Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Auf die Auflösung völlig bestimmt werden, daß keineFrage mehr darüber entstehen kann. Plautus hat verschiedentlich gegen diese Vollständigkeit der Auflösung gefehlt. So hat sein Stük, das er Mostellaria genennt hat, eine so unvollständige Auflösung, daß das Ende davon ganz abgeschmakt wird. Es ist zwar eben nicht nöthig, wie einige mey- Endlich muß die Auflösung zu rechter Zeit ge- Vom Ausgange, der durch die Auflösung be- Will man gegen die Wichtigkeit aller dieser An- Was hier von der Auflösung der dramatischen Auflösung der Dissonanz in der Musik. Hier Auf [Abbildung]
wird die Harmonie durch Dissonanzen zerstöhrt, Diese Regeln sind von den ältern Tonsetzern die
[Spaltenumbruch] Auf die Aufloͤſung voͤllig beſtimmt werden, daß keineFrage mehr daruͤber entſtehen kann. Plautus hat verſchiedentlich gegen dieſe Vollſtaͤndigkeit der Aufloͤſung gefehlt. So hat ſein Stuͤk, das er Moſtellaria genennt hat, eine ſo unvollſtaͤndige Aufloͤſung, daß das Ende davon ganz abgeſchmakt wird. Es iſt zwar eben nicht noͤthig, wie einige mey- Endlich muß die Aufloͤſung zu rechter Zeit ge- Vom Ausgange, der durch die Aufloͤſung be- Will man gegen die Wichtigkeit aller dieſer An- Was hier von der Aufloͤſung der dramatiſchen Aufloͤſung der Diſſonanz in der Muſik. Hier Auf [Abbildung]
wird die Harmonie durch Diſſonanzen zerſtoͤhrt, Dieſe Regeln ſind von den aͤltern Tonſetzern die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0100" n="88"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Auf</hi></fw><lb/> die Aufloͤſung voͤllig beſtimmt werden, daß keine<lb/> Frage mehr daruͤber entſtehen kann. Plautus<lb/> hat verſchiedentlich gegen dieſe Vollſtaͤndigkeit der<lb/> Aufloͤſung gefehlt. So hat ſein Stuͤk, das er<lb/><hi rendition="#fr">Moſtellaria</hi> genennt hat, eine ſo unvollſtaͤndige<lb/> Aufloͤſung, daß das Ende davon ganz abgeſchmakt<lb/> wird.</p><lb/> <p>Es iſt zwar eben nicht noͤthig, wie einige mey-<lb/> nen, daß die Aufloͤſung zuletzt alle Perſonen auf die<lb/> Buͤhne vereinige: genug wenn dieſelbe nur alle<lb/> weitere Unternehmung hemmt, und unſre Erwar-<lb/> tung uͤber die Perſonen befriediget, ſie ſeyn zugegen<lb/> oder nicht.</p><lb/> <p>Endlich muß die Aufloͤſung zu rechter Zeit ge-<lb/> ſchehen; naͤmlich, wenn unſre Erwartung auf das<lb/> hoͤchſte gekommen iſt. Nicht eher, weil ſie ſonſt<lb/> nicht Reizung genug hat; daher bisweilen eine<lb/><note place="left">(*) S. Auf-<lb/> haltung.</note>Aufhaltung nothwendig iſt; (*) nicht ſpaͤter, damit<lb/> die Lebhaftigkeit der Erwartung nicht wieder ab-<lb/> nehme. Beydes iſt ſehr wichtig, weil die Lebhaf-<lb/> tigkeit der Vorſtellungen bey der Aufloͤſung die<lb/> ſtaͤrkſten Eindruͤke im Gemuͤthe zuruͤk laͤßt.</p><lb/> <p>Vom Ausgange, der durch die Aufloͤſung be-<lb/> wuͤrkt wird, iſt beſonders geſprochen worden. S.<lb/><hi rendition="#fr">Ausgang.</hi></p><lb/> <p>Will man gegen die Wichtigkeit aller dieſer An-<lb/> merkungen, ſo wie gegen alles, was die Regeln der<lb/> Vollkommenheit eines Werks betrifft, einwenden,<lb/> daß viele Stuͤke ſehr gefallen, darin dieſe Vor-<lb/> ſchriften nicht beobachtet ſind; ſo kann man ein-<lb/> mal fuͤr alle dieſes zur Antwort nehmen, daß jene<lb/> Stuͤke noch mehr gefallen wuͤrden, wenn dabey<lb/> auch noch dieſe Regeln waͤren beobachtet worden.</p><lb/> <p>Was hier von der Aufloͤſung der dramatiſchen<lb/> Handlung angemerkt iſt, kann auch auf die epiſche<lb/> Handlung angewendet werden. Die Kunſtrichter<lb/> haben davon weniger geſchrieben, weil der Dichter<lb/> in dieſer weniger Zwang fuͤhlt, und alſo allen Fo-<lb/> derungen leichter genug thun kann.