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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Bau
hältnissen seiner kleinern Theile, mit Zirkel und
Maaßstab in der Hand.

Bey diesen Untersuchungen ist es sehr wesentlich,
daß er beständig auf die allgemeinen Grundsätze der
Baukunst zurük sehe, und jeden Theil des Gebäu-
des gleichsam frage: warum bist du da? wie er-
füllst du deinen Endzwek? was thust du zum Anse-
hen, zur Festigkeit, zur Bequemlichkeit, zur Zier-
rath? thust du deiner Bestimmung vollkommen
und auf das beste genug? Hiebey ist es überaus
nothwendig, daß der Baumeister sich auch durch
kein Ansehen verblenden lasse. Sieht er etwas,
davon kein hinlänglicher Grund vorhanden ist, oder
das seiner Bestimmung kein Genügen thut, oder das
gar wider nothwendige Regeln, oder doch gegen
den Geschmak streitet, so soll ihn weder die
Ehrfurcht für das Alterthum, noch das Ansehen
eines Palladio, noch der allgemeine Gebrauch ab-
halten, es zu verwerfen, und sich selbst dafür zu
warnen. Die besten neuen Baumeister haben grobe
Fehler begangen, und gewisse den guten Geschmak
beleidigende Dinge haben fast überall Vergebung
gefunden.

Wenn der Baumeister sich durch Schriften und
Zeichnungen eine gute Kenntniß erworben hat, so
reise er, wenn er kann, nach Jtalien und Frank-
reich, und versäume nirgend, die besten Gebäude
so wol von außen als innen genau zu betrachten;
die Ausübung der Regeln darin zu emdeken, und das
gute, das ihm noch nicht bekannt gewesen, daran
zu erkennen. Bey diesen Reisen muß er nicht blos
einzele Gebäude an sich betrachten, sondern sie im
Zusammenhange mit dem Platz, worauf sie stehen,
und in der Verbindung mit andern nach allen Re-
geln untersuchen.

Von einem vollkommenen Baumeister aber fo-
dern wir nicht blos die Fähigkeit, einzele Gebäude
anzugeben. Dies ist das, was er am leichtesten
lernen kann. Er muß ganze Plätze schön zu
bauen, ganze Städte anzulegen, und denselben von
innen und von außen alle mögliche Bequemlichkeiten
und Schönheiten zu geben wissen. Dazu gehören
Einsichten, die ins große gehen, und die einen
Mann von mehr als gewöhnlichem Genie erfodern.
Seine Einsichten müssen sich von der gemeinen
Hauswirthschaft der Bürger bis auf die Haushal-
tung der Großen, so wol in den Städten als auf
dem Lande, von da bis zum Hof halten der Für-
[Spaltenumbruch]

Bau
sten, und endlich bis zu dem großen der Policeywis-
senschaft ganzer Städte und Länder erstreken. Nur
derjenige, der sich solcher weitläuftigen Kenntnis
bewußt ist, muß sich unterstehen, der Baumeister
eines großen Herrn zu werden.

Jn der Weitläuftigkeit der Talente und der
Kenntnisse eines vollkommenen Baumeisters, und in
der kostbaren Art, sie zu erlangen, liegt ohne Zwei-
fel der Grund, warum er seltener, als ein großer
Mahler oder | ein großer Dichter ist. Billig sollte
in jedem Staat eine Einrichtung gemacht seyn, große
Baumeister zu ziehen, und dieser zufolge sollten aus
der Baumeisterschule die fähigsten ausgesucht, und
in ihrer Kunst auf öffentliche Unkosten ausgebildet
werden. Denn jedem Staat ist daran gelegen,
daß eine Anzahl guter und redlicher Baumeister ge-
setzt werde, welche von dem Staat reichlich be-
zahlt werden. Dagegen müßten sie verbunden
seyn, gegen mäßige Erkenntlichkeit jedem Privat-
manne in Bausachen beyzustehen, damit er
nicht in Gefahr komme, durch den Unverstand, oder
die Gewinnsucht der Arbeitsleute, einen beträchtli-
chen Verlust an seinem Vermögen zu leiden.

Baustellung.

Man hat bey Anlegung eines Gebändes verschie-
denes, so wol in Ansehung des Ortes oder Platzes,
worauf dasselbe stehen soll, als der Richtung gegen
die Himmelsgegenden, die man ihm geben will, in
Ueberlegung zu nehmen.

