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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Des Deu
bel schildert. Aber wie in ernsthaften Denksprüchen
nur Männer von einer gewissen Stärke der Ver-
nunft und des Genies glüklich seyn können, so ge-
hört zu den scherzhaften eine original Laune, die
vielleicht das Seltenste aller Talente ist.

Des.
(Musik.)

Der Name, den die Sayte Cis unsers heutigen
Systems bekommt, wenn dieselbe als die kleine
Terz zu dem Ton B genommen wird. Weil in dem
von uns angenommenen System der Ton B zu cis
sich verhält wie zu , das ist, wie 1 zu ,
so ist die kleine Terz B-des gerade um ein Comma
kleiner, als die reine kleine Terz 5/6 .

Deutlichkeit.
(Schöne Künste.)

Wir nennen diejenigen Gegenstände unsrer Er-
kenntnis deutlich, in denen wir das, was ihre Art
oder Gattung bestimmt, klar unterscheiden können.
Ein Gebäude fällt deutlich in die Augen, wenn
seine besondere Beschaffenheit, wodurch wir es für
eine Kirche, oder für ein Wohnhaus, oder für eine
Scheune erkennen, uns klar ins Gesicht fällt. Also
wird durch die Deutlichkeit jeder Gegenstand für
das erkennt, was er ist, oder seyn soll, und ist
allezeit etwas relatives, weil man nicht eher von
der Deutlichkeit eines Gegenstandes urtheilen kann,
bis man bestimmt weiß, was er da, wo man ihn
sieht, vorstellen soll. Wenn man in einem Gemähld
einen Gegenstand sähe, den man für ein Gebäude
erkennte, ohne sagen zu können, was für eine be-
sondere Gattung des Gebäudes es ist; so könnte
dieser Gegenstand, so wie er ist, deutlich oder un-
deutlich seyn, nachdem die Natur der Scene, zu
der er gehöret, erfodert, daß er entweder als ein
Gebäude überhaupt, oder als ein Gebäude einer
gewissen Gattung erscheine.

Dieses leitet uns auf die Bemerkung, daß in
den Werken der Kunst jeder Gegenstand den Grad
der Deutlichkeit haben müsse, der ihm in der Ver-
bindung, darin er ist, zukommt, damit er bestimmt
für dasjenige erkennt werde, was er in dem Werke
seyn soll. Das Gemähld, es sey eine Historie
oder eine Landschaft, giebt das beste Beyspiel zur
Erläuterung dieser Anmerkung. Jn einem histori-
[Spaltenumbruch]

Deu
schen Gemählde sind die Hauptpersonen nicht deut-
lich genug vorgestellt, wenn man nicht gar alles an
ihnen sieht, was dienet, sie für die Personen, die
sie vorstellen, zu erkennen, und sie in der Lage und
Gemüthsbeschaffenheit, die aus der Handlung ent-
steht, zu sehen. Nebenpersonen können deutlich
genug seyn, wenn man gleich nicht so bestimmt
wahrnehmen kann, wer sie sind, und was sie füh-
len: es kann so gar nach der Absicht des Mahlers
schon genug seyn, wenn Personen nur in dem Grad
der Deutlichkeit bezeichnet werden, daß man sieht,
ob sie ankommen oder weggehen, wenn man auch
sonst gar nichts bestimmtes an ihren Personen oder
Handlungen sahe.

So muß in einem Werk der Kunst jeder einzele
Theil den Grad der Deutlichkeit haben, der hinläng-
lich ist, ihn so kennbar zu machen, als er in der
Verbindung mit dem Ganzen seyn soll. Wenn
Homer eine Schlacht beschreibt, so bringet er uns
nur wenige Personen so nahe vors Gesicht, daß wir
jede Stellung und Bewegung derselben bestimmt se-
hen; er thut dieses jedesmal nur in Ansehung der
Hauptpersonen: andre läßt er uns in einer größern
Entfernung sehen, und begnüget sich uns über-
haupt merken zu lassen, daß sie tapfer mitstreiten;
noch andre aber rükt er so weit aus dem Gesichte,
daß wir blos ihre Gegenwart im Streit erkennen,
ohne zu bemerken, was sie dabey besonders thun.
Also setzet er jeden in das Licht, darin er seyn muß,
um die ganze Scene, bestimmt in die Augen fallen
zu lassen.

