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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.

Aber eben dieses hat eigentlich dem ganzen helve-
tischen Staatskörper seine ehemalige Macht und sein
Ansehen benommen. Die katholischen Stände haben
aus einem unglücklichen Mitsrauen gegen die etwas
stärkern und weit reichern reformirten Stände ge-
glaubt, die Politik erfodere von ihnen, sich sehr ge-
nau und eng an Frankreich zu halten; und der Vor-
theil, den nun die an der Regierung sitzenden Perso-
nen durch die jährlichen Pensionen genießen, da 100
Louisd'or in diesem Lande beynahe schon hinreichen, ei-
ne ganze Familie das Jahr durch zu erhalten, hat die-
se Verbindung noch enger und beynahe unauflöslich
gemacht. Daher ist es gegenwärtig beynahe unmög-
lich, daß der helvetische Staatskörper je einen Schluß
fassen könnte, der dem französischen Hofe misfällig
wäre.

Jch befand mich nunmehr in einem zwar fehr ab-
gelegenen, durch unzugängliche Gebürge von der Welt
abgesonderten, einsamen und unerheblichen Winkel
des Erdbodens, der aber durch ehemalige wahrhaftig
bewunderungswürdige Thaten berühmt worden, und
jedem, der politische Freyheit zu schätzen weiß, ver-
ehrungswürdig seyn muß.

Jn Altorf nahm die gegenwärtige helvetische
Freyheit und Unabhängigkeit ihren Anfang; und an,
oder unweit dem See, über den ich jetzt fahren mußte,
liegen Oerter ehemaliger großer Scenen, wodurch ein
kleines, in seinen Kenntnissen und Sitten höchst ein-
fältiges, dabey armes Volk sich, gegen die Bestre-
bungen einer großen tyrannischen Macht, in unum-
schränkte Freyheit und gänzliche Unabhängigkeit gesetzt
hat. Jch war jetzt in dem Vaterlande eines Tells,

eines
von Nizza nach Deutſchland.

Aber eben dieſes hat eigentlich dem ganzen helve-
tiſchen Staatskoͤrper ſeine ehemalige Macht und ſein
Anſehen benommen. Die katholiſchen Staͤnde haben
aus einem ungluͤcklichen Mitsrauen gegen die etwas
ſtaͤrkern und weit reichern reformirten Staͤnde ge-
glaubt, die Politik erfodere von ihnen, ſich ſehr ge-
nau und eng an Frankreich zu halten; und der Vor-
theil, den nun die an der Regierung ſitzenden Perſo-
nen durch die jaͤhrlichen Penſionen genießen, da 100
Louisd'or in dieſem Lande beynahe ſchon hinreichen, ei-
ne ganze Familie das Jahr durch zu erhalten, hat die-
ſe Verbindung noch enger und beynahe unaufloͤslich
gemacht. Daher iſt es gegenwaͤrtig beynahe unmoͤg-
lich, daß der helvetiſche Staatskoͤrper je einen Schluß
faſſen koͤnnte, der dem franzoͤſiſchen Hofe misfaͤllig
waͤre.

Jch befand mich nunmehr in einem zwar fehr ab-
gelegenen, durch unzugaͤngliche Gebuͤrge von der Welt
abgeſonderten, einſamen und unerheblichen Winkel
des Erdbodens, der aber durch ehemalige wahrhaftig
bewunderungswuͤrdige Thaten beruͤhmt worden, und
jedem, der politiſche Freyheit zu ſchaͤtzen weiß, ver-
ehrungswuͤrdig ſeyn muß.

Jn Altorf nahm die gegenwaͤrtige helvetiſche
Freyheit und Unabhaͤngigkeit ihren Anfang; und an,
oder unweit dem See, uͤber den ich jetzt fahren mußte,
liegen Oerter ehemaliger großer Scenen, wodurch ein
kleines, in ſeinen Kenntniſſen und Sitten hoͤchſt ein-
faͤltiges, dabey armes Volk ſich, gegen die Beſtre-
bungen einer großen tyranniſchen Macht, in unum-
ſchraͤnkte Freyheit und gaͤnzliche Unabhaͤngigkeit geſetzt
hat. Jch war jetzt in dem Vaterlande eines Tells,

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[381/0401] von Nizza nach Deutſchland. Aber eben dieſes hat eigentlich dem ganzen helve- tiſchen Staatskoͤrper ſeine ehemalige Macht und ſein Anſehen benommen. Die katholiſchen Staͤnde haben aus einem ungluͤcklichen Mitsrauen gegen die etwas ſtaͤrkern und weit reichern reformirten Staͤnde ge- glaubt, die Politik erfodere von ihnen, ſich ſehr ge- nau und eng an Frankreich zu halten; und der Vor- theil, den nun die an der Regierung ſitzenden Perſo- nen durch die jaͤhrlichen Penſionen genießen, da 100 Louisd'or in dieſem Lande beynahe ſchon hinreichen, ei- ne ganze Familie das Jahr durch zu erhalten, hat die- ſe Verbindung noch enger und beynahe unaufloͤslich gemacht. Daher iſt es gegenwaͤrtig beynahe unmoͤg- lich, daß der helvetiſche Staatskoͤrper je einen Schluß faſſen koͤnnte, der dem franzoͤſiſchen Hofe misfaͤllig waͤre. Jch befand mich nunmehr in einem zwar fehr ab- gelegenen, durch unzugaͤngliche Gebuͤrge von der Welt abgeſonderten, einſamen und unerheblichen Winkel des Erdbodens, der aber durch ehemalige wahrhaftig bewunderungswuͤrdige Thaten beruͤhmt worden, und jedem, der politiſche Freyheit zu ſchaͤtzen weiß, ver- ehrungswuͤrdig ſeyn muß. Jn Altorf nahm die gegenwaͤrtige helvetiſche Freyheit und Unabhaͤngigkeit ihren Anfang; und an, oder unweit dem See, uͤber den ich jetzt fahren mußte, liegen Oerter ehemaliger großer Scenen, wodurch ein kleines, in ſeinen Kenntniſſen und Sitten hoͤchſt ein- faͤltiges, dabey armes Volk ſich, gegen die Beſtre- bungen einer großen tyranniſchen Macht, in unum- ſchraͤnkte Freyheit und gaͤnzliche Unabhaͤngigkeit geſetzt hat. Jch war jetzt in dem Vaterlande eines Tells, eines

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/401>, abgerufen am 22.11.2024.