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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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tragung der Farben, sondern von der Bildung des
Auges, zu sicherm Gefühl der Schönheit in den-
selben. Denn so wie der, dem das Gefühl des
Schönen in Formen fehlt, durch keine Uebung im
Zeichnen ein Raphael werden kann, so wird auch,
ohne das Gefühl des Schönen in Farben, keine
Uebung mit dem Pensel, einen Titian oder Correg-
gio bilden. Wer nicht blos ein Zeichner, sondern
ein Mahler werden will, der bilde also zuerst sein
Aug zum Gefühl des schönen Colorits.

Dazu hat ihm die Natur eine Schule eröfnet,
wo er für jede Gattung des Schönen die vollkom-
mensten Muster in allen möglichen Gestalten sieht.
Jn dieser Schule muß er seine Blike schärffen, so wie
der griechische Zeichner die seinigen in den Gymna-
sten, auf den Kampfplätzen, bey feyerlichen Auf-
zügen, wo ihm die schönsten Formen der mensch-
lichen Gestalt tausendfach vor Augen schwebten, ge-
schärffet hat. Wer in den glüklichen Ländern, wo die
Natur in jugendlicher Schönheit erscheinet, und an
Mannigfaltigkeit der schönsten Gegenden unerschöpf-
lich ist, den schönen Aussichten zu allen Tages- und
Jahrszeiten, in stiller Betrachtung und mit Em-
pfindungen eines Liebhabers nachgeht, itzt in einem
einsamen Thal; denn auf einem Hügel, wo eine
weite Aussicht mit dem mannigfaltigsten Glanz der
Farben bemahlt, vor ihm liegt, sich hinsetzt, sich
den süssen Eindrüken dieser paradiesischen Scenen
ganz überläßt, und denn mit forschenden Bliken die
Mannigfaltigkeit, die wunderbare Mischung und
vielfältige Gruppirung der Farben überdenkt; der
wird, erst empfinden, hernach auch erkennen lernen,
wie aus blosser Mischung der Farben eine Schönheit
entsteht, die mit jeder andern Schönheit um den
Vorzug streitet.

Durch wiederholte Beobachtungen wird er end-
lich etwas von den Ursachen, die so angenehme Em-
pfindungen in ihm hervorbringen, kennen lernen.
Er wird bemerken, daß eine Scene, aus einem
Standort übersehen, mit denselben Gegenständen
angefüllt, einmal himmlisch schön, ein andermal
ohne Kraft ist. Dennoch liegen einigermaassen die-
selben Farben an denselbigen Stellen. Er wird
zwey Ursachen davon entdeken. Die eine in der
Art oder Würkung des Lichts selbst, die andre in
den Einfällen desselben.

Die höchste Schönheit des Lichts ist allein in der
Quelle desselben anzutreffen; aber unser Aug ist zu
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schwach, den Glanz dieser Schönheit zu ertragen.
Gleich der Gottheit, muß sie, wenn sie nicht blen-
den soll, mit einem irdischen Schleyer bedekt wer-
den. Heller Sonnenschein durch eine von Dünsten
leere Luft verbreitet, wirfft ein zu scharfes Licht über die
Gegenden, und die Schatten werden zu hart. Durch
dikes, den ganzen Himmel umgebendes Gewölke
bedekt, wird das reizendste des Sonnenlichts ganz
ausgelöscht, alles ist in den irdischen Farben ohne
Kraft. Jn dem größten Reiz erscheinet die Gegend,
wenn sie unmittelbar von den hinlänglich gemilder-
ten Sonnenstralen beleuchtet, und die Dunkelheit
der Schatten von dem Lichte, welches das helle Ge-
wölbe des Himmels zurük wirft, gemildert wird.
Dieses bringt den Mahler auf die Betrachtung, des
durch einen sanften Ton gemilderten Lichtes, als
einer Hauptursache der Schönheit in Farben. (*)(*) S. Ton.
Hieraus lernt er ferner, daß sowol eine ganze
Scene, als jeder Haupttheil derselben, die Schönheit
seines Colorits von zwey Hauptlichtern bekomme, dem
unmittelbaren, aber wolgemäßigten, einen sanften
Ton erwekenden Sonnenlicht; und dem, dem Schat-
ten gegenüber stehenden Himmel, der durch einen
sanften Wiederschein den dunkeln und schattigen Stel-
len Mannigfaltigkeit und Anmuth giebt. (*)

