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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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[Spaltenumbruch]
Bey Bez
Er treibt den trägen Schwarm von schwer beleibten Kühen,
Mit freudigem Gebrüll, durch den bethauten Steg;
Sie irren langsam um, wo Klee und Mutten blühen,
Und mähn das zarte Gras mit scharfen Zungen weg.

Läßt man die Beywörter weg, so fehlt dem Ge-
mählde das wahre Leben; will man die Umstände
die durch sie bezeichnet werden, anders vorstellen,
so wird man langweilig.

Will man nicht mahlen, sondern etwas stark,
neu, kurz, oder naiv sagen; so können auch dazu
die Beywörter die besten Mittel abgeben. Will
man rühren, durch welche Gattung des Leiden-
schaftlichen es sey, so können wolgewählte Bey-
wörter ungemeine Dienste dabey thun.

Ueberhaupt also sind sie zu gar allen Gattungen
der ästhetischen Kraft die beste Würze, die den
Hauptvorstellungen den größten Nachdruk geben.
Hingegen ist auch nichts abgeschmakteres, als eine
von schwachen, unbestimmten, oder müßigen Bey-
wörtern angefüllte Schreibart. Auch die ist zu
verwerfen, da die Beywörter zwar nicht müßig
sind, aber Nebenbegriffe ausdrüken, die den Haupt-
zwek nichts angehen, sondern blos den Witz und
besondre Einfälle des Redners oder Dichters, an-
zeigen sollen.

Wie die Dichtkunst überhaupt sinnlicher ist, als
die Beredsamkeit, so bedienet sie sich der Beywörter
häufiger, als diese. Desto mehr aber muß der
Dichter sich hüten, daß ihn der Vers nicht verleite
sich derselben ohne Noth zu bedienen. Dazu kann
insonderheit der Hexameter leicht verführen. Bey-
spiele davon sind so leicht anzutreffen, daß es un-
nöthig ist solche hier anzuführen.

Bezifferung.
(Musik.)

Die Bezeichnung der Accorde des Generalbasses,
durch Ziffern oder durch andre Zeichen. Derjeni-
ge, welcher den Generalbaß spielt, schlägt mit der
linken Hand die Töne des Basses an, mit der rech-
ten Hand aber die, zu den Baßtönen gehörigen,
Accorde. Man ist gewohnt, nur die Baßtöne
durch Noten auszudruken, die Accorde aber durch
Ziffern, welche über die Baßnoten gesetzt werden.
Es giebt zwar Spieler, die sich berühmen, den
Generalbaß ohne Bezifferung richtig zu spielen;
allein dieses ist nur alsdenn möglich, wenn sie die
[Spaltenumbruch]

Bez
Partitur des Tonstüks vor sich haben. Da es eine
ganz bekannte Sache ist, daß über einerley Baß
mehrere, ganz von einander abgehende, Harmonien
können genommen werden; so ist offenbar, daß
der Generalbaßspieler ohne Bezifferung nicht wis-
sen kann, welche von allen möglichen Harmonien
der Tonsetzer gewählt hat, und es geschieht nur
von ohngefehr, wenn er die wahre trift. Wir
wollen denen, die sich berühmen, einen unbezif-
ferten Generalbaß richtig zu spielen, das Urtheil
eines der größten Meister zur Warnung anführen.
"Wir sehen allenthalben, (sagt er,) daß zu einem
guten Accompagnement noch sehr viel gehöre, wenn
auch die Bezifferung so ist, wie sie seyn soll. Es
erhellet hieraus das Lächerliche der Anfoderung,
unbezifferte Bässe zu accompagniren; und man
sieht zugleich die Unmöglichkeit ein, die letztern der-
gestallt abzufertigen, daß man nur einigermaßen zu-
frieden seyn könnte. (*)" Es erhellet hieraus, daß(*) S.
Bach über
die wahre
Art das
Clavier zu
spielen.
II. Theil.
S. 298.

die Bezifferung des Generalbasses eine ganz noth-
wendige Sache sey.

Deswegen ist auch zu wünschen, daß die größten
Meister sich vereinigten, die vollkommenste Be-
zifferung ausfündig zu machen, und dieselbe als-
denn durchgehends einzuführen. Denn noch itzt ist
die Methode zu beziffern nicht nur unvollkommen,
sondern auch wankend, indem einerley Accorde
nicht immer auf einerley Art bezeichnet werden.

Die gewöhnlichen Bezifferungen werden hier
nicht angeführt, weil sie, jede in dem Artikel von
dem Accord, den sie bezeichnet, besonders ange-
zeiget worden. Also wird hier nur dasjenige ange-
führt, was die Bezifferung überhaupt betrift.