Bey der Wahl des Platzes ist so wol auf die
Festigkeit des Grundes, als auf die gesunde und
bequeme Lage zu sehen. Ungesund ist die Lage an
Orten, die an sich niedrig und feuchte, auch an sol-
chen, die zu eingeschlossen sind, und die von Win-
den nicht können bestrichen werden. Eine allzu hohe
Lage führt die Unbequemlichkeit mit sich, daß das
Gebäude dem Wind und Wetter allzu sehr ausgesetzt
wird. Eine mittelmäßige Höhe und trokene Lage
ist die gesundeste und angenehmste. Vornehmlich
ist auf einen guten Abfluß aller Unreinigkeiten wol
zu sehen. Landhäuser sollen, wo möglich, nicht
auf ebenen und von Bäumen entblößten Feldern
angelegt werden; denn die Kunst kann den Abgang
der Mannigfaltigkeit, des Schattens, der kühlenden
Gewässer, niemals hinlänglich ersetzen. Auch ist
bey Landhäusern auf die Fruchtbarkeit des Bodens
hauptsächlich zu sehen, damit die Gärten und Bü-

sche,

[Spaltenumbruch]

Bau
haͤltniſſen ſeiner kleinern Theile, mit Zirkel und
Maaßſtab in der Hand.

Bey dieſen Unterſuchungen iſt es ſehr weſentlich,
daß er beſtaͤndig auf die allgemeinen Grundſaͤtze der
Baukunſt zuruͤk ſehe, und jeden Theil des Gebaͤu-
des gleichſam frage: warum biſt du da? wie er-
fuͤllſt du deinen Endzwek? was thuſt du zum Anſe-
hen, zur Feſtigkeit, zur Bequemlichkeit, zur Zier-
rath? thuſt du deiner Beſtimmung vollkommen
und auf das beſte genug? Hiebey iſt es uͤberaus
nothwendig, daß der Baumeiſter ſich auch durch
kein Anſehen verblenden laſſe. Sieht er etwas,
davon kein hinlaͤnglicher Grund vorhanden iſt, oder
das ſeiner Beſtimmung kein Genuͤgen thut, oder das
gar wider nothwendige Regeln, oder doch gegen
den Geſchmak ſtreitet, ſo ſoll ihn weder die
Ehrfurcht fuͤr das Alterthum, noch das Anſehen
eines Palladio, noch der allgemeine Gebrauch ab-
halten, es zu verwerfen, und ſich ſelbſt dafuͤr zu
warnen. Die beſten neuen Baumeiſter haben grobe
Fehler begangen, und gewiſſe den guten Geſchmak
beleidigende Dinge haben faſt uͤberall Vergebung
gefunden.

Wenn der Baumeiſter ſich durch Schriften und
Zeichnungen eine gute Kenntniß erworben hat, ſo
reiſe er, wenn er kann, nach Jtalien und Frank-
reich, und verſaͤume nirgend, die beſten Gebaͤude
ſo wol von außen als innen genau zu betrachten;
die Ausuͤbung der Regeln darin zu emdeken, und das
gute, das ihm noch nicht bekannt geweſen, daran
zu erkennen. Bey dieſen Reiſen muß er nicht blos
einzele Gebaͤude an ſich betrachten, ſondern ſie im
Zuſammenhange mit dem Platz, worauf ſie ſtehen,
und in der Verbindung mit andern nach allen Re-
geln unterſuchen.

Von einem vollkommenen Baumeiſter aber fo-
dern wir nicht blos die Faͤhigkeit, einzele Gebaͤude
anzugeben. Dies iſt das, was er am leichteſten
lernen kann. Er muß ganze Plaͤtze ſchoͤn zu
bauen, ganze Staͤdte anzulegen, und denſelben von
innen und von außen alle moͤgliche Bequemlichkeiten
und Schoͤnheiten zu geben wiſſen. Dazu gehoͤren
Einſichten, die ins große gehen, und die einen
Mann von mehr als gewoͤhnlichem Genie erfodern.
Seine Einſichten muͤſſen ſich von der gemeinen
Hauswirthſchaft der Buͤrger bis auf die Haushal-
tung der Großen, ſo wol in den Staͤdten als auf
dem Lande, von da bis zum Hof halten der Fuͤr-
[Spaltenumbruch]

Bau
ſten, und endlich bis zu dem großen der Policeywiſ-
ſenſchaft ganzer Staͤdte und Laͤnder erſtreken. Nur
derjenige, der ſich ſolcher weitlaͤuftigen Kenntnis
bewußt iſt, muß ſich unterſtehen, der Baumeiſter
eines großen Herrn zu werden.

