seyn. Die beträchtliche Anzahl vermögender Einwoh- ner, und die verschiedenen fremden reichen Familien, die sich hier blos der Annehmlichkeit dieses Aufenthalts halben niedergelassen, haben in dem Ort den Ton ei- ner guten und angenehmen Lebensart eingeführt. Ein Fremder wird auf eine angenehme Weise überrascht, in einem so einsamen, von wilden Bergen eingeschlosse- nen und abgelegenen Winkel eine so artige, reinliche, nach Verhältniß ihrer Größe reiche Stadt, und in derselben so viel gute Lebensart, Höflichkeit und gefäl- lige Sitten zu finden.
Der Ort ist deswegen sehr nahrhaft, weil hier die Niederlage vieler aus der Schweiz auf Genf und von da nach Frankreich gehender Waaren und Gü- ter ist, die hier eingeschifft werden, und weil das da herumwohnende wohlhabende Landvolk der beyden Can- tone Bern und Freyburg, wie auch der Republik Wallis, hier seine von außen herkommende Bedürf- nisse einkaufet. Ein der Sachen sehr kundiger Mann hat mich versichert, daß hier jährlich nur an dem aus dem Canton Freyburg kommenden Käse, den man Gruyere nenut, für zwey Millionen Livres nach Frankreich eingeladen werde. Jn der That sah ich auch in einem großen, an dem Hafen liegenden offenen Gebäude eine erstaunliche Menge Fässer liegen, die alle mit diesem Käse angefüllt waren.
An der Abendseite der Stadt liegt ein großer an den See stoßender offener Platz, der von der Stadt selbst und von der ihr gegen Abend liegenden beträcht- lichen Vorstadt eingeschlossen ist, und den hiesigen Marktplatz ausmacht. Es war eben Wochenmarkt, als ich da war, und dieser Platz war sehr voll Men-
schen
Tagebuch von einer nach Nizza
ſeyn. Die betraͤchtliche Anzahl vermoͤgender Einwoh- ner, und die verſchiedenen fremden reichen Familien, die ſich hier blos der Annehmlichkeit dieſes Aufenthalts halben niedergelaſſen, haben in dem Ort den Ton ei- ner guten und angenehmen Lebensart eingefuͤhrt. Ein Fremder wird auf eine angenehme Weiſe uͤberraſcht, in einem ſo einſamen, von wilden Bergen eingeſchloſſe- nen und abgelegenen Winkel eine ſo artige, reinliche, nach Verhaͤltniß ihrer Groͤße reiche Stadt, und in derſelben ſo viel gute Lebensart, Hoͤflichkeit und gefaͤl- lige Sitten zu finden.
Der Ort iſt deswegen ſehr nahrhaft, weil hier die Niederlage vieler aus der Schweiz auf Genf und von da nach Frankreich gehender Waaren und Guͤ- ter iſt, die hier eingeſchifft werden, und weil das da herumwohnende wohlhabende Landvolk der beyden Can- tone Bern und Freyburg, wie auch der Republik Wallis, hier ſeine von außen herkommende Beduͤrf- niſſe einkaufet. Ein der Sachen ſehr kundiger Mann hat mich verſichert, daß hier jaͤhrlich nur an dem aus dem Canton Freyburg kommenden Kaͤſe, den man Gruyere nenut, fuͤr zwey Millionen Livres nach Frankreich eingeladen werde. Jn der That ſah ich auch in einem großen, an dem Hafen liegenden offenen Gebaͤude eine erſtaunliche Menge Faͤſſer liegen, die alle mit dieſem Kaͤſe angefuͤllt waren.
