Sie haben sehr kurze und sehr lange Aufzüge in einem Gedichte.
Wiewol die Anzahl der fünf Aufzüge bey den Alten beständig angetroffen wird, so ist doch eine geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegrün- dete Regel.
Aufzug. (Musik.)
Ein Tonstük, welches in den Schauspielen bey wichtigen und feyerlichen Aufzügen und bey Tänzen gespielt wird. Weil in der Oper und bey Tänzen das Aug und das Ohr immer zugleich beschäfftiget werden, so hatte man für die Fälle, wo weiter nichts geschieht, als daß die spielenden Personen mit gewissem Pomp auf die Schaubühne ziehen, oder auf derselben sich feyerlich von einem Orte zum andern hin begeben, solche Tonstücke nöthig, welche diesen feyerlichen Gang auch dem Ohr vorbilden.
Das Wesen des Aufzuges ist eine feyerliche Pracht, die dem Charakter des Aufzuges und der Gelegenheit, bey welcher er geschieht, angemessen sey. Dazu gehört eine starke Besetzung aller Stim- men, große Vollständigkeit der Harmonien, und ein feyerlicher stark abgemessener Takt. Nur ein gu- ter Harmoniste kann sich mit Hoffnung eines glük- lichen Erfolges an diese Gattung machen.
Augenblik. (Mahlerey.)
Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den der Historienmahler zu seiner Vorstellung gewählt hat. Weil nämlich in dem Gemählde keine Folge von Begebenheiten statt findet, sondern alles still stehet, so kann von einer Geschichte in dem Ge- mählde nur ein einziger untheilbarer Punkt der Zeit vorgestellt werden, das ist, der Mahler drükt eine gewisse Scene aus, wie sie in einem von ihm ge- wählten Augenblik gewesen ist.
Die Wahl des Augenbliks ist ein wichtiger Theil der Erfindung des historischen Gemähldes. Denn jeder Augenblik einer wichtigen Handlung hat seine besondern Umstände, und giebt den Personen beson- dere Empfindungen. Der Mahler, der sich z. E. über- haupt vorgesetzt hat, Christum am Creuz zu mahlen, kann entweder den Augenblik wählen, da er ange- heftet wird, oder den, da der Heiland mit seinen [Spaltenumbruch]
Aug
Verwandten in einer gewissen Gemüthsruhe vom Creuz herunter spricht, oder, da er voll Schmerzen und Seelenangst ist, oder, da er ruft: es ist voll- bracht u. s. f. Jeder dieser Augenblike kann dem Gemähld einen besondern Charakter, eine besondre Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen, Leidenschaften u. s. f. geben.
Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der Materie der Wahl des Augenbliks ernstlich nach- denken. Er muß der Geschichte, die er vorstellen will, durch alle Augenblike nachgehen, sich bey je- dem alle Umstände wol vorstellen, und erst alsdenn von allen den wählen, der sich zu seiner Absicht am besten schiket. So wol die mahlerische als die poe- tische Anordnung hängen von dem gewählten Au- genblik ab.
Bey einem gemeinen und sehr oft wiederholten Jnhalt kann das Werk durch die glükliche Wahl des Augenbliks, das Ansehen der Neuigkeit bekom- men. Z. E. der Mahler würde sehr viel neues an- bringen können, der für seinen gekreuzigten, oder sterbenden Christus den Augenblik wählte, da das Erdbeben entsteht.
Augenblik. (Schauspiel.) Auch die Schau- spieler und die für die Bühne arbeitenden Dichter müssen gewisse Augenblike sich besonders empfohlen seyn lassen. Es giebt in wichtigen Handlungen gewisse Augenblike, wo die Bewegungen der Ge- müther am merkwürdigsten sind; wo es wichtig ist, daß der Zuschauer Zeit habe, alles genau zu be- merken, um zur vollständigen Rührung zu kom- men. So wol Dichter als Schauspieler haben dar- auf zu denken, dem Zuschauer diese Zeit zu geben. Denn wenn man sie zu schnell sollte vorbey gehen lassen, so würde der Eindruk nicht stark genug seyn. Der Mahler hat bey solchen Augenbliken den Vortheil, daß er alles fest hält, und dem Auge Zeit läßt, jede Mine und jede Gebehrde wol zu be- merken. Der Schauspieler muß nothwendig die Personen in solchen Augenbliken in das beste Licht setzen, und auf das vortheilhafteste gruppiren. Er muß dabey in die Schule des Mahlers gehen. Es giebt Trauerspiele, wo einige stumme Augen- blike, da die ganze Handlung gehemmt scheint, und jeder nur innerlich, mit sich selbst zu thun hat, von großer Würkung sind.