(*) S. Licht

Auch in der Richtung des auf die Scene einströ-
menden Lichts, entdeket der Beobachter eine Haupt-
ursache der Schönheit. Manche Gegend erscheint
bey gleich hellem Himmel, zu einer Stunde des Ta-
ges in dem besten Reiz, und ist zu einer andern
Stunde ohne alle Schönheit. Wenige Beobach-
tungen solcher Veränderungen, werden den Mahler
bald auf diese, bald auf eine andere Hauptursach der
Schönheit in Farben führen. Er wird lernen, daß
der Gegenstand alsdenn am schönsten ist, wenn das
einfallende Licht denselben in zwey gegen einander
wolabgemessene Hauptmaßen, eine helle und eine
dunkele abtheilet. Er wird erkennen, daß nur
alsdenn das Aug mit Wolgefallen auf einer Ge-
gend ruhet, wenn die verschiedenen Farben dessel-
ben, in so fern sie hell und dunkel sind, nicht
unordentlich durch einander zerstreuet, sondern in
zwey Hauptgruppen oder Maßen vertheilt sind,
so daß an einem Orte das Helle, an einem an-
dern das Dunkele, beyde gegen einander gelagert
sind. Dieses wird ihn also zuerst überhaupt auf
die Betrachtung des Helldunkeln (*) und der(*) S Hell-
dunkel.

Maßen (*), bald hernach aber auf noch tiefer(*) S.
Maßen.

ver-

[Spaltenumbruch]

Col
tragung der Farben, ſondern von der Bildung des
Auges, zu ſicherm Gefuͤhl der Schoͤnheit in den-
ſelben. Denn ſo wie der, dem das Gefuͤhl des
Schoͤnen in Formen fehlt, durch keine Uebung im
Zeichnen ein Raphael werden kann, ſo wird auch,
ohne das Gefuͤhl des Schoͤnen in Farben, keine
Uebung mit dem Penſel, einen Titian oder Correg-
gio bilden. Wer nicht blos ein Zeichner, ſondern
ein Mahler werden will, der bilde alſo zuerſt ſein
Aug zum Gefuͤhl des ſchoͤnen Colorits.

Dazu hat ihm die Natur eine Schule eroͤfnet,
wo er fuͤr jede Gattung des Schoͤnen die vollkom-
menſten Muſter in allen moͤglichen Geſtalten ſieht.
Jn dieſer Schule muß er ſeine Blike ſchaͤrffen, ſo wie
der griechiſche Zeichner die ſeinigen in den Gymna-
ſten, auf den Kampfplaͤtzen, bey feyerlichen Auf-
zuͤgen, wo ihm die ſchoͤnſten Formen der menſch-
lichen Geſtalt tauſendfach vor Augen ſchwebten, ge-
ſchaͤrffet hat. Wer in den gluͤklichen Laͤndern, wo die
Natur in jugendlicher Schoͤnheit erſcheinet, und an
Mannigfaltigkeit der ſchoͤnſten Gegenden unerſchoͤpf-
lich iſt, den ſchoͤnen Ausſichten zu allen Tages- und
Jahrszeiten, in ſtiller Betrachtung und mit Em-
pfindungen eines Liebhabers nachgeht, itzt in einem
einſamen Thal; denn auf einem Huͤgel, wo eine
weite Ausſicht mit dem mannigfaltigſten Glanz der
Farben bemahlt, vor ihm liegt, ſich hinſetzt, ſich
den ſuͤſſen Eindruͤken dieſer paradieſiſchen Scenen
ganz uͤberlaͤßt, und denn mit forſchenden Bliken die
Mannigfaltigkeit, die wunderbare Miſchung und
vielfaͤltige Gruppirung der Farben uͤberdenkt; der
wird, erſt empfinden, hernach auch erkennen lernen,
wie aus bloſſer Miſchung der Farben eine Schoͤnheit
entſteht, die mit jeder andern Schoͤnheit um den
Vorzug ſtreitet.

Durch wiederholte Beobachtungen wird er end-
lich etwas von den Urſachen, die ſo angenehme Em-
pfindungen in ihm hervorbringen, kennen lernen.
Er wird bemerken, daß eine Scene, aus einem
Standort uͤberſehen, mit denſelben Gegenſtaͤnden
angefuͤllt, einmal himmliſch ſchoͤn, ein andermal
ohne Kraft iſt. Dennoch liegen einigermaaſſen die-
ſelben Farben an denſelbigen Stellen. Er wird
zwey Urſachen davon entdeken. Die eine in der
Art oder Wuͤrkung des Lichts ſelbſt, die andre in
den Einfaͤllen deſſelben.