So macht es auch der Redner, der nur die
Hauptvorstellungen deutlich entwikelt und bis auf
einzele Begriffe klar darstellt, jede andre Vorstel-
lung aber nur in dem Maaße ihrer Wichtigkeit in
einem höhern oder geringern Grad der Deutlichkeit
zeiget. Dieses ist auch das einzige Mittel, einem aus
vielen Theilen bestehenden Werk im Ganzen die ge-
hörige Deutlichkeit zu geben; so daß in der That
die Undeutlichkeit einzeler Theile zur Deutlichkeit des
Ganzen nothwendig werden. Eine Landschaft wür-
de keine würkliche Gegend vorstellen, wenn nicht
jeder Gegenstand nach dem Grad seiner Entfernung
an Deutlichkeit abnähme; denn eben diese Ab-
nahme an Deutlichkeit bewürkt das Gefühl der
Entfernung. Und es würde ungereimt seyn, an
einem in großer Entfernung liegenden Gegen-
stand, dessen bestimmte Art man wegen des allzu

großen
H h 2

[Spaltenumbruch]

Des Deu
bel ſchildert. Aber wie in ernſthaften Denkſpruͤchen
nur Maͤnner von einer gewiſſen Staͤrke der Ver-
nunft und des Genies gluͤklich ſeyn koͤnnen, ſo ge-
hoͤrt zu den ſcherzhaften eine original Laune, die
vielleicht das Seltenſte aller Talente iſt.

Des.
(Muſik.)

Der Name, den die Sayte Cis unſers heutigen
Syſtems bekommt, wenn dieſelbe als die kleine
Terz zu dem Ton B genommen wird. Weil in dem
von uns angenommenen Syſtem der Ton B zu cis
ſich verhaͤlt wie zu , das iſt, wie 1 zu ,
ſo iſt die kleine Terz B-des gerade um ein Comma
kleiner, als die reine kleine Terz ⅚.

Deutlichkeit.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Wir nennen diejenigen Gegenſtaͤnde unſrer Er-
kenntnis deutlich, in denen wir das, was ihre Art
oder Gattung beſtimmt, klar unterſcheiden koͤnnen.
Ein Gebaͤude faͤllt deutlich in die Augen, wenn
ſeine beſondere Beſchaffenheit, wodurch wir es fuͤr
eine Kirche, oder fuͤr ein Wohnhaus, oder fuͤr eine
Scheune erkennen, uns klar ins Geſicht faͤllt. Alſo
wird durch die Deutlichkeit jeder Gegenſtand fuͤr
das erkennt, was er iſt, oder ſeyn ſoll, und iſt
allezeit etwas relatives, weil man nicht eher von
der Deutlichkeit eines Gegenſtandes urtheilen kann,
bis man beſtimmt weiß, was er da, wo man ihn
ſieht, vorſtellen ſoll. Wenn man in einem Gemaͤhld
einen Gegenſtand ſaͤhe, den man fuͤr ein Gebaͤude
erkennte, ohne ſagen zu koͤnnen, was fuͤr eine be-
ſondere Gattung des Gebaͤudes es iſt; ſo koͤnnte
dieſer Gegenſtand, ſo wie er iſt, deutlich oder un-
deutlich ſeyn, nachdem die Natur der Scene, zu
der er gehoͤret, erfodert, daß er entweder als ein
Gebaͤude uͤberhaupt, oder als ein Gebaͤude einer
gewiſſen Gattung erſcheine.

Dieſes leitet uns auf die Bemerkung, daß in
den Werken der Kunſt jeder Gegenſtand den Grad
der Deutlichkeit haben muͤſſe, der ihm in der Ver-
bindung, darin er iſt, zukommt, damit er beſtimmt
fuͤr dasjenige erkennt werde, was er in dem Werke
ſeyn ſoll. Das Gemaͤhld, es ſey eine Hiſtorie
oder eine Landſchaft, giebt das beſte Beyſpiel zur
Erlaͤuterung dieſer Anmerkung. Jn einem hiſtori-
[Spaltenumbruch]

Deu
ſchen Gemaͤhlde ſind die Hauptperſonen nicht deut-
lich genug vorgeſtellt, wenn man nicht gar alles an
ihnen ſieht, was dienet, ſie fuͤr die Perſonen, die
ſie vorſtellen, zu erkennen, und ſie in der Lage und
Gemuͤthsbeſchaffenheit, die aus der Handlung ent-
ſteht, zu ſehen. Nebenperſonen koͤnnen deutlich
genug ſeyn, wenn man gleich nicht ſo beſtimmt
wahrnehmen kann, wer ſie ſind, und was ſie fuͤh-
len: es kann ſo gar nach der Abſicht des Mahlers
ſchon genug ſeyn, wenn Perſonen nur in dem Grad
der Deutlichkeit bezeichnet werden, daß man ſieht,
ob ſie ankommen oder weggehen, wenn man auch
ſonſt gar nichts beſtimmtes an ihren Perſonen oder
Handlungen ſahe.

