Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Bew gen, daß das Vorgeben falsch ist. Dies ist dergerade Weg zu beweisen. Liegt in der Sache selbst nichts, woraus der Beweis könnte geführt wer- den, so findet sich oft, zu demselben Behuf, etwas ausser ihr. Man beweißt nämlich, daß die Sache, wenn sie wahr wäre, diese oder jene Folge hätte nach sich ziehen müssen, und zeiget, daß dieses nicht geschehn. Daraus schließt man, daß also das Vorgeben falsch sey; dies ist ein Umweg. Eben dieses hat auch in Fällen statt, wo die Beschaffen- heit einer Sache untersucht wird. Nämlich die Be- schaffenheit der Sache, welche man erhärten will, wird entweder aus der Natur der Sache geradezu erwiesen, oder man erweißt die Richtigkeit einer andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieser auch jene nothwendig folge. Wir müssen aber, um diese Sache näher zu be- Hiebey ist offenbar, daß der Redner entweder den Bew Ein nachdenkender Redner kann selten lange im Bey einem aus der Natur der Sache hergenom- Beweis, der aus der Erklärung der Sache her- Beweis aus Zergliederung der Sache. "Jn "nem X 2
[Spaltenumbruch] Bew gen, daß das Vorgeben falſch iſt. Dies iſt dergerade Weg zu beweiſen. Liegt in der Sache ſelbſt nichts, woraus der Beweis koͤnnte gefuͤhrt wer- den, ſo findet ſich oft, zu demſelben Behuf, etwas auſſer ihr. Man beweißt naͤmlich, daß die Sache, wenn ſie wahr waͤre, dieſe oder jene Folge haͤtte nach ſich ziehen muͤſſen, und zeiget, daß dieſes nicht geſchehn. Daraus ſchließt man, daß alſo das Vorgeben falſch ſey; dies iſt ein Umweg. Eben dieſes hat auch in Faͤllen ſtatt, wo die Beſchaffen- heit einer Sache unterſucht wird. Naͤmlich die Be- ſchaffenheit der Sache, welche man erhaͤrten will, wird entweder aus der Natur der Sache geradezu erwieſen, oder man erweißt die Richtigkeit einer andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieſer auch jene nothwendig folge. Wir muͤſſen aber, um dieſe Sache naͤher zu be- Hiebey iſt offenbar, daß der Redner entweder den Bew Ein nachdenkender Redner kann ſelten lange im Bey einem aus der Natur der Sache hergenom- Beweis, der aus der Erklaͤrung der Sache her- Beweis aus Zergliederung der Sache. „Jn „nem X 2
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Bew
Bew
gen, daß das Vorgeben falſch iſt. Dies iſt der
gerade Weg zu beweiſen. Liegt in der Sache ſelbſt
nichts, woraus der Beweis koͤnnte gefuͤhrt wer-
den, ſo findet ſich oft, zu demſelben Behuf, etwas
auſſer ihr. Man beweißt naͤmlich, daß die Sache,
wenn ſie wahr waͤre, dieſe oder jene Folge haͤtte
nach ſich ziehen muͤſſen, und zeiget, daß dieſes
nicht geſchehn. Daraus ſchließt man, daß alſo
das Vorgeben falſch ſey; dies iſt ein Umweg. Eben
dieſes hat auch in Faͤllen ſtatt, wo die Beſchaffen-
heit einer Sache unterſucht wird. Naͤmlich die Be-
ſchaffenheit der Sache, welche man erhaͤrten will,
wird entweder aus der Natur der Sache geradezu
erwieſen, oder man erweißt die Richtigkeit einer
andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieſer
auch jene nothwendig folge.
Wir muͤſſen aber, um dieſe Sache naͤher zu be-
leuchten, die beſondern Faͤlle dieſer beyden Haupt-
gattungen der vernunftmaͤßigen Beweiſe, betrachten.
Dasjenige, was man beweiſen will, laͤßt ſich alle-
mal auf einen einfachen Satz bringen, in welchem
von einer Sache etwas geſagt wird; das iſt, nach
den Ausdruͤken der Schulen zu reden, wo ein Sub-
jectum und ein Prædicatum iſt. Mithin kann der
Redner ſich umſehen, ob die Natur des einen oder
des andern ihm den beſten Grund zum Beweis ab-
gebe. Er wird bald ſehen, welche von beyden ihn
am ſicherſten zum Zwek fuͤhren. Wir wollen ſetzen,
der Redner habe unternommen, einen der Verraͤ-
therey gegen den Staat angeklagten zu vertheidi-
gen; ſo iſt der Satz, den er zu beweiſen hat, die-
ſer: Dieſer Mann hat den Staat nicht verrathen.