Die hoͤchſte Schoͤnheit des Lichts iſt allein in der
Quelle deſſelben anzutreffen; aber unſer Aug iſt zu
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ſchwach, den Glanz dieſer Schoͤnheit zu ertragen.
Gleich der Gottheit, muß ſie, wenn ſie nicht blen-
den ſoll, mit einem irdiſchen Schleyer bedekt wer-
den. Heller Sonnenſchein durch eine von Duͤnſten
leere Luft verbreitet, wirfft ein zu ſcharfes Licht uͤber die
Gegenden, und die Schatten werden zu hart. Durch
dikes, den ganzen Himmel umgebendes Gewoͤlke
bedekt, wird das reizendſte des Sonnenlichts ganz
ausgeloͤſcht, alles iſt in den irdiſchen Farben ohne
Kraft. Jn dem groͤßten Reiz erſcheinet die Gegend,
wenn ſie unmittelbar von den hinlaͤnglich gemilder-
ten Sonnenſtralen beleuchtet, und die Dunkelheit
der Schatten von dem Lichte, welches das helle Ge-
woͤlbe des Himmels zuruͤk wirft, gemildert wird.
Dieſes bringt den Mahler auf die Betrachtung, des
durch einen ſanften Ton gemilderten Lichtes, als
einer Haupturſache der Schoͤnheit in Farben. (*)(*) S. Ton.
Hieraus lernt er ferner, daß ſowol eine ganze
Scene, als jeder Haupttheil derſelben, die Schoͤnheit
ſeines Colorits von zwey Hauptlichtern bekomme, dem
unmittelbaren, aber wolgemaͤßigten, einen ſanften
Ton erwekenden Sonnenlicht; und dem, dem Schat-
ten gegenuͤber ſtehenden Himmel, der durch einen
ſanften Wiederſchein den dunkeln und ſchattigen Stel-
len Mannigfaltigkeit und Anmuth giebt. (*)

(*) S. Licht

Auch in der Richtung des auf die Scene einſtroͤ-
menden Lichts, entdeket der Beobachter eine Haupt-
urſache der Schoͤnheit. Manche Gegend erſcheint
bey gleich hellem Himmel, zu einer Stunde des Ta-
ges in dem beſten Reiz, und iſt zu einer andern
Stunde ohne alle Schoͤnheit. Wenige Beobach-
tungen ſolcher Veraͤnderungen, werden den Mahler
bald auf dieſe, bald auf eine andere Haupturſach der
Schoͤnheit in Farben fuͤhren. Er wird lernen, daß
der Gegenſtand alsdenn am ſchoͤnſten iſt, wenn das
einfallende Licht denſelben in zwey gegen einander
wolabgemeſſene Hauptmaßen, eine helle und eine
dunkele abtheilet. Er wird erkennen, daß nur
alsdenn das Aug mit Wolgefallen auf einer Ge-
gend ruhet, wenn die verſchiedenen Farben deſſel-
ben, in ſo fern ſie hell und dunkel ſind, nicht
unordentlich durch einander zerſtreuet, ſondern in
zwey Hauptgruppen oder Maßen vertheilt ſind,
ſo daß an einem Orte das Helle, an einem an-
dern das Dunkele, beyde gegen einander gelagert
ſind. Dieſes wird ihn alſo zuerſt uͤberhaupt auf
die Betrachtung des Helldunkeln (*) und der(*) S Hell-
dunkel.

Maßen (*), bald hernach aber auf noch tiefer(*) S.
Maßen.