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Aufloͤſung der Diſſonanz</hi> in der Muſik. Hier<lb/> wird das Wort Aufloͤſung in einer ganz beſondern<lb/> engen Bedeutung genommen; denn nicht eine jede<lb/> Herſtellung der voͤlligen Harmonie, ſondern nur<lb/> eine gewiſſe Gattung derſelben bekoͤmmt den Na-<lb/> nien der Aufloͤſung. Jn den beyden hiebey ge-<lb/> ſchriebenen Beyſpielen</p><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Auf</hi> </fw><lb/> <figure/><lb/> <p>wird die Harmonie durch Diſſonanzen zerſtoͤhrt,<lb/> da in dem zweyten und vierten Viertel des erſten<lb/> Takts zwey Diſſonanzen anſtatt der Conſonanzen<lb/> ſtehen, ſo gleich aber wieder in Conſonanzen durch<lb/> ſteigen oder fallen, eintreten; in dem andern Bey-<lb/> ſpiel aber werden gar alle Conſonanzen in Diſ-<lb/> ſonanzen verwandelt, die aber gleich wieder in die<lb/> Conſonanzen zuruͤk treten. Dergleichen Faͤlle aber<lb/> werden nicht zu den Aufloͤſungen gerechnet. (*)<note place="right">(*) S.<lb/> Durch-<lb/> gang, Ver-<lb/> wechslung.</note><lb/> Dieſe Diſſonanzen erſcheinen ohne Vorbereitung<lb/> und verſchwinden auch ploͤtzlich wieder; in dem ſie<lb/> nur in geſchwinden Bewegungen ſtatt haben, wo<lb/> das Ohr kaum Zeit hat ſich wieder nach der rei-<lb/> nen Harmonie zu ſehnen. Die eigentlichen Aufloͤ-<lb/> ſungen betreffen nur diejenigen Diſſonanzen, die<lb/> durch <hi rendition="#fr">Bindungen</hi> vorbereitet worden und folg-<lb/> lich wieder <hi rendition="#fr">entbunden</hi> oder aufgeloͤſt werden muͤſſen.<lb/> Weil dieſe Diſſonanzen entweder wegen ihrer laͤn-<lb/> gern Dauer, oder wegen des darauf liegenden<lb/> Nachdruks merklichen Eindruk machen, und dem<lb/> Gehoͤr ein wuͤrkliches Verlangen nach der Herſtel-<lb/> lung der Ordnung erweken; ſo muß dieſe Herſtel-<lb/> lung auf eine befriedigende Weiſe geſchehen. Da-<lb/> her ſind die Regeln von der Aufloͤſung der Diſ-<lb/> ſonanzen entſtanden. Je langſamer die Bewegung<lb/> iſt, und je daurender oder nachdruͤklicher der Ein-<lb/> druk der Diſſonanzen geweſen iſt, je genauer muß<lb/> man ſich bey ihrer Aufloͤſung an dieſe Regeln bin-<lb/> den. Ein kleines Verſehen dabey wird einem<lb/> wolgeuͤbten Ohr ſehr empfindlich.</p><lb/> <p>Dieſe Regeln ſind von den aͤltern Tonſetzern<lb/> groͤßtentheils fuͤr die langſamen Choraͤle und fuͤr<lb/> die nachdruͤkliche Allabreve Bewegung erfunden<lb/> worden, wo die Harmonie mit großer Genauigkeit<lb/> will behandelt ſeyn. Daß große Meiſter in ge-<lb/> ſchwinden Sachen, und in dem, was man die ga-<lb/> lante Schreibart nennt, ſich nicht allemal puͤnktlich<lb/> an dieſe Regeln binden; (wie wol auch da die groͤß-<lb/> ten Meiſter, ſich am wenigſten Freyheiten erlau-<lb/> ben) ſoll Anfaͤnger oder minder geuͤbtere nicht zur<lb/> Nachlaͤßigkeit verleiten. Es iſt allemal ſicherer, ſich<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0100]
Auf
Auf
die Aufloͤſung voͤllig beſtimmt werden, daß keine
Frage mehr daruͤber entſtehen kann. Plautus
hat verſchiedentlich gegen dieſe Vollſtaͤndigkeit der
Aufloͤſung gefehlt. So hat ſein Stuͤk, das er
Moſtellaria genennt hat, eine ſo unvollſtaͤndige
Aufloͤſung, daß das Ende davon ganz abgeſchmakt
wird.
Es iſt zwar eben nicht noͤthig, wie einige mey-
nen, daß die Aufloͤſung zuletzt alle Perſonen auf die
Buͤhne vereinige: genug wenn dieſelbe nur alle
weitere Unternehmung hemmt, und unſre Erwar-
tung uͤber die Perſonen befriediget, ſie ſeyn zugegen
oder nicht.