Jn der Weitlaͤuftigkeit der Talente und der
Kenntniſſe eines vollkommenen Baumeiſters, und in
der koſtbaren Art, ſie zu erlangen, liegt ohne Zwei-
fel der Grund, warum er ſeltener, als ein großer
Mahler oder | ein großer Dichter iſt. Billig ſollte
in jedem Staat eine Einrichtung gemacht ſeyn, große
Baumeiſter zu ziehen, und dieſer zufolge ſollten aus
der Baumeiſterſchule die faͤhigſten ausgeſucht, und
in ihrer Kunſt auf oͤffentliche Unkoſten ausgebildet
werden. Denn jedem Staat iſt daran gelegen,
daß eine Anzahl guter und redlicher Baumeiſter ge-
ſetzt werde, welche von dem Staat reichlich be-
zahlt werden. Dagegen muͤßten ſie verbunden
ſeyn, gegen maͤßige Erkenntlichkeit jedem Privat-
manne in Bauſachen beyzuſtehen, damit er
nicht in Gefahr komme, durch den Unverſtand, oder
die Gewinnſucht der Arbeitsleute, einen betraͤchtli-
chen Verluſt an ſeinem Vermoͤgen zu leiden.

Bauſtellung.

Man hat bey Anlegung eines Gebaͤndes verſchie-
denes, ſo wol in Anſehung des Ortes oder Platzes,
worauf daſſelbe ſtehen ſoll, als der Richtung gegen
die Himmelsgegenden, die man ihm geben will, in
Ueberlegung zu nehmen.

Bey der Wahl des Platzes iſt ſo wol auf die
Feſtigkeit des Grundes, als auf die geſunde und
bequeme Lage zu ſehen. Ungeſund iſt die Lage an
Orten, die an ſich niedrig und feuchte, auch an ſol-
chen, die zu eingeſchloſſen ſind, und die von Win-
den nicht koͤnnen beſtrichen werden. Eine allzu hohe
Lage fuͤhrt die Unbequemlichkeit mit ſich, daß das
Gebaͤude dem Wind und Wetter allzu ſehr ausgeſetzt
wird. Eine mittelmaͤßige Hoͤhe und trokene Lage
iſt die geſundeſte und angenehmſte. Vornehmlich
iſt auf einen guten Abfluß aller Unreinigkeiten wol
zu ſehen. Landhaͤuſer ſollen, wo moͤglich, nicht
auf ebenen und von Baͤumen entbloͤßten Feldern
angelegt werden; denn die Kunſt kann den Abgang
der Mannigfaltigkeit, des Schattens, der kuͤhlenden
Gewaͤſſer, niemals hinlaͤnglich erſetzen. Auch iſt
bey Landhaͤuſern auf die Fruchtbarkeit des Bodens
hauptſaͤchlich zu ſehen, damit die Gaͤrten und Buͤ-

