Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza wenige schmale Striche ausgenommen, wo die herun-terlaufenden Bäche tiefe Tobel ausgehöhlt haben. Weil aber der Berg durchaus sehr steil ist, so ist er durch eine unzählbare Menge kleiner Mauren in Ter- rassen abgetheilet, welche verhindern, daß das Re- genwasser die Erde nicht herunter spühlet. Man muß die erstaunliche Arbeit bewundern, die diesen Berg durch so viele tausend Mauren zum Anbau des Weins tüchtig gemacht hat. Es fiel mir bey dieser Gelegenheit wieder ein, was ich gar oft bey ähnlichen Veranlassungen gedacht habe, nämlich: daß wenig cultivirte Grundstücke sind, deren jetziger Werth, wenn sie verkauft werden, die Arbeit bezahlt, die dar- an hat müssen gewendet werden, um sie urbar zu ma- chen, und in urbarem Stande zu erhalten. Hier hat es nicht nur erstaunliche Arbeit gekostet, die Mauern aufzuführen, und jede Terrasse abzuebnen; sondern es kostet seit so viel Jahrhunderten fast jedes Jahr neue Arbeit, sie im Stande zu erhalten. Denn oft drückt die durch langen Regen weich gewordene Erde nach, und macht hier und da die Mauren bersten. Auch stürzen an verschiedenen Orten große Felsenstücke, die sich auf der Höhe des Berges losge- rissen, über diese Terrassen herunter, und schlagen die Mauren ein, so daß man mit der Arbeit daran nie fertig wird. Durch diese Weinberge geht der Weg nach Vevay meistens in einer kleinen Erhöhung über den See; nur hier und da geht die Straße herunter, und eine Zeit lang an dem Ufer desselben. Etwa eine Stunde oberhalb Lausanne fängt der an
Tagebuch von einer nach Nizza wenige ſchmale Striche ausgenommen, wo die herun-terlaufenden Baͤche tiefe Tobel ausgehoͤhlt haben. Weil aber der Berg durchaus ſehr ſteil iſt, ſo iſt er durch eine unzaͤhlbare Menge kleiner Mauren in Ter- raſſen abgetheilet, welche verhindern, daß das Re- genwaſſer die Erde nicht herunter ſpuͤhlet. Man muß die erſtaunliche Arbeit bewundern, die dieſen Berg durch ſo viele tauſend Mauren zum Anbau des Weins tuͤchtig gemacht hat. Es fiel mir bey dieſer Gelegenheit wieder ein, was ich gar oft bey aͤhnlichen Veranlaſſungen gedacht habe, naͤmlich: daß wenig cultivirte Grundſtuͤcke ſind, deren jetziger Werth, wenn ſie verkauft werden, die Arbeit bezahlt, die dar- an hat muͤſſen gewendet werden, um ſie urbar zu ma- chen, und in urbarem Stande zu erhalten. Hier hat es nicht nur erſtaunliche Arbeit gekoſtet, die Mauern aufzufuͤhren, und jede Terraſſe abzuebnen; ſondern es koſtet ſeit ſo viel Jahrhunderten faſt jedes Jahr neue Arbeit, ſie im Stande zu erhalten. Denn oft druͤckt die durch langen Regen weich gewordene Erde nach, und macht hier und da die Mauren berſten. Auch ſtuͤrzen an verſchiedenen Orten große Felſenſtuͤcke, die ſich auf der Hoͤhe des Berges losge- riſſen, uͤber dieſe Terraſſen herunter, und ſchlagen die Mauren ein, ſo daß man mit der Arbeit daran nie fertig wird. Durch dieſe Weinberge geht der Weg nach Vevay meiſtens in einer kleinen Erhoͤhung uͤber den See; nur hier und da geht die Straße herunter, und eine Zeit lang an dem Ufer deſſelben. Etwa eine Stunde oberhalb Lauſanne faͤngt der an
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Tagebuch von einer nach Nizza
wenige ſchmale Striche ausgenommen, wo die herun-
terlaufenden Baͤche tiefe Tobel ausgehoͤhlt haben.
Weil aber der Berg durchaus ſehr ſteil iſt, ſo iſt er
durch eine unzaͤhlbare Menge kleiner Mauren in Ter-
raſſen abgetheilet, welche verhindern, daß das Re-
genwaſſer die Erde nicht herunter ſpuͤhlet. Man
muß die erſtaunliche Arbeit bewundern, die dieſen
Berg durch ſo viele tauſend Mauren zum Anbau des
Weins tuͤchtig gemacht hat. Es fiel mir bey dieſer
Gelegenheit wieder ein, was ich gar oft bey aͤhnlichen
Veranlaſſungen gedacht habe, naͤmlich: daß wenig
cultivirte Grundſtuͤcke ſind, deren jetziger Werth,
wenn ſie verkauft werden, die Arbeit bezahlt, die dar-
an hat muͤſſen gewendet werden, um ſie urbar zu ma-
chen, und in urbarem Stande zu erhalten. Hier hat
es nicht nur erſtaunliche Arbeit gekoſtet, die Mauern
aufzufuͤhren, und jede Terraſſe abzuebnen; ſondern
es koſtet ſeit ſo viel Jahrhunderten faſt jedes Jahr
neue Arbeit, ſie im Stande zu erhalten. Denn oft
druͤckt die durch langen Regen weich gewordene
Erde nach, und macht hier und da die Mauren
berſten. Auch ſtuͤrzen an verſchiedenen Orten große
Felſenſtuͤcke, die ſich auf der Hoͤhe des Berges losge-
riſſen, uͤber dieſe Terraſſen herunter, und ſchlagen
die Mauren ein, ſo daß man mit der Arbeit daran nie
fertig wird. Durch dieſe Weinberge geht der Weg
nach Vevay meiſtens in einer kleinen Erhoͤhung uͤber
den See; nur hier und da geht die Straße herunter,
und eine Zeit lang an dem Ufer deſſelben.
Etwa eine Stunde oberhalb Lauſanne faͤngt der
kleine Diſtrikt an, der eigentlich La Vaud, im Deut-
ſchen das Ryffthal genennt wird; wiewohl man einen
an
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