Endlich muß die Aufloͤſung zu rechter Zeit ge-
ſchehen; naͤmlich, wenn unſre Erwartung auf das
hoͤchſte gekommen iſt. Nicht eher, weil ſie ſonſt
nicht Reizung genug hat; daher bisweilen eine
Aufhaltung nothwendig iſt; (*) nicht ſpaͤter, damit
die Lebhaftigkeit der Erwartung nicht wieder ab-
nehme. Beydes iſt ſehr wichtig, weil die Lebhaf-
tigkeit der Vorſtellungen bey der Aufloͤſung die
ſtaͤrkſten Eindruͤke im Gemuͤthe zuruͤk laͤßt.
(*) S. Auf-
haltung.
Vom Ausgange, der durch die Aufloͤſung be-
wuͤrkt wird, iſt beſonders geſprochen worden. S.
Ausgang.
Will man gegen die Wichtigkeit aller dieſer An-
merkungen, ſo wie gegen alles, was die Regeln der
Vollkommenheit eines Werks betrifft, einwenden,
daß viele Stuͤke ſehr gefallen, darin dieſe Vor-
ſchriften nicht beobachtet ſind; ſo kann man ein-
mal fuͤr alle dieſes zur Antwort nehmen, daß jene
Stuͤke noch mehr gefallen wuͤrden, wenn dabey
auch noch dieſe Regeln waͤren beobachtet worden.
Was hier von der Aufloͤſung der dramatiſchen
Handlung angemerkt iſt, kann auch auf die epiſche
Handlung angewendet werden. Die Kunſtrichter
haben davon weniger geſchrieben, weil der Dichter
in dieſer weniger Zwang fuͤhlt, und alſo allen Fo-
derungen leichter genug thun kann.
Aufloͤſung der Diſſonanz in der Muſik. Hier
wird das Wort Aufloͤſung in einer ganz beſondern
engen Bedeutung genommen; denn nicht eine jede
Herſtellung der voͤlligen Harmonie, ſondern nur
eine gewiſſe Gattung derſelben bekoͤmmt den Na-
nien der Aufloͤſung. Jn den beyden hiebey ge-
ſchriebenen Beyſpielen
[Abbildung]
wird die Harmonie durch Diſſonanzen zerſtoͤhrt,
da in dem zweyten und vierten Viertel des erſten
Takts zwey Diſſonanzen anſtatt der Conſonanzen
ſtehen, ſo gleich aber wieder in Conſonanzen durch
ſteigen oder fallen, eintreten; in dem andern Bey-
ſpiel aber werden gar alle Conſonanzen in Diſ-
ſonanzen verwandelt, die aber gleich wieder in die
Conſonanzen zuruͤk treten. Dergleichen Faͤlle aber
werden nicht zu den Aufloͤſungen gerechnet. (*)
Dieſe Diſſonanzen erſcheinen ohne Vorbereitung
und verſchwinden auch ploͤtzlich wieder; in dem ſie
nur in geſchwinden Bewegungen ſtatt haben, wo
das Ohr kaum Zeit hat ſich wieder nach der rei-
nen Harmonie zu ſehnen. Die eigentlichen Aufloͤ-
ſungen betreffen nur diejenigen Diſſonanzen, die
durch Bindungen vorbereitet worden und folg-
lich wieder entbunden oder aufgeloͤſt werden muͤſſen.
Weil dieſe Diſſonanzen entweder wegen ihrer laͤn-
gern Dauer, oder wegen des darauf liegenden
Nachdruks merklichen Eindruk machen, und dem
Gehoͤr ein wuͤrkliches Verlangen nach der Herſtel-
lung der Ordnung erweken; ſo muß dieſe Herſtel-
lung auf eine befriedigende Weiſe geſchehen. Da-
her ſind die Regeln von der Aufloͤſung der Diſ-
ſonanzen entſtanden. Je langſamer die Bewegung
iſt, und je daurender oder nachdruͤklicher der Ein-
druk der Diſſonanzen geweſen iſt, je genauer muß
man ſich bey ihrer Aufloͤſung an dieſe Regeln bin-
den. Ein kleines Verſehen dabey wird einem
wolgeuͤbten Ohr ſehr empfindlich.
(*) S.
Durch-
gang, Ver-
wechslung.
Dieſe Regeln ſind von den aͤltern Tonſetzern
groͤßtentheils fuͤr die langſamen Choraͤle und fuͤr
die nachdruͤkliche Allabreve Bewegung erfunden
worden, wo die Harmonie mit großer Genauigkeit
will behandelt ſeyn. Daß große Meiſter in ge-
ſchwinden Sachen, und in dem, was man die ga-
lante Schreibart nennt, ſich nicht allemal puͤnktlich
an dieſe Regeln binden; (wie wol auch da die groͤß-
ten Meiſter, ſich am wenigſten Freyheiten erlau-
ben) ſoll Anfaͤnger oder minder geuͤbtere nicht zur
Nachlaͤßigkeit verleiten. Es iſt allemal ſicherer, ſich
die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |