier deutſche Mahler Diatoniſch. (Muſik.) Mit dieſem Wort, das aus der griechiſchen Muſik Dia fen halbe Toͤne ausmachen; ſo daß auch folgendeTonleiter D, E, Fis, G, A, H, cis, d, diatoniſch iſt. Jeder Geſang, der ſeine Jntervalle aus einer Wenn man uͤberall nach einer gleichſchwebenden Der diatoniſche Geſang ſcheinet natuͤrlicher und [Abbildung]
welches bey keiner andern Tonleiter angeht.Da H h 3
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Deu Dia
Dia
ren und in den Choͤren ſieht, das Schnizwerk, wo-
mit die Dekel der Buͤcher, und die gemahlten An-
fangsbuchſtaben, womit der Text derſelben ausge-
zieret worden, zeigen eben keinen geringern Ge-
ſchmak an, als die Sachen, die zur ſelbigen Zeit
in Jtalien und andern Laͤndern verfertiget worden.
Aber der Mangel der Geſchichtſchreiber hat auch den
Untergang der Namen aller Kuͤnſtler der damaligen
Zeiten nach ſich gezogen. Die erſten deutſchen Mah-
ler, von denen man Nachricht hat, haben gegen Ende
des funfzehnten Jahrhunderts gelebt, von welcher Zeit
an Deutſchland bis auf dieſen Tag ohne Unterbre-
chung allezeit Mahler gehabt, die ſich auch bey aus-
waͤrtigen Liebhabern einen Namen gemacht haben.
Weil aber ſelten drey oder vier deutſche Mahler
von einigem Ruhme aus einer Schule entſtanden
ſind, ſo kann man der deutſchen Schule, die nur
uneigentlich ſo genennt wird, keinen beſondern Cha-
rakter zueignen. Was einige franzoͤſiſche Schrift-
ſteller von dem Charakter der deutſchen Mahler ſa-
gen, iſt ein Geſchwaͤtze, das ihrer Unwiſſenheit zu-
zuſchreiben iſt. Man trift in den verſchiedenen
Werken der deutſchen Mahler den Geſchmack aller
Schulen an; denn einige haben ſich in Rom, an-
dre in Venedig, noch andre in den Niederlanden
gebildet. Viele aber haben die Regeln ihrer Kunſt
aus der Natur ſelbſt geſchoͤpft.
Diatoniſch.
(Muſik.)
Mit dieſem Wort, das aus der griechiſchen Muſik
beybehalten worden, bezeichnet man die Tonleiter,
die von dem Grundton bis auf ſeine Octave durch
ſteben Stufen herauf ſteiget, von denen zwey Jn-
tervalle von halben, die uͤbrigen Jntervalle von gan-
zen Toͤnen ſind. Alſo machen die Toͤne C, D, E, F,
G, A, H, c, eine diatoniſche Tonleiter. Alle Stu-
fen darin ſind ganze Toͤne, außer den zweyen E-F,
und H-c, die nur halbe Toͤne ſind. Die Veraͤnde-
rung der Ordnung in den Stufen, macht keine
Veraͤndrung in dem Namen; denn die Tonleiter
bleibt diatoniſch, von welchem Ton man auch an-
faͤngt, ſo daß auch dieſe Reyhe E, F, G, A, H, c, d, e,
eben ſo wol eine diatoniſche Octav ausmacht, als die
vorhergehende. Eben ſo bleibet der Tonleiter dieſer
Name, wenn auch gleich die von den neuern einge-
fuͤhrten halben Toͤne darin vorkommen, wenn nur in
der ganzen Octave fuͤnf Stufen ganze, und zwey Stu-
fen halbe Toͤne ausmachen; ſo daß auch folgende
Tonleiter D, E, Fis, G, A, H, cis, d, diatoniſch iſt.
Jeder Geſang, der ſeine Jntervalle aus einer
ſolchen Tonleiter nimmt, wird ein diatoniſcher Ge-
ſang genennt; und da dieſes in der heutigen Muſik
faſt allezeit geſchieht, indem nur in gar wenigen
Faͤllen andre Fortſchreitungen vorkommen, ſo iſt
eigentlich unſre ganze Muſik diatoniſch, nur mit
der Ausnahm, daß bisweilen einzele chromatiſche
oder enharmoniſche Gaͤnge darin vorkommen.
Wenn man uͤberall nach einer gleichſchwebenden
Temperatur (*) ſingen koͤnnte, ſo waͤre der diato-
niſche Geſang nur von zweyerley Art, naͤmlich der
harte und der weiche, weil gar alle harte Tonlei-
tern einander vollkommen gleich waͤren, ſo wie auch
alle weiche einander gleichen wuͤrden. Nach jeder an-
dern Temperatur aber hat jeder Grundton eine
ihm eigene diatoniſche Leiter, die ſich, wenn man
auch auf kleine Abweichungen der Jntervalle ſehen
will, von jeder andern unterſcheidet (*). Jndeſſen
kommen gar alle diatoniſche Geſaͤnge darin mit ein-
ander uͤberein, daß keine Jntervalle darin vorkom-
men, die kleiner, als ein halber Ton ſind, und
daß der Geſang nie durch zwey hinter einander fol-
gende halbe Toͤne fortſchreitet.
(*) S.
Tempera-
tur.
(*) S.
Jntervall.
Der diatoniſche Geſang ſcheinet natuͤrlicher und
leichter zu ſeyn, als irgend ein andrer, der durch
kleinere Jntervalle fortſchreitet oder der mehrere hal-
be Toͤne hinter einander hoͤren laͤßt; ſelbſt die bloße
diatoniſche Tonleiter giebt in der natuͤrlichen Folge
ihrer Toͤne ſo wol im Auf-als im Abſteigen, ſchon
einen leichten und guten Geſang,
[Abbildung]
welches bey keiner andern Tonleiter angeht.
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