Augen-
M 3
[Spaltenumbruch]
Auf Aug
Sie haben ſehr kurze und ſehr lange Aufzuͤge in einem Gedichte.
Wiewol die Anzahl der fuͤnf Aufzuͤge bey den Alten beſtaͤndig angetroffen wird, ſo iſt doch eine geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegruͤn- dete Regel.
Aufzug. (Muſik.)
Ein Tonſtuͤk, welches in den Schauſpielen bey wichtigen und feyerlichen Aufzuͤgen und bey Taͤnzen geſpielt wird. Weil in der Oper und bey Taͤnzen das Aug und das Ohr immer zugleich beſchaͤfftiget werden, ſo hatte man fuͤr die Faͤlle, wo weiter nichts geſchieht, als daß die ſpielenden Perſonen mit gewiſſem Pomp auf die Schaubuͤhne ziehen, oder auf derſelben ſich feyerlich von einem Orte zum andern hin begeben, ſolche Tonſtuͤcke noͤthig, welche dieſen feyerlichen Gang auch dem Ohr vorbilden.
Das Weſen des Aufzuges iſt eine feyerliche Pracht, die dem Charakter des Aufzuges und der Gelegenheit, bey welcher er geſchieht, angemeſſen ſey. Dazu gehoͤrt eine ſtarke Beſetzung aller Stim- men, große Vollſtaͤndigkeit der Harmonien, und ein feyerlicher ſtark abgemeſſener Takt. Nur ein gu- ter Harmoniſte kann ſich mit Hoffnung eines gluͤk- lichen Erfolges an dieſe Gattung machen.
Augenblik. (Mahlerey.)
Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den der Hiſtorienmahler zu ſeiner Vorſtellung gewaͤhlt hat. Weil naͤmlich in dem Gemaͤhlde keine Folge von Begebenheiten ſtatt findet, ſondern alles ſtill ſtehet, ſo kann von einer Geſchichte in dem Ge- maͤhlde nur ein einziger untheilbarer Punkt der Zeit vorgeſtellt werden, das iſt, der Mahler druͤkt eine gewiſſe Scene aus, wie ſie in einem von ihm ge- waͤhlten Augenblik geweſen iſt.
Die Wahl des Augenbliks iſt ein wichtiger Theil der Erfindung des hiſtoriſchen Gemaͤhldes. Denn jeder Augenblik einer wichtigen Handlung hat ſeine beſondern Umſtaͤnde, und giebt den Perſonen beſon- dere Empfindungen. Der Mahler, der ſich z. E. uͤber- haupt vorgeſetzt hat, Chriſtum am Creuz zu mahlen, kann entweder den Augenblik waͤhlen, da er ange- heftet wird, oder den, da der Heiland mit ſeinen [Spaltenumbruch]
Aug
Verwandten in einer gewiſſen Gemuͤthsruhe vom Creuz herunter ſpricht, oder, da er voll Schmerzen und Seelenangſt iſt, oder, da er ruft: es iſt voll- bracht u. ſ. f. Jeder dieſer Augenblike kann dem Gemaͤhld einen beſondern Charakter, eine beſondre Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen, Leidenſchaften u. ſ. f. geben.
Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der Materie der Wahl des Augenbliks ernſtlich nach- denken. Er muß der Geſchichte, die er vorſtellen will, durch alle Augenblike nachgehen, ſich bey je- dem alle Umſtaͤnde wol vorſtellen, und erſt alsdenn von allen den waͤhlen, der ſich zu ſeiner Abſicht am beſten ſchiket. So wol die mahleriſche als die poe- tiſche Anordnung haͤngen von dem gewaͤhlten Au- genblik ab.
Bey einem gemeinen und ſehr oft wiederholten Jnhalt kann das Werk durch die gluͤkliche Wahl des Augenbliks, das Anſehen der Neuigkeit bekom- men. Z. E. der Mahler wuͤrde ſehr viel neues an- bringen koͤnnen, der fuͤr ſeinen gekreuzigten, oder ſterbenden Chriſtus den Augenblik waͤhlte, da das Erdbeben entſteht.
Augenblik. (Schauſpiel.) Auch die Schau- ſpieler und die fuͤr die Buͤhne arbeitenden Dichter muͤſſen gewiſſe Augenblike ſich beſonders empfohlen ſeyn laſſen. Es giebt in wichtigen Handlungen gewiſſe Augenblike, wo die Bewegungen der Ge- muͤther am merkwuͤrdigſten ſind; wo es wichtig iſt, daß der Zuſchauer Zeit habe, alles genau zu be- merken, um zur vollſtaͤndigen Ruͤhrung zu kom- men. So wol Dichter als Schauſpieler haben dar- auf zu denken, dem Zuſchauer dieſe Zeit zu geben. Denn wenn man ſie zu ſchnell ſollte vorbey gehen laſſen, ſo wuͤrde der Eindruk nicht ſtark genug ſeyn. Der Mahler hat bey ſolchen Augenbliken den Vortheil, daß er alles feſt haͤlt, und dem Auge Zeit laͤßt, jede Mine und jede Gebehrde wol zu be- merken. Der Schauſpieler muß nothwendig die Perſonen in ſolchen Augenbliken in das beſte Licht ſetzen, und auf das vortheilhafteſte gruppiren. Er muß dabey in die Schule des Mahlers gehen. Es giebt Trauerſpiele, wo einige ſtumme Augen- blike, da die ganze Handlung gehemmt ſcheint, und jeder nur innerlich, mit ſich ſelbſt zu thun hat, von großer Wuͤrkung ſind.
Augen-
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[93/0105]
Auf Aug
Aug
Sie haben ſehr kurze und ſehr lange Aufzuͤge in
einem Gedichte.
Wiewol die Anzahl der fuͤnf Aufzuͤge bey den
Alten beſtaͤndig angetroffen wird, ſo iſt doch eine
geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegruͤn-
dete Regel.
Aufzug.
(Muſik.)
Ein Tonſtuͤk, welches in den Schauſpielen bey
wichtigen und feyerlichen Aufzuͤgen und bey Taͤnzen
geſpielt wird. Weil in der Oper und bey Taͤnzen
das Aug und das Ohr immer zugleich beſchaͤfftiget
werden, ſo hatte man fuͤr die Faͤlle, wo weiter
nichts geſchieht, als daß die ſpielenden Perſonen
mit gewiſſem Pomp auf die Schaubuͤhne ziehen, oder
auf derſelben ſich feyerlich von einem Orte zum
andern hin begeben, ſolche Tonſtuͤcke noͤthig, welche
dieſen feyerlichen Gang auch dem Ohr vorbilden.
Das Weſen des Aufzuges iſt eine feyerliche
Pracht, die dem Charakter des Aufzuges und der
Gelegenheit, bey welcher er geſchieht, angemeſſen
ſey. Dazu gehoͤrt eine ſtarke Beſetzung aller Stim-
men, große Vollſtaͤndigkeit der Harmonien, und ein
feyerlicher ſtark abgemeſſener Takt. Nur ein gu-
ter Harmoniſte kann ſich mit Hoffnung eines gluͤk-
lichen Erfolges an dieſe Gattung machen.
Augenblik.
(Mahlerey.)
Der Zeitpunkt in einer Begebenheit, den
der Hiſtorienmahler zu ſeiner Vorſtellung gewaͤhlt
hat. Weil naͤmlich in dem Gemaͤhlde keine Folge
von Begebenheiten ſtatt findet, ſondern alles ſtill
ſtehet, ſo kann von einer Geſchichte in dem Ge-
maͤhlde nur ein einziger untheilbarer Punkt der Zeit
vorgeſtellt werden, das iſt, der Mahler druͤkt eine
gewiſſe Scene aus, wie ſie in einem von ihm ge-
waͤhlten Augenblik geweſen iſt.
Die Wahl des Augenbliks iſt ein wichtiger Theil
der Erfindung des hiſtoriſchen Gemaͤhldes. Denn
jeder Augenblik einer wichtigen Handlung hat ſeine
beſondern Umſtaͤnde, und giebt den Perſonen beſon-
dere Empfindungen. Der Mahler, der ſich z. E. uͤber-
haupt vorgeſetzt hat, Chriſtum am Creuz zu mahlen,
kann entweder den Augenblik waͤhlen, da er ange-
heftet wird, oder den, da der Heiland mit ſeinen
Verwandten in einer gewiſſen Gemuͤthsruhe vom
Creuz herunter ſpricht, oder, da er voll Schmerzen
und Seelenangſt iſt, oder, da er ruft: es iſt voll-
bracht u. ſ. f. Jeder dieſer Augenblike kann dem
Gemaͤhld einen beſondern Charakter, eine beſondre
Anordnung, ihm eigene Erfindungen, Stellungen,
Leidenſchaften u. ſ. f. geben.
Der Mahler muß deswegen nach der Wahl der
Materie der Wahl des Augenbliks ernſtlich nach-
denken. Er muß der Geſchichte, die er vorſtellen
will, durch alle Augenblike nachgehen, ſich bey je-
dem alle Umſtaͤnde wol vorſtellen, und erſt alsdenn
von allen den waͤhlen, der ſich zu ſeiner Abſicht am
beſten ſchiket. So wol die mahleriſche als die poe-
tiſche Anordnung haͤngen von dem gewaͤhlten Au-
genblik ab.
Bey einem gemeinen und ſehr oft wiederholten
Jnhalt kann das Werk durch die gluͤkliche Wahl
des Augenbliks, das Anſehen der Neuigkeit bekom-
men. Z. E. der Mahler wuͤrde ſehr viel neues an-
bringen koͤnnen, der fuͤr ſeinen gekreuzigten, oder
ſterbenden Chriſtus den Augenblik waͤhlte, da das
Erdbeben entſteht.
Augenblik. (Schauſpiel.) Auch die Schau-
ſpieler und die fuͤr die Buͤhne arbeitenden Dichter
muͤſſen gewiſſe Augenblike ſich beſonders empfohlen
ſeyn laſſen. Es giebt in wichtigen Handlungen
gewiſſe Augenblike, wo die Bewegungen der Ge-
muͤther am merkwuͤrdigſten ſind; wo es wichtig iſt,
daß der Zuſchauer Zeit habe, alles genau zu be-
merken, um zur vollſtaͤndigen Ruͤhrung zu kom-
men. So wol Dichter als Schauſpieler haben dar-
auf zu denken, dem Zuſchauer dieſe Zeit zu geben.
Denn wenn man ſie zu ſchnell ſollte vorbey gehen
laſſen, ſo wuͤrde der Eindruk nicht ſtark genug
ſeyn. Der Mahler hat bey ſolchen Augenbliken
den Vortheil, daß er alles feſt haͤlt, und dem Auge
Zeit laͤßt, jede Mine und jede Gebehrde wol zu be-
merken. Der Schauſpieler muß nothwendig die
Perſonen in ſolchen Augenbliken in das beſte Licht
ſetzen, und auf das vortheilhafteſte gruppiren.
Er muß dabey in die Schule des Mahlers gehen.
Es giebt Trauerſpiele, wo einige ſtumme Augen-
blike, da die ganze Handlung gehemmt ſcheint, und
jeder nur innerlich, mit ſich ſelbſt zu thun hat,
von großer Wuͤrkung ſind.
Augen-
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/105>, abgerufen am 30.07.2024.
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