Die Unvollkommenheit der Bezifferung erhellet
daraus, daß es auch bey den mit größtem Fleiß
bezifferten Bässen so sehr schweer ist, alle Fehler
zu vermeiden. Der Begleiter muß, ausser den vor
sich habenden Zeichen, noch gar zu viel besondre
Regeln in acht nehmen, um nicht zu fehlen. Denn
zur guten Begleitung wird nicht blos erfodert, daß
man zu jeder Baßnote den rechten Accord nehme,
sondern, daß er in der schiklichsten Höhe, und in der
schiklichsten Gestalt genommen werde. Bis itzt ist
noch keine Bezifferung bekannt, die diese beyden Um-
stände andeutet. So begnüget man sich z. B. den
Sextenaccord durch die Ziffer 6 anzudeuten; ob
aber die Sexte oben, oder unten, oder in der Mitte
liegen soll, ob sie verdoppelt werden soll, ob man

die
Erster Theil. Y
[Spaltenumbruch]
Bey Bez
Er treibt den traͤgen Schwarm von ſchwer beleibten Kuͤhen,
Mit freudigem Gebruͤll, durch den bethauten Steg;
Sie irren langſam um, wo Klee und Mutten bluͤhen,
Und maͤhn das zarte Gras mit ſcharfen Zungen weg.

Laͤßt man die Beywoͤrter weg, ſo fehlt dem Ge-
maͤhlde das wahre Leben; will man die Umſtaͤnde
die durch ſie bezeichnet werden, anders vorſtellen,
ſo wird man langweilig.

Will man nicht mahlen, ſondern etwas ſtark,
neu, kurz, oder naiv ſagen; ſo koͤnnen auch dazu
die Beywoͤrter die beſten Mittel abgeben. Will
man ruͤhren, durch welche Gattung des Leiden-
ſchaftlichen es ſey, ſo koͤnnen wolgewaͤhlte Bey-
woͤrter ungemeine Dienſte dabey thun.

Ueberhaupt alſo ſind ſie zu gar allen Gattungen
der aͤſthetiſchen Kraft die beſte Wuͤrze, die den
Hauptvorſtellungen den groͤßten Nachdruk geben.
Hingegen iſt auch nichts abgeſchmakteres, als eine
von ſchwachen, unbeſtimmten, oder muͤßigen Bey-
woͤrtern angefuͤllte Schreibart. Auch die iſt zu
verwerfen, da die Beywoͤrter zwar nicht muͤßig
ſind, aber Nebenbegriffe ausdruͤken, die den Haupt-
zwek nichts angehen, ſondern blos den Witz und
beſondre Einfaͤlle des Redners oder Dichters, an-
zeigen ſollen.

Wie die Dichtkunſt uͤberhaupt ſinnlicher iſt, als
die Beredſamkeit, ſo bedienet ſie ſich der Beywoͤrter
haͤufiger, als dieſe. Deſto mehr aber muß der
Dichter ſich huͤten, daß ihn der Vers nicht verleite
ſich derſelben ohne Noth zu bedienen. Dazu kann
inſonderheit der Hexameter leicht verfuͤhren. Bey-
ſpiele davon ſind ſo leicht anzutreffen, daß es un-
noͤthig iſt ſolche hier anzufuͤhren.

Bezifferung.
(Muſik.)

Die Bezeichnung der Accorde des Generalbaſſes,
durch Ziffern oder durch andre Zeichen. Derjeni-
ge, welcher den Generalbaß ſpielt, ſchlaͤgt mit der
linken Hand die Toͤne des Baſſes an, mit der rech-
ten Hand aber die, zu den Baßtoͤnen gehoͤrigen,
Accorde. Man iſt gewohnt, nur die Baßtoͤne
durch Noten auszudruken, die Accorde aber durch
Ziffern, welche uͤber die Baßnoten geſetzt werden.
Es giebt zwar Spieler, die ſich beruͤhmen, den
Generalbaß ohne Bezifferung richtig zu ſpielen;
allein dieſes iſt nur alsdenn moͤglich, wenn ſie die
[Spaltenumbruch]