So muß in einem Werk der Kunſt jeder einzele
Theil den Grad der Deutlichkeit haben, der hinlaͤng-
lich iſt, ihn ſo kennbar zu machen, als er in der
Verbindung mit dem Ganzen ſeyn ſoll. Wenn
Homer eine Schlacht beſchreibt, ſo bringet er uns
nur wenige Perſonen ſo nahe vors Geſicht, daß wir
jede Stellung und Bewegung derſelben beſtimmt ſe-
hen; er thut dieſes jedesmal nur in Anſehung der
Hauptperſonen: andre laͤßt er uns in einer groͤßern
Entfernung ſehen, und begnuͤget ſich uns uͤber-
haupt merken zu laſſen, daß ſie tapfer mitſtreiten;
noch andre aber ruͤkt er ſo weit aus dem Geſichte,
daß wir blos ihre Gegenwart im Streit erkennen,
ohne zu bemerken, was ſie dabey beſonders thun.
Alſo ſetzet er jeden in das Licht, darin er ſeyn muß,
um die ganze Scene, beſtimmt in die Augen fallen
zu laſſen.

So macht es auch der Redner, der nur die
Hauptvorſtellungen deutlich entwikelt und bis auf
einzele Begriffe klar darſtellt, jede andre Vorſtel-
lung aber nur in dem Maaße ihrer Wichtigkeit in
einem hoͤhern oder geringern Grad der Deutlichkeit
zeiget. Dieſes iſt auch das einzige Mittel, einem aus
vielen Theilen beſtehenden Werk im Ganzen die ge-
hoͤrige Deutlichkeit zu geben; ſo daß in der That
die Undeutlichkeit einzeler Theile zur Deutlichkeit des
Ganzen nothwendig werden. Eine Landſchaft wuͤr-
de keine wuͤrkliche Gegend vorſtellen, wenn nicht
jeder Gegenſtand nach dem Grad ſeiner Entfernung
an Deutlichkeit abnaͤhme; denn eben dieſe Ab-
nahme an Deutlichkeit bewuͤrkt das Gefuͤhl der
Entfernung. Und es wuͤrde ungereimt ſeyn, an
einem in großer Entfernung liegenden Gegen-
ſtand, deſſen beſtimmte Art man wegen des allzu