An der Abendſeite der Stadt liegt ein großer an den See ſtoßender offener Platz, der von der Stadt ſelbſt und von der ihr gegen Abend liegenden betraͤcht- lichen Vorſtadt eingeſchloſſen iſt, und den hieſigen Marktplatz ausmacht. Es war eben Wochenmarkt, als ich da war, und dieſer Platz war ſehr voll Men-
ſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0072"n="54"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>ſeyn. Die betraͤchtliche Anzahl vermoͤgender Einwoh-<lb/>
ner, und die verſchiedenen fremden reichen Familien,<lb/>
die ſich hier blos der Annehmlichkeit dieſes Aufenthalts<lb/>
halben niedergelaſſen, haben in dem Ort den Ton ei-<lb/>
ner guten und angenehmen Lebensart eingefuͤhrt. Ein<lb/>
Fremder wird auf eine angenehme Weiſe uͤberraſcht,<lb/>
in einem ſo einſamen, von wilden Bergen eingeſchloſſe-<lb/>
nen und abgelegenen Winkel eine ſo artige, reinliche,<lb/>
nach Verhaͤltniß ihrer Groͤße reiche Stadt, und in<lb/>
derſelben ſo viel gute Lebensart, Hoͤflichkeit und gefaͤl-<lb/>
lige Sitten zu finden.</p><lb/><p>Der Ort iſt deswegen ſehr nahrhaft, weil hier<lb/>
die Niederlage vieler aus der Schweiz auf <hirendition="#fr">Genf</hi> und<lb/>
von da nach <hirendition="#fr">Frankreich</hi> gehender Waaren und Guͤ-<lb/>
ter iſt, die hier eingeſchifft werden, und weil das da<lb/>
herumwohnende wohlhabende Landvolk der beyden Can-<lb/>
tone <hirendition="#fr">Bern</hi> und <hirendition="#fr">Freyburg,</hi> wie auch der Republik<lb/><hirendition="#fr">Wallis,</hi> hier ſeine von außen herkommende Beduͤrf-<lb/>
niſſe einkaufet. Ein der Sachen ſehr kundiger Mann<lb/>
hat mich verſichert, daß hier jaͤhrlich nur an dem aus<lb/>
dem Canton <hirendition="#fr">Freyburg</hi> kommenden Kaͤſe, den man<lb/>
Gruyere nenut, fuͤr zwey Millionen Livres nach<lb/><hirendition="#fr">Frankreich</hi> eingeladen werde. Jn der That ſah ich<lb/>
auch in einem großen, an dem Hafen liegenden offenen<lb/>
Gebaͤude eine erſtaunliche Menge Faͤſſer liegen, die<lb/>
alle mit dieſem Kaͤſe angefuͤllt waren.</p><lb/><p>An der Abendſeite der Stadt liegt ein großer an<lb/>
den See ſtoßender offener Platz, der von der Stadt<lb/>ſelbſt und von der ihr gegen Abend liegenden betraͤcht-<lb/>
lichen Vorſtadt eingeſchloſſen iſt, und den hieſigen<lb/>
Marktplatz ausmacht. Es war eben Wochenmarkt,<lb/>
als ich da war, und dieſer Platz war ſehr voll Men-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[54/0072]
Tagebuch von einer nach Nizza
ſeyn. Die betraͤchtliche Anzahl vermoͤgender Einwoh-
ner, und die verſchiedenen fremden reichen Familien,
die ſich hier blos der Annehmlichkeit dieſes Aufenthalts
halben niedergelaſſen, haben in dem Ort den Ton ei-
ner guten und angenehmen Lebensart eingefuͤhrt. Ein
Fremder wird auf eine angenehme Weiſe uͤberraſcht,
in einem ſo einſamen, von wilden Bergen eingeſchloſſe-
nen und abgelegenen Winkel eine ſo artige, reinliche,
nach Verhaͤltniß ihrer Groͤße reiche Stadt, und in
derſelben ſo viel gute Lebensart, Hoͤflichkeit und gefaͤl-
lige Sitten zu finden.
Der Ort iſt deswegen ſehr nahrhaft, weil hier
die Niederlage vieler aus der Schweiz auf Genf und
von da nach Frankreich gehender Waaren und Guͤ-
ter iſt, die hier eingeſchifft werden, und weil das da
herumwohnende wohlhabende Landvolk der beyden Can-
tone Bern und Freyburg, wie auch der Republik
Wallis, hier ſeine von außen herkommende Beduͤrf-
niſſe einkaufet. Ein der Sachen ſehr kundiger Mann
hat mich verſichert, daß hier jaͤhrlich nur an dem aus
dem Canton Freyburg kommenden Kaͤſe, den man
Gruyere nenut, fuͤr zwey Millionen Livres nach
Frankreich eingeladen werde. Jn der That ſah ich
auch in einem großen, an dem Hafen liegenden offenen
Gebaͤude eine erſtaunliche Menge Faͤſſer liegen, die
alle mit dieſem Kaͤſe angefuͤllt waren.
An der Abendſeite der Stadt liegt ein großer an
den See ſtoßender offener Platz, der von der Stadt
ſelbſt und von der ihr gegen Abend liegenden betraͤcht-
lichen Vorſtadt eingeſchloſſen iſt, und den hieſigen
Marktplatz ausmacht. Es war eben Wochenmarkt,
als ich da war, und dieſer Platz war ſehr voll Men-
ſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/72>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.