Der Beweis ſoll aus der Natur der Sache genom-
men werden.
Hiebey iſt offenbar, daß der Redner entweder den
Begriff des Staats, oder den Begriff des Ver-
raths zum Grunde legen kann. Findet er, daß
die That, wenn ſie gegen den Staat unternom-
men waͤre, wuͤrklich eine Verraͤtherey waͤre, ſo muß
er ſuchen zu beweiſen, daß ſie nicht gegen den Staat,
ſondern gegen gewiſſe Perſonen unternommen wor-
den. Z. E. gegen einige Glieder der Regierung,
die man nicht mit dem wahren Souverain verwech-
ſeln muß. Jſt aber der Fall ſo, daß die Handlung
wuͤrklich den Staat betrift; ſo muß der Redner ſei-
nen Beweis aus der Natur der Handlung herneh-
men und zeigen, daß ſie faͤlſchlich eine Verraͤtherey
genennt werde.
Ein nachdenkender Redner kann ſelten lange im
Zweifel ſtehen, ob er ſeinen Beweis aus der Natur
des Subjecti oder des Prædicati hernehmen ſoll; denn
nach genauer Unterſuchung der Sache, wird er bald
finden, aus welchem er die groͤßte Ueberzeugung
bewuͤrken koͤnne. Weiß er zum voraus, auf wel-
ches von beyden der Anklaͤger hauptſaͤchlich die Klage
gruͤnden wird; ſo iſt ſeine Wahl ofte dadurch be-
ſtimmt. Koͤnnen ihm beyde zu Beweisgruͤnden
dienen, und er iſt ungewiß, worauf der Anklaͤger
hauptſaͤchlich beſtehen wird; ſo kann er einen dop-
pelten Beweis fuͤhren, den einen aus der Natur
des Subjecti, den andern von dem Prædicato her-
genommen.
Bey einem aus der Natur der Sache hergenom-
menen Beweis ſetzt Cicero drey beſondere Faͤlle.
Entweder gruͤndet ſich der Beweis auf die ganze Na-
tur und das Weſen der Sache, ſo daß der Redner
beweiſen kann, das Weſen derſelben mache ſein Vor-
geben nothwendig; oder wenn das Weſen der Sache
nicht kann beſtimmt werden, ſo nimmt man alle
ihre Eigenſchaften beſonders und zeiget, wie jede
den Satz beſtaͤtiget; oder die Hauptſache kommt nur
auf eine einzige Eigenſchaft der Sache an, ſo haͤlt
man ſich an dieſer allein. Jm erſten Fall iſt alſo
der Beweisgrund, die Sacherklaͤrung; (definitio rei)
im zweyten die Zergliederung der Sache, wodurch
alle ihre Eigenſchaften angegeben werden; (partium
enumeratio) endlich im dritten Fall iſt der Beweis-
grund eine Worterklaͤrung, da man aus dem Na-
men der Sache, wodurch ihr eine gewiſſe Eigenſchaft
beygelegt wird, den Beweis herleitet. (ex notatione)
Folgende drey Beyſpiele werden dieſe drey Arten
der Beweisgruͤnde erlaͤutern.
Beweis, der aus der Erklaͤrung der Sache her-
genommen iſt. „Wenn die Majeſtaͤt des Roͤmiſchen
„Staats in ſeinem Anſehen und in ſeiner Wuͤrde be-
„ſteht, ſo beleidigt der dieſe Majeſtaͤt, welcher den
„Feinden des roͤmiſchen Volks ſein Heer uͤberliefert;
„nicht der, welcher denjenigen, der dieſes gethan
„hat, dem Volke zur Beſtrafung einliefert.‟ Hier
wird der Beweis auf die Erklaͤrung des Begriffs
Majeſtaͤt gegruͤndet.
Beweis aus Zergliederung der Sache. „Jn
„dieſen Umſtaͤnden waren nur drey Wege moͤglich.
„Entweder, man mußte dem Befehl des Senats
„gehorchen; oder man mußte eine neue Berathſchla-
„gung veranlaſſen; oder man mußte endlich nach ſei-
„nem
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