großen
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[243/0255] Des Deu Deu bel ſchildert. Aber wie in ernſthaften Denkſpruͤchen nur Maͤnner von einer gewiſſen Staͤrke der Ver- nunft und des Genies gluͤklich ſeyn koͤnnen, ſo ge- hoͤrt zu den ſcherzhaften eine original Laune, die vielleicht das Seltenſte aller Talente iſt. Des. (Muſik.) Der Name, den die Sayte Cis unſers heutigen Syſtems bekommt, wenn dieſelbe als die kleine Terz zu dem Ton B genommen wird. Weil in dem von uns angenommenen Syſtem der Ton B zu cis ſich verhaͤlt wie [FORMEL] zu [FORMEL], das iſt, wie 1 zu [FORMEL], ſo iſt die kleine Terz B-des gerade um ein Comma kleiner, als die reine kleine Terz ⅚. Deutlichkeit. (Schoͤne Kuͤnſte.) Wir nennen diejenigen Gegenſtaͤnde unſrer Er- kenntnis deutlich, in denen wir das, was ihre Art oder Gattung beſtimmt, klar unterſcheiden koͤnnen. Ein Gebaͤude faͤllt deutlich in die Augen, wenn ſeine beſondere Beſchaffenheit, wodurch wir es fuͤr eine Kirche, oder fuͤr ein Wohnhaus, oder fuͤr eine Scheune erkennen, uns klar ins Geſicht faͤllt. Alſo wird durch die Deutlichkeit jeder Gegenſtand fuͤr das erkennt, was er iſt, oder ſeyn ſoll, und iſt allezeit etwas relatives, weil man nicht eher von der Deutlichkeit eines Gegenſtandes urtheilen kann, bis man beſtimmt weiß, was er da, wo man ihn ſieht, vorſtellen ſoll. Wenn man in einem Gemaͤhld einen Gegenſtand ſaͤhe, den man fuͤr ein Gebaͤude erkennte, ohne ſagen zu koͤnnen, was fuͤr eine be- ſondere Gattung des Gebaͤudes es iſt; ſo koͤnnte dieſer Gegenſtand, ſo wie er iſt, deutlich oder un- deutlich ſeyn, nachdem die Natur der Scene, zu der er gehoͤret, erfodert, daß er entweder als ein Gebaͤude uͤberhaupt, oder als ein Gebaͤude einer gewiſſen Gattung erſcheine. Dieſes leitet uns auf die Bemerkung, daß in den Werken der Kunſt jeder Gegenſtand den Grad der Deutlichkeit haben muͤſſe, der ihm in der Ver- bindung, darin er iſt, zukommt, damit er beſtimmt fuͤr dasjenige erkennt werde, was er in dem Werke ſeyn ſoll. Das Gemaͤhld, es ſey eine Hiſtorie oder eine Landſchaft, giebt das beſte Beyſpiel zur Erlaͤuterung dieſer Anmerkung. Jn einem hiſtori- ſchen Gemaͤhlde ſind die Hauptperſonen nicht deut- lich genug vorgeſtellt, wenn man nicht gar alles an ihnen ſieht, was dienet, ſie fuͤr die Perſonen, die ſie vorſtellen, zu erkennen, und ſie in der Lage und Gemuͤthsbeſchaffenheit, die aus der Handlung ent- ſteht, zu ſehen. Nebenperſonen koͤnnen deutlich genug ſeyn, wenn man gleich nicht ſo beſtimmt wahrnehmen kann, wer ſie ſind, und was ſie fuͤh- len: es kann ſo gar nach der Abſicht des Mahlers ſchon genug ſeyn, wenn Perſonen nur in dem Grad der Deutlichkeit bezeichnet werden, daß man ſieht, ob ſie ankommen oder weggehen, wenn man auch ſonſt gar nichts beſtimmtes an ihren Perſonen oder Handlungen ſahe. So muß in einem Werk der Kunſt jeder einzele Theil den Grad der Deutlichkeit haben, der hinlaͤng- lich iſt, ihn ſo kennbar zu machen, als er in der Verbindung mit dem Ganzen ſeyn ſoll. Wenn Homer eine Schlacht beſchreibt, ſo bringet er uns nur wenige Perſonen ſo nahe vors Geſicht, daß wir jede Stellung und Bewegung derſelben beſtimmt ſe- hen; er thut dieſes jedesmal nur in Anſehung der Hauptperſonen: andre laͤßt er uns in einer groͤßern Entfernung ſehen, und begnuͤget ſich uns uͤber- haupt merken zu laſſen, daß ſie tapfer mitſtreiten; noch andre aber ruͤkt er ſo weit aus dem Geſichte, daß wir blos ihre Gegenwart im Streit erkennen, ohne zu bemerken, was ſie dabey beſonders thun. Alſo ſetzet er jeden in das Licht, darin er ſeyn muß, um die ganze Scene, beſtimmt in die Augen fallen zu laſſen. So macht es auch der Redner, der nur die Hauptvorſtellungen deutlich entwikelt und bis auf einzele Begriffe klar darſtellt, jede andre Vorſtel- lung aber nur in dem Maaße ihrer Wichtigkeit in einem hoͤhern oder geringern Grad der Deutlichkeit zeiget. Dieſes iſt auch das einzige Mittel, einem aus vielen Theilen beſtehenden Werk im Ganzen die ge- hoͤrige Deutlichkeit zu geben; ſo daß in der That die Undeutlichkeit einzeler Theile zur Deutlichkeit des Ganzen nothwendig werden. Eine Landſchaft wuͤr- de keine wuͤrkliche Gegend vorſtellen, wenn nicht jeder Gegenſtand nach dem Grad ſeiner Entfernung an Deutlichkeit abnaͤhme; denn eben dieſe Ab- nahme an Deutlichkeit bewuͤrkt das Gefuͤhl der Entfernung. Und es wuͤrde ungereimt ſeyn, an einem in großer Entfernung liegenden Gegen- ſtand, deſſen beſtimmte Art man wegen des allzu großen H h 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/255>, abgerufen am 24.11.2024.