Bez
Partitur des Tonſtuͤks vor ſich haben. Da es eine
ganz bekannte Sache iſt, daß uͤber einerley Baß
mehrere, ganz von einander abgehende, Harmonien
koͤnnen genommen werden; ſo iſt offenbar, daß
der Generalbaßſpieler ohne Bezifferung nicht wiſ-
ſen kann, welche von allen moͤglichen Harmonien
der Tonſetzer gewaͤhlt hat, und es geſchieht nur
von ohngefehr, wenn er die wahre trift. Wir
wollen denen, die ſich beruͤhmen, einen unbezif-
ferten Generalbaß richtig zu ſpielen, das Urtheil
eines der groͤßten Meiſter zur Warnung anfuͤhren.
„Wir ſehen allenthalben, (ſagt er,) daß zu einem
guten Accompagnement noch ſehr viel gehoͤre, wenn
auch die Bezifferung ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll. Es
erhellet hieraus das Laͤcherliche der Anfoderung,
unbezifferte Baͤſſe zu accompagniren; und man
ſieht zugleich die Unmoͤglichkeit ein, die letztern der-
geſtallt abzufertigen, daß man nur einigermaßen zu-
frieden ſeyn koͤnnte. (*)‟ Es erhellet hieraus, daß(*) S.
Bach uͤber
die wahre
Art das
Clavier zu
ſpielen.
II. Theil.
S. 298.

die Bezifferung des Generalbaſſes eine ganz noth-
wendige Sache ſey.

Deswegen iſt auch zu wuͤnſchen, daß die groͤßten
Meiſter ſich vereinigten, die vollkommenſte Be-
zifferung ausfuͤndig zu machen, und dieſelbe als-
denn durchgehends einzufuͤhren. Denn noch itzt iſt
die Methode zu beziffern nicht nur unvollkommen,
ſondern auch wankend, indem einerley Accorde
nicht immer auf einerley Art bezeichnet werden.

Die gewoͤhnlichen Bezifferungen werden hier
nicht angefuͤhrt, weil ſie, jede in dem Artikel von
dem Accord, den ſie bezeichnet, beſonders ange-
zeiget worden. Alſo wird hier nur dasjenige ange-
fuͤhrt, was die Bezifferung uͤberhaupt betrift.

Die Unvollkommenheit der Bezifferung erhellet
daraus, daß es auch bey den mit groͤßtem Fleiß
bezifferten Baͤſſen ſo ſehr ſchweer iſt, alle Fehler
zu vermeiden. Der Begleiter muß, auſſer den vor
ſich habenden Zeichen, noch gar zu viel beſondre
Regeln in acht nehmen, um nicht zu fehlen. Denn
zur guten Begleitung wird nicht blos erfodert, daß
man zu jeder Baßnote den rechten Accord nehme,
ſondern, daß er in der ſchiklichſten Hoͤhe, und in der
ſchiklichſten Geſtalt genommen werde. Bis itzt iſt
noch keine Bezifferung bekannt, die dieſe beyden Um-
ſtaͤnde andeutet. So begnuͤget man ſich z. B. den
Sextenaccord durch die Ziffer 6 anzudeuten; ob
aber die Sexte oben, oder unten, oder in der Mitte
liegen ſoll, ob ſie verdoppelt werden ſoll, ob man

