Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza be Stunde vor Lyon kommt man endlich von den Hö-hen an den Fluß herunter. Diese Straße ist vor nicht langer Zeit gemacht worden. Die Berge gien- gen steil bis in den Fluß herunter, so daß an dem Ufer keine Straße war. Jetzt hat man von dem Fuß des Berges so viel abgetragen und eben gemacht, daß man eine schöne und breite Heerstraße gewonnen hat. An vielen Orten aber ist der Berg so steil abgestochen, daß zu besorgen ist, er werde hier und da nachsinken und die Straße verschütten; denn diese Berge bestehen nicht aus Felsen, sondern aus Erde mit vielen Stei- nen vermischt. Vermittelst dieser neuen Straße kommt man jetzt von dieser Seite her, gerade an dem fürtrefflichen Kay der Rhone in die Stadt, da man ehedem oben über die Berge weg erst in den obern oder nördlichen Theil der Stadt gekommen. Nahe an der Stadt sind viel schöne neue Häuser, Gegen sechs Uhr langte ich in Lyon an. An der
Tagebuch von einer nach Nizza be Stunde vor Lyon kommt man endlich von den Hoͤ-hen an den Fluß herunter. Dieſe Straße iſt vor nicht langer Zeit gemacht worden. Die Berge gien- gen ſteil bis in den Fluß herunter, ſo daß an dem Ufer keine Straße war. Jetzt hat man von dem Fuß des Berges ſo viel abgetragen und eben gemacht, daß man eine ſchoͤne und breite Heerſtraße gewonnen hat. An vielen Orten aber iſt der Berg ſo ſteil abgeſtochen, daß zu beſorgen iſt, er werde hier und da nachſinken und die Straße verſchuͤtten; denn dieſe Berge beſtehen nicht aus Felſen, ſondern aus Erde mit vielen Stei- nen vermiſcht. Vermittelſt dieſer neuen Straße kommt man jetzt von dieſer Seite her, gerade an dem fuͤrtrefflichen Kay der Rhone in die Stadt, da man ehedem oben uͤber die Berge weg erſt in den obern oder noͤrdlichen Theil der Stadt gekommen. Nahe an der Stadt ſind viel ſchoͤne neue Haͤuſer, Gegen ſechs Uhr langte ich in Lyon an. An der
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Tagebuch von einer nach Nizza
be Stunde vor Lyon kommt man endlich von den Hoͤ-
hen an den Fluß herunter. Dieſe Straße iſt vor
nicht langer Zeit gemacht worden. Die Berge gien-
gen ſteil bis in den Fluß herunter, ſo daß an dem Ufer
keine Straße war. Jetzt hat man von dem Fuß des
Berges ſo viel abgetragen und eben gemacht, daß man
eine ſchoͤne und breite Heerſtraße gewonnen hat. An
vielen Orten aber iſt der Berg ſo ſteil abgeſtochen, daß
zu beſorgen iſt, er werde hier und da nachſinken und
die Straße verſchuͤtten; denn dieſe Berge beſtehen
nicht aus Felſen, ſondern aus Erde mit vielen Stei-
nen vermiſcht. Vermittelſt dieſer neuen Straße
kommt man jetzt von dieſer Seite her, gerade an dem
fuͤrtrefflichen Kay der Rhone in die Stadt, da man
ehedem oben uͤber die Berge weg erſt in den obern oder
noͤrdlichen Theil der Stadt gekommen.
Nahe an der Stadt ſind viel ſchoͤne neue Haͤuſer,
meiſt Gaſthoͤfe, laͤngſt der Straße ſo an die Berge
gebaut, daß ſie an der hintern Seite ſich ganz an die-
ſelben anſchließen. Man muß annehmen, daß die
Baumeiſter die Beſchaffenheit dieſer Berge genau wer-
den unterſucht haben, um ſich zu verſichern, daß ſie
nicht werden nachdruͤcken und die daran gebauten Haͤu-
ſer fortſtoßen. Dem Anſehen nach ſollte man dieſes
beſorgen; wenigſtens koͤnnte bey dem geringſten Erdbe-
ben ſich dieſer Unfall leicht zutragen.
Gegen ſechs Uhr langte ich in Lyon an. An
dem Thore wurde mein Gepaͤck bis auf das kleinſte
Packet durchgeſucht; und ich waͤre wegen eines kleinen
Reſtes von etwa einer Unze Schnupftabak in einer
bleyernen Doſe beynahe in verdrießliche Weitlaͤuftig-
keit gerathen. Aber die Billigkeit des Oberaufſehers
der
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