Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Bau wurden. Bey dieser Gelegenheit ließen sie auchMahler und Bildhauer aus Griechenland kommen. Um dieselbe Zeit fieng man auch in Rom, Bologna und Florenz an zu bauen. Um das Jahr 1216 bauete ein gewisser Marchione, der zugleich ein Bildhauer war, die schöne Capelle von Marmor in der Kirche Sta. Maria Maggiore in Rom. Einer der größten Baumeister der mittlern Zei- Die kleinen Reste des guten Geschmaks breite- Aber in dem 15. Jahrhundert fieng die Bau- Bau Schönheit bekommen haben. Und so wurde dieBaukunst wieder hergestellt. Doch erschien sie nicht in ihrer ehemaligen Rei- Der Gebrauch, wozu jedes Gebäude bestimmt zu er- R 2
[Spaltenumbruch] Bau wurden. Bey dieſer Gelegenheit ließen ſie auchMahler und Bildhauer aus Griechenland kommen. Um dieſelbe Zeit fieng man auch in Rom, Bologna und Florenz an zu bauen. Um das Jahr 1216 bauete ein gewiſſer Marchione, der zugleich ein Bildhauer war, die ſchoͤne Capelle von Marmor in der Kirche Sta. Maria Maggiore in Rom. Einer der groͤßten Baumeiſter der mittlern Zei- Die kleinen Reſte des guten Geſchmaks breite- Aber in dem 15. Jahrhundert fieng die Bau- Bau Schoͤnheit bekommen haben. Und ſo wurde dieBaukunſt wieder hergeſtellt. Doch erſchien ſie nicht in ihrer ehemaligen Rei- Der Gebrauch, wozu jedes Gebaͤude beſtimmt zu er- R 2
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Bau
Bau
wurden. Bey dieſer Gelegenheit ließen ſie auch
Mahler und Bildhauer aus Griechenland kommen.
Um dieſelbe Zeit fieng man auch in Rom, Bologna
und Florenz an zu bauen. Um das Jahr 1216
bauete ein gewiſſer Marchione, der zugleich ein
Bildhauer war, die ſchoͤne Capelle von Marmor in
der Kirche Sta. Maria Maggiore in Rom.
Einer der groͤßten Baumeiſter der mittlern Zei-
ten war ein Deutſcher, den man den Meiſter Ja-
cob nennte. Er ſetzte ſich in Florenz, wo er das
große Franziskanerkloſter gebauet hat. Sein Sohn,
den die Welſchen Arnolfo Lapo nennen, bauete die
Kirche des heiligen Creuzes in Florenz, und gab
die Zeichnung zu der praͤchtigen Kirche de Sancta
Maria de fiore. Dieſer ſtarb im Jahre 1200.
Die kleinen Reſte des guten Geſchmaks breite-
ten ſich doch in dieſen Zeiten nicht außerhalb Jta-
lien aus. An allen den erſtaunlichen Gebaͤuden
dieſer Zeit, die noch itzt von dem ehemaligen Reich-
thum der Niederlande zeugen, iſt bey der unbegreif-
lichen Verſchwendung der Arbeit wenig geſundes.
Dieſes muß man auch von dem Muͤnſter in Straß-
burg ſagen, welches im 13. Jahrhundert aufge-
fuͤhrt worden, und unter die erſtaunlichſten Gebaͤu-
de der Welt gehoͤrt. Der Baumeiſter deſſelben
war ein gewiſſer Erwin von Steinbach.
Aber in dem 15. Jahrhundert fieng die Bau-
kunſt an, ſich aus den alten Truͤmmern wieder
empor zu heben; die Staͤdte erholten ſich von den
barbariſchen Zerruͤttungen, welche durch die Staats-
verwirrungen angerichtet worden waren. Bey
dem haͤufigen Bauen, das nach der wieder herge-
ſtellten Ruhe unternommen wurde, fieng man wie-
der an, auf die Schoͤnheit zu ſehen; man ſah nun
die alten Ueberbleibſel mit Nachdenken an, und
maaß die Verhaͤltniſſe an denſelben. Ein gewiſſer
Ser Bruneleſchi, der zu Anfange des 15. Jahr-
hunderts gelebt hat, war einer der erſten, die ſich
die Muͤhe gegeben, in Rom, mit dem Maaßſtab in
der Hand, auf den Truͤmmern der alten Gebaͤude
herum zu gehen. Von dieſer Zeit an wurd die
Aufmerkſamkeit auf dieſe Muſter immer groͤßer, bis
am Ende dieſes und am Anfange des 16. Jahrhun-
derts Alberti, Serlio, Palladio, Mich. Angelo,
Vignola und andre Maͤnner erſchienen, die ſich
außerordentliche Muͤhe gegeben, jede Regel zu ent-
deken, durch welche die Gebaͤude der Alten ihre
Schoͤnheit bekommen haben. Und ſo wurde die
Baukunſt wieder hergeſtellt.
Doch erſchien ſie nicht in ihrer ehemaligen Rei-
nigkeit. Auch die ſpaͤthern Gebaͤude des alten
Roms, die ſchon viel Fehler hatten, beſonders die
diokletianiſchen Baͤder, wurden zu Muſtern ge-
nommen. Selbſt die groͤßten Baumeiſter, Pal-
ladio und Mich. Angelo, nahmen die Fehler
des unter den Kayſern ſchon ſinkenden Geſchmaks
unter ihre Regeln auf, und das Anſehen dieſer
großen Maͤnner gab ihnen ein Gewicht, das ſich bey
vielen bis auf dieſen Tag erhalten hat. Jnzwiſchen
breitete ſich der gute Geſchmak aus Jtalien nach
und nach auch in die uͤbrigen Laͤnder von Europa
aus. Gegenwaͤrtig findet man von Rußland bis
nach Portugall, und von Stokholm bis nach Rom,
aber nur hier und da, Gebaͤude, die zwar nicht ganz
untadelhaft, aber doch groͤßtentheils in dem wahren
Geſchmak aufgefuͤhrt ſind. Doch ſind ſie ſo ein-
zeln, daß man nicht ſagen kann, die wahre Bau-
kunſt ſey durch Europa gemein worden. Noch ſind
genug anſehnliche Staͤdte, wo man die Spuren
guter Baumeiſter faſt gaͤnzlich vermißt. Jndeſſen,
da faſt alle Ueberbleibſel der griechiſchen und |roͤmi-
ſchen Baukunſt abgezeichnet, und uͤberall ausge-
breitet ſind, fehlet es den neuern Baumeiſtern an
nichts mehr, ſich in den wahren Geſchmak des Al-
terthums zu ſetzen, als an uͤberlegter Betrachtung
derſelben. Wir wollen dieſen Artikel mit einigen
Betrachtungen uͤber die Theorie der Baukunſt be-
ſchließen.
Der Gebrauch, wozu jedes Gebaͤude beſtimmt
iſt, giebt dem Baumeiſter faſt allemal die Groͤße
deſſelben und die Menge der Zimmer, oder inwen-
digen Haupttheile an, wenn er nur, von einem ge-
ſunden Urtheil geleitet, fuͤhlt, was ſich in jedem
Fall fuͤr die Perſonen, Zeiten und Umſtaͤnde ſchiket.
Sein Werk iſt es, die erfundenen Theile wol zu-
ſammen zu ſetzen, ihre beſten Verhaͤltniſſe zu be-
ſtimmen, dem ganzen Gebaͤude eine bequeme und
ſchoͤne Form zu geben, deſſen aͤußerliches Anſehen
ſo wol, als alles inwendige, nach der beſondern Art
des Gebaͤudes, angenehm und ſchoͤn zu machen.
Bey dieſer Arbeit muß er durch gewiſſe Grundſaͤtze
geleitet werden, die ſein Urtheil uͤber das ſchoͤne
und angenehme ſicher machen; er muß gewiſſe Er-
fahrungen haben, die ihm da, wo ſeine Grundſaͤtze
nicht beſtimmt genug ſind, das Schoͤne hinlaͤnglich
zu er-
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