Die besondern Ausladungen in den Gebälken, Haupt- gesimsen und andern Verzierungen der verschiedenen Ordnungen, werden durch die Bestimmung der Aus- laufung und in den Artikeln, darin diese Theile ins- besondre beschrieben sind, angegeben.
Auslaufung. (Baukunst.)
Die Weite, um welche der äußerste Rand eines Gliedes von der Achse der Säule heraus tritt. Die Bestimmungen der Auslaufung der verschiedenen Glieder werden bey Beschreibung der Säulenord- nungen gegeben.
Ausrufung. (Redekunst.)
Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge- schreyes ist, wodurch man die Heftigkeit einer Lei- denschaft durch die Stärke des Tones, an |den Tag legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei- denschaften auszudrüken; die Worte, als beden- tende Zeichen dessen, was in uns vorgeht; und denn bloße Töne, die keine deutliche Begriffe mit sich führen, sondern bloß durch die Heftigkeit der Em- pfindung mechanisch ausgestoßen werden, wie die Töne O! und Ach! Jn heftigen Leidenschaften be- strebt sich die Seele ihre Empfindung auf alle mög- liche Weise an den Tag zu legen, und fühlt währen- der Rede ofte, daß die willkührlichen Zeichen dazu nicht hinreichen; daher stößt sie gleichsam solche Töne aus, die überhaupt die Heftigkeit des Gefühls natürlicher Weise anzeigen.
Die Ausrufung entspringt also ganz natürlich aus allen starken Empfindungen, sie seyen ange- nehm oder widrig. Die Töne, welche die Natur in solchen Umständen aus uns erpreßt, sind nach der Beschaffenheit der Empfindung verschieden. Es giebt Töne des Schmerzens, der Freude, der Be- wunderung, der Verschmähung. Die deutsche Sprache ist in diesem Stük eine der ärmsten; die griechische aber die reichste. Außer dem ange- führten O! und Ach! haben wir selten andre Aus- rufungstöne. Die Reuern haben das Hah! zum Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel solcher charakterisirten Töne wird bisweilen durch die Apostrophe ersezt; wenn man plötzlich ein hö- [Spaltenumbruch]
Aus
heres Wesen zur Hülfe oder zum Zeugen anruft. Jhr Götter! Himmel! oder wie Haller thut:O Bern! O Vaterland! O Worte!
Die Ausrufung dienet demnach die Stärke der Leidenschaft, oder vielmehr in derselben die lebhaf- testen Augenblike, die heftigsten Stiche der Empfin- dung anzuzeigen, indem sie uns eine sehr lebhafte Vorstellung von ihrer Gewalt giebt, die den Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art des Geschreyes zu verwandeln. Man siehet aber hieraus zugleich, daß sie in den redenden Leiden- schaften nur selten vorkommen könne. Sie ist einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der währendem Rollen des Donners die Empfindung plötzlich rühret und gleich wieder verschwindet. Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be- griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin- länglich sind, die Heftigkeit der Empfindung aus- zudrüken, oder wo die Empfindung so plötzlich ent- steht, daß man nicht Zeit haben kann, sich auf Worte zu besinnen.
Der Redner oder Dichter, der in der Sprache der Leidenschaften redet, muß sich wol in Acht neh- men, die Ausrufung nicht allzu sehr zu häufen, noch sie anderswo, als in den heftigsten Augenbliken, an- zubringen; denn durch den Mißbrauch derselben fällt man in das frostige. Es ist ganz wider die Natur, daß die überwältigende Anfälle der Leiden- schaft ofte kommen, oder lange anhalten. So bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man- gel der Begriffe mit Ausrufen ersetzen will, so wird man kalt. Sie würken nur alsdenn, wenn man uns so viel verständliches von der Gemüthslage ge- sagt hat, daß wir die Stärke der Empfindung begreif- fen. Daher kömmt es, daß die Ausrusung bisweilen ihre Natur ganz verändert, und ironisch wird, so wie in dieser Stelle aus Hallers Ode, über die Ehre:
O! edler Lohn für meine Müht, Wenn ich mich in der Zeitung sehe, Bey einem Schelmen, oben an.
Diese Figur thut ihre beste Würkung, wenn der Redner seinen Satz aufs äußerste gebracht hat, und denn dadurch alles von neuem bestätiget. Z. E. Illud queror, tam me ab iis esse contemptum, ut haec portenta, me Consule potissimum cogitarent. Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis
permit-
[Spaltenumbruch]
Aus
im Band3 zu 5.
in der Glokenleiſte4 — 5.
Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt- geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der Aus- laufung und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins- beſondre beſchrieben ſind, angegeben.
Auslaufung. (Baukunſt.)
Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord- nungen gegeben.
Ausrufung. (Redekunſt.)
Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge- ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei- denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei- denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden- tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em- pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be- ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg- liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren- der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls natuͤrlicher Weiſe anzeigen.
Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange- nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be- wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange- fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus- rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ- [Spaltenumbruch]
Aus
heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft. Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut:O Bern! O Vaterland! O Worte!
Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf- teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin- dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden- ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet. Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be- griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin- laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus- zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent- ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf Worte zu beſinnen.
Der Redner oder Dichter, der in der Sprache der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh- men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an- zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden- ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man- gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge- ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif- fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die Ehre:
O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht, Wenn ich mich in der Zeitung ſehe, Bey einem Schelmen, oben an.
Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E. Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent. Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis
permit-
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Aus
Aus
im Band 3 zu 5.
in der Glokenleiſte 4 — 5.
Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt-
geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen
Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der Aus-
laufung und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins-
beſondre beſchrieben ſind, angegeben.
Auslaufung.
(Baukunſt.)
Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines
Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die
Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen
Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord-
nungen gegeben.
Ausrufung.
(Redekunſt.)
Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-
ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-
denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag
legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-
denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden-
tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn
bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich
fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em-
pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die
Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be-
ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg-
liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren-
der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu
nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche
Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls
natuͤrlicher Weiſe anzeigen.
Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich
aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange-
nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in
ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der
Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es
giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be-
wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche
Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die
griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange-
fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus-
rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum
Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel
ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch
die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ-
heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft.
Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut:
O Bern! O Vaterland! O Worte!
Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der
Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf-
teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin-
dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte
Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den
Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art
des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber
hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden-
ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt
einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der
waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung
ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet.
Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-
griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-
laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus-
zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent-
ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf
Worte zu beſinnen.
Der Redner oder Dichter, der in der Sprache
der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh-
men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch
ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an-
zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben
faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die
Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden-
ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So
bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-
gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird
man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man
uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge-
ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif-
fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen
ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo
wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die
Ehre:
O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht,
Wenn ich mich in der Zeitung ſehe,
Bey einem Schelmen, oben an.
Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der
Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und
denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E.
Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut
haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent.
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/126>, abgerufen am 16.02.2025.
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