Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Bew keit, der er fähig ist, gegeben hat. Zu dem Endemuß er sich unnachläßig in den Versuchen üben, alles deutlich zu sehen, und das, was er selbst so sieht, mit der höchsten Klarheit auszudrüken. Eine wichtige Sache bey dem Beweisen ist auch Jn der Andromache des Euripides wird diese "Sage mir doch, du junge, unerfahrne Königin, Bew Wenn dieser Ton der Wahrheit zugleich durch Durch die Art des Vortrages kann der Redner Bey der Bestätigung des Satzes, wozu mehrer- scheinet (+) Prout ratio causae cujusque postulabit ordinabuntur, uno (ut ego censeo) excepto, ne a potentissimis ad laevissima
decrescat oratio. [Spaltenumbruch] Bew keit, der er faͤhig iſt, gegeben hat. Zu dem Endemuß er ſich unnachlaͤßig in den Verſuchen uͤben, alles deutlich zu ſehen, und das, was er ſelbſt ſo ſieht, mit der hoͤchſten Klarheit auszudruͤken. Eine wichtige Sache bey dem Beweiſen iſt auch Jn der Andromache des Euripides wird dieſe „Sage mir doch, du junge, unerfahrne Koͤnigin, Bew Wenn dieſer Ton der Wahrheit zugleich durch Durch die Art des Vortrages kann der Redner Bey der Beſtaͤtigung des Satzes, wozu mehrer- ſcheinet (†) Prout ratio cauſæ cujusque poſtulabit ordinabuntur, uno (ut ego cenſeo) excepto, ne a potentiſſimis ad læviſſima
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Es wird nicht uͤberfluͤßig ſeyn<lb/> hier ein Beyſpiel anzufuͤhren, darin dieſer Ton<lb/> der Wahrheit ſich klar bemerken laͤßt, da man ohne<lb/> dem ihn nicht beſchreiben, ſondern nur an Bey-<lb/> ſpielen merklich machen kann.</p><lb/> <p>Jn der <hi rendition="#fr">Andromache</hi> des <hi rendition="#fr">Euripides</hi> wird dieſe<lb/> ungluͤkliche Prinzeßin von der <hi rendition="#fr">Hermione</hi> beſchul-<lb/> diget, daß ſie durch allerhand Kuͤnſte die Zuneigung<lb/> des <hi rendition="#fr">Neoptolemus</hi> gewonnen, und ihn ihr, als der<lb/> rechtmaͤßigen Gemahlin und der Tochter des Me-<lb/> nelaus entzogen habe. 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Bew
Bew
keit, der er faͤhig iſt, gegeben hat. Zu dem Ende
muß er ſich unnachlaͤßig in den Verſuchen uͤben, alles
deutlich zu ſehen, und das, was er ſelbſt ſo ſieht,
mit der hoͤchſten Klarheit auszudruͤken.
Eine wichtige Sache bey dem Beweiſen iſt auch
der Ton, in welchem ſie vorgetragen werden. Man
bemerkt bisweilen einen gewiſſen Ton der Wahr-
heit und der Ueberzeugung von Seite des Redners,
der uns ſanft, aber unwiderſtehlich, zum Beyfall noͤ-
thiget, wenn wir auch ſonſt die Staͤrke des Bewei-
ſes nicht einſehen, ja ſelbſt da, wo gar kein Be-
weis angegeben wird. Denn ſo wie wir geneigt
ſind, mit dem traurigen zu trauren und mit dem
lachenden zu lachen, ſo fuͤhlen wir auch einen Hang
demjenigen Beyfall zu geben, wovon wir andre
uͤberzeuget ſehen. Es wird nicht uͤberfluͤßig ſeyn
hier ein Beyſpiel anzufuͤhren, darin dieſer Ton
der Wahrheit ſich klar bemerken laͤßt, da man ohne
dem ihn nicht beſchreiben, ſondern nur an Bey-
ſpielen merklich machen kann.
Jn der Andromache des Euripides wird dieſe
ungluͤkliche Prinzeßin von der Hermione beſchul-
diget, daß ſie durch allerhand Kuͤnſte die Zuneigung
des Neoptolemus gewonnen, und ihn ihr, als der
rechtmaͤßigen Gemahlin und der Tochter des Me-
nelaus entzogen habe. Andromache beweißt ihre
Unſchuld in folgender Rede.
„Sage mir doch, du junge, unerfahrne Koͤnigin,
worauf ſollte ſich mein Vorſatz, dich aus dem recht-
maͤßigen Ehebett zu vertreiben, gruͤnden koͤnnen?
Jſt etwa itzt Sparta geringer als die phrygiſche
Troja, und geht dieſe jener an Gluͤkſeligkeit vor?
Bin ich etwa frey, oder jung oder zur Wolluſt ge-
bildet? Kann ich etwa aus Stolz auf die Macht
meiner (in der Aſche liegenden) Vaterſtatt, oder
auf meine (umgebrachte) Freunde, es verſuchen,
an deiner Statt in deinem Hauſe zu herrſchen?
Sollte ich etwa Luſt haben deine Unfruchtbarkeit
hier zu erſetzen und Kinder zu gebaͤhren, mir zur
groͤßten Laft, und daß ſie dir kuͤnftig zu Selaven
dienten? Bilde ich mir etwa ein, daß die Griechen
des Hektors halber mich ſo ſehr lieben, daß ſie
meine Kinder, wenn du keine haſt, zu Koͤnigen die-
ſes Landes machen? u. ſ. w.‟. (*) Jedermann
fuͤhlt den Ton der Wahrheit, womit Andromache
hier ihre Unſchuld beweißt.
(*) Eurip.
Androm.
VI. 190-
202.
Wenn dieſer Ton der Wahrheit zugleich durch
den wuͤrklichen Ton der Stimme, durch die Stel-
lung und Gebehrdung des Redners unterſtuͤzt wird,
daß der Zuhoͤrer fuͤhlt, er rede aus innerſter Ueber-
zeugung, ſo wird ſein Beweis die volle Wuͤrkung
thun. So lange der Zuhoͤrer ohne Vorurtheil iſt,
wird man ihn ſehr geneigt finden, dem Beyfall zu
geben, der etwas auch ohne Beweis in dem Ton
der Wahrheit verſichert. Bemerken wir an dem
Redner eine beſcheidene Zuverſichtlichkeit in ſeine
eigene Ueberzeugung, und ein natuͤrliches einfaches
Weſen, womit er uns deſſen verſichert, ſo erſezt
unſer Herz, was dem Verſtand fehlt, und wir
glauben, ohne zu ſehen. Laͤßt aber der Redner das
geringſte merken, daß er unſern Beyfall erzwin-
gen will, ſo widerſteht die Reigung der Ueberzeugung.
Gar oft ſchadet der Redner ſeinem Beweis, wenn er
ſich bey klaren Sachen zu lange aufhaͤlt, um ſie noch
deutlicher zu machen. Die wahre Gruͤndlichkeit iſt
einfach und kurz. Gewiſſe Gruͤnde ſprechen durch
die Sache ſelbſt am lauteſten, und ihre Stimme wird
durch uͤbertriebenes Bemuͤhen des Redners ge-
ſchwaͤcht. Hieher gehoͤrt auch, was wir im
naͤchſten Artikel von den pathetiſchen Beweiſen
anmerken.
Durch die Art des Vortrages kann der Redner
einem Beweis ſehr auf helfen, oder ſchaden. Der
ſtaͤrkſte Beweis kann durch einen ſchlechten und
ſchwachen Vortrag ſeine Kraft verliehren. Das
klare kann durch die Ausſprach und den Ton dunkel,
das kurze, langweilig, und das lebhafte, ſchwach
werden. Vornehmlich hat der Redner genau zu
uͤberlegen, wo eigentlich in ſeiner Rede der Ort iſt,
da natuͤrlicher Weiſe verſchiedene vorgetragene
Gruͤnde ihre Wuͤrkung nun auf einmal thun ſollen.
Da muß er alle Kunſt anwenden ſie gut zu ver-
einigen, den Verſtand die Einbildungskraft und
das Herz des Zuhoͤrers auf einmal lebhaft anzu-
greifen.
Bey der Beſtaͤtigung des Satzes, wozu mehrer-
ley Beweiſe angefuͤhrt werden, kommt auch ofte
viel auf die Ordnung an, darin ſie einander fol-
gen. Die Frage iſt ofte unterſucht worden, ob die
ſtarken oder die ſchwaͤchern Gruͤnde zuerſt ſollen auf-
geſtellt werden. Quintilian rathet von den ſchwaͤ-
chern den Anfang zu machen. (†) Allein die Sache
ſcheinet
(†) Prout ratio cauſæ cujusque poſtulabit ordinabuntur, uno (ut ego cenſeo) excepto, ne a potentiſſimis ad læviſſima
decreſcat oratio.
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