die
Erſter Theil. Y
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[169/0181] Bey Bez Bez Er treibt den traͤgen Schwarm von ſchwer beleibten Kuͤhen, Mit freudigem Gebruͤll, durch den bethauten Steg; Sie irren langſam um, wo Klee und Mutten bluͤhen, Und maͤhn das zarte Gras mit ſcharfen Zungen weg. Laͤßt man die Beywoͤrter weg, ſo fehlt dem Ge- maͤhlde das wahre Leben; will man die Umſtaͤnde die durch ſie bezeichnet werden, anders vorſtellen, ſo wird man langweilig. Will man nicht mahlen, ſondern etwas ſtark, neu, kurz, oder naiv ſagen; ſo koͤnnen auch dazu die Beywoͤrter die beſten Mittel abgeben. Will man ruͤhren, durch welche Gattung des Leiden- ſchaftlichen es ſey, ſo koͤnnen wolgewaͤhlte Bey- woͤrter ungemeine Dienſte dabey thun. Ueberhaupt alſo ſind ſie zu gar allen Gattungen der aͤſthetiſchen Kraft die beſte Wuͤrze, die den Hauptvorſtellungen den groͤßten Nachdruk geben. Hingegen iſt auch nichts abgeſchmakteres, als eine von ſchwachen, unbeſtimmten, oder muͤßigen Bey- woͤrtern angefuͤllte Schreibart. Auch die iſt zu verwerfen, da die Beywoͤrter zwar nicht muͤßig ſind, aber Nebenbegriffe ausdruͤken, die den Haupt- zwek nichts angehen, ſondern blos den Witz und beſondre Einfaͤlle des Redners oder Dichters, an- zeigen ſollen. Wie die Dichtkunſt uͤberhaupt ſinnlicher iſt, als die Beredſamkeit, ſo bedienet ſie ſich der Beywoͤrter haͤufiger, als dieſe. Deſto mehr aber muß der Dichter ſich huͤten, daß ihn der Vers nicht verleite ſich derſelben ohne Noth zu bedienen. Dazu kann inſonderheit der Hexameter leicht verfuͤhren. Bey- ſpiele davon ſind ſo leicht anzutreffen, daß es un- noͤthig iſt ſolche hier anzufuͤhren. Bezifferung. (Muſik.) Die Bezeichnung der Accorde des Generalbaſſes, durch Ziffern oder durch andre Zeichen. Derjeni- ge, welcher den Generalbaß ſpielt, ſchlaͤgt mit der linken Hand die Toͤne des Baſſes an, mit der rech- ten Hand aber die, zu den Baßtoͤnen gehoͤrigen, Accorde. Man iſt gewohnt, nur die Baßtoͤne durch Noten auszudruken, die Accorde aber durch Ziffern, welche uͤber die Baßnoten geſetzt werden. Es giebt zwar Spieler, die ſich beruͤhmen, den Generalbaß ohne Bezifferung richtig zu ſpielen; allein dieſes iſt nur alsdenn moͤglich, wenn ſie die Partitur des Tonſtuͤks vor ſich haben. Da es eine ganz bekannte Sache iſt, daß uͤber einerley Baß mehrere, ganz von einander abgehende, Harmonien koͤnnen genommen werden; ſo iſt offenbar, daß der Generalbaßſpieler ohne Bezifferung nicht wiſ- ſen kann, welche von allen moͤglichen Harmonien der Tonſetzer gewaͤhlt hat, und es geſchieht nur von ohngefehr, wenn er die wahre trift. Wir wollen denen, die ſich beruͤhmen, einen unbezif- ferten Generalbaß richtig zu ſpielen, das Urtheil eines der groͤßten Meiſter zur Warnung anfuͤhren. „Wir ſehen allenthalben, (ſagt er,) daß zu einem guten Accompagnement noch ſehr viel gehoͤre, wenn auch die Bezifferung ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll. Es erhellet hieraus das Laͤcherliche der Anfoderung, unbezifferte Baͤſſe zu accompagniren; und man ſieht zugleich die Unmoͤglichkeit ein, die letztern der- geſtallt abzufertigen, daß man nur einigermaßen zu- frieden ſeyn koͤnnte. (*)‟ Es erhellet hieraus, daß die Bezifferung des Generalbaſſes eine ganz noth- wendige Sache ſey. (*) S. Bach uͤber die wahre Art das Clavier zu ſpielen. II. Theil. S. 298. Deswegen iſt auch zu wuͤnſchen, daß die groͤßten Meiſter ſich vereinigten, die vollkommenſte Be- zifferung ausfuͤndig zu machen, und dieſelbe als- denn durchgehends einzufuͤhren. Denn noch itzt iſt die Methode zu beziffern nicht nur unvollkommen, ſondern auch wankend, indem einerley Accorde nicht immer auf einerley Art bezeichnet werden. Die gewoͤhnlichen Bezifferungen werden hier nicht angefuͤhrt, weil ſie, jede in dem Artikel von dem Accord, den ſie bezeichnet, beſonders ange- zeiget worden. Alſo wird hier nur dasjenige ange- fuͤhrt, was die Bezifferung uͤberhaupt betrift. Die Unvollkommenheit der Bezifferung erhellet daraus, daß es auch bey den mit groͤßtem Fleiß bezifferten Baͤſſen ſo ſehr ſchweer iſt, alle Fehler zu vermeiden. Der Begleiter muß, auſſer den vor ſich habenden Zeichen, noch gar zu viel beſondre Regeln in acht nehmen, um nicht zu fehlen. Denn zur guten Begleitung wird nicht blos erfodert, daß man zu jeder Baßnote den rechten Accord nehme, ſondern, daß er in der ſchiklichſten Hoͤhe, und in der ſchiklichſten Geſtalt genommen werde. Bis itzt iſt noch keine Bezifferung bekannt, die dieſe beyden Um- ſtaͤnde andeutet. So begnuͤget man ſich z. B. den Sextenaccord durch die Ziffer 6 anzudeuten; ob aber die Sexte oben, oder unten, oder in der Mitte liegen ſoll, ob ſie verdoppelt werden ſoll, ob man die Erſter Theil. Y

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/181>, abgerufen am 27.11.2024.