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[135/0147] Bau Bau haͤltniſſen ſeiner kleinern Theile, mit Zirkel und Maaßſtab in der Hand. Bey dieſen Unterſuchungen iſt es ſehr weſentlich, daß er beſtaͤndig auf die allgemeinen Grundſaͤtze der Baukunſt zuruͤk ſehe, und jeden Theil des Gebaͤu- des gleichſam frage: warum biſt du da? wie er- fuͤllſt du deinen Endzwek? was thuſt du zum Anſe- hen, zur Feſtigkeit, zur Bequemlichkeit, zur Zier- rath? thuſt du deiner Beſtimmung vollkommen und auf das beſte genug? Hiebey iſt es uͤberaus nothwendig, daß der Baumeiſter ſich auch durch kein Anſehen verblenden laſſe. Sieht er etwas, davon kein hinlaͤnglicher Grund vorhanden iſt, oder das ſeiner Beſtimmung kein Genuͤgen thut, oder das gar wider nothwendige Regeln, oder doch gegen den Geſchmak ſtreitet, ſo ſoll ihn weder die Ehrfurcht fuͤr das Alterthum, noch das Anſehen eines Palladio, noch der allgemeine Gebrauch ab- halten, es zu verwerfen, und ſich ſelbſt dafuͤr zu warnen. Die beſten neuen Baumeiſter haben grobe Fehler begangen, und gewiſſe den guten Geſchmak beleidigende Dinge haben faſt uͤberall Vergebung gefunden. Wenn der Baumeiſter ſich durch Schriften und Zeichnungen eine gute Kenntniß erworben hat, ſo reiſe er, wenn er kann, nach Jtalien und Frank- reich, und verſaͤume nirgend, die beſten Gebaͤude ſo wol von außen als innen genau zu betrachten; die Ausuͤbung der Regeln darin zu emdeken, und das gute, das ihm noch nicht bekannt geweſen, daran zu erkennen. Bey dieſen Reiſen muß er nicht blos einzele Gebaͤude an ſich betrachten, ſondern ſie im Zuſammenhange mit dem Platz, worauf ſie ſtehen, und in der Verbindung mit andern nach allen Re- geln unterſuchen. Von einem vollkommenen Baumeiſter aber fo- dern wir nicht blos die Faͤhigkeit, einzele Gebaͤude anzugeben. Dies iſt das, was er am leichteſten lernen kann. Er muß ganze Plaͤtze ſchoͤn zu bauen, ganze Staͤdte anzulegen, und denſelben von innen und von außen alle moͤgliche Bequemlichkeiten und Schoͤnheiten zu geben wiſſen. Dazu gehoͤren Einſichten, die ins große gehen, und die einen Mann von mehr als gewoͤhnlichem Genie erfodern. Seine Einſichten muͤſſen ſich von der gemeinen Hauswirthſchaft der Buͤrger bis auf die Haushal- tung der Großen, ſo wol in den Staͤdten als auf dem Lande, von da bis zum Hof halten der Fuͤr- ſten, und endlich bis zu dem großen der Policeywiſ- ſenſchaft ganzer Staͤdte und Laͤnder erſtreken. Nur derjenige, der ſich ſolcher weitlaͤuftigen Kenntnis bewußt iſt, muß ſich unterſtehen, der Baumeiſter eines großen Herrn zu werden. Jn der Weitlaͤuftigkeit der Talente und der Kenntniſſe eines vollkommenen Baumeiſters, und in der koſtbaren Art, ſie zu erlangen, liegt ohne Zwei- fel der Grund, warum er ſeltener, als ein großer Mahler oder | ein großer Dichter iſt. Billig ſollte in jedem Staat eine Einrichtung gemacht ſeyn, große Baumeiſter zu ziehen, und dieſer zufolge ſollten aus der Baumeiſterſchule die faͤhigſten ausgeſucht, und in ihrer Kunſt auf oͤffentliche Unkoſten ausgebildet werden. Denn jedem Staat iſt daran gelegen, daß eine Anzahl guter und redlicher Baumeiſter ge- ſetzt werde, welche von dem Staat reichlich be- zahlt werden. Dagegen muͤßten ſie verbunden ſeyn, gegen maͤßige Erkenntlichkeit jedem Privat- manne in Bauſachen beyzuſtehen, damit er nicht in Gefahr komme, durch den Unverſtand, oder die Gewinnſucht der Arbeitsleute, einen betraͤchtli- chen Verluſt an ſeinem Vermoͤgen zu leiden. Bauſtellung. Man hat bey Anlegung eines Gebaͤndes verſchie- denes, ſo wol in Anſehung des Ortes oder Platzes, worauf daſſelbe ſtehen ſoll, als der Richtung gegen die Himmelsgegenden, die man ihm geben will, in Ueberlegung zu nehmen. Bey der Wahl des Platzes iſt ſo wol auf die Feſtigkeit des Grundes, als auf die geſunde und bequeme Lage zu ſehen. Ungeſund iſt die Lage an Orten, die an ſich niedrig und feuchte, auch an ſol- chen, die zu eingeſchloſſen ſind, und die von Win- den nicht koͤnnen beſtrichen werden. Eine allzu hohe Lage fuͤhrt die Unbequemlichkeit mit ſich, daß das Gebaͤude dem Wind und Wetter allzu ſehr ausgeſetzt wird. Eine mittelmaͤßige Hoͤhe und trokene Lage iſt die geſundeſte und angenehmſte. Vornehmlich iſt auf einen guten Abfluß aller Unreinigkeiten wol zu ſehen. Landhaͤuſer ſollen, wo moͤglich, nicht auf ebenen und von Baͤumen entbloͤßten Feldern angelegt werden; denn die Kunſt kann den Abgang der Mannigfaltigkeit, des Schattens, der kuͤhlenden Gewaͤſſer, niemals hinlaͤnglich erſetzen. Auch iſt bey Landhaͤuſern auf die Fruchtbarkeit des Bodens hauptſaͤchlich zu ſehen, damit die Gaͤrten und Buͤ- ſche,

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/147>, abgerufen am 27.11.2024.