Folgerungen, die daraus fließen, zu fürchten. Darum habe ich überall mit der Frey- müthigkeit gesprochen, die einem Philosophen geziehmet.
Jch bitte zu bedenken, daß ich alles, was den guten Geschmak betrift, für eine sehr wichtige Angelegenheit, und gar nicht, wie viele thun, für ein Spielwerk halte. Bey dieser Art zu denken, halt ich es für ein Verbrechen das Publicum, oder die Künst- ler durch Schmeicheleyen sich günstig zu machen. Da ich einmal deutlich einsehe, wie genau die sittliche Bildung des Menschen, mit der Ausbreitung des guten Geschmaks zusammen hängt, so ist es mir nicht möglich mit Gleichgültigkeit von Dingen zu reden, die nach meiner Einsicht den Geschmak verderben, und die schönen Künste von ihrem großen Zwek abführen.
Jn dem Reiche des Geschmaks giebt es, so wie in der Philosophie verschiedene Sekten und Schulen, die in ihren Grundsätzen und Lehren weit auseinander sind, und wo die meisten Anhänger der Häupter der Schulen, ohne weitere Untersuchung, beym Loben und Tadeln nachsprechen, was diese einmal für gut gefunden haben. Jch habe vermuthlich ofte gegen solche Schullehren angestoßen. Dieses soll nun weiter nichts auf sich haben, als daß ich mir die Freyheit nehme, auch meine Meinung zu sagen, so wie es die, die von mir anders geurtheilt haben, auch gethan. Ham veniam damus petimusque vicissim.
Vorrede.
Folgerungen, die daraus fließen, zu fuͤrchten. Darum habe ich uͤberall mit der Frey- muͤthigkeit geſprochen, die einem Philoſophen geziehmet.
Jch bitte zu bedenken, daß ich alles, was den guten Geſchmak betrift, fuͤr eine ſehr wichtige Angelegenheit, und gar nicht, wie viele thun, fuͤr ein Spielwerk halte. Bey dieſer Art zu denken, halt ich es fuͤr ein Verbrechen das Publicum, oder die Kuͤnſt- ler durch Schmeicheleyen ſich guͤnſtig zu machen. Da ich einmal deutlich einſehe, wie genau die ſittliche Bildung des Menſchen, mit der Ausbreitung des guten Geſchmaks zuſammen haͤngt, ſo iſt es mir nicht moͤglich mit Gleichguͤltigkeit von Dingen zu reden, die nach meiner Einſicht den Geſchmak verderben, und die ſchoͤnen Kuͤnſte von ihrem großen Zwek abfuͤhren.
Jn dem Reiche des Geſchmaks giebt es, ſo wie in der Philoſophie verſchiedene Sekten und Schulen, die in ihren Grundſaͤtzen und Lehren weit auseinander ſind, und wo die meiſten Anhaͤnger der Haͤupter der Schulen, ohne weitere Unterſuchung, beym Loben und Tadeln nachſprechen, was dieſe einmal fuͤr gut gefunden haben. Jch habe vermuthlich ofte gegen ſolche Schullehren angeſtoßen. Dieſes ſoll nun weiter nichts auf ſich haben, als daß ich mir die Freyheit nehme, auch meine Meinung zu ſagen, ſo wie es die, die von mir anders geurtheilt haben, auch gethan. Ham veniam damus petimusque viciſſim.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0010"n="X"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Vorrede.</hi></fw><lb/>
Folgerungen, die daraus fließen, zu fuͤrchten. Darum habe ich uͤberall mit der Frey-<lb/>
muͤthigkeit geſprochen, die einem Philoſophen geziehmet.</p><lb/><p>Jch bitte zu bedenken, daß ich alles, was den guten Geſchmak betrift, fuͤr eine<lb/>ſehr wichtige Angelegenheit, und gar nicht, wie viele thun, fuͤr ein Spielwerk halte.<lb/>
Bey dieſer Art zu denken, halt ich es fuͤr ein Verbrechen das Publicum, oder die Kuͤnſt-<lb/>
ler durch Schmeicheleyen ſich guͤnſtig zu machen. Da ich einmal deutlich einſehe, wie<lb/>
genau die ſittliche Bildung des Menſchen, mit der Ausbreitung des guten Geſchmaks<lb/>
zuſammen haͤngt, ſo iſt es mir nicht moͤglich mit Gleichguͤltigkeit von Dingen zu reden,<lb/>
die nach meiner Einſicht den Geſchmak verderben, und die ſchoͤnen Kuͤnſte von ihrem<lb/>
großen Zwek abfuͤhren.</p><lb/><p>Jn dem Reiche des Geſchmaks giebt es, ſo wie in der Philoſophie verſchiedene<lb/>
Sekten und Schulen, die in ihren Grundſaͤtzen und Lehren weit auseinander ſind, und<lb/>
wo die meiſten Anhaͤnger der Haͤupter der Schulen, ohne weitere Unterſuchung, beym<lb/>
Loben und Tadeln nachſprechen, was dieſe einmal fuͤr gut gefunden haben. Jch habe<lb/>
vermuthlich ofte gegen ſolche Schullehren angeſtoßen. Dieſes ſoll nun weiter nichts<lb/>
auf ſich haben, als daß ich mir die Freyheit nehme, auch meine Meinung zu ſagen, ſo<lb/>
wie es die, die von mir anders geurtheilt haben, auch gethan. <hirendition="#aq">Ham veniam damus<lb/>
petimusque viciſſim.</hi></p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></body></text></TEI>
[X/0010]
Vorrede.
Folgerungen, die daraus fließen, zu fuͤrchten. Darum habe ich uͤberall mit der Frey-
muͤthigkeit geſprochen, die einem Philoſophen geziehmet.
Jch bitte zu bedenken, daß ich alles, was den guten Geſchmak betrift, fuͤr eine
ſehr wichtige Angelegenheit, und gar nicht, wie viele thun, fuͤr ein Spielwerk halte.
Bey dieſer Art zu denken, halt ich es fuͤr ein Verbrechen das Publicum, oder die Kuͤnſt-
ler durch Schmeicheleyen ſich guͤnſtig zu machen. Da ich einmal deutlich einſehe, wie
genau die ſittliche Bildung des Menſchen, mit der Ausbreitung des guten Geſchmaks
zuſammen haͤngt, ſo iſt es mir nicht moͤglich mit Gleichguͤltigkeit von Dingen zu reden,
die nach meiner Einſicht den Geſchmak verderben, und die ſchoͤnen Kuͤnſte von ihrem
großen Zwek abfuͤhren.
Jn dem Reiche des Geſchmaks giebt es, ſo wie in der Philoſophie verſchiedene
Sekten und Schulen, die in ihren Grundſaͤtzen und Lehren weit auseinander ſind, und
wo die meiſten Anhaͤnger der Haͤupter der Schulen, ohne weitere Unterſuchung, beym
Loben und Tadeln nachſprechen, was dieſe einmal fuͤr gut gefunden haben. Jch habe
vermuthlich ofte gegen ſolche Schullehren angeſtoßen. Dieſes ſoll nun weiter nichts
auf ſich haben, als daß ich mir die Freyheit nehme, auch meine Meinung zu ſagen, ſo
wie es die, die von mir anders geurtheilt haben, auch gethan. Ham veniam damus
petimusque viciſſim.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/10>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.