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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Bau Beb
sche, die allemal bey einem solchen Hause seyn müs-
sen, zur gehörigen Schönheit kommen können.

Jn Städten ist bey großen öffentlichen Gebäu-
den die Wahl des Orts wichtig. Sie sollen auf
freyen und großen Plätzen stehen, wo man sie über-
sehen kann, und wo der Zugang von allen Seiten
leicht wird. Rathhäuser und solche Gebäude, wo
jede Classe des Volks tägliche Geschäffte hat, sollen,
so viel möglich, in der Mitte der Städte gesetzt
werden.

Ein großer Theil der Bequemlichkeit, besonders
in freystehenden Gebäuden, hängt von der Stellung
derselben gegen die Himmelsgegenden ab. Haupt-
seiten, an denen die vornehmsten Zimmer sind, müs-
sen, so viel möglich ist, vor Winden und einschla-
genden Regen abgewendet, auch vor der großen
Sonnenhitze verwahrt seyn. Jn unsern nördlichen
Gegenden ist die Nordwestgegend die, daher die hef-
tigsten Winde kommen, und die den stärksten Schlag-
regen ausgesetzt sind. Ein Haus, dessen Haupt-
seite nach dieser Gegend gewendet ist, hat hier zu
Lande die schlechteste Stellung.

Ein guter Baumeister muß alles, was zu der
Lage und Stellung gehört, nach der Landesart, wo
er lebt, wol überlegen, damit er jeden Fehler in
der Baustellung vermeide, welches um so viel wich-
tiger ist, weil sie nicht mehr zu verbessern sind.

Bebung.
(Musik.)

Die Bebung eines Tones ist eine überaus schnelle
Abwechslung der Höhe und Tiefe, wie auch der
Stärke und Schwäche desselben, während seiner
Dauer, wodurch er, ohne seine Natur zu verlie-
ren, etwas mannigfaltiges bekommt. Daß ein
Ton derselbe bleibe, wenn er in seiner Dauer oder
Aushaltung wechselsweise etwas stärker oder schwä-
cher wird, ist eine bekannte Sache. Daß er aber
auch eine ähnliche Abwechslung der Höhe und Tiefe
leiden könne, ohne seine Natur zu verändern,
möchte zweifelhaft scheinen. Wenn man aber be-
denkt, daß ein Jntervall, z. E. eine Quinte um
ein merkliches von dem reinen Verhältniß 2:3. ab-
weichen, und dennoch die Stelle einer reinen Quinte
vertreten könne; so wird man auch leicht begreifen,
daß jeder Ton, ohne seinen Namen zu verlieren,
etwas höher und tiefer werden könne; zumal
wenn diese Abwechslung so schnell geschieht, daß
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Beg
man seine reine vollkommene Höhe nie aus dem Ge-
hör verliert.

Bey der Bebung der Töne wechselt das stär-
kere und schwächere, das höhere und tiefere mit
solcher Schnelligkeit ab, daß die Abwechslung selbst
nicht deutlich wird, und dieses giebt dem Tone et-
was sanftes, und gleichsam wellenförmiges. Der
bebende Ton ist von dem mit der größten Genauig-
keit in einerley Höhe und Stärke fortdaurenden
eben so unterschieden, wie ein sanfter Umriß im
Gemählde von einem harten, der nach dem Lineal
oder mit dem Zirkel gezogen wäre. Wie in der
Mahlerey solche Umrisse der ganzen Vorstellung
eine Härtigkeit geben, sanfte und bey nahe ungewiß
scheinende aber, alles weich und natürlich machen,
so ist es auch in dem Gesange. Jeder etwas an-
haltende Ton wird steif und hart, wenn ihm nicht
die Bebung ein sanfteres Wesen giebt. Dieses ist
eine der Ursachen, warum eine Melodie auf einem
Clavier, dessen Sayten durch Federn geschnellt
werden, niemal so sanft kann gespielt werden,
als auf der Violin oder auf der Flöte, welche den
Tönen die Bebung geben kann.

Die menschliche Stimme hat den Vorzug, den
sie so offenbar vor allen andern Jnstrumenten hat,
größtentheils den sanften Bebungen zu danken,
die sie allen anhaltenden Tönen giebt. Es ist ein
wesentliches Stük des guten Singens und Spie-
lens, daß man lerne jeden Ton mit solcher Be-
bung aushalten. Jm Singen ist es am leichtesten,
weil die Natur selbst die Werkzeuge der Stimme so
gebildet hat, daß sie bey keinem anhaltenden Ton
in derselben steifen Spannung bleiben. Auf Jn-
strumenten aber erfodert die Bebung weit mehr
Kunst. Am leichtesten scheint sie auf der
Violin durch das schnelle hin und her wälzen des
die Sayte niederdrükenden Fingers erhalten zu
werden.

Begeisterung.
(Schöne Künste.)

Alle Künstler von einigem Genie versichern, daß
sie bisweilen eine außerordentliche Würksamkeit
der Seele fühlen, bey welcher die Arbeit ungemein
leicht wird; da die Vorstellungen sich ohne große
Bestrebung entwikeln, und die besten Gedanken mit
solchem Ueberfluß zu ströhmen, als wenn sie von
einer höhern Kraft eingegeben würden. Dieses ist

ohne

[Spaltenumbruch]

Bau Beb
ſche, die allemal bey einem ſolchen Hauſe ſeyn muͤſ-
ſen, zur gehoͤrigen Schoͤnheit kommen koͤnnen.

Jn Staͤdten iſt bey großen oͤffentlichen Gebaͤu-
den die Wahl des Orts wichtig. Sie ſollen auf
freyen und großen Plaͤtzen ſtehen, wo man ſie uͤber-
ſehen kann, und wo der Zugang von allen Seiten
leicht wird. Rathhaͤuſer und ſolche Gebaͤude, wo
jede Claſſe des Volks taͤgliche Geſchaͤffte hat, ſollen,
ſo viel moͤglich, in der Mitte der Staͤdte geſetzt
werden.

Ein großer Theil der Bequemlichkeit, beſonders
in freyſtehenden Gebaͤuden, haͤngt von der Stellung
derſelben gegen die Himmelsgegenden ab. Haupt-
ſeiten, an denen die vornehmſten Zimmer ſind, muͤſ-
ſen, ſo viel moͤglich iſt, vor Winden und einſchla-
genden Regen abgewendet, auch vor der großen
Sonnenhitze verwahrt ſeyn. Jn unſern noͤrdlichen
Gegenden iſt die Nordweſtgegend die, daher die hef-
tigſten Winde kommen, und die den ſtaͤrkſten Schlag-
regen ausgeſetzt ſind. Ein Haus, deſſen Haupt-
ſeite nach dieſer Gegend gewendet iſt, hat hier zu
Lande die ſchlechteſte Stellung.

Ein guter Baumeiſter muß alles, was zu der
Lage und Stellung gehoͤrt, nach der Landesart, wo
er lebt, wol uͤberlegen, damit er jeden Fehler in
der Bauſtellung vermeide, welches um ſo viel wich-
tiger iſt, weil ſie nicht mehr zu verbeſſern ſind.

Bebung.
(Muſik.)

Die Bebung eines Tones iſt eine uͤberaus ſchnelle
Abwechslung der Hoͤhe und Tiefe, wie auch der
Staͤrke und Schwaͤche deſſelben, waͤhrend ſeiner
Dauer, wodurch er, ohne ſeine Natur zu verlie-
ren, etwas mannigfaltiges bekommt. Daß ein
Ton derſelbe bleibe, wenn er in ſeiner Dauer oder
Aushaltung wechſelsweiſe etwas ſtaͤrker oder ſchwaͤ-
cher wird, iſt eine bekannte Sache. Daß er aber
auch eine aͤhnliche Abwechslung der Hoͤhe und Tiefe
leiden koͤnne, ohne ſeine Natur zu veraͤndern,
moͤchte zweifelhaft ſcheinen. Wenn man aber be-
denkt, daß ein Jntervall, z. E. eine Quinte um
ein merkliches von dem reinen Verhaͤltniß 2:3. ab-
weichen, und dennoch die Stelle einer reinen Quinte
vertreten koͤnne; ſo wird man auch leicht begreifen,
daß jeder Ton, ohne ſeinen Namen zu verlieren,
etwas hoͤher und tiefer werden koͤnne; zumal
wenn dieſe Abwechslung ſo ſchnell geſchieht, daß
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Beg
man ſeine reine vollkommene Hoͤhe nie aus dem Ge-
hoͤr verliert.

Bey der Bebung der Toͤne wechſelt das ſtaͤr-
kere und ſchwaͤchere, das hoͤhere und tiefere mit
ſolcher Schnelligkeit ab, daß die Abwechslung ſelbſt
nicht deutlich wird, und dieſes giebt dem Tone et-
was ſanftes, und gleichſam wellenfoͤrmiges. Der
bebende Ton iſt von dem mit der groͤßten Genauig-
keit in einerley Hoͤhe und Staͤrke fortdaurenden
eben ſo unterſchieden, wie ein ſanfter Umriß im
Gemaͤhlde von einem harten, der nach dem Lineal
oder mit dem Zirkel gezogen waͤre. Wie in der
Mahlerey ſolche Umriſſe der ganzen Vorſtellung
eine Haͤrtigkeit geben, ſanfte und bey nahe ungewiß
ſcheinende aber, alles weich und natuͤrlich machen,
ſo iſt es auch in dem Geſange. Jeder etwas an-
haltende Ton wird ſteif und hart, wenn ihm nicht
die Bebung ein ſanfteres Weſen giebt. Dieſes iſt
eine der Urſachen, warum eine Melodie auf einem
Clavier, deſſen Sayten durch Federn geſchnellt
werden, niemal ſo ſanft kann geſpielt werden,
als auf der Violin oder auf der Floͤte, welche den
Toͤnen die Bebung geben kann.

Die menſchliche Stimme hat den Vorzug, den
ſie ſo offenbar vor allen andern Jnſtrumenten hat,
groͤßtentheils den ſanften Bebungen zu danken,
die ſie allen anhaltenden Toͤnen giebt. Es iſt ein
weſentliches Stuͤk des guten Singens und Spie-
lens, daß man lerne jeden Ton mit ſolcher Be-
bung aushalten. Jm Singen iſt es am leichteſten,
weil die Natur ſelbſt die Werkzeuge der Stimme ſo
gebildet hat, daß ſie bey keinem anhaltenden Ton
in derſelben ſteifen Spannung bleiben. Auf Jn-
ſtrumenten aber erfodert die Bebung weit mehr
Kunſt. Am leichteſten ſcheint ſie auf der
Violin durch das ſchnelle hin und her waͤlzen des
die Sayte niederdruͤkenden Fingers erhalten zu
werden.

Begeiſterung.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Alle Kuͤnſtler von einigem Genie verſichern, daß
ſie bisweilen eine außerordentliche Wuͤrkſamkeit
der Seele fuͤhlen, bey welcher die Arbeit ungemein
leicht wird; da die Vorſtellungen ſich ohne große
Beſtrebung entwikeln, und die beſten Gedanken mit
ſolchem Ueberfluß zu ſtroͤhmen, als wenn ſie von
einer hoͤhern Kraft eingegeben wuͤrden. Dieſes iſt

ohne
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[136/0148] Bau Beb Beg ſche, die allemal bey einem ſolchen Hauſe ſeyn muͤſ- ſen, zur gehoͤrigen Schoͤnheit kommen koͤnnen. Jn Staͤdten iſt bey großen oͤffentlichen Gebaͤu- den die Wahl des Orts wichtig. Sie ſollen auf freyen und großen Plaͤtzen ſtehen, wo man ſie uͤber- ſehen kann, und wo der Zugang von allen Seiten leicht wird. Rathhaͤuſer und ſolche Gebaͤude, wo jede Claſſe des Volks taͤgliche Geſchaͤffte hat, ſollen, ſo viel moͤglich, in der Mitte der Staͤdte geſetzt werden. Ein großer Theil der Bequemlichkeit, beſonders in freyſtehenden Gebaͤuden, haͤngt von der Stellung derſelben gegen die Himmelsgegenden ab. Haupt- ſeiten, an denen die vornehmſten Zimmer ſind, muͤſ- ſen, ſo viel moͤglich iſt, vor Winden und einſchla- genden Regen abgewendet, auch vor der großen Sonnenhitze verwahrt ſeyn. Jn unſern noͤrdlichen Gegenden iſt die Nordweſtgegend die, daher die hef- tigſten Winde kommen, und die den ſtaͤrkſten Schlag- regen ausgeſetzt ſind. Ein Haus, deſſen Haupt- ſeite nach dieſer Gegend gewendet iſt, hat hier zu Lande die ſchlechteſte Stellung. Ein guter Baumeiſter muß alles, was zu der Lage und Stellung gehoͤrt, nach der Landesart, wo er lebt, wol uͤberlegen, damit er jeden Fehler in der Bauſtellung vermeide, welches um ſo viel wich- tiger iſt, weil ſie nicht mehr zu verbeſſern ſind. Bebung. (Muſik.) Die Bebung eines Tones iſt eine uͤberaus ſchnelle Abwechslung der Hoͤhe und Tiefe, wie auch der Staͤrke und Schwaͤche deſſelben, waͤhrend ſeiner Dauer, wodurch er, ohne ſeine Natur zu verlie- ren, etwas mannigfaltiges bekommt. Daß ein Ton derſelbe bleibe, wenn er in ſeiner Dauer oder Aushaltung wechſelsweiſe etwas ſtaͤrker oder ſchwaͤ- cher wird, iſt eine bekannte Sache. Daß er aber auch eine aͤhnliche Abwechslung der Hoͤhe und Tiefe leiden koͤnne, ohne ſeine Natur zu veraͤndern, moͤchte zweifelhaft ſcheinen. Wenn man aber be- denkt, daß ein Jntervall, z. E. eine Quinte um ein merkliches von dem reinen Verhaͤltniß 2:3. ab- weichen, und dennoch die Stelle einer reinen Quinte vertreten koͤnne; ſo wird man auch leicht begreifen, daß jeder Ton, ohne ſeinen Namen zu verlieren, etwas hoͤher und tiefer werden koͤnne; zumal wenn dieſe Abwechslung ſo ſchnell geſchieht, daß man ſeine reine vollkommene Hoͤhe nie aus dem Ge- hoͤr verliert. Bey der Bebung der Toͤne wechſelt das ſtaͤr- kere und ſchwaͤchere, das hoͤhere und tiefere mit ſolcher Schnelligkeit ab, daß die Abwechslung ſelbſt nicht deutlich wird, und dieſes giebt dem Tone et- was ſanftes, und gleichſam wellenfoͤrmiges. Der bebende Ton iſt von dem mit der groͤßten Genauig- keit in einerley Hoͤhe und Staͤrke fortdaurenden eben ſo unterſchieden, wie ein ſanfter Umriß im Gemaͤhlde von einem harten, der nach dem Lineal oder mit dem Zirkel gezogen waͤre. Wie in der Mahlerey ſolche Umriſſe der ganzen Vorſtellung eine Haͤrtigkeit geben, ſanfte und bey nahe ungewiß ſcheinende aber, alles weich und natuͤrlich machen, ſo iſt es auch in dem Geſange. Jeder etwas an- haltende Ton wird ſteif und hart, wenn ihm nicht die Bebung ein ſanfteres Weſen giebt. Dieſes iſt eine der Urſachen, warum eine Melodie auf einem Clavier, deſſen Sayten durch Federn geſchnellt werden, niemal ſo ſanft kann geſpielt werden, als auf der Violin oder auf der Floͤte, welche den Toͤnen die Bebung geben kann. Die menſchliche Stimme hat den Vorzug, den ſie ſo offenbar vor allen andern Jnſtrumenten hat, groͤßtentheils den ſanften Bebungen zu danken, die ſie allen anhaltenden Toͤnen giebt. Es iſt ein weſentliches Stuͤk des guten Singens und Spie- lens, daß man lerne jeden Ton mit ſolcher Be- bung aushalten. Jm Singen iſt es am leichteſten, weil die Natur ſelbſt die Werkzeuge der Stimme ſo gebildet hat, daß ſie bey keinem anhaltenden Ton in derſelben ſteifen Spannung bleiben. Auf Jn- ſtrumenten aber erfodert die Bebung weit mehr Kunſt. Am leichteſten ſcheint ſie auf der Violin durch das ſchnelle hin und her waͤlzen des die Sayte niederdruͤkenden Fingers erhalten zu werden. Begeiſterung. (Schoͤne Kuͤnſte.) Alle Kuͤnſtler von einigem Genie verſichern, daß ſie bisweilen eine außerordentliche Wuͤrkſamkeit der Seele fuͤhlen, bey welcher die Arbeit ungemein leicht wird; da die Vorſtellungen ſich ohne große Beſtrebung entwikeln, und die beſten Gedanken mit ſolchem Ueberfluß zu ſtroͤhmen, als wenn ſie von einer hoͤhern Kraft eingegeben wuͤrden. Dieſes iſt ohne

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/148>, abgerufen am 23.11.2024.