Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Auf Aug Sie haben sehr kurze und sehr lange Aufzüge ineinem Gedichte. Wiewol die Anzahl der fünf Aufzüge bey den Aufzug. (Musik.) Ein Tonstük, welches in den Schauspielen bey Das Wesen des Aufzuges ist eine feyerliche Augenblik. (Mahlerey.) Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den Die Wahl des Augenbliks ist ein wichtiger Theil Aug Verwandten in einer gewissen Gemüthsruhe vomCreuz herunter spricht, oder, da er voll Schmerzen und Seelenangst ist, oder, da er ruft: es ist voll- bracht u. s. f. Jeder dieser Augenblike kann dem Gemähld einen besondern Charakter, eine besondre Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen, Leidenschaften u. s. f. geben. Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der Bey einem gemeinen und sehr oft wiederholten Augenblik. (Schauspiel.) Auch die Schau- Augen- M 3
[Spaltenumbruch] Auf Aug Sie haben ſehr kurze und ſehr lange Aufzuͤge ineinem Gedichte. Wiewol die Anzahl der fuͤnf Aufzuͤge bey den Aufzug. (Muſik.) Ein Tonſtuͤk, welches in den Schauſpielen bey Das Weſen des Aufzuges iſt eine feyerliche Augenblik. (Mahlerey.) Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den Die Wahl des Augenbliks iſt ein wichtiger Theil Aug Verwandten in einer gewiſſen Gemuͤthsruhe vomCreuz herunter ſpricht, oder, da er voll Schmerzen und Seelenangſt iſt, oder, da er ruft: es iſt voll- bracht u. ſ. f. Jeder dieſer Augenblike kann dem Gemaͤhld einen beſondern Charakter, eine beſondre Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen, Leidenſchaften u. ſ. f. geben. Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der Bey einem gemeinen und ſehr oft wiederholten Augenblik. (Schauſpiel.) Auch die Schau- Augen- M 3
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Weil in der Oper und bey Taͤnzen<lb/> das Aug und das Ohr immer zugleich beſchaͤfftiget<lb/> werden, ſo hatte man fuͤr die Faͤlle, wo weiter<lb/> nichts geſchieht, als daß die ſpielenden Perſonen<lb/> mit gewiſſem Pomp auf die Schaubuͤhne ziehen, oder<lb/> auf derſelben ſich feyerlich von einem Orte zum<lb/> andern hin begeben, ſolche Tonſtuͤcke noͤthig, welche<lb/> dieſen feyerlichen Gang auch dem Ohr vorbilden.</p><lb/> <p>Das Weſen des Aufzuges iſt eine feyerliche<lb/> Pracht, die dem Charakter des Aufzuges und der<lb/> Gelegenheit, bey welcher er geſchieht, angemeſſen<lb/> ſey. Dazu gehoͤrt eine ſtarke Beſetzung aller Stim-<lb/> men, große Vollſtaͤndigkeit der Harmonien, und ein<lb/> feyerlicher ſtark abgemeſſener Takt. Nur ein gu-<lb/> ter Harmoniſte kann ſich mit Hoffnung eines gluͤk-<lb/> lichen Erfolges an dieſe Gattung machen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Augenblik.</hi><lb/> (Mahlerey.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>er Zeitpunkt in einer Begebenheit, den<lb/> der Hiſtorienmahler zu ſeiner Vorſtellung gewaͤhlt<lb/> hat. Weil naͤmlich in dem Gemaͤhlde keine Folge<lb/> von Begebenheiten ſtatt findet, ſondern alles ſtill<lb/> ſtehet, ſo kann von einer Geſchichte in dem Ge-<lb/> maͤhlde nur ein einziger untheilbarer Punkt der Zeit<lb/> vorgeſtellt werden, das iſt, der Mahler druͤkt eine<lb/> gewiſſe Scene aus, wie ſie in einem von ihm ge-<lb/> waͤhlten Augenblik geweſen iſt.</p><lb/> <p>Die Wahl des Augenbliks iſt ein wichtiger Theil<lb/> der Erfindung des hiſtoriſchen Gemaͤhldes. Denn<lb/> jeder Augenblik einer wichtigen Handlung hat ſeine<lb/> beſondern Umſtaͤnde, und giebt den Perſonen beſon-<lb/> dere Empfindungen. Der Mahler, der ſich z. 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Auf Aug
Aug
Sie haben ſehr kurze und ſehr lange Aufzuͤge in
einem Gedichte.
Wiewol die Anzahl der fuͤnf Aufzuͤge bey den
Alten beſtaͤndig angetroffen wird, ſo iſt doch eine
geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegruͤn-
dete Regel.
Aufzug.
(Muſik.)
Ein Tonſtuͤk, welches in den Schauſpielen bey
wichtigen und feyerlichen Aufzuͤgen und bey Taͤnzen
geſpielt wird. Weil in der Oper und bey Taͤnzen
das Aug und das Ohr immer zugleich beſchaͤfftiget
werden, ſo hatte man fuͤr die Faͤlle, wo weiter
nichts geſchieht, als daß die ſpielenden Perſonen
mit gewiſſem Pomp auf die Schaubuͤhne ziehen, oder
auf derſelben ſich feyerlich von einem Orte zum
andern hin begeben, ſolche Tonſtuͤcke noͤthig, welche
dieſen feyerlichen Gang auch dem Ohr vorbilden.
Das Weſen des Aufzuges iſt eine feyerliche
Pracht, die dem Charakter des Aufzuges und der
Gelegenheit, bey welcher er geſchieht, angemeſſen
ſey. Dazu gehoͤrt eine ſtarke Beſetzung aller Stim-
men, große Vollſtaͤndigkeit der Harmonien, und ein
feyerlicher ſtark abgemeſſener Takt. Nur ein gu-
ter Harmoniſte kann ſich mit Hoffnung eines gluͤk-
lichen Erfolges an dieſe Gattung machen.
Augenblik.
(Mahlerey.)
Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den
der Hiſtorienmahler zu ſeiner Vorſtellung gewaͤhlt
hat. Weil naͤmlich in dem Gemaͤhlde keine Folge
von Begebenheiten ſtatt findet, ſondern alles ſtill
ſtehet, ſo kann von einer Geſchichte in dem Ge-
maͤhlde nur ein einziger untheilbarer Punkt der Zeit
vorgeſtellt werden, das iſt, der Mahler druͤkt eine
gewiſſe Scene aus, wie ſie in einem von ihm ge-
waͤhlten Augenblik geweſen iſt.
Die Wahl des Augenbliks iſt ein wichtiger Theil
der Erfindung des hiſtoriſchen Gemaͤhldes. Denn
jeder Augenblik einer wichtigen Handlung hat ſeine
beſondern Umſtaͤnde, und giebt den Perſonen beſon-
dere Empfindungen. Der Mahler, der ſich z. E. uͤber-
haupt vorgeſetzt hat, Chriſtum am Creuz zu mahlen,
kann entweder den Augenblik waͤhlen, da er ange-
heftet wird, oder den, da der Heiland mit ſeinen
Verwandten in einer gewiſſen Gemuͤthsruhe vom
Creuz herunter ſpricht, oder, da er voll Schmerzen
und Seelenangſt iſt, oder, da er ruft: es iſt voll-
bracht u. ſ. f. Jeder dieſer Augenblike kann dem
Gemaͤhld einen beſondern Charakter, eine beſondre
Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen,
Leidenſchaften u. ſ. f. geben.
Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der
Materie der Wahl des Augenbliks ernſtlich nach-
denken. Er muß der Geſchichte, die er vorſtellen
will, durch alle Augenblike nachgehen, ſich bey je-
dem alle Umſtaͤnde wol vorſtellen, und erſt alsdenn
von allen den waͤhlen, der ſich zu ſeiner Abſicht am
beſten ſchiket. So wol die mahleriſche als die poe-
tiſche Anordnung haͤngen von dem gewaͤhlten Au-
genblik ab.
Bey einem gemeinen und ſehr oft wiederholten
Jnhalt kann das Werk durch die gluͤkliche Wahl
des Augenbliks, das Anſehen der Neuigkeit bekom-
men. Z. E. der Mahler wuͤrde ſehr viel neues an-
bringen koͤnnen, der fuͤr ſeinen gekreuzigten, oder
ſterbenden Chriſtus den Augenblik waͤhlte, da das
Erdbeben entſteht.
Augenblik. (Schauſpiel.) Auch die Schau-
ſpieler und die fuͤr die Buͤhne arbeitenden Dichter
muͤſſen gewiſſe Augenblike ſich beſonders empfohlen
ſeyn laſſen. Es giebt in wichtigen Handlungen
gewiſſe Augenblike, wo die Bewegungen der Ge-
muͤther am merkwuͤrdigſten ſind; wo es wichtig iſt,
daß der Zuſchauer Zeit habe, alles genau zu be-
merken, um zur vollſtaͤndigen Ruͤhrung zu kom-
men. So wol Dichter als Schauſpieler haben dar-
auf zu denken, dem Zuſchauer dieſe Zeit zu geben.
Denn wenn man ſie zu ſchnell ſollte vorbey gehen
laſſen, ſo wuͤrde der Eindruk nicht ſtark genug
ſeyn. Der Mahler hat bey ſolchen Augenbliken
den Vortheil, daß er alles feſt haͤlt, und dem Auge
Zeit laͤßt, jede Mine und jede Gebehrde wol zu be-
merken. Der Schauſpieler muß nothwendig die
Perſonen in ſolchen Augenbliken in das beſte Licht
ſetzen, und auf das vortheilhafteſte gruppiren.
Er muß dabey in die Schule des Mahlers gehen.
Es giebt Trauerſpiele, wo einige ſtumme Augen-
blike, da die ganze Handlung gehemmt ſcheint, und
jeder nur innerlich, mit ſich ſelbſt zu thun hat,
von großer Wuͤrkung ſind.
Augen-
M 3
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