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[210/0222] Col Col tragung der Farben, ſondern von der Bildung des Auges, zu ſicherm Gefuͤhl der Schoͤnheit in den- ſelben. Denn ſo wie der, dem das Gefuͤhl des Schoͤnen in Formen fehlt, durch keine Uebung im Zeichnen ein Raphael werden kann, ſo wird auch, ohne das Gefuͤhl des Schoͤnen in Farben, keine Uebung mit dem Penſel, einen Titian oder Correg- gio bilden. Wer nicht blos ein Zeichner, ſondern ein Mahler werden will, der bilde alſo zuerſt ſein Aug zum Gefuͤhl des ſchoͤnen Colorits. Dazu hat ihm die Natur eine Schule eroͤfnet, wo er fuͤr jede Gattung des Schoͤnen die vollkom- menſten Muſter in allen moͤglichen Geſtalten ſieht. Jn dieſer Schule muß er ſeine Blike ſchaͤrffen, ſo wie der griechiſche Zeichner die ſeinigen in den Gymna- ſten, auf den Kampfplaͤtzen, bey feyerlichen Auf- zuͤgen, wo ihm die ſchoͤnſten Formen der menſch- lichen Geſtalt tauſendfach vor Augen ſchwebten, ge- ſchaͤrffet hat. Wer in den gluͤklichen Laͤndern, wo die Natur in jugendlicher Schoͤnheit erſcheinet, und an Mannigfaltigkeit der ſchoͤnſten Gegenden unerſchoͤpf- lich iſt, den ſchoͤnen Ausſichten zu allen Tages- und Jahrszeiten, in ſtiller Betrachtung und mit Em- pfindungen eines Liebhabers nachgeht, itzt in einem einſamen Thal; denn auf einem Huͤgel, wo eine weite Ausſicht mit dem mannigfaltigſten Glanz der Farben bemahlt, vor ihm liegt, ſich hinſetzt, ſich den ſuͤſſen Eindruͤken dieſer paradieſiſchen Scenen ganz uͤberlaͤßt, und denn mit forſchenden Bliken die Mannigfaltigkeit, die wunderbare Miſchung und vielfaͤltige Gruppirung der Farben uͤberdenkt; der wird, erſt empfinden, hernach auch erkennen lernen, wie aus bloſſer Miſchung der Farben eine Schoͤnheit entſteht, die mit jeder andern Schoͤnheit um den Vorzug ſtreitet. Durch wiederholte Beobachtungen wird er end- lich etwas von den Urſachen, die ſo angenehme Em- pfindungen in ihm hervorbringen, kennen lernen. Er wird bemerken, daß eine Scene, aus einem Standort uͤberſehen, mit denſelben Gegenſtaͤnden angefuͤllt, einmal himmliſch ſchoͤn, ein andermal ohne Kraft iſt. Dennoch liegen einigermaaſſen die- ſelben Farben an denſelbigen Stellen. Er wird zwey Urſachen davon entdeken. Die eine in der Art oder Wuͤrkung des Lichts ſelbſt, die andre in den Einfaͤllen deſſelben. Die hoͤchſte Schoͤnheit des Lichts iſt allein in der Quelle deſſelben anzutreffen; aber unſer Aug iſt zu ſchwach, den Glanz dieſer Schoͤnheit zu ertragen. Gleich der Gottheit, muß ſie, wenn ſie nicht blen- den ſoll, mit einem irdiſchen Schleyer bedekt wer- den. Heller Sonnenſchein durch eine von Duͤnſten leere Luft verbreitet, wirfft ein zu ſcharfes Licht uͤber die Gegenden, und die Schatten werden zu hart. Durch dikes, den ganzen Himmel umgebendes Gewoͤlke bedekt, wird das reizendſte des Sonnenlichts ganz ausgeloͤſcht, alles iſt in den irdiſchen Farben ohne Kraft. Jn dem groͤßten Reiz erſcheinet die Gegend, wenn ſie unmittelbar von den hinlaͤnglich gemilder- ten Sonnenſtralen beleuchtet, und die Dunkelheit der Schatten von dem Lichte, welches das helle Ge- woͤlbe des Himmels zuruͤk wirft, gemildert wird. Dieſes bringt den Mahler auf die Betrachtung, des durch einen ſanften Ton gemilderten Lichtes, als einer Haupturſache der Schoͤnheit in Farben. (*) Hieraus lernt er ferner, daß ſowol eine ganze Scene, als jeder Haupttheil derſelben, die Schoͤnheit ſeines Colorits von zwey Hauptlichtern bekomme, dem unmittelbaren, aber wolgemaͤßigten, einen ſanften Ton erwekenden Sonnenlicht; und dem, dem Schat- ten gegenuͤber ſtehenden Himmel, der durch einen ſanften Wiederſchein den dunkeln und ſchattigen Stel- len Mannigfaltigkeit und Anmuth giebt. (*) (*) S. Ton. Auch in der Richtung des auf die Scene einſtroͤ- menden Lichts, entdeket der Beobachter eine Haupt- urſache der Schoͤnheit. Manche Gegend erſcheint bey gleich hellem Himmel, zu einer Stunde des Ta- ges in dem beſten Reiz, und iſt zu einer andern Stunde ohne alle Schoͤnheit. Wenige Beobach- tungen ſolcher Veraͤnderungen, werden den Mahler bald auf dieſe, bald auf eine andere Haupturſach der Schoͤnheit in Farben fuͤhren. Er wird lernen, daß der Gegenſtand alsdenn am ſchoͤnſten iſt, wenn das einfallende Licht denſelben in zwey gegen einander wolabgemeſſene Hauptmaßen, eine helle und eine dunkele abtheilet. Er wird erkennen, daß nur alsdenn das Aug mit Wolgefallen auf einer Ge- gend ruhet, wenn die verſchiedenen Farben deſſel- ben, in ſo fern ſie hell und dunkel ſind, nicht unordentlich durch einander zerſtreuet, ſondern in zwey Hauptgruppen oder Maßen vertheilt ſind, ſo daß an einem Orte das Helle, an einem an- dern das Dunkele, beyde gegen einander gelagert ſind. Dieſes wird ihn alſo zuerſt uͤberhaupt auf die Betrachtung des Helldunkeln (*) und der Maßen (*), bald hernach aber auf noch tiefer ver- (*) S Hell- dunkel. (*) S. Maßen.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/222>, abgerufen am 23.11.2024.